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ID0605902800

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Metadaten
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    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
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    5. Herr: 1
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    7. Kiesinger.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 59. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten des indischen Unterhauses . . . 3215 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 3215 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik (Drucksachen VI /691, VI /757) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (Drucksache VI /880) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Arpil 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Drucksache VI /879) — Erste Beratung — Brandt, Bundeskanzler . 3215 C, 3244 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 3219 B Wienand (SPD) 3226 C Borm (FDP) 3230 D Scheel, Bundesminister . 3235 D, 3268 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . . 3240 B, 3248 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 3245 A, 3275 D Dr. Apel (SPD) 3248 D Dr. Ehmke, Bundesminister 3250 A, 3272 B Dr. Rutschke (FDP) 3252 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) 3254 D Behrendt (SPD) . . . . . . . 3256 C Strauß (CDU/CSU) 3261 B Mischnick (FDP) 3273 D Nächste Sitzung 3276 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3277 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3215 59. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3277 Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Bartsch 19. 6. Breidbach 19. 6. Frau Dr. Focke 17. 6. Heyen 19. 6. Katzer 17. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 17. 6. Dr. Lohmar 30. 6. Müller (Remscheid) 17.6.
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    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ich glaube, Herr Bundeskanzler, daß das, was Sie hier eben geboten haben, eine Entgleisung gegenüber Ihrem Herrn Vorgänger war.

    (Beifall bei der CDU/CSU. Zurufe von der SPD: Unverschämt! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Wir weisen dies zurück.

    (Zuruf von der SPD: Schulmeisterei! -Weitere Zurufe von der SPD.)

    Wir weisen dies zurück, meine Damen und Herren.

    (Anhaltende Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

    Wir weisen dies zurück, meine Damen und Herren.
    Ich kann allerdings verstehen, daß dem Herrn Bundeskanzler der erste Hinweis — und das war ja der seine — auf Landtagswahlen nicht so ganz gut bekommen ist. Herr Bundeskanzler, woher Sie die Kühnheit nehmen, die Stimmen der FDP gleich bei sich dazuzurechnen, das wird die FDP mit Ihnen abmachen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte Sie doch einladen, Herr Bundeskanzler, das zu tun, was in solchen Fällen wohl alle große Parteien machen, nämlich eine Hochrechnung auf das ganze Bundesgebiet anzustellen. Nach einer Hochrechnung dieser drei Landtagswahlen ergibt sich — ich wollte darüber gar nicht sprechen, aber es ist nun notwendig, Ihnen zu erwidern — eine absolute Majorität der Sitze in diesem Hause für die CDU, CSU.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ich möchte dann gern zu dem Vorwurf Stellung nehmen — und das war ja der einzige Versuch zu einem sachlichen Beitrag seitens des Herrn Bundeskanzlers —, wir nähmen nicht zur Kenntnis, was die Regierung durch den
    Kanzler und den Bundesaußenminister hier heute sagt. Dazu wollen wir uns dann gleich einlassen, Herr Bundeskanzler. Zunächst erlauben Sie mir, auf zwei Punkte, die Herr Kollege Scheel hier angeführt hat, einzugehen.
    Herr Kollege Scheel, wenn Sie das, was, wie Herr Kollege Kiesinger hier eben vorgetragen hat, in vielen mühsamen Stunden der Außenminister der Weltmacht Sowjetunion mit dem persönlichen Bevollmächtigten und Staatssekretär des Bundeskanzlers ausgemacht hat, hier nun wechselweise als vertragsreif, als Notizen oder, wie es heute hieß, nicht einmal als Entwurf bezeichnen, dann wollen wir dies hier festhalten; denn ich glaube, das ist kein seriöser Umgang mit einer Weltmacht, von der Frieden und Schicksal des ganzen deutschen Volkes mit ah-hängen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe bei den Regierungsparteien.)

    Und wie können Sie, Herr Bundeskanzler, eigentlich zugleich erklären lassen — und Ihre Herren im Presseamt tun mir langsam wirklich leid, was die so alles erklären müssen und dürfen —, dieser Entwurf sei verfassungskonform, wenn der Außenminister sagt, es gebe nicht einmal einen Entwurf?
    Das zweite. Herr Außenminister, Sie haben den Kollegen Marx an einer Stelle sicherlich — sagen wir einmal — falsch verstanden. Ich will es deshalb noch einmal wiederholen, weil es ein Argument ist, das wir in vielen Debatten dieser Regierung nahezubringen versucht haben. Herr Kollege Marx hat versucht, darzutun, daß es ein großer Unterschied ist, ob man die Dinge, die bilateral -- falls überhaupt — mit der DDR, mit Polen, mit der Tschechoslowakei, mit der Sowjetunion zu regeln sind, in diesen bilateralen Verträgen regelt oder ob man solche Punkte — und dies haben Sie ja nicht bestritten -- auch zum Gegenstand eines Vertrages mit der Macht macht, die nach der Breschnew-Doktrin die Hegemonie ausübt. Um es ganz konkret zu sagen: glauben Sie in der Tat, daß der Hinweis auf die Oder-Neiße-Linie in den Vertrag mit der Sowjetunion gehört, oder glauben Sie, daß dies eine Frage ist, die mit Polen zu beprechen ist?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das war das, was Marx meinte, und das kann man eigentlich nicht mißverstehen.
    Herr Bundeskanzler, ich möchte nun gern zur Kenntnis nehmen, daß sich nicht nur ihre erste, die vorbereitete Einlassung in Ton und Inhalt von ihrer zweiten unterschied,

    (Zurufe von den Regierungsparteien: Schulmeister! Oberlehrer!)

    sondern unmißverständlich ist, daß der Bundeskanzler doch Pflöcke zurückgesetzt hat.
    Ich will auf Ihren Vorsatz, den Sie hier erneut bekundet haben, zur Zusammenarbeit mit allen Kräften des Hauses — und Sie haben das Wort von Konsultationen wohl auch wieder gebraucht — ausdrücklich eingehen. Wir freuen uns, so etwas zu hören, und bleiben natürlich dazu bereit. Sie kön-
    3246 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, cien 17. Juni 1970
    Dr. Barzel
    nen aber nicht erwarten, daß wir auf Grund eines solchen Wortes nun etwa eine veränderte Situation in den sachlichen Kontroversen hier annehmen können; denn dies ist ein Wort, das wir nun oft aus Ihrem Munde gehört haben und dem sieben Monate lang ganz andere Fakten entgegenstehen.

    (Abg. Rasner: Und Wir kennen Herrn Wehner!)

    Wir wollen sehen, was diesmal aus dem Wort wird, und sind offen, das dann zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu handeln.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben ein paar Grundsätze aufgestellt, die zum Teil unsere Freunde gefunden haben. Ihre verehrte Parlamentarische Staatssekretärin hat heute, wie das Bulletin gerade mitteilt, in New York in einigen Punkten etwas anderes gesagt. Nun ja! Wir freuen uns, daß Sie wieder von der Wiedervereinigung sprechen, von der nicht mehr zu sprechen Sie in amerikanischen Zeitungen vorher erklärt haben. Das alles mag gut sein. Nur: Sie können vielleicht verbal aus jedem Entweder-Oder ein Sowohl-Als-auch machen. Aber wenn es um die Fakten und um die Vertragstexte geht, dan gibt es ein Entweder-Oder,

    (Abg Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!)

    und wenn das gilt, was Sie hier heute gesagt haben und was in den sechs Punkten Ihrer Regierungserklärung steht, dann können Sie gleich das Nein zu dem in der Presse veröffentlichten Text des Abkommens mitliefern. Beides zugleich geht nämlich nicht. Das muß hier klar sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Bundeskanzler sagt vorher in seiner Erklärung, wir müßten die bestehenden Grenzen zur Kenntnis nehmen. Ich glaube, gegen diesen Satz hat niemand etwas. Nur: was ist die Wirklichkeit? Nach dem unbestrittenen Text, den die Presse veröffentlicht hat, dem Text über einen Vertrag mit der Sowjetunion — einen Generalvertrag, muß man wohl sagen —, sieht sie anders aus. Da ,steht natürlich ganz etwas anderes. Da steht nicht „zur Kenntnis nehmen", da steht auch nicht nur „aufschreiben, daß man es zur Kenntnis nimmt", sondern da steht, daß man sie achte und auch künftig achten werde. Das ist doch eine Verpflichtung,

    (Zurufe von der SPD — Abg. Rasner: Vorfriedensvertrag!)

    die weit über alles das hinausgeht, was den Deutschlandvertrag — ich komme darauf noch zu sprechen — und ähnliches betrifft.
    Herr Bundeskanzler, auf einen Punkt Ihrer schriftlichen Erklärung muß ich noch einmal zurückkommen, weil Sie neulich schon einmal hier in einem freien, etwas explosiveren Debattenbeitrag dargetan haben, wo eigentlich der Urgrund eines Stückes Ihrer Politik liegt. Sie sagten nämlich, Sie hätten plötzlich in Berlin dagestanden und der Vorhang sei weggewesen. Damals konnte man ahnen, was Sie wirklich veranlaßt, in diesem Tempo und in dieser Art diese Ostpolitik zu machen. Sie haben das heute noch deutlicher gemacht, und das möchte ich,
    Herr Bundeskanzler, doch zurückweisen, weil ich glaube. so sollte man mit Freunden und Alliierten nicht umgehen.

    (Unruhe bei der SPD.)

    Sie haben im Zusammenhang mit dem 17. Juni
    — dann haben Sie von ähnlichen Erfahrungen am 13. August 1961 gesprochen — gesagt: An unserer Seite standen als Zuschauer die Drei Mächte. Als Zuschauer!

    (Zuruf des Abg. Mattick.)

    — Herr Mattick, ganz vorsichtig in dieser Frage, weil es eine ganz wichtige Frage ist!
    Zunächst war damals der 'Regierende Bürgermeister von Berlin Willy Brandt. Hat der damals die Alliierten zu etwas anderem ermuntert? Oder ist es nicht vielmehr so, wie mein Vorgänger Heinrich Krone, wie ich mich erinnere, in der Debatte nach dem Bau der Mauer, nach dieser Grenzziehung durch Berlin, gesagt hat: Ohne diese westlichen Freunde wären die Panzer durchs Brandenburger Tor hindurchgerollt?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das sind nicht nur Zuschauer; das sind Menschen, die unsere und Berlins Freiheit sichern, und sie sollte man nicht als „Zuschauer" bezeichnen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte ein paar andere Ausführungen gleich anschließen. Sie gehörten eigentlich an den Schluß und sollten erst kommen, wenn ich unseren Antrag hier einbringe. Mit dem Blick darauf, daß dieses Haus in 48 Stunden seine Sommerpause beginnt und sich auf den September vertagt — bei einem normalen Ablauf, ohne den Eintritt von besonderen Ereignissen —, möchte ich doch einiges sagen, damit Sie
    — ich denke daran an Ihre auf Zusammenarbeit gerichteten Sätze, Herr Bundeskanzler, und Ihre Töne, die vielleicht darauf gerichtet waren, doch eine breitere Mehrheit zu finden; wir haben sie natürlich positiv gehört — sich ungefähr auf das einrichten können, was nach unserer Auffassung zu den verschiedenen Punkten zu sagen ist, die sich während der Ferien, wo ja die Politik weitergeht, entwickeln könnten.
    Ich habe hier einen Punkt in die Debatte einzuführen, Herr Bundeskanzler, der vielleicht zunächst spröde klingt; aber es ist um so brisanter in der Wirkung, was ich hier dazu zu sagen habe. Diese Außenpolitik, meine Damen und Herren, hat, wenn ich es richtig sehe, weder hier im Hause noch draußen in der Bevölkerung — so wie sie angelegt ist und geführt wird — eine Mehrheit. Mit der Außenpolitik „sichtbarer Geheimdiplomatie" — Herr Kollege Scheel, da haben wir uns mißverstanden — habe ich nicht die Indiskretionen gemeint, sondern die tägliche Mitteilung, daß man Geheimdiplomatie mache, ohne mitzuteilen, worüber man spricht. Das erweckt natürlich alle möglichen Geschichten. Ich meine das „mit der Stoppuhr in der Hand", während man gleichzeitig bei der westlichen politischen Vereinigung auf die Bremse tritt, wie das eben Herr Kollege Kiesinger ja dargetan hat. Diese



    Dr. Barzel
    Außenpolitik ohne Gegenleistungen hat hier und im deutschen Volk keine Mehrheit.

    (Zuruf von der SPD: Das glaubst du!)

    Deshalb möchte ich gerne, daß sich diese Regierung die Peinlichkeit und, ich füge hinzu, uns allen das Risiko erspart, das darin liegen könnte, unter der Überschrift „Gewaltverzichtsvertrag" mit der Sowjetunion etwas auszumachen, was dann hier nicht mehrheitsfähig wäre. Das wäre ein großes Risiko, das diese Regierung einginge.
    Deshalb möchte ich heute sagen, damit es rechtzeitig gesagt ist — es wäre nicht fair, es später zu sagen, sowohl dieser Regierung gegenüber wie gegenüber den Gesprächspartnern in Ost und West —, daß wir der Meinung sind, daß der Art. 79 des Grundgesetzes hier in die Betrachtung einzubeziehen ist, der Artikel, der bekanntlich vorsieht, daß man zweier Drittel der Stimmen des Bundestages und des Bundesrates für solche völkerrechtlichen Verträge bedarf, die entweder eine Friedensregelung oder die Vorbereitung einer Friedensregelung zum Gegenstand haben.

    (Abg. Dr. Arndt [Hamburg] : Das steht da nicht drin! — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Dann nehmen Sie mal das Grundgesetz unter den Arm!)

    Wir gehen davon aus, daß eine Prüfung der in der Presse verlautbarten Texte bereits zwingt, Art. 79 zu prüfen und mit heranzuziehen; ich bin sehr vorsichtig in dieser Äußerung.
    Aber das wird noch erhärtet für den Fall, daß in irgendwelchen Texten etwa wirklich das enthalten sein sollte, was Herr Kollege Apel gestern mit dankenswerter Offenheit in einem Aufsatz, den seine Fraktion veröffentlicht hat, so formuliert hat — er sagt —: „Die Kombattanten wissen vielmehr, daß mit diesen Verhandlungen Abmachungen anvisiert werden, die spätere Regelungen wenigstens teilweise vorformen." Diesen Satz werden unsere westlichen Partner, die Partner des Deutschlandvertrages, und die für Berlin Zuständigen sicher im Hinblick auf die Ziffer 4 der publizierten Texte mit besonderer Aufmerksamkeit studieren. Sie werden dabei sicher merken, daß dieser Hinweis, Herr Apel, beweist, daß diesen Rechten unserer Freunde immer weniger Substanz gelassen wird,

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Leider ist das wahr!)

    obwohl diese Rechte weder zur Disposition der deut schen Politik noch zur Disposition des deutschen Gesetzgebers stehen. Das ist eine Frage, der Westmächte; die werden das schon beachten. Für uns bedeutet „spätere Regelungen vorformen" : Friedensregelungen vorbereiten, und das zwingt dann, Herr Apel, nach Ihrer Aussage, zur vollen Konsequenz des Art. 79.
    Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich hierzu folgenden Satz sagen, damit man von vornherein weiß, woran man ist: eine Politik, welche inhaltliche Regelungen trifft und nur noch den formellen Vorbehalt späterer, nämlich friedensvertraglicher Bestätigung enthält,

    (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Sehr wahr!)

    bedarf einer Zweidrittelmehrheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sagen dies heute so rechtzeitig, damit jedermann weiß, in was er sich einläßt, wenn er in die Verhandlungen geht, und für den Fall, daß es hier zu einem Ratifikationsverfahren kommen sollte, auch weiß, daß wir hier oder im Auswärtigen Ausschuß die Offenlegung aller verfügbaren Dokumente, Texte, Notizen, Protokollaufzeichnungen verlangen werden, die etwa bei dem einen oder anderen Verhandlungspartner den Eindruck erweckt haben könnten, jetzt gehe es um materielle Regelungen, und der Vorbehalt betreffe nur noch spätere formelle Bestätigung.
    Meine Damen und Herren, das ist ein spröder Punkt. Aber das ist ein Punkt, der wichtig genug ist, um ihn jetzt zu nennen. Denn wenn man hier anders verführe, bliebe die deutsche Frage in der Substanz nicht offen. Dann würde von den Rechten der Alliierten — das gilt für alle vier — nicht einmal mehr das übrigbleiben, was auf dem Papier steht, und das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes würde übergangen. Das, meine Damen und Herren, mußte heute hier gesagt werden.
    Ich freue mich, Herr Bundeskanzler, daß Sie und, falls ich es richtig in Erinnerung habe, Herr Wienand und auch die anderen Sprecher nicht noch einmal die polemische Frage nach der Alternative gestellt haben. Herr Kollege Kiesinger hat diese Frage sehr deutlich beantwortet. Nicht wir sind irgendwohin abgesprungen, sondern diese Regierung macht eine andere Politik. Sie macht eine andere Politik,

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr wahr!)

    als sie der Außenminister der Großen Koalition mit seinem Namen bis zum Wahltag für richtig gehalten und mit formuliert hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir legen deshalb diesen Antrag vor, um dessen Abstimmung wir nicht heute bitten. Wir bitten vielmehr um das normale Verfahren, also Überweisung an und Beratung dieses Antrags im Ausschuß, weil wir hoffen, daß sich ihm in diesen Fragen viele Kollegen dort anschließen werden.
    Herr Bundeskanzler, ich brauche noch nicht einmal auf Ihre Anzeige zurückzukommen, in der Sie sich nun wirklich wider besseres Wissen selbst Lügen strafen. Wir verteidigen eine Position, die Sie bis zum Wahltag für richtig gehalten und den Wählern gegenüber bezogen haben. Wenn Sie das jetzt als Nationalismus, als Rückschritt und Rechtskurs bezeichnen, sprechen Sie nicht nur wider besseres Wissen, sondern gegen sich selbst, und das ist kein Beitrag, um Ihre Glaubwürdigkeit hier oder sonstwo zu erhöhen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    3248 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode •— 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970
    Dr. Barzel
    Ich möchte gern zum Abschluß völlig klar formulieren, meine Damen und Herren, was mit unserer Zustimmung und was nicht mit unserer Zustimmung rechnen kann.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Doch, das bin ich dem Kanzler schuldig, der eine Frage an uns gerichtet hat.

    (Weitere Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, mit unserer Zustimmung kann eine Politik rechnen, welche erstens das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes nicht behindert, sondern den Weg zu seiner Verwirklichung geht; zweitens die politische Einigung des freien Europa in dieser Generation erstrebt; drittens das Bündnis pflegt und die unter Verbündeten selbstverständliche Rücksicht nimmt, — ich denke, es ist offenkundig, was hiermit gemeint ist.

    (Zuruf.)

    — Das kann ich mir nicht vorstellen, daß den Delegierten von Saarbrücken das nicht ganz klar ist, meine Damen und Herren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Viertens ist notwendig, daß v o r allen Unterschriften, nicht vor der Ratifikation, Herr Bundeskanzler — ich beziehe mich auf die Debatte vom 4. Juni —, das freie Berlin gefestigt wird;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    fünftens eine Politik, die Gewaltverzichtsverträge
    zustande bringt und unmißverständlich auch angemaßte einseitige Gewaltvorbehalte beseitigt; sechstens ist notwendig, daß man mit Polen Lösungen, nicht aber Formeln findet, und zwar Lösungen, denen beide Völker zustimmen können;

    (Zurufe von der SPD: Welche Lösungen?)

    siebentens mit den Verantwortlichen in Ostberlin im Gespräch bleibt und konkrete Ergebnisse für die Menschen erreicht; achtens Grenzen für Menschen, Informationen und Meinungen durchlässiger macht; neuntens auf Gegenleistungen, Vertragstreue und unzweideutige Abmachungen besteht und zehntens die deutsche Frage in der Substanz offenhält, und zwar nicht nur als einen Bestandteil des Status quo, sondern als ein Bauelement für eine europäische Friedensordnung. Das, Herr Bundeskanzler, ist die Antwort auf die Frage, die Sie gestellt haben.
    Wir bedauern, daß Sie heute bei Ihrer zweiten Intervention in dieser Art gesprochen haben, in einer Art, die leider in der Linie Ihrer Unwahrheiten von Bielefeld liegt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Arndt [Hamburg] : Das sind keine Unwahrheiten! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Herr Bundeskanzler, ich möchte Sie von dieser Stelle aus noch einmal auffordern, das zurückzunehmen, um das Klima hier im Hause zu verbessern.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will jetzt keine Rede halten, sondern nur wenige Sätze sagen. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich zu Unrecht verletzt gefühlt. Sie meinten, ich hätte Sie oder diese Regierung beschuldigt, zum Befehlsempfang nach Moskau gehen zu wollen.

    (Abg. Wehner: Das haben Sie getan! Mit einer Unverfrorenheit haben Sie das gesagt! — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    — Herr Kollege Wehner, es mag sein, daß Sie sich wünschen, ich hätte es gesagt, aber ich habe es nun einmal nicht gesagt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe im Saarland gesagt, meine Erfahrungen bei unseren Verhandlungen mit der Sowjetunion, bei dem umfangreichen Austausch von Memoranden und Noten, den wir hatten, seien die gewesen, daß die Sowjetunion als Bedingung für Verhandlungen die absolute Unterwerfung unter ihre Forderungen verlangte. Sie wissen, daß das so war und daß Herr Gromyko sogar unser friedliches Bemühen um das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und um die Überwindung der Grenzen als einen Verstoß gegen den Gewaltverzicht bezeichnet hat. Ich habe gesagt, bei der Prüfung dieser Situation sei ich zu folgendem Ergebnis gekommen: ich sei zwar bereit zu verhandeln, aber nicht bereit, zum Befehlsempfang nach Moskau zu gehen.

    (Zustimung bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Mir ist die Sache, um die es hier geht, viel zu ernst, als daß ich es irgend jemandem erlauben möchte, uns dessen zu bezichtigen, was leider gelegentlich im anderen Lager geschieht: daß wir nämlich den politischen Gegner zu diffamieren versuchen.
    Das einzige, was ich hinzusetzen kann, ist dies: Herr Bundeskanzler, ich spreche Ihnen die Redlichkeit des politischen Wollens nicht ab, aber ich warne Sie: begeben Sie sich nicht in eine Situation, in der Sie sich unversehens wie ein Befehlsempfänger behandelt fühlen müßten.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)