Rede von
Karl
Moersch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Vielleicht erleichtert es Herrn Stoltenberg nachher seine Darlegungen, wenn ich vorher noch einige Anmerkungen mache.
Nur zur Klarstellung, Herr Dr. Martin: Ich darf also aus der Debatte festhalten, \\daß Sie über die Frage, ob man, wenn man auf der einen Seite Prioritäten festsetze, die sich daraus ergebenden Nachrangigkeiten nicht auch behandeln müsse, nachdenken wollen. Ich halte das für sehr gut. Sie haben die Frage nach dem Dringlichkeitskatalog selbst nicht beantwortet. Da Sie das aber als Anregung betrachten, halte ich es für ein wichtiges Ergebnis, zumindest für Sie.
Zum zweiten möchte ich sagen, daß alle Befürchtungen, die die FDP geäußert hat, nämlich daß die Verfassungsänderungen und Verfassungsergänzungen in sich nicht logisch seien, heute von den Rednern der CDU/CSU geteilt worden sind. In der Tat sind die zusätzlichen Verantwortlichkeiten des Bundes bei der Gestaltung der Finanzreform nicht mit entsprechenden Finanzmitteln kompensiert worden, so daß Schwierigkeiten und Engpässe entstehen, die Sie nicht gesehen haben, weil Sie die Sache nicht als Ganzes betrachtet und nicht zu der klaren Verantwortung gefunden haben, die wir von der FDP damals für den Bund gefordert haben.
Ein Weiteres. Um jeden Zweifel auszuschließen: auch Herr Stoltenberg hat hier meine Ausführungen falsch zitiert. Das will ich zugestehen, das mag hier beim Hören passieren. Ich will noch einmal ganz klar sagen, um was es sich handelt. Es handelt sich darum, daß wir von den zehn Jahren bis 1980 gesprochen haben und daß der Herr Bundeswissenschaftsminister erklären ließ und erklärt hat, daß bis zum Jahre 1980, nach jetzigen Preisen gerechnet, die Bildungsmittel von insgesamt — Bund und Länder — rund 24 Milliarden DM pro Jahr auf 50 Milliarden DM steigen müßten, d. h. eine Verdoppelung der jetzigen Bildungsausgaben bis zum Jahre 1980 notwendig sei, um alle Forderungen, die die Verfassung bezüglich Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit stellt, in einem modernen Bildungssystem einigermaßen erfüllen zu können. Wenn Sie diese Zahl nehmen und dabei die Län- derbelastung insgesamt nehmen — das muß man ja —, dann ist doch klar, daß wir heute Bildungsausgaben haben, die sich im Verhältnis zum Sozialetat und im Verhältnis zum Verteidigungsetat etwa wie 1 : 1 : 1 verhalten — grob gesprochen, der Verteidigungsetat ist etwas geringer, der Sozialetat etwas höher, als der Bildungsetat bei Bund und Ländern im Augenblick ist. Wenn Sie aber die Verdoppelung des Bildungsetats bis zum Jahre 1980 in der Relation zu den beiden anderen Etats für notwendig halten, ergibt sich, daß sich dann jedenfalls der Bildungsetat im Verhältnis von etwa 2 : 1 : 1 zum Verteidigungs- und Sozialetat verhalten könnte. Gewisse Abweichungen sollen da nicht im einzelnen untersucht werden. Das heißt doch, daß die relative Zuwachsrate im Verteidigungs- und im Sozialbereich — das sind nämlich die großen Blöcke neben dem Bildungsetat — geringer sein muß als die Gesamtzuwachsrate der Steuereinnahmen und daß die relative Zuwachsrate bei den Bildungsausgaben entsprechend höher sein muß, daß hier also eine Verschiebung in der Tendenz stattfinden muß. Ich habe gesagt, daß eine wirkliche grundlegende Veränderung in den Prioritäten, wenn ich den Verteidigungsetat betrachte, für mich voraussetzt, daß eine außenpolitische Entlastung eintritt, die dann wirklich erhebliche Umschichtungen auf einmal ermöglicht.
'Deswegen hat ja die Bundesregierung gerade die Außenpolitik an die Spitze ihrer Bemühungen gestellt, um die inneren Reformen zu erleichtern. Nicht, daß man diese Reformen nicht beginnen könnte, wenn man anderwärts nicht erfolgreich wäre, aber ,daß man die inneren Reformen wirklich erfolgreich durchsetzen kann, wenn man außenpolitisch ,die Friedenssicherung so betreibt, daß man sich hierdurch entlastet, ist doch keine Frage. Daß die CDU/CSU sich offensichtlich über diese Zusammenhänge noch nicht genügend im klaren war, hat die Debatte heute gezeigt. Insofern ist die Debatte wirklich nützlich. Ich sehe ein, daß solche Klärung in einer großen Fraktion eine besondere Schwierigkeit ist, aber ich möchte Ihnen einfach vorschlagen, daß Sie sich in Ihrer Fraktion einmal von Sparte zu Sparte darüber unterhalten, was Ihnen nun wirklich wichtig ist, und das Sie Ihren Kollegen einmal erklären, was „Priorität" heißt.
Das ist doch das 'Problem, was offensichtlich nicht überall verstanden wird, denn wenn ich eine Sache für die wichtigste erkläre, können ja alle anderen Dinge nur weniger wichtig sein. Das schreibt die 'deutsche Sprache zwingend vor. Da wir von Bildung sprechen, halte ich das für einen wesentlichen Beitrag zur Klärung der Begriffe.
2352 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 45. Sitzung. Borin, Mittwoch, den 22. April 1970