Rede von
Dr.
Hans
Apel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sie haben es genau erkannt, Herr Raffert!
Einige Bemerkungen zu dem von Herrn MüllerHermann angesprochenen Thema der Wegekostendebatte. Ich denke — meine Fraktion ist derselben Meinung —, daß die Debatte über die Wegekosten vorerst national beendet ist, daß wir sie auch nicht über eine Debatte hinsichtlich der Übernahme der Kosten des Fahrweges der Deutschen Bundesbahn auf den Bund erneut aufnehmen sollten, weil uns das in dieselben Schwierigkeiten brächte. Wir sollten unter uns wissen, daß EWG-Lösungen so schnell nicht zu haben sein werden. Daraus folgt eine drei-
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1970 4553
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fache Konsequenz. Erstens. Es steht der CDU/CSU nicht an,
zu sagen, der Herr Verkehrsminister habe seine Versprechen nicht erfüllt; denn Sie, Herr MüllerHermann, haben uns doch dieses Datum 31. 12. 1970 bezüglich der Ablösung der Leber-Pfennige durch eine Wegekostenabgabe in der Großen Koalition aufgezwungen, obwohl wir damals wußten, daß es eigentlich nicht geht.
Wir mußten diese Kröte schlucken, um Verkehrspolitik treiben zu können. Wenn Sie sich jetzt hinstellen und sagen: Ätsch, Sie haben es nicht geschafft!, kann ich nur sagen: Das ist zu einfach!
Eine zweite Bemerkung.
— Herr Lemmrich, ich weiß, was Sie für ein tüchtiger Mann sind. Hin und wieder hätte ich aber richtig Lust, Sie zu vertrimmen. Dann würde ich sogar Beifall von einigen Ihrer Freunde kriegen. Aber ich tue es nicht, denn wir wollen ja sachlich reden.
Meine Damen und Herren, eine zweite Bemerkung zu der Wegekostendebatte. Diese Debatte war notwendig und hat uns in der Tat wichtige Erkenntnisse verschafft, insbesondere die Erkenntnis, Herr Müller-Hermann, daß das eine politische Entscheidung ist.
Insofern ist es falsch, wenn Sie sagen: Wegekosten sind das, was der Herr Bundesverkehrsminister bestimmt. Wegekosten werden vielmehr das sein, was dieses Hohe Haus in seiner Mehrheit beschließt.
So ist es richtig, und so sind wir in der richtigen Relation.
Einige Bemerkungen zum Thema Verkehrssicherheit. Wir begrüßen es, daß die Automobilindustrie unseres Landes unter starker Förderung durch den Herrn Bundesverkehrsminister das Sicherheitsauto baut. Wir begrüßen es ferner, daß unsere Automobilfirmen die Abgasentgiftung vorantreiben, und zwar nicht nur deshalb, weil der Verkehr dadurch gefährdungsfreier gemacht wird, sondern weil wir auch — das haben wir bei unserer Studienreise in Amerika gesehen — keine Exportmärkte verlieren dürfen. Die Amerikaner tun hier nämlich etwas.
Eine Bemerkung zur Promillegrenze. Wir haben nichts dagegen, daß der Herr Bundesverkehrsminister noch einmal versucht, den Autofahrern gut zuzureden. Um uns herum, in den anderen europäischen Ländern — das müssen wir zur Kenntnis nehmen —, haben wir bereits fast durchgehend die 0,8Promille-Grenze. Wir kommen nicht um die Erkenntnis herum, daß 25 % der Verkehrstoten durch oder als Betrunkene auf unseren Straßen sterben. Das sind 4 000, vielleicht 5 000 Menschen. Für uns gibt es in dieser Frage keine Kompromisse. Unsere Fraktion ist fest entschlossen, in absehbarer Zeit einem Gesetzentwurf zuzustimmen, der aus dem Hause Leber kommt, oder gegebenenfalls einen eigenen Gesetzentwurf — vielleicht sogar interfraktionell — vorzulegen.
Ein Wort zur Geschwindigkeitsbegrenzung, von der wir die Bundesautobahnen ausnehmen. Wir wollen über dieses Thema ohne Emotion, ohne vorgefaßte Meinung und ohne starre Fixierung, aber auch ohne Angst vor denjenigen diskutieren, die gegen eine etwaige Geschwindigkeitsbegrenzung auf unseren Straßen Sturm laufen. In diesen Tagen haben wir in der Presse lesen können, daß die Franzosen, die im Mai auf ihren 13 000 km Nationalstraßen die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 110 km eingeführt haben, erreicht haben, daß die Zahl der Verkehrstoten um 11 % abgesunken ist. Das wären, wenn wir das auf die Zahl unserer Verkehrstoten übertragen, 1500, 1600, 1700 Menschen. Wenn man sich das einmal plastisch vorstellt, muß man sagen, auch hier darf es keine Kompromisse geben; hier dürfen uns weder die Automobilindustrie noch andere in unserem Lande von einer sachgerechten Debatte abbringen. Das Auto ist keine Mordwaffe, sondern ein Beförderungsmittel. Ich weiß mich in dieser Frage auch mit den Herren von der CDU/CSU einig.
Eine kurze Bemerkung zu dem „nassen Metier", der Binnenschiffahrt und der Seeschiffahrt. Wir lesen in Ziffer 85 des Verkehrsberichts, daß die Bundesregierung daran denkt, das Reinvestitionsverbot im Rahmen der Abwrackaktion aufzuheben. Das haben wir in der letzten Legislaturperiode hineingebracht. Ich kann für meine Fraktion sagen, daß wir natürlich besserer Einsicht nicht im Wege stehen, daß wir ihr aufgeschlossen gegenüberstehen. Wir sind aber der Meinung, daß das Reinvestitionsverbot insgesamt gesehen vernünftig war. Wer mit einer Prämie abwracken will, soll mit dieser Prämie nicht gleichzeitig neue Kapazitäten schaffen dürfen. Im übrigen ist es jedem unbenommen, neue Schiffe zu bauen, dann aber nicht mit Abwrackprämien. Im übrigen muß das Problem der Binnenschiffahrt insgesamt international, d. h. in der EWG, gesehen werden.
Einige Bemerkungen zur Seeschiffahrt. Ich bin froh darüber, daß Sie, Herr Senator Borttscheller, bei uns sind. Sie haben sich insbesondere um die Stärkung der Wettbewerbsposition der deutschen Seehäfen immer wieder sehr verdient gemacht. Aber darüber rede ich heute nicht, denn Herr Börner sagt immer: „Wenn Sie den Mund aufmachen, riecht es schon nach Salzwasser."
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Ich will mich also hier zurückhalten, möchte aber drei Bemerkungen genereller Art machen, die nicht die Häfen, sondern die Hochseeschiffahrt betreffen.
Erstens. Wir machen uns große Sorgen um den Mißbrauch der Sonderabschreibungen im Bereich der Hochseeschiffahrt, ja der Schiffahrt ganz allgemein.
Die Zahlen, die insbesondere der Verband der Küstenmotorschiffahrt vorgelegt hat, machen deutlich, daß durch schiffsfremde, d. h. steuersparende Investitionen der jetzige Kapazitätsbestand in der Küstenmotorschiffahrt in drei Jahren um 50 % gestiegen sein wird. Dies wird ohne Zweifel zu Kapazitätsüberhang und zu Unterbeschäftigung führen müssen. Gleichzeitig fördert der Bund mit 2,5 Millionen DM in diesem wie im nächsten Jahr eine Abwrackaktion für die Küstenmotorschiffahrt. Ich will das Ganze nicht in einen direkten Zusammenhang bringen, aber wir müssen doch erkennen, daß wir einerseits durch bestimmte Steuervorschriften die Möglichkeit schaffen, Küstenmotorschiffe zu bauen und damit Steuern zu sparen, d. h. den Fiskus zu schädigen,
und andererseits gleichzeitig Steuermittel einsetzen, um die Überkapazität zu bereinigen. Dies geht nicht. Meine Fraktion wird in Zusammenarbeit mit der FDP dazu eine Kleine Anfrage vorlegen, die im übrigen auch für das Thema „Luftverkehr" gelten wird, denn dort zeichnen sich ja dieselben Probleme ab.
Eine zweite Bemerkung gilt der Flaggendiskriminierung. Der Herr Verkehrsminister hat sich hier sehr aktiv eingesetzt; einiges ist gebessert worden. Ich glaube, wir müssen aber an die Adresse der Reeder mit allem Nachdruck sagen, daß die Lösung dieses Problems nicht zuletzt an den widerstreitenden Interessen der Reeder selbst scheitert. Da haben wir auf der einen Seite diejenigen, die den sogenannten — in Neudeutsch gesagt — cross trade betreiben, also im wesentlichen Trampschiffahrt, aber auch Linienschiffahrt zwischen anderen Ländern, ohne die Bundesrepublik zu berühren, und wir haben auch die unterschiedliche Interessenlage der Linienreeder. Wir müssen die Reeder auffordern, eine einheitliche Position zu beziehen, die klar ist, eine einheitliche Position, die auch deutlich macht, daß eine nationale Lösung der Flaggendiskriminierungsfrage nicht denkbar ist. Wir können erstens nicht den Bilateralismus wollen. Wir können doch nicht wollen, daß die Bundesrepublik mit Brasilien ein Schiffahrtsabkommen schließt, das die Ladungen fifty-fifty verteilt, und daß danach die Schiffe quasi halbleer fahren, weil sie dann natürlich skandinavische und niederländische Fracht nicht mehr mitbekommen und im übrigen andere südamerikanische Häfen auch nicht anlaufen können. Und zweitens möchte ich sehen, wohin wir in der EWG kommen, wenn wir diese nationale Politik versuchen wollten. Wir wollen die Erweiterung der EWG um Skandinavien und England. Dieses
Thema muß europäisch gelöst werden, und wir nehmen zur Kenntnis, daß der zuständige Kommissar, Herr Coppé, dazu jetzt etwas tun will.
Allerdings sind wir der Meinung, daß — der Herr Bundesverkehrsminister hat dem ja bisher auch stets zugestimmt bei den Kapitalhilfeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Entwicklungsländern viel energischer als bisher sichergestellt werden muß, daß unsere Flagge nicht diskriminiert wird. Wir können nicht Entwicklungshilfe zugunsten der Reedereien der Entwicklungsländer und damit zu Lasten der deutschen Reedereien betreiben. Dies ist falsch verstandene Entwicklungshilfe.
Nun die dritte und zur Seeschiffahrt letzte Bemerkung: Der Herr Bundesverkehrsminister hat völlig recht, wenn er in Ziffer 117 des Verkehrsberichts auf den Personalmangel aufmerksam macht und auch sagt, daß dabei die Reeder erneut im Wort sind. Die unzureichende Unterbringung auf den Seeschiffen — es wird allerdings langsam besser — muß überwunden werden; die Urlaubsregelungen müssen besser werden. Wir alle zusammen müssen vor allen Dingen darüber nachdenken, wie wir den Übergang vom Beruf des Seemanns — sei es des Kapitäns, sei es des technischen Personals, sei es des Matrosen — in einen späteren Landberuf erleichtern. Denn zur Zeit sieht es doch so aus, daß viele schon mit 35 oder 40 Jahren abspringen, weil sie fürchten, mit 50 oder 60 Jahren, wenn es dann in der Hochseeschiffahrt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr geht, nicht mehr den Anschluß zu finden. Hier liegt eine Aufgabe, die auch durch das Arbeitsförderungsgesetz eine Lösung finden könnte.
Insgesamt müssen wir der Hochseeschiffahrt aber sagen, es gibt eine neue Schiffsbesetzungsordnung. Diese Schiffsbesetzungsordnung wird zur Zeit noch lax gehandhabt. Ich höre überall davon, daß die Reeder der Hochseeschiffahrt mit Unterbesetzung fahren. Die Reeder müssen wissen, daß das irgendwann aufplatzt und daß die schiffahrtspolizeilichen Dienststellen dann zugreifen. Wenn dies geschieht, mögen die Reeder nicht den Bund bemühen, sondern sich selbst für ihre Personalpolitik verantwortlich fühlen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bleibt im übrigen bei ihrer Meinung, daß eine Schiffahrtsenquete durchgeführt werden sollte. Wir sind an der Arbeit; auch hier mahlen natürlich die parlamentarischen Mühlen langsam. Dieses Thema wird rational und sachbezogen auf Antrag unserer Fraktion unter Mithilfe aller Experten dieses Hauses erörtert werden.
Schlußbemerkung. Viele Probleme der Verkehrswirtschaft hängen in der Tat an ausstehenden europäischen Regelungen. Wir begrüßen es, daß der Verkehrsminister hier drängt. Wir müssen aber unter uns zugestehen, daß wir auf Europa nicht warten können, daß wir nationale Lösungen brauchen, allerdings in EWG-Tendenz. Die Verkehrswirtschaft und die Verkehrspolitik sind Rückgrat unseres Wirtschaftswachstums. Verkehrswirtschaft und Verkehrspolitik haben sich in der Bewältigung des Superbooms, der hinter uns liegt, bewährt. Hier hat sich
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gezeigt, daß nicht nur die Verkehrswirtschaft auf der Höhe der Zeit ist, sondern auch unsere Verkehrspolitik; denn es hat nur unbedeutende Spannungen in der Bewältigung der enormen Transportleistungen gegeben. Die Verkehrswirtschaft ist allerdings auch ein Teil der inneren Reformen. Hierzu hat der Herr Bundesverkehrsminister Perspektiven aufgezeigt, nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig. Wir werden uns dazu äußern.
Die richtige demokratische Prozedur ist nicht die, Herr Müller-Hermann, daß im Schoße der Bürokratien und der Bundesregierung Lösungen ausgebraten werden, die uns dann nach der Devise „Friß, Vogel, oder stirb" vorgelegt werden,
sondern die richtige Prozedur ist die, daß Herr Leber Alternativen aufzeigt, seine Meinung sagt und unsere Meinung anfordert. Die bekommt er; denn dieser Verkehrsbericht geht ja an den Verkehrsausschuß und kommt dann in Form von Resolutionen an das Plenum zurück.
— Wir werden diskutieren. Es wäre gut, Herr Müller-Hermann, wenn Sie dann hin und wieder mehr als nur Gastrollen im Verkehrsausschuß gäben.