Herr Müller-Hermann, ich kann Ihnen nur eines sagen: warten Sie ab, ob die Bundesbank nicht durch die Tat beweist, daß diese Nachricht, die da von nahestehenden Kreisen kam, nicht zu Recht besteht. Warten Sie ab!
Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Monaten eine ganze Serie von Konjunkturprogrammen von der CDU/CSU, Herr Strauß, bekommen. Sie haben die ganze Zeit wie in einem Fortsetzungsroman konjunkturpolitische Programme entworfen. Am 20. Januar haben Sie ein Sechs-
Punkte-Programm dargestellt. Am 9. März wird durch Herrn Stoltenberg ein Vier-Punkte-Programm zur Konjunkturpolitik verkündet. Am 8. Mai wird als Ergebnis der Sitzung des CDU-Präsidiums ein Sieben-Punkte-Programm produziert, und am 23. Juni fordert Herr Stoltenberg fünf Maßnahmen. Alle diese Programme waren weiße Salbe. Sie blieben im Allgemeinen; sie bezogen sich auf die allgemeine Haushaltspolitik. Lediglich in letzter Zeit wurde von Herrn Stoltenberg gesagt: Falls die Bundesrepublik zu schärferen Maßnahmen greifen würde, werden wir, die CDU, die Vorschläge der Bundesregierung sorgfältig prüfen. Dabei sollten solche Vorschläge zu einer Senkung des Diskontsatzes führen können, oder es sollte geklärt werden, ob diese Maßnahmen zusätzlich sind. — Nun, meine Damen und Herren von der Opposition, die Zeit der Dichtung ist vorbei. Dichtung und Wahrheit, das war ja das Gemisch Ihrer Rede. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen.
Die Bundesregierung macht Ihnen eine Offerte mit sechs konkreten Maßnahmen.
Darunter sind drei Maßnahmen, von denen Herr Stoltenberg gestern noch gesagt hat, daß sie von Ihrem Standpunkt der CDU — aus durchaus erwägenswert seien. Warum stimmen Sie dann nicht heute zu?
Das ist meine Frage.
Herr Strauß hat gesagt, die Maßnahmen seien zum Zeitpunkt und in ihrer Einseitigkeit verfehlt. Herr Strauß, natürlich haben Sie recht: es gibt für jede wirtschaftspolitische Maßnahme optimale Zeitpunkte, und wenn man über die optimalen Zeitpunkte hinweggeht, dann wird es halt schwieriger mit der Wirksamkeit solcher Maßnahmen.
- Da kann ich Ihnen nur folgendes sagen. Der
optimale Zeitpunkt, der für die wichtigste Maßnahme für die deutsche Stabilität versäumt worden ist, das ist der 9. Mai 1969.
Herr Strauß, da wurde im Jahre 1969 der optimale
Zeitpunkt für die Aufwertung der D-Mark versäumt.
Und ein Zweites. Sie sprachen heute über die degressive Abschreibung so lässig: auch zu spät und unzureichend! Herr Strauß, Sie hätten mehr, besser und eher Gelegenheit gehabt. Hier liegt das Dokument vor mir. Am 23. Juni 1969 hat der damalige Bundeswirtschaftsminister auch dem damaligen Finanzminister ein beidhüftiges Programm der Konjunkturstabilisierung vorgeschlagen.
In diesem Programm war die zeitweilige Aussetzung der degressiven Abschreibung enthalten.
Diese Maßnahme wurde am 15. Juli in der damaligen Bundesregierung debattiert.
In der ersten Hälfte dieser Sitzung, Herr Strauß, waren Sie für die Maßnahme,
für die Aussetzung der degressiven Abschreibung. Dann machte Herr Kiesinger die Bemerkung: „Das ist eine neue Lage." Es gab, für Sie verordnet, eine Denkpause von einer Stunde, und nachdem Sie aus dieser Denkpause zurückkamen, waren Sie umgefallen.
Es ging damals so weit, daß Sie, Herr Strauß, persönlich den Antrag auf Ablehnung der Aussetzung der degressiven Abschreibung gehorsamerweise vortragen mußten. So war es in der zweiten Hälfte der Kabinettsitzung. Und dann sagen Sie, was die wirtschaftliche Situation heute betrifft: „Es gibt in der Führung eines Flugzeuges eine Situation, wo kein Mittel mehr nützt, wenn nämlich das Flugzeug ins Trudeln geraten ist." Herr Strauß, das würde doch bedeuten und das ist der Widerspruch bei Ihnen , Sie landen dann in totaler Resignation, in totalem Laissez faire, wenn Sie der Meinung sind, es ist kein Mittel mehr angebracht.
Nun gut! Sie stehen heute vor der Tatsache, daß Ihnen die Regierung sechs konkrete Punkte als ein Konjunkturprogramm vorlegt. Sie enthalten sich — ich bedaure das - Ihrer Stimme. Dabei meine ich, folgendes wäre angebracht. Ein einmütiges, deutliches und klares Wort, von diesem Parlament in diesen Tagen gesprochen. Das wäre ein besonders wichtiges und unüberhörbares Zeichen für die deutsche Bevölkerung und die deutsche Wirtschaft. Das würde die Inflationsmentalität in dieser Bevölkerung zurückdrängen, nicht Ihr Klamauk, den Sie da vorhin gemacht haben.
3496 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 11. Juli 1970
Bundesminister Dr. Schiller
Die Opposition hätte sich dazu bereit erklären müssen, die Maßnahmen der Regierung aktiv zu unterstützen.
Das wäre Ihr Beitrag. Aber Sie stellen sich beiseite. Sie enthalten sich der Stimme, Herr Strauß. Ich kann nur sagen, die Opposition ist wieder einmal, wie in all ihren Konjunkturprogrammen, in all ihren Fortsetzungsromanen ins Abseits gegangen, oder nach Ihrem neuesten Bild, sie die Opposition — ist konjunkturpolitisch ins Trudeln geraten.