Rede:
ID0602323300

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 12
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Borm.: 1
    7. Für: 1
    8. ihn: 1
    9. sind: 1
    10. 25: 1
    11. Minuten: 1
    12. angemeldet.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 23. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 Inhalt: Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über. die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland (Drucksache VI/223) Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 851 A Mischnick (FDP) 860 C Wehner (SPD) 866 A Dr. Gradl (CDU/CSU) 874 D Frau Funcke, Vizepräsident (zur GO) 877 D, 882 B Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . . 878 A Mertes (FDP) (zur GO) 878 C Wienand (SPD) (zur GO) . . . 879 D Dr. Wörner (CDU/CSU) (zur GO) . 879 C Schulte (Unna) (SPD) (zur GO) . 879 D Ollesch (FDP) (zur GO) 880 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) (zur GO) 880 D Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) (zur GO) 880 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) (zur GO) 881 B Collet (SPD) (zur GO) 881 D Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 882 A Fragestunde (Drucksachen VI/222, VI/239) Frage des Abg. Buchstaller: Pressemeldungen über Rücktrittsdrohungen der führenden Generale des Heeres Schmidt, Bundesminister . 882 D, 883 C, D, 884 A, B, C, D, 885 C Buchstaller (SPD) 883 B Dr. Althammer (CDU/CSU) 883 D, 884 A Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . . 884 B Josten (CDU/CSU) 884 C, D Horn (SPD) 885 A Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 885 A, B, C, D Möhring (SPD) . . . . . . . 885 B Dr. Bußmann (SPD) 885 B, C Fragen des Abg. Hussing: Berufung Professor Grzimeks zur Beratung der Bundesregierung in Fragen des Tier-, Natur- und Landschaftsschutzes Dr. Ehmke, Bundesminister . . . . 886 A II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 Frage des Abg. Reddemann: Pressemeldung über den Abschluß eines Vertrages mit der CSSR ohne Berlin-Klausel Dr. Ehmke, Bundesminister . . 886 B, C, D, 887 A Reddemann (CDU/CSU) . . . . . 886 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 886 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 886 D, 887 A Damm (CDU/CSU) . . . . . . . 887 A Fragen der Abg. Dr. Klepsch und Damm: Veröffentlichung des Textes eines Abkommens mit Prag über die Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Menschenversuche Dr. Ehmke, Bundesminister . , 887 B, C, D, 888 A, B Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . 887 B, C Leicht (CDU/CSU) . . . 887 C, 888 A Wehner (SPD) . . . . . . . . 887 D Dr. Czaja (CDU/CSU) 888 B Frage des Abg. Müller (Remscheid) : Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Frage der Berufsunfähigkeitsrente Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 888 C, 889 A, B Müller (Remscheid) (CDU/CSU) . . 889 A Dr. Götz (CDU/CSU) 889 B Frage des Abg. Folger: Maßnahmen der Bundesregierung gegen den Arbeitskräftehandel Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 889 C Fragen des Abg. Dr. Czaja: Fortführung der Frauen-Enquete in bezug auf die heimatvertriebenen und geflüchteten Frauen Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär 890 A, B Dr. Czaja (CDU/CSU) 890 B Frage des Abg. Müller (Remscheid) : Aufnahme des Besuchs von höheren Wirtschaftsfachschulen in das Förderungsprogramm der Bundesanstalt für Arbeit Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 890 C, D Müller (Remscheid) (CDU/CSU) . . 890 D Frage des Abg. Dr. Müller (München) : Finanzierung des Neubaues von Studentenheimen Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 891 B, C Dr. Müller (München) (SPD) . 891 B, C Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen: Schwierigkeiten in der ärztlichen Notversorgung an Festtagen 891 C Frage des Abg. Leicht: Gewinnung von zahlreicherem Nachwuchs für die Pflegeberufe Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 891 D, 892 B Leicht (CDU/CSU) 892 A Fragen des Abg. Köster: Maßnahmen der Bundesregierung zur Verwirklichung des Europäischen Jugendwerkes — Durchführung eines europäischen Jugendkongresses Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 892 B, C, D, 893 A Köster (CDU/CSU) . . . . . . 892 C, D Fragen des Abg. Jung: Internationaler Erfahrungsaustausch über die Bekämpfung von Grippeepidemien und Schaffung der wissenschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen dafür Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 893 A, B, C, D Jung (FDP) . . . . . . . 893 C, D Bäuerle (SPD) . . . . . . . 893 D Frage des Abg. Burger: Ausbildung von Bewerbern für den Krankenpflegeberuf nach Vollendung des 16. Lebensjahres Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 894 A, C Burger (CDU/CSU) 894 B Frage des Abg. Burger: Neuordnung der hierarchischen Ordnung in den Krankenhäusern Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 894 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 III Frage des Abg. Dr. Riedl (München) : Vorwürfe gegen die Ärzteschaft im Zusammenhang mit der letzten Grippewelle Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 895 A, B Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . . 895 B Fortsetzung der Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland (Drucksache VI/223) Rasner (CDU/CSU) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 895 B Schulte (Unna) (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 895 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident (zur GO) . . . 895 C Franke, Bundesminister 895 D Strauß (CDU/CSU) . . . . . . 899 A Brandt, Bundeskanzler . . . 906 D, 924 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 909 A Scheel, Bundesminister 914 B Borm (FDP) 918 C Dr. Bach (CDU/CSU) 923 A von Hassel, Präsident (zur GO) . 924 B Dr. Dahrendorf (FDP) 925 A Nächste Sitzung 927 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 851 23. Sitzung Bonn, den 15. Januar 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 16. 1. Dr. Aigner * 16. 1. von Alten-Nordheim 16. 1. Dr. Bayerl 31. 1. Biechele 23. 1. Dr. Birrenbach 16. 1. Frau Dr. Elsner* 16. 1. Dr. Franz 16. 1. Frehsee 16. 1. Dr. Gatzen 16. 1. Gewandt 16. 1. Dr. Giulini 16. 1. Glombig 16. 1. Dr. Haas 31. 1. Haehser 16. 1. Frau Dr. Henze 31. 1. Dr. Huys 23. 1. Dr. Jungmann 16. 1. Krammig 17. 1. Lücke (Bensberg) 16. 1-. Lücker (München) 16. 1. Michels 16. 1. Dr. Prassler 16. 1. Rawe 15. 1. Riedel (Frankfurt) * 15. 1. Röhner 16. 1. Schirmer 31. 1. Dr. Schulz (Berlin) 16. 1. Struve 17. 1. Dr. Warnke 16. 1. Weigl 16. 1. Winkelheide 31. 1. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Die Gipfelkonferenz in Den Haag, meine Damen und Herren, hat nicht zuletzt durch unseren Beitrag die Perspektive der Europäischen Gemeinschaft erweitert und Großbritannien Europa nähergebracht. Wir sind in das Endstadium des Gemeinsamen Marktes eingetreten und in zähen Bemühungen daran gegangen, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu verwirklichen. Die politische Zusammenarbeit im Westen hat nicht zuletzt auch durch unsere eigene Initiative neue konstruktive Impulse erhalten. Die NATO-Ratstagung ermöglichte eine politische Abstimmung über alle aktuellen Fragen des Bündnisses, gerade und im besonderen auch im Hinblick auf die osteuropäische Möglichkeit. Die politische Abstimmung im europäischen Rahmen wurde durch die WEU-Tagung, die jüngst stattfand, neu belebt und auf eine überschaubare Zukunft hin orientiert.
    Meine Damen und Herren, wir haben die Fülle von bilateralen und multilateralen Konsultationen intensiv genutzt, um allen unseren Partnern offen darzulegen, worum es uns bei unserer Europapolitik geht. Ich darf Ihnen versichern, daß alle Initiativen der Bundesregierung von unseren Verbündeten mit Sympathie und Verständnis begrüßt werden. Diese Bundesregierung weiß sich in ihren Schritten zur Regelung ihres Verhältnisses zu den osteuropäischen Ländern und zur Entkrampfung der innerdeutschen Beziehungen von der Unterstützung durch ihre Freunde getragen. Gerade deshalb sehen wir uns in der Lage, auch in der Osteuropapolitik selbstbewußt vorzugehen.
    Sie dürfen mir glauben, meine Damen und Herren, daß ich nicht zuletzt deshalb so wenig von Wintersonne gebräunt hier vor Ihnen stehe, weil ich in all diesen Wochen fast pausenlos unterwegs gewesen bin, um meinen westlichen Kollegen minuziös zu erklären, was die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern in der Ostpolitik nun eigentlich zu tun beabsichtigt.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Das tun Sie jetzt aber bitte auch bei uns, minuziös!)

    — Ja. Wir sind, meine Kollegen, keine Wanderer
    zwischen zwei Welten, hat der Bundeskanzler ge-



    Bundesminister Scheel
    stern hier gesagt. Schon die Regierungserklärung vom 28. Oktober des letzten Jahres machte deutlich, daß wir unsere Osteuropapolitik auf der festen Einbettung in die westlichen Bündnisse und Verträge aufbauen. Von daher verstand sich wohl unsere Haltung zu den etwas abenteuerlichen Vorschlägen, die wir aus der DDR-Presse und von Politikern gehört haben, wir sollten die Verträge mit unseren westlichen Partnern auflösen. Wir werden, meine verehrten Damen und Herren — darauf können Sie sich verlassen —, unser Bündnis mit unseren Partnern nicht auflösen und nicht lockern, sondern wir werden es so pflegen, wie das nötig ist, wenn man eine Politik treiben will, die wir in unserer Regierungserklärung angekündigt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, morgen werde ich meinen französischen Kollegen hier in Bonn treffen, um auch mit ihm die aktuellen Fragen wieder einmal zu besprechen. Ich meine, dem deutschfranzösischen Verhältnis kommt eine ganz besondere Bedeutung im Rahmen unserer Osteuropapolitik zu. Wir werden die Möglichkeiten des deutsch-französischen Vertrages im Hinblick auf die Koordinierung unserer europäischen Entspannungsbemühungen — ich meine, der der Franzosen und unserer eigenen — voll und ganz ausschöpfen; denn gerade mit Frankreich ergeben sich ja Parallelen dieser Politik wie mit kaum einem anderen Partner, weil Frankreich genau wie uns an einer Entspannung in Europa aus eigenem Interesse und aus europäischem Interesse gelegen ist.
    Von dieser Grundlage der westlichen Einigkeit aus beginnen wir den umfassenden Dialog mit dem Osten. Vom Verlauf dieses Dialogs wird es abhängen, ob er zu politischen Vereinbarungen führen wird und führen kann. Die Moskauer Konferenz der Warschauer-Pakt-Staaten vom 3. und 4. Dezember fand ja bemerkenswert sachliche Worte über die neue Bundesregierung und ihre ersten politischen Entscheidungen.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das hat sich seitdem schon geändert!)

    — Ja, ich komme darauf. Dies darf auch gar nicht darüber täuschen, Herr Kollege Stoltenberg, daß die flexiblere Form des Abschlußkommuniqués dieser Konferenz extreme Forderungen an uns zwar überdecken mag, sie aber nicht ausschließt. Daß sie nicht ausgeschlossen sind, haben wir ja in jüngster Zeit wieder gesehen. Wir haben auch nicht erwartet, daß sie ausgeschlossen sein würden. Aber in der Diskussion und in manchen Fragen wurde deutlich, wie merkwürdig schillernd im Augenblick die Diktion der Sowjetpolitik ist, wie merkwürdig vielgestaltig sie sich zeigt. Auf Grund dieser Erkenntnis wird bei dem einen oder anderen Resignation aufkommen. Darin liegen natürlich auch Möglichkeiten der Politik.
    Immerhin — das darf man wohl sagen — spielen Vorbedingungen für die Entwicklung der Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern auf der einen Seite und der Bundesrepublik Deutschland auf der anderen Seite zunächst nicht mehr die von
    früher bekannte prohibitive Rolle für die Eröffnung eines Gesprächs. Wir werden und müssen also unsere Politik ständig pari passu gegenüber der Sowjetunion, gegenüber den anderen Staaten des Warschauer Paktes und gegenüber der DDR weiterentwickeln. Die Koordinierung dieser drei Ebenen ist ein sehr komplexes Unterfangen, das ohne Schwierigkeiten und ohne Friktionen möglicherweise gar nicht zu bewerkstelligen ist. Doch der Weg zu konkreten Ergebnissen muß unweigerlich über eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen führen, und wir müssen auf diesem Wege praktisch und auch pragmatisch vorgehen.
    Angesichts der unbestreitbaren multilateralen Koordinierung auf beiden Seiten und im Hinblick auf die angestrebte europäische Sicherheitskonferenz ist dies alles andere als ein einfaches Unternehmen. Gespräche über einen gegenseitigen Gewaltverzicht sind für uns der Ausgangspunkt zur Diskussion zahlreicher spezifischer Probleme, die zwischen uns und den verschiedenen Ländern Osteuropas bestehen. Diese Probleme sind so unterschiedlicher Art, daß ihre Lösung auf multilateraler Ebene, etwa auf der so viel diskutierten europäischen Sicherheitskonferenz, kaum realisierbar erscheint.
    Es gibt solche Probleme zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei, es gibt sie in verstärktem Maße im Bereich der innerdeutschen Beziehungen, es gibt sie zwischen der Bundesrepublik und Polen. Wir können es deshalb nur begrüßen, daß das Prinzip der Bilateralität, in dem ja auch enthalten ist, daß wir nicht überall gleich weit und gleich rasch vorankommen, von der Sowjetunion akzeptiert ist. Wir verhandeln mit Moskau als Deutsche in Westeuropa, nicht als ein deutscher Nationalstaat, der bei günstigen Bedingungen das Lager wechseln könnte.
    Wir haben zur Kenntnis genommen, daß die Tschechoslowakei und Ungarn an einer Verbesserung der Beziehungen zu uns interessiert sind. Wir werden hierbei die sich bietenden Möglichkeiten sorgfältig prüfen und zu gegebener Zeit von uns aus möglicherweise Gesprächsvorschläge machen.
    Die politischen Gespräche mit der Volksrepublik Polen stehen unmittelbar bevor. Beide Seiten haben die Bereitschaft bekundet, über alle Fragen zu sprechen, die zwischen beiden Ländern einer Regelung bedürfen. Beide Seiten wissen, daß eine Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen nur im Verlauf eines längeren Prozesses zu erreichen sein wird. Das Ergebnis der schon seit Monaten laufenden Verhandlungen über den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen, bei denen es auch um industrielle und technische Kooperation und um die Gewährung von Krediten geht, wird ebenfalls Teil dieses Prozesses sein. Die so außerordentlich bedeutsamen politischen Gespräche mit Polen können nicht mit schönen Unverbindlichkeiten eingeleitet werden. Es gibt manche Fragen, über die gesprochen werden muß. Doch von Anfang an wird man auch darüber reden müssen, wie eine Formel des guten Willens gefunden werden kann, ich meine: man wird über die Oder-Neiße-Linie sprechen müssen.



    Bundesminister Scheel
    Wir sind fest entschlossen, unseren guten Willen so unzweideutig zum Ausdruck zu bringen, wie es die rechtlichen und politischen Gegebenheiten irgend gestatten. Wir hoffen, daß auch auf der anderen Seite guter Wille vorhanden ist, damit eine Antwort in dieser so schwierigen Frage gefunden wird, die von beiden Seiten gleichermaßen akzeptiert werden kann.
    Die verschiedenen bilateralen Gewaltsverzichtsverhandlungen sind eng mit den Bemühungen der drei westlichen Verbündeten koordiniert, eine Verbesserung des Status von West-Berlin zu erreichen. In diesem Zusammenhang sind die jüngsten Äußerungen der sowjetischen Regierung aufschlußreich und keineswegs entmutigend, wenn auch für die Eröffnung der Verhandlungen noch kein fixes Datum in Aussicht genommen worden ist.
    Unabhängig von den bilateralen Fragen gibt es im Verhältnis zum Osten zweifellos auch multilaterale Probleme. Die Debatte über die europäische Sicherheitskonferenz dauert unverändert an. Unsere Einstellung gegenüber dem Vorschlag einer solchen Konferenz ist im Grundsatz bekanntlich positiv. Dennoch ist es bei dem bisherigen Stand der Diskussion angebracht, Skepsis zu bewahren. Auch darin stimmen wir mit unseren Verbündeten überein. Sicher ist, daß die Tagesordnung einer solchen Konferenz keinesfalls auf Fragen der wirtschaftlichen Kooperation beschränkt bleiben kann. Auf dieser Konferenz darf das Thema „Sicherheit" mit allen seinen Aspekten nicht ausgeklammert werden. Die Sowjetunion spricht in jüngster Zeit nicht mehr von einer europäischen Sicherheitskonferenz, sondern von einer gesamteuropäischen Konfernz. Sie spricht auch sehr viel von wirtschaftlicher Zusammenarbeit und ihrer Notwendigkeit.

    (Abg. Blumenfeld: Hat Sie das überrascht?)

    — Herr Kollege Blumenfeld, ich bin durch nichts zu überraschen. Ich prüfe nur all das, was ich sehe und höre.
    Ich wiederhole noch einmal: wir meinen, daß das Thema „Sicherheit" besprochen werden muß. Das bedeutet, daß dort Gespräche geführt werden müssen, die zwei Sicherheitssysteme angehen. Über die Sicherheit kann man nicht bilateral verhandeln; die Sicherheitssysteme müssen miteinander sprechen können. Die Bundesregierung wird in enger Zusammenarbeit mit ihren Partnern eigene Vorschläge für die Tagesordnung einer europäischen Sicherheitskonferenz, wie ich sie immer wieder nennen möchte, entwickeln und zu gegebener Zeit vorlegen.
    Aus der sowjetischen Sicht des Sicherheitsproblems ergibt sich für uns selbstverständlich auch, daß wir nicht darauf ausgehen können, die vorhandene Solidarität im Warschauer Pakt zu zersetzen oder einen osteuropäischen Partner gegen den anderen auszuspielen. Ratschläge dieser Art, die man gelegentlich schon einmal hört, sind einfach illusionär und unrealistisch. Wenn es richtig ist, daß multilaterale Sicherheitsfragen mit Aussicht auf Erfolg nur auf einer multilateralen Sicherheitskonferenz in Angriff genommen werden können, so ist es zugleich auch richtig, daß die Vorklärung und möglichst weitgehende Lösung bilateraler Probleme die Erfolgsaussichten einer solchen Konferenz wesentlich verbessern würden. Den bilateralen Bemühungen kommt also eine besondere und große Bedeutung zu. Sie müssen auch von beiden Seiten im Wissen darum entwickelt werden, daß eine erfolglose europäische Sicherheitskonferenz schlimmer wäre als gar keine Sicherheitskonferenz.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, wenn wir auf eine sorgfältige Vorbereitung einer solchen Konferenz drängen, tun wir das nicht etwa, um damit, wie man manchmal sagt, Vorbedingungen zu stellen, sondern wir möchten die sachliche Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Konferenz schaffen. Eine europäische Sicherheitskonferenz — das ist für uns völlig klar — darf keinesfalls den Status quo in seiner für uns Deutschen so unerträglichen Auswirkung blindlings festschreiben. Das muß gerade in dieser Debatte betont werden, weil ja nicht zu übersehen ist, daß die DDR an einer solchen Konferenz teilnehmen würde.
    Wir leugnen nicht, daß die DDR ein zweiter Staat in Deutschland ist. Ich bin froh, daß Carlo Schmid so bedachtsame Worte über dieses Problem hier gefunden hat. Die Feststellung, daß das so ist, hat zweifellos Konsequenzen in dritten Ländern. Zu diesen Konsequenzen ist von Herrn Dr. Kiesinger heute vormittag eine Frage gestellt worden. Ich darf bei dieser Gelegenheit daran erinnern, meine Kollegen, daß eben diese Frage und ihre Behandlung durch unsere Diplomatie mir die zweifelhafte Ehre eingebracht hat, eine ganze Seite im „Neuen Deutschland" zu füllen, wo ich jetzt immerhin als Alleinvertretungs-Buhmann groß herausgestellt werde.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Eine beachtliche Entwicklung !) .

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Haltung der Bundesregierung zu diesem Punkt deutlich machen! Unsere These mag auf den ersten Blick sogar etwas kompliziert sein; man darf uns dennoch an dieser These messen. Wer draußen in der Welt das deutsche Problem versteht, der wird eine vernünftige Regelung der innerdeutschen Beziehungen wollen und wollen müssen. Wir versuchen, eine vernünftige vertragliche Regelung im Interesse des Friedens in Europa zu 'erreichen. Dieser ehrliche Versuch sollte von außen nicht gestört werden. Das ist die These.
    Diesem Prinzip liegt eine saubere politische Moral zugrunde. Es enthält zudem ein dynamisches Element, insofern nämlich, als es die internationale Respektierung der DDR von Idem Maß an Einsicht abhängig macht, das die Regierenden in Ostberlin für den Wunsch der europäischen Völker nach friedlicher Annäherung und für die Bedürfnisse der Menschen in Deutschland an den Tag legen. Alle sind daran interessiert, daß in Europa ein dauerhafter Friede herrscht. Das Verhältnis der beiden Teile Deutschlands list der Schlüssel für einen solchen europäischen Frieden. Die Welt wird die DDR danach beurteilen, ob sie im Verhältnis zur Bundesrepublik Vernunft und Mäßigung zeigt und dadurch



    Bundesminister Scheel
    die Verwirklichung einer europäischen Friedensordnung fördert oder nicht.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, wir sind weit gegangen, um unseren Verständigungswillen auch gegenüber dem anderen Teil Deutschlands darzutun. Wir haben von der Existenz der DDR als eines zweiten Staates innerhalb einer deutschen Nation gesprochen. Wir haben diesem Staat erneut gleichberechtigte Verhandlungen angeboten, die zu bindenden Abmachungen führen sollen. Doch wir werden kompromißlos darauf bestehen, daß beide deutschen Staaten die deutsche Nation bilden und die langfristige Option auf die nationale Einheit in einem friedlich geordneten Europa nicht aufgeben dürfen. Nun mag man sich um Worte streiten: ob das jetzt „nationale Einheit" oder „staatliche Einheit" heißt. Wenn man sagt: „die staatliche Einheit", wird das ja wieder relativiert, wenn man erkennen muß, daß es in unserer Zeit nicht nationalstaatliche Lösungen geben kann, sondern vielleicht nur andere Lösungen. Ich glaube, hier sollte man keinen Streit um Worte führen, sondern hier sollte man allein auf die Sache sehen.
    Meine Damen und Herren! Innerdeutsche Politik und Außenpolitik sind auf das sorgfältigste miteinander koordiniert. Sie bilden eine einheitliche Politik der konzertierten Initiativen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die oft besorgt gestellte Frage nach dem Risiko. Natürlich kann da oder dort die eine oder andere Initiative der Bundesregierung erfolglos bleiben. Wer sollte das denn ausschließen? Das, meine Damen und Herren, ist in unserem nüchternen und wirklich nicht von Illusionen genährten Konzept mit eingeschlossen. Wenn unsere Initiativen erfolgreich sind, werden sie dazu beitragen, eine europäische Ordnung zu schaffen, in der sich auch die beiden deutschen Teile einander annähern können. Sollten sie ohne Erfolg bleiben, hinterlassen sie ohne Zweifel ein gestärktes westliches Bündnis, das für alle Welt sichtbar vom Willen zur friedlichen Ordnung auch zwischen Völkern konträrer Gesellschaftsstruktur getragen ist.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren! Die Politik der Bundesregierung ist eine Politik der Aufrichtigkeit und der Ehrlichkeit gegenüber allen. Unabhängig davon, in welchem Maße sich die gleiche Ehrlichkeit auch bei denen manifestiert, mit denen wir es international zu tun haben, kann sie unsere Stellung in der Welt moralisch und politisch nur festigen. Die Beweisführung ist nicht mit Worten zu erbringen. Sie liegt in der nahen und in der ferneren Zukunft beschlossen.
    „Politik muß auch die Fähigkeit haben, Entwicklungen abwarten zu können,

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    allerdings zum Ablauf dieser Entwicklungen dann etwas beizutragen". Dieser letzte Satz

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das ist eine neue Erkenntnis!)

    — der Verfasser erkennt ihn nicht wieder — wurde kürzlich von einem prominenten Oppositionspolitiker, der ihn offenbar nicht wiedererkannt hat, an die Adresse der Bundesregierung gerichtet. Meine Damen und Herren, ich darf diesen Satz hiermit als ein goldenes Wort für eine konstruktive Oppositionspolitik zurückgeben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Borm. Für ihn sind 25 Minuten angemeldet.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. William Borm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute bereits einmal gesagt worden: Gesamtdeutsche Politik oder die Betrachtung über die Lage der Nation läßt kein Gebiet unberührt. Auch die Methode, mit der wir hier diese Debatte führen, zeigt, wie vielschichtig das Thema ist. Wir haben grundsätzliche Erwägungen gehört, die sehr lehrreich waren und denen man, wie etwa den Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß, durchaus ein. hohes Maß von Überzeugungskraft beimessen kann. Wir haben auch über die Praxis geredet. Gerade diese Verbindung von Theorie, großen Übersichten und Praxis ist doch das, was das Wesen der Politik ausmacht.
    Herr Kollege Strauß, ich teile beispielsweise Ihre Beurteilung der Beweggründe und der Praktiken der Sowjetunion durchaus in weitem Maße. Ich teile auch Ihre Ansicht, daß Bundeskanzler Adenauer seinerzeit seinen Entschluß, den Vorschlag der Sowjetunion von 1952 zurückzuweisen, in bester Überzeugung mit den Gründen, die Sie vorgetragen haben, vor sich selbst motiviert hat. Aber damit ist noch nicht gesagt — darum geht es, meine Damen und Herren —, ob diese Entscheidung damals richtig war. Es ist auch noch gar nichts darüber ausgesagt, ob sich diese Entscheidung zum Wohle unseres Volkes ausgewirkt hat. Darüber wollen wir einige Worte reden.
    Eines hat bereits auch diese Debatte heute gezeigt: Die Widerstände gegen den Versuch einer neuen, aktiven und dynamischen Deutschlandpolitik des Dialogs und der Verständigung sind hartnäckig. Sie sind hartnäckig nicht nur in der DDR, sondern hartnäckig auch bei uns, vielleicht aus einer ideologisch oder aus sonstigen Gründen verursachten verkrusteten Position heraus.
    Zur Praxis! Bereits in der Regierungserklärung hat die neue Bundesregierung ausgesprochen, daß es auf deutschem Boden derzeit in der Tat zwei deutsche Staaten gibt. So ist es, und das ist das Fundament, auf dem konsequenterweise weiter gebaut werden muß, wenn wir Fortschritte für unser deutsches Volk machen wollen. Ob es uns paßt oder nicht, aber es ist nun einmal die Realität.
    Wenn es zwei Staaten gibt, dann ist doch die Frage berechtigt, ob nach 25 Jahren Trennung — einer nicht ohne unsere Mitschuld erfolgten Trennung der Nation — diese Nation überhaupt noch existiert, ob sie noch existiert im Bewußtsein der Bürger der DDR und der Bürger der Bundesrepublik, und zwar ob sie deckungsgleich in der Auffassung



    Borm
    existiert. Diese Frage ist nach 25 Jahren doch durchaus am Platze.
    Wir haben uns auch zu fragen, ob es noch Kräfte gibt — auch emotionale Kräfte — und ob es noch einen Willen gibt, der einzusetzen ist für die Lösung der deutschen Probleme, die uns so am Herzen liegen als unser spezifischer Beitrag zur Beendigung der europäischen Krisensituation. Wir haben uns weiter zu fragen, ob wir uns immer bewußt sind, daß unser Problem der geteilten Nation weit über unser eigenes Volk hinausgreift. Denn es ist gewissermaßen auch so — wenn wir unsere Aufgabe richtig fassen —: es ist der Testfall für die Möglichkeiten nicht nur des Zusammenlebens, sondern auch des Zusammenarbeitens von Teilen, die ideologisch unter fundamental verschiedenen Lebensformen leben.
    Wir wollen versuchen, ohne Ressentiment, ohne Schärfe eine nüchterne Bilanz der bisherigen Deutschlandpolitik aufzumachen. Es scheint gerade nach dem Regierungswechsel jetzt an der Zeit, die Entscheidungen der Vergangenheit, nachdem ihre Auswirkungen für unser Volk sichtbar geworden sind, zu werten und für die Zukunft nutzbar zu machen. Außerdem werden dann auch gewisse Dinge klargestellt, wer für etwas geradezustehen hat, ohne daß wir von Schuld und Sühne sprechen wollen. Wir wollen nur hoffen, daß es nicht wieder zur Diffamierung derjenigen kommt, die, getrieben von wirklicher Sorge um unsere Nation, nach neuen Ansatzpunkten und nach neuen Möglichkeiten suchten.
    Konrad Adenauer hat — wir wissen es alle — lange Zeit die Politik betrieben, die man — richtig oder falsch — als Politik der Stärke bezeichnet hat. Er hat sie betrieben, um, wie er sagte — und ihm ist zu glauben, subjektiv zu glauben —, dadurch die Spaltung unserer Nation zu überwinden. Heute steht das Ergebnis fest. Wir sollten uns nicht scheuen, dieses Ergebnis zu nennen: diese Politik hat unsererseits zwangsläufig die Spaltung der Nation nicht beseitigt, sondern sie vertieft. Gerechterweise allerdings muß natürlich daran erinnert werden, daß unsere Alliierten ebenfalls der Meinung waren, diese sogenannte Politik der Stärke sei praktizierbar.
    Aber Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre spätestens war es doch wohl an der Zeit, daß man die Konsequenzen aus diesem sichtbar gewordenen Nicht-Erfolg — ich will nicht sagen „Mißerfolg" — hätte ziehen müssen. Unsere Verbündeten haben es nicht an derartigen Versuchen fehlen lassen. Die damalige Bundesregierung war dazu nicht bereit. Im östlichen Lager wird sichtbar, daß das starre Festhalten der Bundesrepublik an, sagen wir, unhaltbar gewordenen Positionen den Scharfmachern im Osten das Handwerk erheblich erleichtert hat. Die Wechselwirkung ist handgreiflich.
    Gestatten Sie einem Berliner, dafür ein sehr eklatantes Beispiel anzuführen. Als der Bundestag am 19. und 20. Oktober 1955 sich erstmalig in Berlin versammelte, wurde er von der Volkskammer begrüßt. Es hieß — ich zitiere —: „Wir begrüßen es unsererseits, daß die Bundestagsabgeordneten endlich den Weg nach Berlin gefunden haben." Eine Antwort wurde nicht erteilt. Heute werden Bundesregierung und Bundestag aufgefordert, die sogenannten „aggressiven Präsenzen" in Berlin zu unterlassen, und der Regierende Bürgermeister wird ganz offen mit Pressionen bedroht, wenn diese Präsenzen stattfinden. Ich kann das nicht als einen eklatanten Erfolg der Politik der Stärke bezeichnen.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Auch innenpolitisch wurde im Zuge der verfehlten Politik der Stärke ein undifferenzierter und rein emotionaler Antikommunismus und Antibolschewismus vom Prinzip her aufgewärmt, der vielen in ununserem Lande noch heute den Blick für die wahre Situation da drüben und den Blick in die Probleme, die in den kommunistischen Ländern gesellschaftspolitisch und politisch anstehen, verstellt; und es wäre doch sehr gut, sich hierüber klarzuwerden, um beurteilen zu können, welche Wirkungsmöglichkeiten unsere Aktionen haben.
    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich will Sie nicht kränken, aber ich glaube, in einer Stunde wie heute sollte man doch versuchen, einige Dinge sehr klar auszusprechen. Sie haben mit der Duldung dieses sich bildenden Antikommunismus ein Mittel benutzt, das seit 1917 sich nicht gerade sehr gut für unser Volk ausgewirkt hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Na, na! — Hört! Hört!)

    Sie haben damit — natürlich ungewollt — die Position derjenigen erschwert, die endlich heute auch mit der UdSSR und mit dem gesamten Osten in ein normales, in ein gutnachbarliches Verhältnis kommen wollen.
    Dieser undifferenzierte Antikommunismus hat auch dazu geführt, daß im Bewußtsein unseres Volkes nicht die politische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus gesucht worden ist, sondern daß die dringend notwendig gewesene gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit ihm reduziert worden ist auf den Vergleich der Produktionszahlen an Autos und Kühlschränken und den Verbrauch an Luxusnahrungsmitteln und Südfrüchten. Das kommt offenbar nicht an das Problem heran.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    Sie haben sich durch Ihr Schema der Wiedervereinigung, durch die Politik der Postulate und Formeln, die sich inzwischen verselbständigt haben, ohne Erfolge zu bringen, in eine fatale Selbsttäuschung hineingesteigert. Dieses Trugbild über unsere Situation, das in unserem Volk heute noch besteht, ist eine Folge dieser Ihrer eigenen Selbsttäuschung. Sie haben die deutsche Politik daran gehindert, auf die sich ständig verändernden gesellschaftlichen und weltpolitischen Bedingungen elastisch, und was noch wichtiger ist, rechtzeitig zu reagieren. Ihre Formeln haben schon lange keinen Inhalt mehr. Sie haben und wir alle haben mit diesen Formeln den Bau der Berliner Mauer nicht verhindern können. Diese Formeln wirkten in der Drit-



    Borm
    ten Welt als Bumerang. Sie behinderten den beginnenden Dialog zwischen den Weltmächten USA und UdSSR, was man auch sehr deutlich zu verstehen gegeben hat; ich erinnere an 1962, an den Vorgang mit Herrn Grewe. Mit Ihrem Anspruch, der allein kompetente Interpret der westlichen Bündnispolitik in Europa zu sein, lagen Sie bereits zu Beginn der sechziger Jahre quer zur weltpolitisch dringend notwendigen Entspannungspolitik. Sie haben beharrlich versucht, die DDR aus der deutschen Ostpolitik auszuklammern. Sie haben versucht, die UdSSR bei der Gestaltung Ihrer Ostpolitik zu umgehen. Damit haben Sie in Wahrheit das östliche Lager nicht getrennt, sondern — es war sicherlich nicht Ihre Absicht — es verfestigt.
    In der Deutschlandpolitik der Großen Koalition haben Sie die Richtlinienkompetenzen, die dem Bundeskanzler zustehen, voll in Anspruch genommen, und damit wurden die von Ihnen vorher aufgebauten Positionen weiter beibehalten. Dies führte zu einer Politik der nur halben Schritte und keinesfalls aus der Sackgasse heraus.
    Ich darf feststellen, daß in meiner Partei und in der SPD immer klarer jener Prozeß zutage trat, der mit den Gegebenheiten zu rechnen sich bemühte. Ob wir immer richtig gehandelt haben oder handeln werden, weiß keiner; aber bemüht haben wir uns. Was war daraufhin Ihre Antwort? — Sie fanden die bösen Worte von der „Anerkennungspartei", von „Ausverkauf", „Verzichtpolitik", ja sogar von „nationalem Verrat". Die neue Bundesregierung ist jetzt damit konfrontiert, daß man in der Welt vom leidigen „querelle d'allemand" spricht. Sehen Sie denn nicht, daß diese Dinge uns keinen Deut weitergebracht haben? Ist es nicht absurd, daß sich die Bundesregierung, die damals unter Ihrer Führung gestanden hat, in ihren Verhaltensweisen gegenüber der 'dritten Welt und gegenüber den Problemen in der UNO hat davon bestimmen lassen, ob dadurch eventuell die DDR aufgewertet werden würde oder nicht?
    Nun verlangen Sie — und das geht in Zukunft — Gemeinsamkeiten in der Deutschlandpolitik. Das wäre im Prinzip wünschenswert, und wir würden es alle begrüßen. Aber dazu sind denn doch wohl einige Voraussetzungen nötig. Zunächst müssen Sie den Anspruch aufgeben, das alleinige Erfolgsrezept zur Lösung der deutschen Frage in der Hand zu haben. Dann müssen Sie dafür sorgen, daß Ihrerseits nicht die Bundesregierung aufgefordert wird, zur Politik Konrad Adenauers zurückzukehren. Auch müssen Sie zunächst — Sie brauchen es nicht zu tun; aber es ist ein Rat — in Ihrem eigenen Lager Klarheit schaffen; denn die Auslassungen Ihrer Prominenz sind allzu oft widersprüchlich.

    (Abg. Baron von Wrangel: Das müssen ausgerechnet Sie uns sagen, Herr Borm!)

    — Ich kann es Ihnen belegen.
    Ferner darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das, was der Parteivorsitzende der CDU heute von sich gegeben hat, ,die Glaubwürdigkeit seines seinerzeitigen Angebots — als weiland Bundeskanzler — auf Gewaltverzicht erschüttert hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!)

    — Ich werde es Ihnen sagen: Das ist in seiner Glaubwürdigkeit drüben durch die heutigen Ausführungen erschüttert worden. Sie werden es hören.

    (Abg. Kiep: Wo drüben?)

    — Drüben im Ostlager.
    Er sprach im bekannten Ton der Vergangenheit nur von der Zone. Er erklärte heute, Gewaltverzicht mit der UdSSR solle von Moskau her gesehen die Bundesrepublik nur in die Zange nehmen. Er erklärte, die DDR sei kein Partner, sondern sie sei ein Satellit, was dann natürlich auch für alle anderen Ostblockländer gelten muß.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bestreiten Sie das?)

    — Er erklärte das hier, und ich rede von der Glaubwürdigkeit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch!)

    Er wies auch auf das weltrevolutionäre Ziel der UdSSR hin und erklärte, vom Standpunkt der CDU werde kein Tüpfelchen abgenommen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Und dann glauben Sie, daß Sie da drüben mit Ihrem Angebot von Gewaltverzicht ernst genommen werden, und wundern sich, daß darauf nicht eingegangen wird! Ich frage Sie, ob es, wenn das auch heute noch die Meinung der Bundesrepublik wäre, überhaupt noch einen Sinn hätte, in Verhandlungsversuche einzutreten.

    (Abg. Baron von Wrangel: Sie reden an der Sache vorbei, Herr Borm!)

    — Nein, ich rede gar nicht an der Sache vorbei.

    (Abg. Baron von Wrangel: Natürlich!)

    Es gehört nämlich dazu, daß wir uns darüber einmal unterhalten.
    Er sagte, Gemeinsamkeit könne es nur geben, wenn die Bundesregierung die nationalstaatliche Wiedervereinigung als einzig mögliche Lösung ansehe. So hat er gesagt.

    (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Wer hat das gesagt?)

    — Sie können das Protokoll nachlesen.

    (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Das werde ich tun, und ich fürchte, daß Sie sich verhört haben!)

    Unter diesen Umständen werden Sie sehr lange mit sich selbst ringen müssen, bis eine Gemeinsamkeit möglich ist.

    (Abg. Baron von Wrangel: Das muß ausgerechnet die FDP sagen!)

    — Ja, das muß die FDP sagen.
    Aber nun zu etwas anderem. Es war nun einmal notwendig, daß das ausgesprochen wurde. Die Bun-



    Borm
    desregierung hat mit der Drucksache VI/223 ein bezeichnendes Dokument vorgelegt

    (Oh-Rufe von der CDU/CSU)

    — ein bezeichnendes, kennzeichnendes Dokument —,

    (Abg. Leicht: „bezeichnend" ist richtig!)

    das in seinem historischen Teil klar erkennen läßt, daß sowohl von unserer Seite als auch von der anderen Seite her die jeweiligen Vorschläge, die von dieser oder jener Seite gemacht wurden, kategorisch mit einem Nein gekontert wurden. Die Folgen habe ich zu skizieren versucht.,

    (Abg. Baron von Wrangel: Geschichtsklitterung, Herr Borm!)

    — Geschichtsklitterung? Das müssen Sie beweisen.

    (Abg. Baron von Wrangel: Das können wir auch!)

    Was also hat die neue Bundesregierung zu tun? In der Einführung zum Bericht der Bundesregierung steht auf Seite 2:
    Die deutsche Nation ist auf dem Boden Deutschlands in seinen tatsächlichen Grenzen von 1970 in zwei Staaten gegliedert. Hinzu kommt das besondere Besatzungsgebiet Berlin ...
    Diese Feststellung — ich wiederhole es, meine Damen und Herren — bedeutet für die deutsche Politik die Notwendigkeit, nun einmal von der Zweistaatlichkeit auszugehen.

    (Abg. Leicht: Jetzt haben wir es!)

    Sie bedeutet weiter die Abkehr von der Anschauung, es könne lediglich eine nationalstaatliche Wiedervereinigung geben. Es bedeutet für die beiden deutschen Staaten die notwendige Abkehr von der bereits zur Psychose gewordenen Anerkennungsneurotik.
    Die DDR hat an den Herrn Bundespräsidenten einen Vertragsentwurf geschickt, und der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß dieser Vertrag in der vorliegenden Form unannehmbar sei, was ja wohl für uns alle eine unbestreitbare Tatsache ist. Dennoch wird früher oder später doch einmal ein Vertragswerk entstehen müssen. Es gibt heute allerdings gute Gründe dafür, dieses Problem nicht, wie es von der DDR gewünscht wird

    (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — sofort, Herr Kollege, lassen Sie mich bitte nur
    den Satz fertigmachen —, an den Anfang zu stellen.
    — Bitte sehr!