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ID0605903800

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    Deutscher Bundestag 59. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten des indischen Unterhauses . . . 3215 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 3215 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik (Drucksachen VI /691, VI /757) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (Drucksache VI /880) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Arpil 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Drucksache VI /879) — Erste Beratung — Brandt, Bundeskanzler . 3215 C, 3244 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 3219 B Wienand (SPD) 3226 C Borm (FDP) 3230 D Scheel, Bundesminister . 3235 D, 3268 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . . 3240 B, 3248 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 3245 A, 3275 D Dr. Apel (SPD) 3248 D Dr. Ehmke, Bundesminister 3250 A, 3272 B Dr. Rutschke (FDP) 3252 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) 3254 D Behrendt (SPD) . . . . . . . 3256 C Strauß (CDU/CSU) 3261 B Mischnick (FDP) 3273 D Nächste Sitzung 3276 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3277 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3215 59. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3277 Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Bartsch 19. 6. Breidbach 19. 6. Frau Dr. Focke 17. 6. Heyen 19. 6. Katzer 17. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 17. 6. Dr. Lohmar 30. 6. Müller (Remscheid) 17.6.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Baron Olaf von Wrangel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte es begrüßt, wenn wir diese Debatte dazu benutzen könnten, die europäischen Probleme jetzt hier zu vertiefen.

    (Zurufe von der SPD: Das hätten wir auch begrüßt!)

    Aber, meine Damen und Herren von der SPD, nach der Rede, die Herr Professor Ehmke hier gehalten hat, sind wir gezwungen, diesen Teil der Debatte fortzusetzen; denn dies war eine Rede nach dem Motto „Haltet den Dieb!", es war ein billiger Versuch, so zu tun, als sei die Gemeinsamkeit in diesem Hause von der CDU/CSU aufgekündigt worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Hermsdorf [Cuxhaven]: Es ist auch so!)

    Es war ein billiger Versuch, Herr Kollege Wehner, Herrn Barzel als Popanz aufzubauen, obwohl Sie es doch gewesen sind, der die Gemeinsamkeit in diesem Hause mit Ihren letzten Reden aufgekündigt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Davon verstehen Sie nichts! — Abg. Rasner: Der Wähler hat es quittiert! — Abg. Dr. Apel: Warten Sie doch einmal ab!)




    Baron von Wrangel
    Ich muß darüber hinaus feststellen, daß auch heute weder der Herr Bundeskanzler noch der Herr Bundesaußenminister auf die zehn Punkte eingegangen sind, die hier vom Vorsitzenden der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion nicht zum erstenmal genannt worden sind. Und, Herr Kollege Wehner, wenn Sie sagen, davon verstünde ich nichts, so kann ich nur wiederholen: Sie sind nach Ihren Reden bestimmt nicht mein Lehrmeister, und ich werde mir von Ihnen auch nicht diese Maßstäbe setzen lassen. Sie befinden nicht darüber, wovon ich etwas verstehe und wovon nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Apel: Das ist auch hoffnungslos!)

    Meine Damen und Herren, nach dem Versuch von Herrn Ehmke, in einer Mischung von professoraler Arroganz und vordergründiger Polemik mit uns herumzurechten,

    (Lachen und Zuruf von der SPD: Das macht Herr Barzel!)

    kann man nur feststellen: ich habe gerade heute wieder den Eindruck bekommen, als handle diese Regierung nach dein Motto „Maxi-Deklamationen und Mini-Aussagen" von sich zu geben.

    (Zurufe von der SPD: Ha, ha!)

    Wir haben heute morgen erlebt, daß der Bundeskanzler wieder einmal von der Kontinuität und von der Gemeinsamkeit und der Notwendigkeit einer Gemeinsamkeit gesprochen hat. Ich glaube doch, daß es gut gewesen wäre, wenn der Bundeskanzler von sich aus gesagt hätte, was er denn nun genau unter dieser Gemeinsamkeit versteht. Er ist auch in seiner kurzen polemischen Intervention die notwendigen klaren Antworten schuldig geblieben. Ich frage mich außerdem gerade nach dieser Rede des Bundeskanzlers und — wenn man so will — auch gerade nach dem, was hier vom Kollegen Marx, von Herrn Dr. Kiesinger, von Herrn Dr. Barzel gesagt worden ist, warum diese Regierung und diese Koalition nicht bereit sind, wenn sie die Gemeinsamkeit wollen, mit uns z. B. eine gemeinsame Resolution zu verabschieden, eine Resolution auf der Grundlage der Politik der letzten zwanzig Jahre. Diese Weigerung muß doch einen Grund haben.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie es als Pamphlet bezeichnen, dann denke ich z. B. an die Resolution vom 26. September 1968, die ja Ihre Zustimmung gefunden hat. Wenn das heute ein Pamphlet ist, dann fällt es auf Sie selber zurück.
    Wir haben heute über den 17. Juni gesprochen, und es wäre vielleicht Anlaß, hier auch einmal zu erwähnen, daß wir als Opposition in diesem Hause eine Kontrollfunktion wahrzunehmen haben, um so mehr, als sich große Teile der Koalition offenbar nur noch als Hilfstruppe der Regierung betrachten.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    lch würde dann sagen, daß auch eine solche kontroverse Diskussion durchaus ein demokratisches Kontrastprogramm zu jener monotonen Hetze ist, wie wir sie drüben erleben.

    (Zurufe von der SPD.)

    Ich brauche Herrn Dr. Kiesinger nicht noch einmal zu interpretieren. Festzuhalten bleibt, daß Dr. Kiesinger die Streitfragen, von denen wir wissen, daß sie im Augenblick leider nicht gelöst werden können, einem Friedensvertrag vorbehalten lassen wollte und will. Sie wollen sich möglicherweise aber schon in eine Verhandlungsphase begeben, in der — jedenfalls nach dem, was wir vom Bahr-Papier wissen — nun eben doch so etwas wie ein Minifriedensvertrag paraphiert wird. Es ist doch die Pflicht der Bundesregierung, den Nachweis zu erbringen — ich will mich hier gar nicht weiter mit der juristischen Auslegung des Art. 79 beschäftigen —, daß das, was wir von den sogenannten Bahr-Papieren wissen, in der Substanz falsch ist. Wenn es richtig ist, befinden wir uns in einer Situation, in der dies alles — ich will mich vorsichtig ausdrücken — involviert sein könnte.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich will jetzt nicht die Märchenstunden wiederholen, die. hier andere über die Politik der Vergangenheit immer wieder inszenieren, vielleicht um sich ein tagespolitisches Alibi zu verschaffen, sondern ich will nur eins sagen. Herr Professor Ehmke hat hier erklärt: Wenn wir die Gelegenheit heute nicht ergreifen, wird vielleicht morgen oder übermorgen oder in fünf Jahren wieder die Rede von verpaßten Chancen sein. -- Meine Damen und Herren, wo sind denn die Chancen? Wo ist es denn gelungen, etwas für die Menschen zu erreichen? Wir bedauern es mit Ihnen, daß es nicht gelungen ist. Aber tun Sie doch nicht so, als würde es Ihnen trotzdem gelingen!

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rutschke: Warten Sie doch mal ab!)

    Das ist doch eine Irreführung der öffentlichen Meinung.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Es gibt manche Leute, für die ist nichts sicherer als die Zukunft und nichts ungewisser als die Vergangenheit!)

    Wir sind der Meinung, daß gerade in Fragen, die das Selbstbestimmungsrecht unseres Volkes betreffen, es eben auch in verbalen Einlassungen nicht so etwas wie eine Resignation geben darf. Wenn eines Tages die Resignation in diesem Lande triumphiert, sind doch die ersten Zeichen gesetzt, möglicherweise eben auch die Zeichen für eine Begrenzung und Beschränkung der Freiheit in der Bundesrepublik selbst.
    Abschließend möchte ich vier Kriterien nennen, von denen ich glaube, daß man sie beachten sollte.
    Erstens. Herr Außenminister, was nützt und was schadet diese Politik, in der Sie z. B. — das muß man hier noch einmal deutlich sagen — in diplomatischen Verhandlungen das Selbstbestimmungsrecht verschweigen und hier im Hause postulieren? Was soll diese Politik dem Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes nützen? Durch diese Politik wer-



    Baron von Wrangel
    den doch Erwartungen geweckt, deren Erfüllung zur Demontage des Selbstbestimmungsrechts führen würde. Erfüllen Sie diese Erwartungen aber nicht, dann leiten Sie sicherlich eine neue Phase des kalten Krieges ein. Eines von beiden ist aber nur möglich.
    Zweites Kriterium: was nützt und was schadet eine solche Politik den Menschen? Doch gewiß nicht eine Politik, deren Verhandlungsmethode so angelegt ist, daß die andere Seite mögliche Opfer kennt und genau weiß, daß diese Bundesregierung eben vielleicht doch bereit ist, diese Barrieren anzuerkennen, die das Fundament für eine unmenschliche Politik sind.
    Drittes Kriterium: was nützt und was schadet diese Politik dem Status von Berlin? Die Festschreibung von Grenzen, so wie sie in den Bahr-Papieren steht, bedeutet doch in jedem Fall, daß Berlin juristisch und politisch einen Status quo minus erhält.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Und bedeutet, daß Ostberlin die Hauptstadt der DDR ist!)

    Deshalb sagen wir ganz deutlich, man müsse zunächst einmal die Sondierungen der Alliierten abwarten.
    Wir fragen viertens: was schadet und was nützt diese Politik der Bundesrepublik Deutschland selbst? Wenn wir uns in dieser Weise in die Defensive begeben, dann muß doch eine Situation eintreten, in der der Bundesrepublik Deutschland im Wettkampf der Systeme das notwendige Instrumentarium genommen wird, um diesen Wettkampf friedlich zu gewinnen.

    (Zurufe des Abg. Mattick.)

    Und weiter: die Festschreibung der Grenzen — es wurde schon angedeutet -- bedeutet ja doch, Herr Kollege Mattick, daß möglicherweise bei der ideologisch-aggressiven Struktur der Sowjetunion es möglich sein könnte, daß man versuchen will, die europäische Politik einem sowjetischen Veto auszusetzen. Dies will und wird die CDU/CSU nicht mitmachen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir vertreten eine Politik des vernünftigen Ausgleichs, und wir sind auch hier bereit zu kooperieren. Wir wollen eine Politik der klaren Bekenntnisse. Wir wollen eine Politik, die der Bundesrepublik Deutschland mindestens Chancengleichheit erhält. Wir wollen eine Politik weiterentwickeln, die in Jahrzehnten zu den gemeinsamen Grundsätzen dieses Hohen Hauses gehört hat. Wir wollen eine Politik der Klarheit. Dies ist doch die Alternative der CDU/CSU. Die Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, muß hier die Rückkehr antreten, wenn die Bundesrepublik als Ganzes eine glaubwürdige Politik betreiben will.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Behrendt. Es sind 40 Minuten Redezeit beantragt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Behrendt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte allerdings den Eindruck, daß wir vereinbart hatten, heute überwiegend über die Europapolitik sprechen zu wollen.

    (Sehr gut! hei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich hoffe nicht, sage ich sehr vorsichtig, daß man daraus Rückschlüsse ziehen muß in bezug auf Ihren Willen, die westeuropäische Integration voranzutreiben. Ich hoffe das nicht.
    Lassen Sie mich daher zum Thema kommen. Als die Koalitionsfraktionen beantragt hatten, heute am 17. Juni eine Debatte über die Europapolitik zu führen, geschah das nicht ohne Grund. Wir wollten und wir wollen den für uns selbstverständlichen Zusammenhang zwischen der westeuropäischen Integration und den Bemühungen um engere Beziehen zu dem anderen Teil Deutschlands und zu den osteuropäischen Völkern gerade dadurch demonstrieren, daß wir die Europapolitik gerade an dem Tag zur Diskussion stellen, an dem die Einheit der deutschen Nation zum Ausdruck kommt.
    Bei der Opposition hatten zur zunächst einige Schwierigkeiten zu überwinden. Später hat sie es dann als ganz glücklich empfunden, daß sie heute Gelegenheit fand, die Debatte über die Große Anfrage zur Außen-, Ost- und Deutschlandpolitik fortzusetzen. Bei der Behandlung der Großen Anfrage hat die Opposition Wert darauf gelegt, daß keine Trennung zwischen den einzelnen Komplexen dieser Anfrage vorgenommen, sondern daß sie alle gemeinsam diskutiert werden. Der bisherige Verlauf der Diskussion allerdings hat deutlich gemacht, daß die CDU/CSU keineswegs die Auffassung der Regierung oder auch der Koalition loben wollte, die Bemühungen um engere Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands und um die westeuropäische Integration in einem engen Zusammenhang zu sehen. Im Gegenteil: die CDU/CSU hat sich bemüht, einen Gegensatz zwischen der Deutschland-und Ostpolitik einerseits und der Europapolitik andererseits zu konstruieren. Wir halten die Konstruktion eines solchen Gegensatzes für falsch.
    Eine aktive Politik mit dem Ziel der Verbesserung unseres Verhältnisses sowohl zum anderen Teil Deutschlands als auch zu den osteuropäischen Staaten ist nur möglich, wenn sie eingebettet ist in eine aktive Politik um die Festigung der Europäischen Gemeinschaft. Aber auch umgekehrt gilt: Fortschritte in der friedlichen Entwicklung Westeuropas erfordern eine Politik der Entspannung und des Ausgleichs gegenüber dem Osten.
    Das Rezept der heutigen Opposition hat Jahre hindurch darin bestanden, daß es immer nur eine Betonung der Westpolitik gegeben hat, während jahrelang — vieleicht durch die politischen Umstände begünstig oder mitbestimmt — die Politik gegenüber dem Osten vernachlässigt worden ist. Erst in der Amtszeit des Außenministers Dr. Schröder gab es erste Anzeichen einer Änderung. In der Zeit der Großen Koalition ist dann durch das Wirken des damaligen Außenministers und heutigen

    Behrendt
    Bundeskanzlers Willy Brandt das Klima merklich verbessert worden.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Ach so!)

    — Wir setzen — Herr Kiesinger, ich komme gleich noch zu Ihnen — heute die vom damaligen Außenminister begonnene Politik unter seiner Kanzlerschaft konsequent fort.
    Dabei ist es nicht so, als hätte die Bundesregierung Mühe, unsere Partnerstaaten von der Richtigkeit dieser Politik zu überzeugen, oder wie dies von Unionspolitikern aus Zweckmäßigkeitsgründen ohne Nennung von Beweisen immer wieder ausgestreut wird -- als gäbe es gegen unsere Ostpolitik Bedenken. Im Gegenteil: lange vor der Bundesrepublik Deutschland haben unsere westeuropäischen Partnerländer von sich aus eine Verbesserung der politischen Beziehungen zu den Ostblockländern angestrebt. Ich muß wohl nicht besonders daran erinnern, daß es der von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, immer sehr kochgeschätzte frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle war, der als erster und am intensivsten um eine solche Verbesserung der Beziehungen bemüht gewesen ist. Mangelnde politische Aktivität auf diesem Felde hätte uns nicht Beifall, sondern Isolierung eingetragen.
    Unsere Politik hat zum Ziel, eines Tages alle historisch und kulturell zusammengehörenden europäischen Völker in einer neuen, die nationalen Gegensätze überwindenden Struktur zusammenzuführen. Die Verantwortung für die gemeinsame
    3) Zukunft unseres Kontinents muß von allen europäischen Völkern getragen werden, und wir begrüßen es, daß dieser Begriff einer gemeinsamen Verantwortung in der jüngsten Vergangenheit auch von osteuropäischen Staatsmännern verwendet worden ist. Dieses Ziel kann aber nur auf dem gesicherten Grund der fortgesetzten und intensivierten europäischen Integration angestrebt werden. Es ist deshalb auch selbstverständlich, ja fast schon banal, wenn die Bundesregierung in der Antwort auf Frage 7 der CDU/CSU-Fraktion feststellt, der Zusammenhang zwischen Ost- und Westpolitik sei für sie kein Verhandlungsgegenstand und würde auch in Zukunft nicht aufgegeben oder eingeschränkt werden.
    Der Bundeskanzler hat am 2. Juni 1970 in seiner Ansprache auf der Kundgebung des Deutschen Groß- und Außenhandels auch noch auf einen anderen Zusammenhang hingewiesen. Wenn wir uns die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zunutze machen wollen, muß es zu einer Kooperation zwischen den wirtschaftlichen Gemeinschaften in Ost und West kommen. Wirtschaftliche Zusammenarbeit bedingt aber nicht notwendigerweise politische Institutionen. Sie kann jedoch nur zustande kommen, wenn eine entsprechende Atmosphäre herrscht. Wer die Westintegration will, darf die ostpolitische Variante nicht aus den Augen verlieren.
    Mit der Vollendung der Zollunion und der Regelung der Agrarfragen ist vertragsgemäß das Ende der Übergangszeit erreicht. Jetzt steht als zentrale
    Aufgabe die Erweiterung der Gemeinschaft und ihr innerer Ausbau vor uns. Dieses Ziel kann aber nicht, wie die Opposition vorträgt, durch eine Politik der Maximalforderungen, des Alles oder Nichts erreicht werden. Es kann auch nicht erreicht werden, wenn man sich durch ein verbindliches Aktions- und Zeitprogramm selbst die Hände bindet. Das sollte eigentlich niemand besser wissen als die heutige Opposition, die bis vor kurzem — noch vor einem halben Jahr — Regierungspartei gewesen ist. Wie oft hat man doch über Plänen gebrütet und verbindliche Programme auszuarbeiten versucht. Wie oft ist man dabei gescheitert, und wie lief war die Enttäuschung! Diese Politik hat schließlich in eine lange Phase der Stagnation geführt.
    Ich verstehe eigentlich nicht recht, wie sich gerade die CDU/CSU mit anklagender Geste gegen die Bundesregierung wenden kann, nachdem sie selbst als Regierungspartei die enttäuschende Stagnation nicht hat überwinden können.

    (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sehr richtig!)

    Es war ja schließlich diese Bundesregierung, die die Stagnation weitgehend durch ihre Aktivität überwinden konnte. Es war schließlich diese Bundesregierung, deren Politik die Gipfelkonferenz von Den Haag zu einem Erfolg hat werden lassen, wie wir ihn in den 60er Jahren unter der politischen Führung der Unionsparteien vergeblich herbeigewünscht haben. Ich erinnere — wie der Bundesaußenminister — an die Verhandlungen im Fouchet-Ausschuß. Ich erinnere an das gescheiterte Projekt der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Man sollte daraus gelernt haben. Wer sich übernimmt, der scheitert, und wer von einem anderen verlangt, er solle sich übernehmen, setzt sich dem Verdacht aus, erneut ein Scheitern heraufbeschwören zu wollen. Nur die reale Einschätzung des Möglichen bringt uns voran. Hieran zeigt sich, wie unbegründet die Unterstellungen sind, die im Zusammenhang mit den Äußerungen des Bundeskanzlers über die der kommenden Generation noch verbleibenden Aufgaben gemacht wurden. Herr Kollege Kiesinger sprach vorhin auch davon. Wir sind uns doch alle bewußt, daß der Weg bis zur Bildung eines europäischen Bundesstaates lang und schwierig ist. Warum wollen Sie die Öffentlichkeit das Gegenteil glauben machen, nachdem Sie, solange Sie Regierungspartei waren und Regierungsverantwortung trugen, in gleicher Weise einen langdauernden Prozeß unterstellt haben?
    Es ist eine Binsenwahrheit, daß jeder Fortschritt auf dein Wege zum inneren Ausbau der Gemeinschaft von der Zustimmung aller Mitglieder abhängig ist. Und es ist kein Geheimnis — das wissen Sie doch —, daß wenigstens einige Mitglieder sich dagegen sperren, die politische Zusammenarbeit zu forcieren, solange Großbritannien nicht Mitglied der Gemeinschaft ist. Heute ist mit dem Beitritt Großbritanniens ernsthafter zu rechnen als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig ist die Gefahr geschwunden, daß es statt bei der politischen Einheit bei der politischen Kooperation bleibt. Dabei ist der Weg also vorgezeichnet. Die politische Kooperation wird soweit wie möglich vorgetrieben, und



    Behrendt
    mit den Verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens und der anderen beitrittswilligen Länder wird eine Voraussetzung für die spätere Verwirklichung der politischen Union geschaffen.
    Etwas merkwürdig berührt uns die Frage der Opposition, ob die Bundesregierung unzweideutig erklären wolle, daß der Beitritt zur EWG die Bejahung des politischen Endzieles voraussetze; denn alle beitrittswilligen Länder bejahen dieses Endziel. Es ergibt sich aus dem Vertrag und wird von ihnen auch gar nicht anders verstanden. Alle anderen Länder aber, die an einer Verbindung zur EWG interessiert sind, entscheiden selbst in eigener Zuständigkeit, welche Form der Zusammenarbeit für sie gegeben ist. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erkläre ich hier, daß für sie der Grundsatz gilt: Die EWG darf ihres politischen Charakters nicht entkleidet werden.
    Lassen Sie mich nun zu einigen aktuellen Problemen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Stellung nehmen, die deren inneren Ausbau betreffen, und jene Voraussetzungen aufzeigen, die die sozialdemokratische Bundestagsfraktion für ein weiteres gutes Funktionieren des Gemeinsamen Marktes für unerläßlich hält. Ich sagte eingangs meiner Ausführungen, daß die Zollunion und der gemeinsame Agrarmarkt nur der erste Schritt auf dem Wege zum Gemeinsamen Markt seien. Nach dem Vertrag fehlt unter anderem aber auch noch die Regelung einer gemeinsamen Verkehrs-, Sozial- und Handelspolitik. Wir wissen heute, daß eine gemeinsame Energie- und Industriepolitik hinzukommen muß. Die Regionalpolitik wird zumindest nach gemeinschaftlichen Konzeptionen ausgerichtet sein müssen. In Zeiten internationaler Kooperation und Arbeitsteilung kann das bisher Erreichte also nur Ausgangsbasis für die vom EWG-Vertrag als nächstes Ziel zu sehende Wirtschaftsunion sein.
    Das aber ist wesentlich mehr, und hierzu gehören zunächst die von mir soeben erwähnten gemeinsamen Politiken, vor allen Dingen aber eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik. Daher begrüßen wir es, daß auf Grund des Werner-Berichtes die Finanz- und Wirtschaftsminister der EWG in Venedig grundsätzlich oder doch in wichtigen Punkten die Gegensätze zwischen Ökonomisten und Monetaristen abgebaut haben. Wir bejahen die Einigung auf die parallele Entwicklung von Wirtschafts- und Währungsunion, doch unsererseits sei betont gesagt, daß für alle Maßnahmen monetärer Art wie Wechselkursänderungen und Währungsreserven vordringlich die Konjunktur-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik in Gleichklang zu bringen ist, falls nicht für einige Staaten bedeutende Risiken mit hohen finanziellen Belastungen entstehen sollen.
    Lassen Sie mich einen Bereich besonders herausgreifen, jenen der Steuerharmonisierung. Er hat eine zentrale Bedeutung für die Herstellung binnenmarktähnlicher Verhältnisse, denn von der Steuerharmonisierung werden Einflüsse auf alle Bereiche der Wirtschafts- und Währungspolitik ausgehen. lier wie im übrigen auch in anderen Bereichen erwarten wir neue entscheidende Initiativen der Bundesregierung. Die Entscheidung zugunsten der
    Mehrwertsteuer ist gefallen. Es liegt in der Logik der zukünftigen eigenen Einnnahmen der Gemeinschaft, daß wir auch ein einheitliches Mehrwertsteuersystem anstreben. Nur dann werden wir nämlich die einheitliche Bemessungsgrundlage besitzen, die wir im Zusammenhang mit dem zukünftigen Haushalt der Gemeinschaft benötigen.
    Größte Vordringlichkeit kommt in den Augen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion der Erarbeitung einer gemeinsamen Sozialpolitik zu. Bundeskanzler Brandt hat in Saarbrücken die Forderung erhoben, daß die Gemeinschaft zum sozial fortschrittlichsten Raum der Welt werden sollte. Die Bundesregierung sollte diese Ankündigung nunmehr verwirklichen helfen. Der bisherige Sozialfonds reicht dazu nicht aus. Wir fordern deshalb, daß er in seiner Zielsetzung erweitert und in seiner finanziellen Ausstattung verstärkt wird.
    Es bedarf des weiteren der Initiative der Bundesregierung, um die enge Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf sozialpolitischem Gebiet zu fördern und so zu einer Harmonisierung zu gelangen. Das gilt insbesondere für den Bereich der Sozialversicherung, in dem ein dem deutschen Sozialbudget vergleichbares Instrument auf europäischer Ebene die Möglichkeiten und Folgen einer Harmonisierung darstellen könnte.
    Für den weiteren Ausbau der Gemeinschaft hierüber hinaus nenne ich die Harmonisierung der technischen Normen und Rechts- und Verwaltungsvorschriften, nach denen sich die in den Mitgliedstaaten Arbeitenden zu richten haben, die Schaffung eines europäischen Handels- und Gesellschaftsrechts, ein europäisches Patentrecht, ein europäisches Geschmacksmuster- und Warenzeichenrecht.
    Einiges nun zu unserer Haltung zur Stärkung der institutionellen Struktur! Nationale Parlamente und Regierungen dürfen nur dann Schritt für Schritt aus der Beherrschung wirtschaftlicher Vorgänge ausgeschaltet werden, wenn gleichzeitig neue, d. h. supranationale Strukturen an ihre Stelle treten. Hier ist der Punkt, an dem die Regierung ihren politischen Willen manifestieren kann, handlungsfähige europäische Organe zu schaffen. Kommission und Europäisches Parlament müssen voll und ganz an die Stelle der nationalen Regierungen und der nationalen Parlamente treten. Folgen Regelungen nach Art. 235, dann dürfte das Europäische Parlament nicht nur konsultiert werden. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, daß das Europäische Parlament dann als Ratifikationsorgan anzusehen ist, und zwar deshalb, weil die nationalen Parlamente nach Art. 235 nicht eingeschaltet werden. Für die Durchführungsvorschriften sollte der Rat dem Europäischen Parlament dann die vollen legislativen Befugnisse übertragen.
    Die Bundesregierung spricht in ihrer Antwort auf die Große Anfrage von dem vertragsmäßigen Zusammenspiel der Organe und davon, daß die Möglichkeiten zur Verstärkung der Institutionen noch nicht voll ausgeschöpft sind. Wir bekräftigen die Auffasung der Bundesregierung und möchten sie ermutigen, praktische Vorschläge durchzusetzen. Es



    Behrendt
    seien hier unter anderem genannt: Mehrheitsentscheidungen des Rates als Regel. Die gegenteilige Absprache von Luxemburg, die ja im übrigen die eigentlichen Probleme offenließ, ist rechtlich irrelevant. Wir meinen: Keine Einigung mehr auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, die überholte Strukturen eher konserviert und deshalb nicht im europäischen und nationalen Interesse ist. Wir wissen doch alle: Einstimmigkeit verstärkt den Einfluß einer noch so kleinen nationalen Lobby.
    Hier habe ich allerdings eine Frage an die Opposition: Warum haben Sie die Forderung auf Mehrheitsentscheidungen nicht erhoben? Die Kommission sollte als Exekutivorgan ihre unzähligen Verwaltungsentscheidungen allein treffen können, natürlich kontrolliert vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Gerichtshof, aber ohne Mitwirkung nationaler Beamter im Verwaltungs- und Ständigen Ausschuß.
    Voll ausgeschöpft werden können z. B. folgende Möglichkeiten:
    Erstens. Zum passiven Gesandtschaftsrecht — zur Zeit gibt es 81 diplomatische Vertretungen bei der Europäischen Wirtchaftsgemeinschaft — könnte das aktive Gesandtschaftsrecht kommen: Die Gemeinschaft entsendet diplomatische Missionen z. B. in assoziierte Staaten — Türkei und afrikanische Staaten als Anfang.
    Zweitens. Vor der Einsetzung einer neuen Kommission und der Wahl neuer Richter bzw. Generalanwälte nach Art. 158 und 167 können die Regierungen das Europäische Parlament um seinen Vorschlag bitten und dieses Recht allmählich ausbauen.
    Drittens. Immer dann, wenn, wie schon erwähnt, über Art. 235 neues Recht geschaffen wird, sollte das Europäische Parlament Ratifikationsorgan werden, weil die nationalen Parlamente nicht eingeschaltet werden. Das heißt, bei Ablehnung durch das Europäische Parlament muß ein neuer Vorschlag gemacht werden. Wenn über Art. 235 überhaupt neue Verfahren eingeführt werden, dann könnten dem Europäischen Parlament für die Durchführungsverordnung volle Legislativbefugnisse gegeben werden.
    Nun zum Problem einer gemeinsamen Verhandlungsbasis für den Beitritt neuer Mitglieder. Wir beglückwünschen zunächst die Bundesregierung dazu, daß es unter ihrem Einfluß am 20./21. April und jetzt endgültig am 8. und 9. Juni dieses Jahres zu der entscheidenden Übereinstimmung im Themenkatalog gekommen ist. Wir halten es für einen großen Fortschritt, daß die Verhandlungen nicht von Mitgliedsstaaten, sondern von der Gemeinschaft geführt werden. Wir möchten hier jedoch vermerken, daß für die Beitrittsverhandlungen die Verhandlungskompetenzen der Kommission vom Rat zu weit eingeschränkt worden sind. Zunächst sollte die Delegation der Mitgliedstaaten auf den Rat, bei den Verhandlungen über die Gemeinschaftspolitiken auf die Kommission übertragen werden. Wir meinen nämlich, ein Völkerrechtssubjekt wie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sollte von der Exekutive nach außen vertreten werden. Der Rat kann nicht Legislative und Exekutive zugleich sein. Nach Art. 228 ist des Verfahren auch so geregelt: Verhandlungsbefugnisse liegen bei der Kommission, Abschlußgewalt liegt beim Rat.
    Mit großer Befriedigung nimmt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zur Kenntnis, daß sich die Bundesregierung für die Übertragung gesetzgeberischer Befugnisse an das Europäische Parlament ausspricht. Hierzu könnten baldigst die bereits erwähnten Rechte für das Europäische Parlament bei der Schaffung der Europäischen Handelsgesellschaft sowie bei der Schaffung neuen Rechts nach Art. 235 gewährt werden.
    Ich muß hier noch einmal auf den großen Umfang der Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu sprechen kommen. Die Maschinerie des Rats ist viel zu langsam. Nationale Experten beschleunigen sie beileibe nicht. Deshalb kommen so gut wie gar keine Ergebnisse aus der schwerfälligen Gesetzesmaschinerie des Rates heraus. Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen: Die europäische Lastkraftwagenindustrie kann sich z. B. immer noch nicht auf einheitliche Abmessungen — Lastzuglänge 16 oder 18 m, Achsdruck 10 oder 13 t — einstellen, obwohl hierzu seit sieben Jahren Vorschläge ant dem Ratstisch liegen. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn japanische oder amerikanische Konkurrenten auf unseren Märkten vordringen.
    Es wäre deshalb nur zu begrüßen, wenn beim Rat insgesamt die Einsicht wachsen und die Bundesregierung mit Nachdruck dafür eintreten würde, daß solche notwendigen Harmonisierungen der unzähligen Rechts- und Verwaltungsvorschriften letztlich vom Europäischen Parlament beschlossen würden. Es tagt öffentlich und kennt nicht das Hemmnis der Einstimmigkeit.
    Auch in institutionellen Fragen könnten dem Europäischen Parlament mehr Rechte gegeben werden. Zum Recht, der Kommission das Mißtrauen auszusprechen, kann schrittweise das Recht zur Einsetzung der Kommission und der Richter und der Generalanwälte am Gerichtshof kommen. Das wäre in Etappen vom unverbindlichen Vorschlagsrecht bis hin zur Wahl durch das Europäische Parlament zu erreichen.
    Im ganzen möchte iich hierzu nochmals betonen, daß wir die Haltung der Bundesregierung begrüßen, dem Europäischen Parlament mehr und mehr Gesetzgebungsbefugnisse geben zu wollen. Sie deckt sich im übrigen auch mit der Auffassung des Europäischen Parlaments, und zwar entsprechend der Ziffer 8 der Entschließung des Berichts von Herrn Spénale im Dokument 42 vom 12. Mai 1970. Wir ersuchen die Bundesregierung mit allem Nachdruck, sich hierfür verstärkt einzusetzen; sonst kann die Vorstellung der Bundesregierung nicht realisiert werden, die da heißt: kein institutionelles Gleichgewicht wird erreicht werden, solange nicht Haushalts- und Gesetzgebungsbefugnisse des Europäischen Parlaments ausgewogen sind.
    An dieser Stelle nun ein Wort zu den heute hier eingebrachten Ratifizerungsgesetzen. Hier handelt es sich um bedeutsame Meilensteine 'in der Entwick-



    Behrendt
    lung der europäischen Integration. Sosehr wir die ersten Schritte in bezug auf die Regelungen der eigenen Einnahmen und der Gewährung von Haushaltsrechten an das Europäische Parlament begrüßen, so halten wir insbesondere im letzteren Falle die Regelungen für unzureichend.
    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Überzeugung, daß das Recht des Europäischen Parlaments, in letzter Instanz den gesamten Entwurf des Haushaltsplans anzunehmen oder abzulehnen, einen Bestandteil des parlamentarischen Haushaltsrechts bilden sollte. Daher richten wir unser Augenmerk besonders auf die Ratsentschließung vom 22. April 1970, wonach die Kommission spätestens innerhalb von zwei Jahren bezüglich der Haushaltsrechte des Europäischen Parlaments dem Rat Vorschläge zu unterbreiten hat, ,der — ich zitiere die Ratsentschließung —diese Vorschläge nach dem Verfahren des Art. 236 des Vertrages im Lichte der in den Parlamenten der Mitgliedstaaten bis dahin geführten Aussprachen,
    — wie das heute hier geschieht —
    der Entwicklung der europäischen Lage und der im Zusammenhang mit der Erweiterung der Gemeinschaft auftretenden institutionellen Probleme
    prüfen wird. Wir möchten heute schon erklären, daß die jetzt unzureichenden Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments dann progressiv fortentwickelt werden müssen.
    Obwohl wir nicht voll befriedigt von den vorgesehenen Regelungen der vorliegenden Ratifizierungsgesetze sind, erkläre ich namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion: Wir werden den Ratifizierungsgesetzen unsere Zustimmung geben, weil durch sie erstmals in Europa die Regelung von Eigeneinnahmen und ein erster Schritt zur Übertragung von Haushaltsrechten einem supranationalen Organ übertragen werden, nämlich dem Europäischen Parliament.
    Abschließend eine kurze Wertung der bisherigen Westpolitik der Bundesregierung in bezug auf die EWG. In ihrer Frage 7 unterstellt die Opposition in ihren angeblichen Befürchtungen der Bundesregierung und den sie tragenden Koalitionsparteien, sie meinten es nicht ernst mit der ,europäischen Integration. Wie ich schon einleitend erwähnte, dreht es sich keineswegs darum, entweder Ostpolitik oder Westpolitik zu machen, sondern darum die West-. politik kräftig vonanzutreiben und gleichzeitig dahin zu orientieren, daß sie als Instrument einer wohlverstandenen gesamteuropäischen Politik dienen kann. Bei unseren westlichen Partnern rennen wir mit solchen Befürchtungen offene Türen ein. Es ist bekannt, daß die Geistesart, die aus der Fragestellung zu erkennen ist, bei unseren westlichen Nachbarn schon seit langem als dogmatischer Ausfluß einer Haltung betrachtet wird, die längst überholt ist.
    Nur eine gestärkte, erweiterte und mit mehr politischem Gehalt ausgestattete westliche Gemeinschaft wird in der Lage sein, eine langfristige, ruhige und entspannte Politik des Ausgleichs mit dem Osten zu führen. Dazu wird es auch nötig sein, daß insbesondere die Sowjetunion ihre bisherige Einstellung zur westlichen Integration überprüft. Es ist zu hoffen, daß sie eines Tages dazu kommt, diese Integration nicht nur anzuerkennen, sondern als einen der wesentlichen Ordnungsfaktoren in Europa zu begreifen. Die Gemeinschaft ihrerseits könnte zu derartigen Prozessen beitragen, wenn sie klarer als bisher zu erkennen gäbe, daß sie sich auf solche Fragestellungen vorbereitet. Von dieser Erkenntnis aus hat die neue Bundesregierung die europäische Integrationspolitik vorangetrieben und hat parallel zu den ostpolitischen Bemühungen Stück für Stück entscheidend an wichtigen Fortschritten in der europäischen Integration mitgewirkt. Ich nenne hier folgende.
    Erstens. Die Konferenz von Den Haag fand etwa sechs Wochen nach Regierungsantritt statt. Sie bereinigte die Atmosphäre und überwand vornehmlich durch den Einsatz von Bundeskanzler Brandt die vorhandene Stagnation.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zweitens. Am 20./21. April dieses Jahres wurde das umfangreiche Paket der Agrarfinanzierung, der eigenen Mittel der Gemeinschaft, der Haushaltsrechte für das Europäische Parlament sowie der Weinmarktordnung unter Dach und Fach gebracht. Wenn hier auch eine Reihe von Schönheitsfehlern zu finden sind, so haben diese Beschlüsse doch den Weg für die Aufnahme von Verhandlungen mit Großbritannien und den anderen beitrittswilligen Ländern endgültig frei gemacht. Hier möchte ich dem Außenminister, dem Minister Ertl und den Staatssekretären der Bundesregierung für diesen durchbrechenden Erfolg, den sie dort für die europäische Integration erreicht haben, im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in aller Form Dank und Anerkennung aussprechen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Drittens. Ende Mai ist eine regelmäßige Beratung der Außenminister in Viterbo beschlossen worden. Das war Herrn Kiesinger zu wenig. Sie wird sicherlich zunächst aus jährlich zwei Treffen der Außenminister oder auch Treffen der Staats- bzw. Regierungschefs bestehen, die durch Zusammenkünfte der politischen Direktoren so vorbereitet werden, daß die Formulierung gemeinsamer außenpolitischer Zielsetzungen und auch Aktionen daraus resultiert. Dabei ist es für uns selbstverständlich, daß auch die außenpolitischen Aspekte der Verteidigungspolitik, ja die Sicherheitspolitik des vereinten Europas, mit einbezogen werden. Sicherlich ist dies nur ein erster Schritt, aber in unseren Augen ein vielversprechender Schritt. Diesem Anfang können sodann weitere Schritte im Sinne eines Stufenplans zur politischen Union folgen.
    Viertens. Ende Mai haben sich in Venedig die Finanz- und Wirtschaftsminister der EWG darauf festgelegt, innerhalb von neun Jahren die Währungsunion zu schaffen, was ohne gleichzeitige Errichtung der Wirtschaftsunion nicht möglich sein wird.

    Behrendt
    Fünftens. Schon am 30. Juni werden in Luxemburg die Verhandlungen mit den vier beitrittswilligen Ländern feierlich eröffnet. Nicht mehr die Mitgliedsländer werden diese Verhandlungen führen, sondern die Gemeinschaft als Völkerrechtssubjekt. Hierin ist ein beträchtlicher Fortschritt gegenüber 1961/62 zu sehen.
    Sechstens. Fristgerecht und rechtzeitig für diese Verhandlungen haben die Regierungen eine neue Kommission bestellt und zahlenmäßig bereits die Erweiterung um Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen in Rechnung gestellt. Dies ist ein ermutigendes Zeichen für diese Regierungen nach jahrelangen Enttäuschungen und zum Teil sogar harter Demütigung.

    (Beifall bei der SPD.)

    Mit der erheblichen Verjüngung der neuen Kommission wollen die Regierungen sicherlich die Voraussetzung dafür schaffen, daß die großen Probleme und die Zukunft der Gemeinschaft gemeistert werden können.
    Siebtens. Frankreich hat am 5./6. Juni hier in Bonn erstmalig wieder an den WEU-Beratungen teilgenommen.
    Für acht Monate Regierungszeit ist das eine stattliche Bilanz. Die aktive Ostpolitik hat diese Fortschritte nicht behindert; im Gegenteil, sie hat sie gefördert. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion fordert den Bundeskanzler und seine Regierung auf, die europäische Integration im Geiste der Beschlüsse von Den Haag fortzuführen, um allen Bürgern in der Bundesrepublik, vor allem aber unserer Jugend, wieder jenen Elan zu vermitteln, dessen wir für das große Werk der Einigung Europas so dringend bedürfen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Mit dem Dank und der Anerkennung für die erfolgreiche Integrationspolitik versichern wir dem Bundeskanzler und seiner gesamten Regierung, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diese Politik weiterhin unterstützen wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)