Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Strauß, ich bin vielleicht wirklich etwas erregt, denn ich werde heute abend zu meiner Frau an den Wörther See fahren. Sie erregen mich nicht, Sie sind überhaupt nicht mein Typ.
Eine zweite Bemerkung, Herr Strauß. Wir sollten doch damit aufhören, von der Dramatik zu sprechen, die dieser Sondersitzung nach Ihrer Meinung innewohnen soll. Tatsache ist doch, daß dieses Parlament in diesem Jahr, wie es üblich ist, zwölf Wochen in Sommerferien geht und daß in diesen zwölf Wochen die Politik natürlich nicht stehenbleibt, daß das Parlament aufgefordert ist, auch in diesen zwölf Wochen seine Pflicht zu tun, das Volk zu vertreten und Entscheidungen zu fällen.
Insofern mag es in der Tat für den einen und den anderen unbequem sein, hier heute an einem Samstagvormittag präsent zu sein. Aber Dramatik, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, liegt in dieser Sitzung nicht und auch keine Hektik. Denn Sozialdemokraten wie Freie Demokraten haben seit Anfang dieser Woche hier beraten, ausführlich und gründlich, und sind dann zu einer Meinungsbildung gekommen.
Eine weitere Bemerkung zu Ihnen, Herr Strauß. Es mutet geradezu peinlich an, wenn Sie hier im Plenum von Ratio sprechen und uns vorwerfen, wir hätten keine. Wenn Sie Deutscher Meister in
3492 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 11. Juli 1970
Dr. Apel
Irrationalität sind, dann sollten Sie nicht anderen den Mangel an Ratio vorwerfen.
Ich meine auch, es ist peinlich, wenn Sie in diesem Parlament andauernd das Wort von der Glaubwürdigkeit in den Mund nehmen. Die CDU sollte, wenn mit dieser Vokabel geredet wird, sich einen anderen Redner suchen. Das wäre angebrachter.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns die Konjunkturpolitik und die konjunkturelle Lage in den letzten Monaten ansehen, müssen wir feststellen, daß insbesondere bei Ihnen, bei der CDU/CSU, keineswegs, wie Sie meinen, Herr Strauß, immer die richtige Lagebeurteilung vorhanden war.
Wer hat denn nach der Aufwertung der D-Mark damals in unserem Lande ein großes Krisengerede angefangen: jetzt sei der Boom gebrochen, und wir würden alle in Schwierigkeiten kommen? Wer hat denn, Herr Strauß, obwohl die Investitionskonjunktur eindeutig das tragende Element ist,
beharrlich geschwiegen zur Aussetzung der degressiven Abschreibung? Sie haben hier über diese Frage viele Worte gemacht. Aber ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die vielfältigen Stellungnahmen Ihrer Fraktion durchzusehen. Sie haben beharrlich zu der Notwendigkeit geschwiegen, auch die Investitionen in unserem Lande zu bremsen, obwohl Sie, Herr Strauß, wie man dem „Spiegel" entnehmen konnte, vor etwa einem Jahr im Kabinett selber einer entsprechenden Vorlage zugestimmt haben, die dann allerdings auf die Intervention des Herrn Bundeskanzlers hin doch nicht verwirklicht wurde.
Herr Kirst hat soeben sehr deutlich darauf aufmerksam gemacht, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen für dieses Jahr das an antizyklischer Haushaltspolitik, was möglich ist, getan haben. Herr Hermsdorf hat die 2 Milliarden DM zitiert, die definitiv gestrichen sind. Insofern stimme ich Herrn Kirst völlig zu, wenn er sagt, jetzt müsse die Konjunktur und die Stabilisierung der Konjunktur auf breitere Schultern gelegt werden.
Herr Strauß, Sie haben ja draußen im Lande und auch hier schon oft politische Vergangenheit und Gegenwart unseres Volkes miteinander verquickt. In Ihrer Rede jetzt haben Sie auch Zukunft und Gegenwart verquickt. Denn Konjunkturstabilisierung erfolgt heute und jetzt; der Bundeshaushalt 1971 ist eine Sache der Zukunft im nächsten Jahr
und hat — da muß ich Ihnen widersprechen — heute keinen Effekt, sondern frühestens ab 1. Januar 1971 einen Eeffekt.
Damit bin ich bei der Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung. Wir gehen davon aus, daß der Boom die Spitze überschritten hat,
daß aber keinesweg eine absteigende Phase beginnt, sondern eine langanhaltende boomartige Phase und daß wir, wenn wir nicht handeln, schon im Herbst dieses Jahres vor einer neuen Preiswelle stehen. Diese beiden Tatsachen, daß der Boom die Spitze überschritten hat, daß aber neue Preissteigerungen drohen, haben die Maßnahmen bestimmt,
die erstens schnellstens wirken und die zweitens reversibel sind, d. h. zurückgenommen werden können, wenn es notwendig ist. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, meinen, daß nicht genug geleistet worden sei, dann haben Sie die Pflicht — darauf hat ja Frau Funcke hingewiesen —, hier mehr vorzuschlagen und sich nicht der Stimme zu enthalten.
Meine Damen und Herren, ein Wort zu den inneren Reformen. Was Sie hier dargestellt haben, Herr Strauß, war wirklich nur Polemik. Denn der Boom wird jetzt abgebremst, damit in der Zukunft die inneren Reformen finanziert und durchgesetzt werden können. Das bitte ich doch sehr genau auseinanderzuhalten. Ich unterstreiche: Sie haben in Ihrer Rede Gegenwart und Zukunft, d. h. Konjunkturbremsung heute und Haushalt 1971, durcheinandergeworfen. Diese Dinge haben konjunkturell zur Zeit nichts miteinander zu tun. Wir werden darauf zurückkommen, wenn am Ende dieses Jahres der Haushalt 1971 in diesem Hause verabschiedet werden wird.
Herr Strauß, Sie haben uns gefragt: wann werdet ihr nun endlich den § 26 des Stabilitätsgesetzes anwenden? Ich glaube, es ist Ihnen entgangen, Herr Strauß, daß wir ihn anwenden: erstens durch Aussetzung der degressiven Abschreibung und zweitens durch eine 10%ge Steuervorauszahlung, die im übrigen, wenn ich einer Pressemeldung von Herrn Höcherl glauben darf, schon vor einem Jahr von Ihnen erfunden worden ist. Sie erfinden Sachen und werfen es uns anschließend vor, wenn wir sie benutzen: das ist nicht ganz logisch, Herr Strauß.
Wir wenden den § 26 also an, allerdings mit einer sehr wesentlichen Nuancierung: Wie nehmen keine Steuererhöhung vor, sondern verwenden das gleich wirksame — weil die Gelder ja stillgelegt werden — Mittel der Steuervorauszahlung, das aber sozial den großen Vorteil hat, daß wir erstens eine
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soziale Untergrenze einführen können, was mit dem § 26 des Stabilitätsgesetzes nicht möglich ist, und daß wir zweitens das Geld zurückzahlen können. Und, Herr Strauß, ich muß es ganz einfach nüchtern und ruhig zurückweisen, wenn Sie uns hier unterstellen, wir hätten unter Umständen nicht vor, das Geld zurückzuzahlen. Uns derartige Dinge zu unterstellen, ist einfach unzulällig. Herr Kirst hat das Notwendige dazu gesagt.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zum Rückzahlungstermin machen, Herr Strauß. Der normale Einkommensbezieher in unserem Lande wird in elf Monaten 110 DM, vielleicht 150 DM an Steuervorauszahlung geleistet haben — in elf Monaten! Glauben Sie wirklich, daß, selbst wenn wir bis an den letzten Termin, den 31. März 1971, warten sollten, 110 DM unseren Wähler käuflich machen? Unterstellen Sie dem deutschen Wähler, daß er so primitiv ist?
Ich muß Ihnen sagen, Herr Strauß: Unsere Wähler und unsere Anhänger, aber auch Ihre, wissen sehr genau, wenn sie sich politisch entscheiden, warum sie sich so entscheiden, und sind auf diese Weise nicht zu beeinflussen.
Ich will Ihnen sagen, warum wir diesen Termin des Jahres 1973 genommen haben.
— Herr Stücklen, nicht die Nerven verlieren!
Ich will einmal von Ihrer Analyse unserer konjunkturellen Lage ausgehen, Herr Strauß. Sie sagen doch indirekt, da Sie ja auch schon heute für 1971 eine antizyklische Haushaltspolitik wollen, dieser Boom werde noch recht lange andauern.
— Wenn das nicht so ist, dann begreife ich nicht, warum Sie uns heute schon für die Haushaltspolitik 1971 Vorschriften machen wollen.