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ID0605902000

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    Deutscher Bundestag 59. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten des indischen Unterhauses . . . 3215 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 3215 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik (Drucksachen VI /691, VI /757) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (Drucksache VI /880) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Arpil 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Drucksache VI /879) — Erste Beratung — Brandt, Bundeskanzler . 3215 C, 3244 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 3219 B Wienand (SPD) 3226 C Borm (FDP) 3230 D Scheel, Bundesminister . 3235 D, 3268 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . . 3240 B, 3248 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 3245 A, 3275 D Dr. Apel (SPD) 3248 D Dr. Ehmke, Bundesminister 3250 A, 3272 B Dr. Rutschke (FDP) 3252 B Baron von Wrangel (CDU/CSU) 3254 D Behrendt (SPD) . . . . . . . 3256 C Strauß (CDU/CSU) 3261 B Mischnick (FDP) 3273 D Nächste Sitzung 3276 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3277 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3215 59. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Juni 1970 3277 Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Bartsch 19. 6. Breidbach 19. 6. Frau Dr. Focke 17. 6. Heyen 19. 6. Katzer 17. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 17. 6. Dr. Lohmar 30. 6. Müller (Remscheid) 17.6.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich will hier nur feststellen — es wird Sie vielleicht beruhigen, Herr Dr. Marx, wenn ich das feststelle —: Die Bundesregierung verhandelt mit der Sowjetunion über Fragen, die die Sowjetunion und die Bundesrepublik angehen.

    (Abg. Dr. Barzel: Und die Polen angehen! -Abg. Kiep: Wie kann man in einer Regierungserklärung Mitglieder des Hauses kritisieren? Das gibt es doch nicht!)

    — Einen Augenblick! Ich verstehe, Herr Kiep, was Sie sagen.
    Aber hier ist —

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist doch keine Regierungserklärung! — Zuruf von der CDU/CSU: Herr Scheel, Sie haben es nicht begriffen! Das ist das Ganze! Zuruf des Abg. Freiherr von und zu Guttenberg. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis, wenn ich Ihnen folgendes sage. Es ist eine Regierungserklärung zur Europapolitik angemeldet.

(Zurufe von der CDU, CSU.)

Der Herr Bundesaußenminister hat gesagt, daß er dieser Erklärung ein paar einleitende Sätze vorausschicken will. Ich gehe davon aus, daß die Geschäftsordnung —

(Abg. Dr. Barzel: Mit dieser Art von Regierung!)

— Herr Dr. Barzel, ich gehe davon aus, daß ich nach der Geschäftsordnung richtig verfahre, wenn ich Zwischenfragen nicht zulasse. Wir haben uns im Präsidium über die Frage unterhalten, ob man die Richtlinien für Zwischenfragen gegebenenfalls ändert. Solange aber die Richtlinien so sind, werde ich danach verfahren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Lassen Sie mich ein Wort dazu sagen. Ich glaube, wir sollten uns doch in diesem Kreise über den Stil der Debatten einig werden können. Eine Regierungserklärung, die abgegeben wird, nachdem die Fraktionen zu dem Problem gesprochen haben, würde ja nun in diesem Kreise wirklich steril wirken, wenn sie nicht die Gedanken aufgriffe, die von den Fraktionen zum Ausdruck gebracht worden sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Soll ich denn hier etwa völlig sterile Weisheiten bringen und nicht zu dem etwas sagen, was an interessantem Stoff schon vorgetragen worden ist? Sie können sich bei mir immer darauf verlassen, daß ich das in einer Form tue, die dann trotzdem noch die Bezeichnung „Regierungserklärung" verdient. Darauf können Sie sich verlassen.

    (Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien. — Abg. Mick: Dann muß man Fragen stellen können!)




    Bundesminister Scheel
    — Ja, Herr Kollege, ich habe nicht abgelehnt, eine Frage zu beantworten, sondern auch ich habe mich nur der Geschäftsordnung gebeugt. Hier liegt ein Konflikt vor, den wir vielleicht später einmal in irgendeiner Form geschäftsordnungsmäßig diskutieren müssen. Ich habe Verständnis für die Schwierigkeit und werde sie jetzt dadurch zu überwinden versuchen, daß ich meine Erwägungen zu dem, was Herr Marx gesagt hat, sehr kurz halten werden. Es wäre noch eine Anzahl von Bemerkungen dazu zu machen; ich will mir das aufsparen, denn vielleicht wird nachher die Debatte Gelegenheit geben, das noch zu tun.
    Ich darf abschließend sagen, daß ich an diesem Tage, an dem ich doch das Gefühl habe, daß auf beiden Seiten Bereitschaft zur Zusammenarbeit besteht, ganz generell darum bitte, daß man auch an das, was der andere will, nicht mit übertriebenem Mißtrauen herangeht, sondern wirklich auch das, was er erklärt, zu akzeptieren sich bereitfindet. Damit will ich das einmal bewenden lassen.

    (Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Auch dies gilt für beide Seiten!)

    Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber im klaren, daß aus Gründen, die ich hier nicht näher zu erläutern brauche, der Abschluß von Vereinbarungen politischen Inhalts mit dem Osten schwieriger ist als der Abschluß von Verträgen mit unseren westlichen Partnern.

    (Abg. Dr. Barzel: Art. 79 GG!)

    Aber das entbidet uns nicht von der Verpflichtung, auf dem schmalen Grat der Möglichkeit nach einer Verständigungsbasis zu suchen und diese auch verbindlich zu definieren.
    Wie steht es nun um diese Bemühung? Wir sind zur Zeit im Begriff, eine Definition im Hinblick auf einen möglichen Gewaltverzichtsvertrag mit der Sowjetunion vorzunehmen. Der Gedanke eines Gewaltsverzichts ist nicht neu. Schon frühere Bundesregierungen haben diesen Gedanken aufgegriffen. Was man damals angestrebt hat, war ein — lassen Sie mich das einmal so ausdrücken — abstrakter Gewaltverzicht.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Nein, ein konkreter! Das ist der Unterschied!)

    Die bereits in der UNO-Charta ausgeprochenen Grundsätze der Nichtanwendung und der Nichtandrohung von Gewalt sollten in einem Vertrag wiederholt werden. Ein solcher Gewaltverzicht wäre sicherlich nicht ohne Wert gewesen. Niemand hat das je bestritten. Es haben ja viele Kollegen hier daran mitgearbeitet. Aber die politische Substanz, nämlich das Verhältnis der Länder zueinander zu verändern, hätte ihm gefehlt.
    Das Ziel dieser Bundesregierung ist es, einen qualifizierten Gewaltverzicht zu erreichen. Er geht aus von der Lage, wie sie ist. Er schreibt sie aber nicht fest. Er ist mit anderen Worten die verbindliche Definition eines Modus vivendi. Das bedeutet, beide Seiten gehen davon aus, daß der Gerwaltverzicht einen Friedensvertrag weder vorwegnimmt noch ersetzt. Die Frage, ob wir einen solcherart definierten Modus vivendi mit der Sowjetunion vereinbaren sollen, hat wesentlich damit zu tun, ob wir unsere Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern, allen voran zur Sowjetunion, konstruktiv gestalten wollen, ob wir etwas nachholen wollen, was seit 1955, seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, nicht gelungen ist, ob wir eine neue Basis legen wollen für ein in die Zukunft weisendes Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik. Das ist die Frage. Wir halten dieses Ziel und seine Verwirklichung für eine realistische Politik, und diese Einschätzung findet ihre Rechtfertigung in der internationalen Lage, aber auch in Verlauf und Ergebnis unserer bisherigen Sondierungsgespräche in Moskau.
    Ich verrate hier kein Geheimnis, wenn ich sage, daß die sowjetische Seite zu Beginn der Gespräche mit kategorischer Härte immer wieder das Wort von der Anerkennung ins Spiel gebracht hat. Wir haben demgegenüber klarmachen müssen, aus welchen Gründen wir uns auf diesen Boden nicht stellen können. Die Tatsache, daß die sowjetische Regierung im Laufe der mehr als dreißigstündigen Aussprache Verständnis für die Grenzen unserer Möglichkeiten aufgebracht hat, beweist ihr Interesse an dem Abschluß eines Gewaltverzichtsvertrages mit uns.
    Durch de Veröffentlichung eines angeblichen Vertragstextentwurfs in der Presse ist nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit Unruhe geschaffen, sondern es sind auch unsere Bemühungen um eine Verständigungsbasis mit der Sowjetunion erschwert worden. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Wer hat das denn herausgegeben?)

    — Ich komme dazu. Eine Macht wie die Sowjetunion verhandelt verständlicherweise lieber mit Partnern, die die in solchen schwierigen Verhandlungen notwendige Diskretion zu wahren wissen.

    (Abg. Dr. Barzel: Deshalb macht man sichtbare Geheimdiplomatie?!)

    — Herr Kollege Barzel, wir haben uns schon Mühe gegeben, herauszufinden, wo hier eine undichte Stelle gewesen sein kann. Ich darf sagen, es ist schwer, das genau herauszufinden. Eines kann ich sagen: die Kollegen der Opposition, die von uns informiert worden sind, können es nicht gewesen sein nach der Natur der Dinge. Das will ich einmal ganz offen sagen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) Aber es ist sehr schwer, das herauszufinden.

    Ich will nur sagen, diejenigen aber, die ihre Informationen in Form von Vertragsartikeln veröffentlicht haben, was sie nicht sind, die sollten nicht übersehen, daß sie eine große Verantwortung tragen. Denn es unterliegt ja keinem Zweifel, daß solche Veröffentlichungen, die erstens nicht vollständig sind, zweitens nicht die begleitenden Umstände kennen oder erwähnen können oder wollen, zu einem unvollständigen, falschen, ja, zu einem verzerrten Bild führen müssen, vor allem dann, wenn sie auch



    Bundesminister Scheel
    noch in die aufgeheizte Atmosphäre eines Wahlkampfes hineingebracht werden.

    (Abg. Blumenfeld: Dann wäre mehr Klarheit von Ihrer Seite besser gewesen!)

    Ich wünsche mir eigentlich — ich will das einmal ganz offen sagen —, daß in einem solchen Fall die Verantwortlichen ein Gespräch führen über das, was sie tun wollen, tun müssen oder tun zu müssen glauben. Das ist ein Problem, über das wir in einer Phase, in der wir genau wie in den frühen fünfziger Jahren schwierige Verträge zu verhandeln, zu Ende zu führen haben, eine gemeinsame Auffassung entwickeln müssen und bei dem wir uns als Parlamentarier, die in der Veranwortung für das ganze Volk stehen, gegenseitig unterstützen müssen.
    Im Verlauf der Diskussion im Parlament und in der Öffentlichkeit sind eine Reihe von Einwänden gegenüber dieser Politik vorgebracht worden. Die Bundesregierung hat sie sorgfältig geprüft, auch die Leitsätze, die Herr Bahr in Moskau besprochen hat. Die Bundesregierung ist zu dem Ergebnis gelangt, daß der Aufnahme von Verhandlungen mit der Sowjetunion auf der Grundlage der Moskauer Sondierungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen.
    Herr Marx hat heute morgen eine ganze Anzahl von Fragen zu den Vertragstexten, so wie er sie aus Veröffentlichungen sieht, gestellt. Ich darf ihm sagen, daß diese Fragen, die er heute gestellt hat, in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses behandet werden können, wie wir das auch mit anderen Komplexen getan haben. Die Kollegen werden Verständnis dafür haben, daß ich mich hier noch nicht einmal zu der Richtigkeit der Veröffentlichungen äußern kann, die in irgendwelchen Zeitungen erschienen sind. Ich kann mich nicht dazu äußern, ich will das auch nicht tun.

    (Abg. Dr. Barzel: Aber vor der Presse haben Sie sich geäußert; Sie können doch hier nicht weniger tun als vor der Presse, Herr Scheel!— Zurufe des Abg. Kiep.)

    — Ich habe mich vor der Presse in genau dem gleichen Sinn geäußert wie jetzt, ganz präzis, Herr Dr. Barzel.

    (Abg. Blumfeld: Wozu dann diese Geheimnistuerei!)

    — Es handelt sich hier nicht um Geheimnistuerei, es handelt sich einfach um eine Verhaltensweise in dem normalen diplomatischen Verkehr bei der Vorbereitung von Verträgen, wie sie in der ganzen tATelt üblich ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich will Herrn Marx nur diese Ankündigung machen, weil er die Fragen gestellt hat und weil nicht der Eindruck entstehen soll, wir wollten diese Fragen nicht beantworten.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ich habe auch vorgeschlagen: im Ausschuß! — Abg. Kiep: Sie können doch hier sagen, ob ein Vertragsentwurf vorliegt oder nicht!)

    — Das kann ich sehr gern sagen, die Regierung hat das immer gesagt: Dies ist kein Vertragsentwurf.

    (Abg. Kiep: Aber wieso ist er dann laut Regierungssprecher nicht mehr abzuändern?)

    — Habe ich das jemals gesagt?

    (Abg. Kiep: Der Regierungssprecher hat es gesagt!)

    — Meine verehrten Kollegen, es handelt sich — ich will das noch einmal sagen — bei dem, was Herr Bahr in Moskau besprochen hat, um das Ergebnis dreißigstündiger Gespräche über eine Fülle von Fragen, in denen man sich bemüht hat, zu einzelnen Fragen — nicht nur zu dem, was dort in der Zeitung gestanden hat — gemeinsame Auffassungen zu entwickeln, die man zur Grundlage von Vereinbarungen machen könnte. Einige dieser gemeinsamen Auffassungen, allerdings nicht unbedingt in der veröffentlichten Textform, würden Gegenstand und Grundlage eines Gewaltverzichtsvertrages sein können, der aber nur abgeschlossen werden kann, wenn darumherum noch eine ganze Menge anderes entsteht. Genau das ist die augenblickliche Situation, und nichts anderes ist jemals gesagt worden.

    (Abg. Kiep: Der Regierungssprecher hat doch gesagt, dieser Entwurf sei nicht mehr wesentlich zu verändern!)

    — Aber es ist gar kein Vertragsentwurf, es sind einige Punkte diskutiert worden.

    (Abg. Kiep: Der Regierungssprecher!)

    — Herr Kollege, wenn in einer langen Arbeit in einzelnen Punkten, und zwar in wichtigen Punkten — —

    (Abg. Dr. Barzel: Ich bin sehr erfreut, zu hören, daß es nicht einmal ein Entwurf sei!)

    — Es ist kein Vertragsentwurf und kann es ja nicht sein, weil die Entwicklung eines Vertrages sich nur auf einige Punkte der erarbeiteten Formulierung beziehen wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auf diese Punkte kommt es an!)

    Aber ich will das jetzt nicht vertiefen,

    (Abg. Rasner: Der Nebel bleibt, Herr Scheel!)

    sondern ich will das in den Ausschuß hineinbringen, was ich soeben angekündigt habe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rasner: Nebelwerfer!)

    — Herr Kollege Rasner, ich weiß ja, daß Sie den Nebel aufrechterhalten wollen; wenn Sie ihn nicht aufrechterhalten, wer denn sonst? Aber wir wollen schon mit Ihnen diskutieren. Allerdings muß dazu bei Ihnen die Bereitschaft vorhanden sein.
    Zusammenfassend möchte ich sagen: Wer aus dem einen oder anderen Grunde den politischen Auftrag der Stunde versäumt, der muß natürlich auch den Mut haben, die Folgen einer solchen Politik zu verantworten. Die wahrscheinliche Folge,



    Bundesminister Scheel
    jetzt nicht zu handeln, wäre, daß die Entwicklung über uns hinweggeht und daß wir in die Isolierung gegenüber West und Ost geraten. Das kann niemand von uns wollen. Wenn ich sage: jetzt handeln, dann meine ich: handeln nach sorgfältiger und solider Überlegung. Das versteht sich von selbst; das dürfen Sie im übrigen bei einer Regierung voraussetzen, die ja nicht etwa ohne die üblichen Sorgfaltspflichten, die Regierungen haben, in diesem Punkte ihr Handeln vorbereitet.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir betreiben keine Alleingänge. Unser Vorgehen ist sorgfältig mit unseren Partnern und unseren Verbündeten abgestimmt. Bei der NATO-Konferenz in Rom im Mai haben unsere Freunde und Partner in der Allianz im Abschlußkommuniqué erklärt, daß sie mit unserer Ostpolitik übereinstimmen. Dort heißt es -- ich will es wörtlich zitieren, damit nicht wieder gesagt wird, das stimme aber nicht —:
    Mit Unterstützung und Verständnis ihrer Verbündeten hat die Bundesrepublik Deutschland Gespräche mit der Sowjetunion, Polen und der DDR aufgenommen, um die Lage in Mitteleuropa zu verbessern. Die Bündnispartner erachten dies als ermutigend. Sie geben der Hoffnung Ausdruck, daß diese Gespräche zu Ergebnissen führen und nicht durch unannehmbare Forderungen beeinträchtigt werden.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ein sehr wichtiger Satz!)

    3) — Unannehmbare Forderungen von allen Seiten. —
    Die Bemühungen um die Lösung offener Probleme und um einen Modus vivendi in Deutschland, der den besonderen Verhältnissen der deutschen Lage Rechnung tragen würde, stellen einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit und zur Zusammenarbeit in Europa dar.
    Soweit das Zitat.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Ziffer 4 bitte noch hinzusetzen!)

    Herr Kollege Marx — wenn ich das hier einschalten darf — hat soeben erklärt, das Verhalten der Sowjetunion zu den Problemen der ausgewogenen beiderseitigen Truppenreduzierungen im Anschluß an die Sitzung der NATO in Rom habe bewiesen, daß die Sowjetunion diese Politik, so wie sie von der NATO definiert worden sei, nicht mitzumachen bereit sei.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist unrichtig, Herr Außenminister! Lesen Sie das Protokoll!)

    — Kein Entgegenkommen in diesem Punkt gezeigt habe.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ich habe gefragt, oh Sie uns sagen können, ob die Sowjetunion uns nur ein Quant entgegenkommt!)

    -- So ist es, gut. -- Ich will das so beantworten. Sie
    haben gefragt, und Sie haben durch diese Frage,
    Herr Kollege Marx, eben den Eindruck erwecken wollen, als sei das nicht so. Meine Antwort lautet folgendermaßen: Sie werden doch nicht erwarten, daß die Sowjetunion nach der Veröffentlichung der NATO sich den schwierigsten Punkt, der im Kommuniqué enthalten ist, herausgreift, um dort Entgegenkommen zu deklarieren, bevor sie den Gesamtkomplex behandelt, der auch in ihrem Interesse gewisse positive Ansatzpunkte zeigt.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sie meinen die Sicherheitskonferenz!)

    Ich meine jetzt die Konferenz über europäische Sicherheit.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Lesen Sie die „Prawda" !)

    Aber die Tatsache, daß die Sowjetunion auch bereit ist, über Fragen der Truppenreduktion und damit auch der Rüstungsreduktion zu verhandeln, ist doch dadurch bewiesen, daß sie im Bereich der nuklearen Rüstung mit den Vereinigten Staaten seit Wochen und Monaten Gespräche führt und Verhandlungen eingeleitet hat, die von den Vereinigten Staaten als befriedigend bezeichnet werden, von denen die Vereinigten Staaten sagen, daß Fortschritte allmählich sichtbar werden.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Meinen Sie die Wiener Gespräche?)

    Ich meine die SALT-Gespräche.

    (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Das ist doch nicht Truppenreduktion in Europa!)

    — Aber das ist der gleiche Komplex, Herr Kollege. -- Man muß die Geduld aufbringen, in diesen schwierigen Fragen einmal die Eröffnung von Verhandlungen abzuwarten, und man muß sie mit Härte und Festigkeit und mit Zähigkeit immer wieder vertreten und fordern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. Zuruf des Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern].)

    Lassen Sie mich zu diesem Komplex, der hier nur angereichert wurde durch die Verwertung der von Herrn Marx vorgetragenen Gesichtspunkte, abschließend folgendes sagen: Es hat bisher keine deutsche Regierung für ihre Ostpolitik eine so klare und einhellige Unterstützung im Westen gefunden. Daß dies so ist, erklärt sich aus der seit Bestehen der Bundesrepublik kontinuierlich verfolgten Europa- und Bündnispolitik, die von dieser Regierung energisch fortgesetzt wird; das ist ja die Kontinuität unserer Politik. Dieser Zusammenhang zwischen Osteuropapolitik und Bündnis- und Europapolitik wird von denen nicht gesehen, die meinen, unsere Ostpolitik gehe zu Lasten unserer Westpolitik. Genau das Gegenteil ist der Fall.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Diese Bundesregierung hat in der europäischen Einigung von Anfang an eine vordringliche Aufgabe gesehen und nie Zweifel daran gelassen, daß der Fortschritt auf diesem Wege zugleich eine Voraussetzung für eine aktive Politik gegenüber unseren östlichen Nachbarn ist. Sie hat in ihrer Europa-

    Bundesminister Scheel
    politik Erfolge erzielt, die man sich noch vor einem Jahr nicht hätte träumen lassen. Dabei will ich hier einschalten — der intellektuellen Redlichkeit halber ---, daß diese Erfolge nicht nur auf die Aktivität der Bundesregierung zurückzuführen sind, sondern auch darauf, daß bei unseren Partnern Veränderungen vor sich gegangen sind. Wer in diesem Hohen Hause hatte damals zu hoffen gewagt, daß wir uns heute mitten in konkreten Beratungen über den Aufbau einer Wirtschafts- und Währungsunion befinden würden und daß am 30. Juni dieses Jahres, d. h. in zwei Wochen, die Beitrittsverhandlungen mit Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Irland eröffnet würden. Das ist aber noch nicht alles. Wir haben auch auf dem so wichtigen Gebiet der politischen Zusammenarbeit einen neuen Beginn gesetzt und substantielle Fortschritte gemacht.
    Welche sind nun unsere Ziele und welche sind unsere Methoden? Das Ziel ist die Politische Union Europas.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die wirtschaftliche Einigung allein — diese Auffassung ist von allen Bundesregierungen bisher kontinuierlich vertreten worden — ist für eine dauerhafte Einigung Europas nicht ausreichend. Sie bedarf der Ergänzung im politischen Bereich, und zwar aus einem doppelten Grund. Einmal ist das Ziel, das wir mit der europäischen Integration anstreben, nicht etwa ein wirtschaftlicher Intressenverband, sondern die politische Einheit Europas. Zum anderen ist es kaum vorstellbar, daß die wirtschaftliche Integration, wenn sie, wie wir hoffen, an Intensität zunimmt, ohne zukunftsweisende und langfristig angelegte politische Entscheidungen der Regierungen auskommt. Aus diesen Gründen duldet der Beginn der politischen Zusammenarbeit keinen Aufschub. Wir dürfen jedoch die Augen auch nicht vor der Wirklichkeit verschließen. Aus den enttäuschenden Erfahrungen der Vergangenheit haben wir lernen müssen, daß wir die Probleme Europas der siebziger Jahre nüchtern und realistisch anfassen müssen, wenn wir die von uns allen gleichermaßen angestrebten Fortschritte im europäischen Einigungswerk erreichen wollen.
    In den zurückliegenden Jahren haben wir eine Reihe von Plänen und Projekten erlebt, die an den europäischen Realitäten gescheitert sind. Ich nenne vor allem die Projekte der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, der Europäischen Politischen Gemeinschaft und der Europäischen Union, d. h. des sogenannten Fouchet-Plans. Heute läßt sich wohl objektiv feststellen, daß diese Pläne zu ihrer Zeit sehr ehrgeizig waren. So wünschenswert ihre Verwirklichung auch war: Europa war damals, wie uns die Erfahrung gelehrt hat, dafür einfach noch nicht reif. Die erforderliche Einstimmigkeit für die Verwirklichung all dieser Pläne war nicht zu haben. Ein Insistieren auf idealen Lösungen war und ist zum Scheitern veurteilt. Jeder dieser Fehlschläge aber war zugleich ein Rückschlag für Europa und kostete einen hohen Preis an verlorener Dynamik, Zuversicht und vor allem Zeit.
    Es hat sich also gezeigt, daß man den Erfolg des europäischen Einigungswerks gefährdet, wenn man das Unerreichbare zum Projekt macht. Dessen muß man sich gerade jetzt bewußt sein, in einer Zeit, in der sich die Europapolitik endlich wieder anschickt, sich von den Rückschlägen der letzten fünfziger und der ersten sechziger Jahre zu erholen. Diese Tatsache berücksichtigend, sind wir gemeinsam mit unseren Partnern den Weg des Pragmatismus und des Realismus gegangen, den Weg des Ausgleichs, der zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen, mit dem festen Willen, das Ziel eines geeinten Europas mit Geduld, aber unbeirrbar weiterzuverfolgen, in jedem Augenblick das jeweils Mögliche anzupacken und es energisch vorwärtszutreiben.
    Bei den Arbeiten, die gegenwärtig unter den Sechs im Gange sind, handelt es sich darum, zunächst einen wirkungsvollen Mechanismus für qualifizierte Konsultationen zu erarbeiten, die über die gegenseitige Berücksichtigung, Abstimmung und Annäherung der Standpunkte bis zur Formulierung gemeinsamer Auffassungen und schließlich zum gemeinsamen Handeln führen. Diese politische Zusammenarbeit soll entwicklungsfähig sein im Sinne einer sich stufenweise verdichtenden Einigung. Bei dem Verfahren, das wir im Auge haben, wird bewußt darauf verzichtet, die weiteren Etappen heute schon im einzelnen festzulegen. Wir sehen die europäische Einigung als einen dynamischen Entwicklungsprozeß, der ein ständiger Gegenstand des politischen Gesprächs unter den Beteiligten sein muß. Das politische Europa wird damit, um den Außenminister eines benachbarten Landes einmal zu zitieren, zur „création continue, zum Gegenstand einer ständigen schöpferischen Aktion.
    Meine Damen und Herren, ich will hier nicht vortragen, was in der Beantwortung der Großen Anfrage schon gesagt ist. Ich will nur noch ein paar Bemerkungen zur Westeuropapolitik machen und sie in folgende Thesen fassen.
    Erstens. Was wir in Europa bis jetzt geschaffen haben, ist viel, ist sogar einzigartig. Nirgends sonst. in der Welt gibt es ein solches Ausmaß an Zusammenarbeit und Integration. Die Wirtschafts- und Währungsunion wird die Gemeinschaftsstaaten noch enger zusammenwachsen lassen. Im gesamten Wirtschaftsbereich werden dann Entscheidungen Sache der Gemeinschaft sein, auch auf Gebieten, auf denen uns allen heute noch die nationale Zuständigkeit als selbstverständlich erscheint.
    Zweitens. Auch die Wirtschafts- und Währungsunion ist kein Ziel für sich. Darüber hinausgreifend müssen wir ein umfassendes Programm des inneren Aufbaus der Gemeinschaft entwickeln und verwirklichen, durch das Europa zu einer vorbildlichen Zone des Fortschritts wird.
    Drittens. Europa darf aber nicht nur im Innern, es muß auch nach außen wachsen. Gerade in der heutigen unruhigen und friedlosen Zeit muß es mit einer Stimme sprechen, und dazu bedarf es der Mitwirkung Großbritanniens und der anderen beitrittswilligen Staaten am Werk der europäischen Einigung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundesminister Scheel
    Viertens. Die Entwicklung politischer Solidarität
    ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterführung des europäischen Einigungswerkes und dafür, daß Europa in der Welt den ihm zukommenden Platz einnehmen und seiner Verantwortung gerecht werden kann.
    Fünftens. Unsere Europapolitik folgt dem Prinzip demokratischer Willensbildung und ist ohne parlamentarische Mitwirkung nicht denkbar. Die institutionelle Stellung des Europäischen Parlaments muß sorgfältig auf den jeweiligen Stand der entwickelten Zusammenarbeit abgestimmt werden. In diesen Rahmen gehören auch allgemeine, direkte Wahlen zum Europäischen Parlament, für welche sich die Bundesregierung wie bisher einsetzen wird.
    Sechstens. Europa ist nicht zuletzt eine Herausforderung an die Jugend. Was wir jetzt erarbeiten, soll sie fortführen. Diese Jugend ist vielleicht nüchterner, sie ist jedenfalls kritischer, als wir es gewesen sind. Sie wird Europa nur akzeptieren und seine Einheit vollenden, wenn es mehr wird als ein technokratisches Unternehmen.

    (Abg. Dr. Barzel: Ein guter Satz!)

    Sie fordert -- und wir mit ihr — eine breit angelegte Demokratisierung, die sich nicht in der Übertragung größerer Befugnisse auf das Europäische Parlament allein erschöpft. Wir müssen deshalb an einem Europa, das über unsere Generationen hinausweist, bauen, an einem Europa, in dem gerade auch die Jugend ihre Hoffnungen und Erwartungen verwirklichen und mit dem sie sich identifizieren
    kann.
    Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen. Die Europäische Gemeinschaft versteht sich als eine Ordnung in diesem Teil Europas und zugleich als Baustein einer neuen friedlichen und stabilen Ordnung Gesamteuropas. In diesem Sinne sind die nach Osten und Westen gerichteten Bemühungen der Bundesregierung Elemente einer einzigen, in sich geschlossenen deutschen Außenpolitik. Sie strebt ein befriedetes Europa an, in dem auch Deutschland seinen Platz finden wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)