Rede:
ID0602322700

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 35
    1. die: 2
    2. werden: 2
    3. Herr: 1
    4. Kollege: 1
    5. Schmid,: 1
    6. ich: 1
    7. bin: 1
    8. aus: 1
    9. dem: 1
    10. Saal: 1
    11. nochmals: 1
    12. gebeten: 1
    13. worden,: 1
    14. um: 1
    15. Verständlichkeit: 1
    16. Ihrer: 1
    17. Ausführungen: 1
    18. zu: 1
    19. sichern,: 1
    20. darauf: 1
    21. hinzuweisen,: 1
    22. daß: 1
    23. soweit: 1
    24. Unterhaltungen: 1
    25. unbedingt: 1
    26. geführt: 1
    27. müssen,: 1
    28. diese: 1
    29. doch: 1
    30. freundlicherweise: 1
    31. in: 1
    32. Seitengänge: 1
    33. verlegt: 1
    34. sollten.\n: 1
    35. \n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 23. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 Inhalt: Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über. die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland (Drucksache VI/223) Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 851 A Mischnick (FDP) 860 C Wehner (SPD) 866 A Dr. Gradl (CDU/CSU) 874 D Frau Funcke, Vizepräsident (zur GO) 877 D, 882 B Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . . 878 A Mertes (FDP) (zur GO) 878 C Wienand (SPD) (zur GO) . . . 879 D Dr. Wörner (CDU/CSU) (zur GO) . 879 C Schulte (Unna) (SPD) (zur GO) . 879 D Ollesch (FDP) (zur GO) 880 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) (zur GO) 880 D Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) (zur GO) 880 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) (zur GO) 881 B Collet (SPD) (zur GO) 881 D Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 882 A Fragestunde (Drucksachen VI/222, VI/239) Frage des Abg. Buchstaller: Pressemeldungen über Rücktrittsdrohungen der führenden Generale des Heeres Schmidt, Bundesminister . 882 D, 883 C, D, 884 A, B, C, D, 885 C Buchstaller (SPD) 883 B Dr. Althammer (CDU/CSU) 883 D, 884 A Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . . 884 B Josten (CDU/CSU) 884 C, D Horn (SPD) 885 A Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 885 A, B, C, D Möhring (SPD) . . . . . . . 885 B Dr. Bußmann (SPD) 885 B, C Fragen des Abg. Hussing: Berufung Professor Grzimeks zur Beratung der Bundesregierung in Fragen des Tier-, Natur- und Landschaftsschutzes Dr. Ehmke, Bundesminister . . . . 886 A II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 Frage des Abg. Reddemann: Pressemeldung über den Abschluß eines Vertrages mit der CSSR ohne Berlin-Klausel Dr. Ehmke, Bundesminister . . 886 B, C, D, 887 A Reddemann (CDU/CSU) . . . . . 886 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 886 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 886 D, 887 A Damm (CDU/CSU) . . . . . . . 887 A Fragen der Abg. Dr. Klepsch und Damm: Veröffentlichung des Textes eines Abkommens mit Prag über die Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Menschenversuche Dr. Ehmke, Bundesminister . , 887 B, C, D, 888 A, B Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . 887 B, C Leicht (CDU/CSU) . . . 887 C, 888 A Wehner (SPD) . . . . . . . . 887 D Dr. Czaja (CDU/CSU) 888 B Frage des Abg. Müller (Remscheid) : Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Frage der Berufsunfähigkeitsrente Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 888 C, 889 A, B Müller (Remscheid) (CDU/CSU) . . 889 A Dr. Götz (CDU/CSU) 889 B Frage des Abg. Folger: Maßnahmen der Bundesregierung gegen den Arbeitskräftehandel Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 889 C Fragen des Abg. Dr. Czaja: Fortführung der Frauen-Enquete in bezug auf die heimatvertriebenen und geflüchteten Frauen Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär 890 A, B Dr. Czaja (CDU/CSU) 890 B Frage des Abg. Müller (Remscheid) : Aufnahme des Besuchs von höheren Wirtschaftsfachschulen in das Förderungsprogramm der Bundesanstalt für Arbeit Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 890 C, D Müller (Remscheid) (CDU/CSU) . . 890 D Frage des Abg. Dr. Müller (München) : Finanzierung des Neubaues von Studentenheimen Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 891 B, C Dr. Müller (München) (SPD) . 891 B, C Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen: Schwierigkeiten in der ärztlichen Notversorgung an Festtagen 891 C Frage des Abg. Leicht: Gewinnung von zahlreicherem Nachwuchs für die Pflegeberufe Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 891 D, 892 B Leicht (CDU/CSU) 892 A Fragen des Abg. Köster: Maßnahmen der Bundesregierung zur Verwirklichung des Europäischen Jugendwerkes — Durchführung eines europäischen Jugendkongresses Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 892 B, C, D, 893 A Köster (CDU/CSU) . . . . . . 892 C, D Fragen des Abg. Jung: Internationaler Erfahrungsaustausch über die Bekämpfung von Grippeepidemien und Schaffung der wissenschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen dafür Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 893 A, B, C, D Jung (FDP) . . . . . . . 893 C, D Bäuerle (SPD) . . . . . . . 893 D Frage des Abg. Burger: Ausbildung von Bewerbern für den Krankenpflegeberuf nach Vollendung des 16. Lebensjahres Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 894 A, C Burger (CDU/CSU) 894 B Frage des Abg. Burger: Neuordnung der hierarchischen Ordnung in den Krankenhäusern Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 894 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 III Frage des Abg. Dr. Riedl (München) : Vorwürfe gegen die Ärzteschaft im Zusammenhang mit der letzten Grippewelle Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 895 A, B Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . . 895 B Fortsetzung der Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland (Drucksache VI/223) Rasner (CDU/CSU) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 895 B Schulte (Unna) (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 895 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident (zur GO) . . . 895 C Franke, Bundesminister 895 D Strauß (CDU/CSU) . . . . . . 899 A Brandt, Bundeskanzler . . . 906 D, 924 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 909 A Scheel, Bundesminister 914 B Borm (FDP) 918 C Dr. Bach (CDU/CSU) 923 A von Hassel, Präsident (zur GO) . 924 B Dr. Dahrendorf (FDP) 925 A Nächste Sitzung 927 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 851 23. Sitzung Bonn, den 15. Januar 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 16. 1. Dr. Aigner * 16. 1. von Alten-Nordheim 16. 1. Dr. Bayerl 31. 1. Biechele 23. 1. Dr. Birrenbach 16. 1. Frau Dr. Elsner* 16. 1. Dr. Franz 16. 1. Frehsee 16. 1. Dr. Gatzen 16. 1. Gewandt 16. 1. Dr. Giulini 16. 1. Glombig 16. 1. Dr. Haas 31. 1. Haehser 16. 1. Frau Dr. Henze 31. 1. Dr. Huys 23. 1. Dr. Jungmann 16. 1. Krammig 17. 1. Lücke (Bensberg) 16. 1-. Lücker (München) 16. 1. Michels 16. 1. Dr. Prassler 16. 1. Rawe 15. 1. Riedel (Frankfurt) * 15. 1. Röhner 16. 1. Schirmer 31. 1. Dr. Schulz (Berlin) 16. 1. Struve 17. 1. Dr. Warnke 16. 1. Weigl 16. 1. Winkelheide 31. 1. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz dieses Zwischenspiels, das jeder qualifizieren kann, wie er mag, freue ich mich, daß ich als erster Fraktionssprecher der SPD unmittelbar nach Herrn Dr. Franz Josef



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    Strauß sprechen kann. Ich möchte ihm zu seiner Genesung gratulieren,

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien)

    wie alle freuen uns, daß es in diesem grauen Hause
    neben den schönen Farben unserer Bundesfahne
    wieder die kleinen weiß-blauen Tupfen geben wird.

    (Vereinzelt Heiterkeit.)

    Ich freue mich auch für ihn; er hat nunmehr wieder Gelegenheit, was ihn bewegt, nicht mehr nur zu Hause niederschreiben zu müssen, dazu noch mit lädierter Hand, oder nur zu Hause aussprechen zu können, in Vilshofen oder anderswo, was ihn bewegt, sondern daß er es auch hier vor uns tun kann und uns damit Gelegenheit gibt, ihm zu antworten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Davon haben wir alle etwas, — so wie eben — auch er, glaube ich. Ja, stimmt's, Herr Strauß?

    (Abg. Dr. h. c. Strauß: Seit 20 Jahren!)

    Es ist eine bittere Sache für einen Vollblutredner wie ihn, nicht urbi et orbi sprechen zu können, sondern sich mit Ersatzvornahmen begnügen zu müssen. Das haben wir, seine Kollegen, alle eingesehen, und waren deswegen der Meinung, daß es fast eine humanitäre Pflicht sei, ihm im Gegensatz zu anderen die Redezeit über die 15 Minuten hinaus zu verlängern. Das Malheur, solange geschwiegen haben zu müssen, sollte durch dieses kleine douceur kompensiert werden. Freilich hat sich bei manchem die Frage erhoben: Wie ist das denn eigentlich mit den 15 Minuten? Sollen andere es anders haben als die einen? Nun, ich weiß, daß — abgesehen von unserer fraktionellen Hierarchie auf allen Seiten des Hauses und von den Herren Geschäftsführern — wir alle gleich sind, aber einige noch gleicher sind. Das ist ein Plagiat, aber man kann es gelegentlich mitunter verwenden, auch in diesem Hause.
    Meine Damen und Herren, heute morgen hat der Kollege Gradl — wie ich glaube, mit Recht — gesagt, daß die Opposition das Recht habe, die Regelung zu kritisieren. Und ich gehe weiter und sage: Sie hat die Pflicht, sie zu kritisieren, denn von einer richtigen Kritik kann man lernen. Wir alle sollten bereit sein, immer zu lernen. Man spricht heute in der Pädagogik so gern von dem fortgesetzten Lernprozeß, den das Leben darstellen sollte. Ich bin auch dieser Meinung, obwohl ich nicht glaube, daß Volkshochschulen allein dafür das rechte Mittel seien. Wir lernen an den verschiedensten Orten, auch in diesem Hause. Aber, Herr Kollege Gradl, es gibt hier einige Grenzen. Kritik darf nicht nur eine Sache des Unmuts und eine Sache des Sich-ärgerns sein. Freilich sollte eine Regierung und die Koalition, die sie trägt, Unmutsreden und Ärgerreden ertragen können. Das gehört mit zu dem, was wir uns gegenseitig schuldig sind. Nur eines sollte man nicht tun. Man sollte Kritik nicht so üben, daß der Eindruck entstehen könnte — auch wenn er nicht gewollt ist —, daß der Kritiker sich und seine Freunde für die guten Deutschen und die anderen für die schlechten Deutschen hält.
    Eigentlich wollte ich mich darauf beschränken, die engeren Probleme der deutschen Teilung und dessen, was daraus folgt, zu behandeln. Aber der Kollege Strauß hat einen so umfassenden weltgeschichtlichen Exkurs gegeben — dem ich zustimme —, daß ich glaube, darauf eingehen zu sollen.
    In der Tat, die deutsche Frage und was davon auch heute noch virulent ist — wenn auch oft in Verkehrungen, hegelisch zu sprechen, in ihrem Anderssein —, reicht sehr viel weiter zurück. Sie reicht bis zum Westfälischen Frieden zurück mit jenen „deutschen Libertäten", die man den Deutschen aufgezwungen hat, weil die Großen von damals in diesem Herzen Europas keine starke Macht wollten — eine Macht, die durch das Bewußtsein, eine Nation zu sein, besondere Virulenz bekommen haben würde. Sie reicht zurück in die Zelt des Wiener Kongresses, wo man expressis verbis sagte — und es waren auch deutsche Patrioten, die das gesagt haben, nicht bloß Fürstenknechte —, ein Nationalstaat im Herzen Europas von dieser Größe sei etwas, das andere Staaten nur schwer ertragen könnten — zwar ein Pech für die Deutschen, daß sie dabei zuletzt gekommen sind, aber so sei es nun einmal. Das beste darüber hat 1824 ein Historiker geschrieben, Ludwig Heeren, ein alter Lützowscher Jäger, also kein „Verzichtler" und Pazifist.

    (Abg. Dr. Martin: Das wissen nur Sie!)

    — Ja ich weiß es. Genau das hat er geschrieben, und diesen Gedanken hatten viele gleichermaßen. Das spielt auch mit hinein in das Klima, in dem die deutsche Frage steht.
    Dazu gehören weitere Dinge. Die polnischen Teilungen sind ja auch nicht von der Welt vergessen! Natürlich denkt heute niemand mehr daran, daß sich die Russen und die Osterreicher dabei auch gesundzustoßen versucht haben. Aber man sieht nur jenen Friedrich II. von Preußen, den Großen, als den eigentlichen Sünder und sagt: Er hat so gehandelt, „weil er ein Deutscher ist", und nicht etwa, weil Kabinettspolitik in jenen Jahrhunderten so zu handeln pflegte. Aber das steht noch in der Welt und trägt zur Beurteilung der deutschen Möglichkeiten bei, und gehört zu den hohen Hürden, die wir zu überwinden haben.
    Nehmen wir Rußland! Um ganz klar zu sein, wie es mit der russischen Frage einmal in der Welt stand: etwa 150 Jahre lang war es doch die Politik des sogenannten europäischen Konzerts, die Russen daran zu hindern, aus der Ostsee herauszukommen — die Alandinseln-Frage — oder durch das Schwarze Meer ins Mittelmeer hineinzukommen. Das hat 150 Jahre europäischer Politik entscheidend mitbestimmt, die berühmte question des détroits, wie es in der Diplomatensprache hieß.


Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Schmid, ich bin aus dem Saal nochmals gebeten worden, um die Verständlichkeit Ihrer Ausführungen zu sichern, darauf hinzuweisen, daß soweit Unterhaltungen unbedingt geführt werden müssen, diese doch freundlicherweise in die Seitengänge verlegt werden sollten.

(Beifall.)





  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich bedanke mich, Herr Präsident.
    Sie haben von der Tat Bismarcks gesprochen, der ganz bewußt darauf verzichtet habe, den Traum der Paulskirche zu verwirklichen. Was in der Paulskirche geschah, war etwas Großartiges. Die deutsche Nationalbewegung ist ,etwas, auf das wir stolz sein können; denn es ist schon etwas Großes, wenn es einem Volk, dem Geschichte es versagt hat, ein einheitlicher Staat zu werden, gelingt, aus der bloßen Volkheit zur Nation zu gelangen, von der bloßen Geschichtsträchtigkeit zur Geschichtsmächtigkeit. In der Paulskirche waren eben — das ist der Demokratie gelegentlich eigen — sehr starke emotionale Kräfte lebendig. Zur „deutschen Nation" rechneten sich mit Recht auch Menschen, die außerhalb preußischer und bayerischer Grenzen dazugehören, die deutsch sprechenden Untertanen des Kaisers von Österreich zum Beispiel. Man verstand damas darunter auch deutsch sprechende Untertanen des Königs von Dänemark.

    (Zuruf von der SPD: Das waren aber Ausnahmen!)

    Das war die Grundstimmung der Paulskirche.
    Aber wohin wäre man gekommen, wenn man diese Sehnsucht zu verwirklichen versucht hätte? Es wäre doch nur gegangen, indem man den österreichisch-ungarischen Staatsverband zerschlagen hätte. Das wäre nicht zum Nutzen des deutschen Volkes und auch nicht zum Nutzen Europas gewesen. So ist die Tat Bismarcks eine bedeutende staatsmännische Leistung, daß er politisch bewußt auf die Universalisierung des deutschen Nationalproblems verzichtet hat und sich darauf beschränkte, eine Art Großpreußen — ich meine das nicht in schlechtem Sinne — zu schaffen.
    Dazu gehörte die Kraft, auf Mythen zu verzichten, auch die Einsicht, Politik nicht .für einen Ort anzusehen, an dem man in erster Linie Gemütsbedürfnisse zu befriedigen hätte. Das war eine politische Leistung. Aber vergessen wir nicht — und auf heute bezogen sage ich das —: von der deutschen Nationalbewegung aus gesehen hat er Verzichte geleistet, bedeutende, höchst schmerzhafte Verzichte. Es gibt Leute, die ihm das damals sehr übelgenommen haben. Ich nenne Konstantin Frantz und andere, auf die sich manche Ihrer engeren Landsleute, Herr Kollege Strauß, nach 1945 gern bezogen haben.

    (Abg. Strauß: Wollen Sie mich mit einbeziehen?)

    — Nein, Sie nicht.
    Noch ein anderes möchte ich hier anknüpfen. Der Begriff, den die Deutschen von dem, was Nation ist, hatten — ich sage: hatten! —, ist aus ihrer Geschichte heraus zu verstehen. Er hat im Laufe der Zeit, der Jahrhunderte gewechselt. Es gab eine Zeit — ich denke an die Stauferzeit und die Jahrhunderte nachher --, da wußten sie genau, was eine Nation ist. Man lese Walther von der Vogelweide. Ich möchte auch einen bayerischen Historiker zitieren — aus der Zeit der Renaissance —: Aventinus — der erste
    Deutsche, der eine Weltgeschichte in Deutsch geschrieben hat —, der, von der Enthauptung des jungen Konradin auf dem Neuen Markt zu Neapel sprechend, sagt:
    Und es hat kein Fürst in Deutschland, kein Graf, kein Ritter ein Roß gesattelt darum!
    Sie sehen, es gab einmal, noch ehe es einen Staat Deutschland gab, einiges, was den Menschen Anlaß gab, nationale Selbstachtung, nationales Selbstgefühl zu äußern und zu betrauern, daß es das bei denen, die es angegangen hätte, nicht gegeben hat.
    Aber dann kamen andere Zeiten, in denen man den Begriff der Nation, ich möchte sagen: theologisiert hat, durchaus aus noblen Motiven. Ich denke an den Begriff der Kulturnation, wie Herder ihn geprägt hat und wie andere — Sie zitierten heute morgen Schiller, zitierten Goethe; nehmen wir Hölderlin dazu — ihn übernommen haben. Da hieß es in dem Gedicht Hölderlins über die Berufung der Deutschen: daß Germania Rat gibt den Königen und den Völkern und nicht in Anspruch nimmt — das ergänze ich —, herrscherlich über ihnen zu thronen. Dieses Bewußtsein einer dienenden Sendung hat man dann in der nachfolgenden TreitschkeZeit umgewandelt in die Vorstellung von einer anderen besonderen Sendung, die die deutsche Nation habe. Es entstand das Wort vom deutschen Wesen, an dem die Welt genesen solle, von vielen verstanden als ein Aufruf — verzeihen Sie mir dieses Wort — zu einer Art von Tüchtigkeitsimperialismus: daß es mit unsere Aufgabe sei, den Völkern beizubringen, wie man ebenso tüchtig wird wie wir. Das führte dann zu bösen Dingen; wir kennen sie. Auch das hat man in der Welt noch nicht vergessen, daß es einmal in Deutschland dieses schlechte Sendungsbewußtsein gab. Das gibt es heute nicht mehr. Ich möchte das hier sagen.
    Ich scheue mich nicht, zu sagen, daß ich traurig darüber bin, daß man in Deutschland oft nur einem überlegenen Lächeln begegnet, wenn man von Nation und Vaterland spricht.

    (Beifall.)

    Es hat Leute gegeben, die, unter bestimmten Situationen leidend, versuchten, „Nation" zu definieren. Ich will nur einen nennen: Ernest Renan, diesen großen Franzosen, der nach 1871, nach der Annexion des Elsaß seinen deutschen Freunden, engsten menschlichen Freunden — er verehrte die deutsche Wissenschaft besonders und achtete ihre Vertreter — die ihm gesagt hatten: „Was willst du denn, die Menschen im Elsaß sprechen doch deutsch; sind also Deutsche; also hat man sie doch nur wieder heimgeführt", geantwortet hat: Nein! Ihr wißt eben nicht, was eine Nation ist: eine Nation ist ein Plebiszit, das sich jeden Tag still wiederholt, zusammenleben zu wollen, um auf dem Boden, der einem zugeordnet ist, miteinander rechte Dinge zu tun.
    Nation ist ein Produkt des Willens und nicht nur der gleichen Sprache, nicht einmal nur ein Produkt des Wissens um gleiche geschichtliche Herkunft von alters her.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Nicht nur ein Gefühl der Zusammengehörigkeit!)




    Dr. Schmid (Frankfurt)

    Sie ist ein Produkt des Willens der Menschen, die dieses Gefühl, deutscher Nation zu sein, auszusprechen oder kundzugeben bereit sind — also auch und gerade der Menschen in der DDR.
    Nun zu den engeren Themen dieses Tages. Ich glaube nicht, daß es einen Sinn hat, zu versuchen, die Geschichte in irrealen Konditionalsätzen zu konjungieren, insbesondere zu versuchen, sie wegzukonjungieren. Ich will mich an solchen Versuchen nicht beteiligen. Doch wenn man davon spricht, was Deutschland heute ist — das Ganze —, dann muß man sich doch fragen, warum es denn so geworden ist, wie es heute ist. Man muß wissen, welche Stufen auf dem Wege von 1945 bis heute zurückgelegt werden mußten. Man muß wissen, was davon heute noch virulent ist. Man muß dies wissen, um, von heute aus richtig operieren zu können.
    Ich will auch nicht davon sprechen: wer ist an diesem oder jenem schuld, und wer hat an diesen oder jenen Dingen ein Verdienst? Wir haben allesamt schuld an vielem und allesamt Verdienst an manchem.
    Politische Entscheidungen sind immer Wagnisse, die man mit dem Wissen eingeht, daß man Entscheidungen fällen muß, obwohl man weiß, daß man sich dabei vielleicht irren wird. Das muß man wissen, und das muß man sich gegenseitig einräumen.

    (Vorsitz: Präsident von Hassel.)

    Manches Denken kann unter den Voraussetzungen von einst richtiges Denken gewesen sein, auch wenn es nicht zu merkbaren, darstellbaren Verwirklichungen geführt hat; und manches, was von den damaligen Gegebenheiten aus nach den Gesetzen der Logik falsch gewesen sein mochte, kann zu politischen Resultaten und Verwirklichungen geführt haben, die heute Geschichte machen. Das gehört mit zur Ironie und den Listen und der Vernunft der Geschichte, von denen Hegel so oft spricht.

    (Zustimmung des Abg. Schmidt [Wuppertal].)

    Ich halte nicht viel davon, Politik durch Jurisprudenz ersetzen zu wollen. Allerdings bin ich der Meinung, daß man versuchen sollte, bestimmte Substrate der Politik, wenn 'diese kalkulierbar werden soll, auch juristisch zu formulieren. Sonst kann man nämlich nicht rational argumentieren. Sonst bleibt einem nur übrig, zu beschreiben, d. h. in Bildern darzustellen was ist, und mit Bildern kann man nicht denken. Von Bildern aus kann man intuitiv etwas tun, was nachher richtig sein mag; aber das gilt nur für den spontanen Akt. Dies gilt nicht für Situationen, in denen man willens oder gezwungen ist, auf längere oder auch nur auf mittlere Zeit hin zu planen. In solchen Situationen muß man Begriffe formen, um überhaupt reden und kalkulieren zu können.
    Wenn man die Ereignisse dieses Vierteljahrhunderts überdenkt, ergibt sich, daß die Spaltung Deutschlands keine Sache irgendeines darauf gerichteten Willens irgendeines Teilles des deutschen Volkes Ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Teilung Deutschlands ist das Ergebnis der Tatsache, daß die Siegermächte des zweiten Weltkrieges sich nicht über die Verteilung der Machtverhältnisse in Europa einigen konnten. Darauf ist die Teilung Deutschlands zurückzuführen. Daß manche noch darüber hinausgehende Absichten hatten, ist eine Sache für sich.
    Weil dies der Grund für die deutsche Spaltung ist, kann diese Spaltung nur dadurch aufgehoben werden, daß die Siegermächte von einst sich über eine neue Ordnung Europas einigen, eine Ordnung, von der sie glauben, daß sie ihren Interessen entspricht. Wenn man diese Formel nicht akzeptieren will, bleibt nur, darauf zu warten, bis der Kreml einstürzt, bleibt nur, davon zu träumen, man könnte eines Tages die andere Seite mit irgendwelchen Mitteln zwingen, ihre Politik, also was sie für ihr Lebensinteresse hält, ,aufzugeben.
    Man hat das nicht von Anfang an eingesehen. Ich habe es auch nicht von Anfang an eingesehen. Ich habe am Anfang, in statu nascendi unserer neuen deutschen Welt, wie viele andere geglaubt, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands — ein Volk, ein Staat — eine Sache sei, die die Deutschen selber zu besorgen hätten. Und ich meinte damals — es ist lange her —, sie könnten das auch tun. Es hat sich herausgestellt, daß das ein Trugschluß war.
    Eines aber bleibt Sache des deutschen Volkes: die Bewahrung der Substanz dessen, was „deutsche Nation" ausmacht. Das können nur die Deutschen selbst tun.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Unter .den obwaltenden Umständen ist das keine ganz einfache Sache. Wenn wir aber das Bewußtsein des Zusammengehörens, des Zusammengehörenwollens , um auf dieser Welt das Rechte richtig tun zu können, nicht bewahren, dann ist der Gedanke, daß es einmal einen deutschen Staat für die eine deutsche Nation geben wird, eine Illusion.
    Ich habe da manchmal schreckliche Sachen erlebt. Vor einiger Zeit sprach ich mit Studenten — keinen Krawallmachern, keinen APO-Leuten, sondern Leuten, von denen ich weiß, daß sie, wenn sie wählen, eine der Parteien in diesem Hause wählen. Und da sagte mir, als ich von der Nation, von Deutschland sprach, einer, ein sehr netter, sehr gescheiter Junge: „Ja, Herr Professor, aber ich bin nicht in Deutschland geboren, ich bin in der Bundesrepublik geboren." Ich war erschrocken, als ich das hörte. Es gibt junge Menschen, die so denken; es sind nicht notwendig schlechte Deutsche, nicht notwendig gedankenlose Deutsche; es sind die Menschen, in denen sich die Tragik unseres Volkes inkarniert. Werden wir es fertigbringen, ihnen eines Tages bewußt zu machen, daß sie in Deutschland geboren sind, auch wenn in diesem Teilstück, das sich „Bundesrepublik Deutschland" nennt?
    Daß die russische Politik, Herr Kollege Strauß — ich sage es nur noch einmal — in all dem, was sie tut, darauf ausgeht, ihren Machtbereich zu vergrößern, ist klar. Sie geht dabei taktisch auf verschiedenartige Weise vor. Strategisch ist ihr Grundkon-



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    zept wohl ziemlich eindeutig. Aber man muß gelegentlich auch im Bereich des Taktischen operieren, und gelegentlich kann man auch gegenüber der Strategie des anderen im Bereich des Taktischen gewisse Dinge erreichen, ,die ihn zwingen könnten, seine Strategie zu ändern. Das ist die konkrete Aufgabe, vor die wir gestellt sind. Das ist es, worauf es ankommt, wenn wir heute als Bundesrepublik Politik machen — immer angesichts des großen Horizonts, vor den wir gestellt sind.
    Es war nicht von Anfang an so, daß die Russen oder die SED, die Kommunisten, davon ausgegangen sind, es solle keine deutsche Nation mehr geben. Am Anfang war das nicht so — natürlich aus Gründen, die mir bekannt sind. Aber ich erinnere an das Wort Stalins: „Die Hitler kommen und vergehen, das deutsche Volk bleibt bestehen". Dieses Wort war damals durchaus so gemeint, wie es gesagt worden ist. Stalin hat sich natürlich über die Verwendbarkeit dieses Volkes für seine Zwecke seine eigenen Vorstellungen gemacht. Aber daß er von der Einheit des deutschen Volkes und der deutschen Nation ausging, ist sicher.
    Auch die DDR hat sich am Anfang durchaus dafür einzusetzen bemüht — jedenfalls hat sie versucht, uns das klarzumachen —, daß es einen deutschen Staat und nicht zwei separate Staaten geben sollte.
    Ich erinnere an den Abgeordneten Renner, der im Parlamentarischen Rat immer wieder von dem westdeutschen „Separatstaat" sprach.

    (Zuruf des Abg. Dr. h. c. Kiesinger.)

    — Aber, Herr Kiesinger, ich bin doch wirklich nicht naiv. Jedenfalls ist daraus zu ersehen, daß jene Leute damals davon ausgingen, daß ein einheitliches deutsches Staatsgebilde besser wäre als ein gespaltenes Deutschland.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Aber ein kommunistisches!)

    Thälmann — wenn man ihn zitieren will — hat im Jahre 1950 ausdrücklich davon gesprochen. Er hat uns den Vorwurf gemacht, uns im Westen, daß wir durch unseren Staat in Westdeutschland die deutsche Nation spalteten; die Geschichte werde das aber nicht zulassen.
    Auch die politischen Akte, die damals gesetzt worden sind, bezeugen es, z. B. das Potsdamer Abkommen. Darin ging man davon aus, daß es eine deutsche Nation, ein deutsches Staatsvolk gibt; allerdings wollte man ihm die Handlungsfähigkeit noch nicht geben; ein Vormund, der Kontrollrat, sollte für Deutschland handeln. Das war Fremdherrschaft, aber Fremdherrschaft über ein Volk, das man als ein Volk ansah. Leider hat man die berühmten vier Zonen geschaffen und den Zonenkommandeuren die Zuständigkeit gegeben, in ihrer Zone ihre besondere Politik zu machen, unabhängig davon, was in anderen Zonen geschah. Wir wissen — das sagte uns Herr Gradl; ich weiß es auch; am besten kennt diese Dinge der Kollege Lemmer; ich weiß nicht, ob er hier ist —,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

    daß die SMA, die Sowjetische Militäradministration, geschaffen worden ist, um ganz besondere Aufgaben im russischen Interesse zu erfüllen. Aber, meine Damen und Herren, Ähnliches gab es auch im Westen. Es gab nicht nur einen „Eisernen Vorhang", sondern es gab auch einen „Seidenen Vorhang".

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er wurde aber beseitigt!)

    — Richtig! Aber er ging nicht von selber weg, verehrter Herr Kollege.
    Als ich das erstemal mit General de Gaulle zusammentraf — das war im August 1945 in Freiburg im Breisgau, zusammen mit anderen Deutschen —, sprach er davon, man sei gekommen, um die Württemberger und die Badener vom preußischen Joch zu befreien.

    (Heiterkeit.)

    Als ich ihm sagte, das sei doch ein bißchen antiquiert gedacht, wir seien nicht mehr im Zeitalter der Postkutsche, sagte er zu mir: Verstehen Sie mich recht: wir wollen Ihnen die Möglichkeit geben, Ihre Vorvätertugenden wiederaufleben zu lassen; faire revivre vos vertus ancestrales. — Ein schönes Wort!
    Das hat sich dann geändert. Dieser Mann hat umgedacht, und zwar in einer großartig mutigen Weise umgedacht. Respekt vor diesem Mann, vor allen Dingen wenn man seine Erziehung kennt; er kam von der „Action Française" her und war doch der große Mann der Résistance!
    Die Absichten der Besatzungsmächte — der „bösen" und der „guten" — waren nicht immer Absichten zum Nutzen des deutschen Volkes. Das hat sich gegeben, als man entdeckte, daß man sich selber den größten Schaden zufügen würde, wenn man so weitermachte, wie man angefangen hatte. Recht verstandenes Eigeninteresse der Westmächte war es, was sie bewog, sich später so zu verhalten, daß wir, was sie taten, auch als eine Förderung unserer Interessen ansehen konnten.
    Herr Kollege Lemmer erinnert sich vielleicht noch an jene Zeit der sogenannten gesamtdeutschen Räte. Diese nationale — —

    (Abg. Lemmer: Repräsentation!)

    — ja, diese „nationale Repräsentation", die von ehrenwerten Leuten, auch von Ihnen, Herr Gradl, wenn ich mich nicht täusche, getragen war, stand unter dem Gedanken, daß wir etwas haben müssen, wo alle deutschen politischen Kräfte den Besatzungsmächten gemeinsam entgegentreten konnten, um die Interessen des deutschen Volkes in den Vordergrund zu rücken.
    Ich sage dies nicht aus Freude an Reminiszenzen, sondern um zu zeigen, daß es nicht von Anfang an die Absicht der Besatzungsmächte gewesen ist — und nicht einmal der SED —, Deutschland als Nation aufzulösen oder zu spalten. Das hat sich nicht schon zu Beginn ereignet; das ist aus dem Wandel der Interessen heraus im Laufe der Zeit so geworden.
    Die Westalliierten vor allen Dingen hatten sich der These angeschlossen, Deutschland sei als Staat untergegangen, die deutsche Nation entsprechend.



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    Ein deutscher Staat müsse also neu geschaffen werden — ohne irgendwelchen Zusammenhang, ohne
    irgendwelche Identität mit dem, was vorher war.
    Auch einige deutsche Politiker waren der Meinung, daß Deutschland untergegangen sei und daß man es neu schaffen müsse neu! — im Wege von Verträgen der Länder.
    Dann kam es zur Bundesrepublik. Wir wissen, wie das ging. Wir wissen um die Konflikte, die es damals — vor dem Parlamentarischen Rat und im Parlamentarischen Rat — gab. Die einen waren der Meinung: man muß einen möglichst perfekten Staat im Westen Deutschlands schaffen. Denn nur dann könnten wir leben. Dieser Staat wird magnetisch, sagte man, und die Leute im Osten unwiderstehlich anziehen, keine Macht werde sich diesem Magnetfeld entgegenstellen können. Andere, ich zum Beispiel, waren der Meinung: das soll man nicht tun; je perfekter wir uns im Westen staatlich-politisch organisierten, desto mehr würden wir drüben denselben Prozeß provozieren, und dann werde der Graben tiefer und breiter werden; deswegen möge man das lassen. Darum habe ich mich damals dafür eingesetzt, statt einer „Verfassung", die nur das Gesamtvolk für Deutschland machen kann —, ein Organisationsstatut zu schaffen. Ich habe den Hohn, den man mir zuteil werden ließ, getragen. Aber ich halte den Gedanken auch von heute aus gesehen — für damals nicht für falsch. Freilich muß man dazunehmen, daß ich auch vorgeschlagen hatte, als Sitz der Bundesbehörden nicht Bonn zu wählen, 1 sondern eine Barackenstadt bei Helmstedt, damit man deutlich sehen könne, was wir unter „Provisorium" verstehen. Daß maan die Bundesrepublik Deutschland zunächst nur als ein Provisorium — genauer gesagt: als einen Staat für den Übergang — angesehen hat, steht in der Präambel und steht in Art. 146 des Grundgesetzes.
    Das ist so nicht geblieben. In der Zwischenzeit haben sich Dinge ereignet, die aus diesem Provisorium einen kompletten Staat gemacht haben, — wenn man von den materiellen Staatsattributen spricht und wenn man die Frage nach der Souveränität im vollen Sinne des Wortes nicht allzu bohrend stellt: ich denke dabei an Art. 2 des Pariser Vertrages von 1952, nach dem die Alliierten ihr Recht behalten sollen, für Deutschland als Ganzes zuständig zu sein. Dies mußte so sein, und ich für meinen Teil bin froh, daß es diese Bestimmung gibt, denn sie hält die alliierte Verantwortung für Gesamtdeutschland auch Rechtens aufrecht.
    Ich habe auch das nur gesagt, um aufzuzeigen, wie fragil oft gewisse Begriffe sind, Souveränität z. B., Freiheit z. B., und noch andere dazu.
    Die Hauptdifferenz unter den Beteiligten bei den Versuchen nun die Wiedervereinigung nicht mehr durch Eigenleistung des deutschen Volkes zu schaffen, sondern diese Aufgabe als ein Stück Politik der interessierten Staaten zu begreifen, war: Für die Alliierten und für die Regierung der Bundesregierung war entscheidend, daß auch das wiedervereinigte Deutschland in der Wahl seiner Bündnisse frei sein müsse, das heißt, daß auch das wiedervereinigte Deutschland in die NATO eintreten können müsse,

    (Zuruf des Abg. Dr. h. c. Kiesinger)

    — jawohl, genau das —, während die Sowjetseite sagte: Nein — Stalin-Note —, ein wiedervereinigtes Deutschland muß den Status haben, den die Mächte ihm konzedieren; bewaffnete Neutralität, aber keine Freiheit, Bündnisse einzugehen.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Aber die Bindungsklausel wurde dann beseitigt!)

    — Ja; später. (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: 1954!)

    Aber dann war die Chance, wenn sie gegeben gewesen sein sollte, schon vorbei. Das war im Grunde die Hauptdifferenz. Sie war viel bedeutungsvoller als die Frage der verschiedenen Ideologien oder die Frage der verschiedenen gesellschaftspolitischen Systeme.
    Wie ging es weiter? Spätestens im Koreakrieg bemerkten die Sieger des letzten Krieges, daß sie mit der Zerstörung der deutschen Potentiale — der ökonomischen, der politischen und der militärischen — nicht nur Deutschland, sondern den ganzen Westen geschwächt hatten, und stellten sich die Frage: Wie kann man die deutschen Potentiale wieder schaffen und dem Westen in einer Weise zuführen, die es den Deutschen unmöglich macht, darauf eine eigene — antiwestliche — Politik zu begründen? Indem man die Deutschen in „Europa" einführt, in die EVG — die schließlich scheiterte, in die WEU usw! Mir sagte nach meiner ersten Rede in Straßburg, als ich die Ehre hatte, gegen Churchill zu sprechen, der deutsche Soldaten verlangte, und ich ihm sagte: „Jetzt nicht!", dieser große Mann beim Gespräch nachher — als ich ihm vorhielt: „Ihr seid doch der Meinung, die Deutschen sind von Natur gefährliche Militaristen" — folgendes: „Ja, aber, wenn wir, als wir noch in Indien waren, einen guten Elefanten brauchten, dann fingen wir einen wilden und spannten ihn mit drei zahmen Elefanten zusammen; nach zwei Jahren war er auch ein brauchbarer Elefant geworden". Diese Parabel ist ein Scherz; aber im Grunde lagen in der westlichen Politik — als man dieses Europa zu dem Zweck erfand, die deutschen Potentiale wiederaufleben und dem Westen zukommen zu lassen, ohne daß die Deutschen damit Unfug anrichten konnten Gedanken ähnlicher Art.
    Nach diesen Schritten konnte man nicht mehr viel darüber nachdenken, ob die Russen gestatten würden, daß diesem Deutschland — „NATO-Deutschland" — der Teil des deutschen Potentials an Menschen und an Kraft zuwachse, auf den sie ihre Hand gelegt hatten. Das wäre doch darauf hinausgekommen, sagte mir Chruschtschow, als wir bei ihm waren, von ihm zu verlangen, einen Teil der russischen Macht einem Militärblock zuwachsen zu lassen, den die Russen als feindlich gegen sich gerichtet betrachteten; für so dumm würde ich ihn doch wohl nicht halten.
    Nun ist die Lage so, wie sie uns geschildert wurde. Nun haben wir zwei deutsche Staaten, und



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    da möchte ich Ihnen, lieber Herr Kiesinger, etwas zum „Phänomen" sagen. 1947 und 48, als wir diese merkwürdige Bundesrepublik machten einen Staat ohne Armee, einen Staat ohne Außenpolitik, einen Staat, der sich seine Gesetze von den Hochkommissaren genehmigen lassen mußte —, sprach ich vom „politischen Gebilde" Bundesrepublik.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Ich habe abgewechselt zwischen „Gebilde" und „Phänomen"!)

    In statu nascendi war das richtig; denn ich kenne keine gängige Definition der Staatslehre, die auf das damalige Staatsfragment — nicht nur in territorialer, sondern auch in substantieller Hinsicht — gepaßt hätte. Ist die DDR heute auch wirklich nur ein „Gebilde", ein „Phänomen"? Ist sie nicht etwas, was auf den Namen „Staat" Anspruch erheben kann?
    In allen Staatslehren wird Staat so definiert: Ein Staat liegt dort vor, wo ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine zentrale Autorität bestehen. Welche moralische und demokratische Qualität dieser Staat hat, spielt dabei keine Rolle. Unter „Staatsvolk" versteht man nicht etwa das plebiszitäre Volk Jean Jacques Rousseaus, das seinen Staat will, sondern schlicht die Menschen, die auf dem Herrschaftsgebiet leben und, gezwungen oder freiwillig, bereit sind, dieser Autorität zu gehorchen. So brutal ist diese Definition. Wenn nur ein Staat, in dem es demokratisch zugeht und in dem die Menschenrechte gelten, ein Staat sein soll, dann ist die Sowjetunion kein Staat. Das wollen Sie doch nicht sagen.
    Streiten wir uns nicht um Worte, suchen wir nicht unser Heil in Anführungsstrichen und in Präfixen! Ich spreche von der DDR als einem Staat, dem fast alles fehlt, was notwendig ist, um ein Leben in Freiheit, also menschenwürdig zu führen.
    Dieser Staat beklagt sich darüber, daß man ihn nicht anerkenne. Er behauptet, so sehr „Staat" zu sein, daß sich daraus von selbst die Verpflichtung anderer Staaten ergebe, ihn anzuerkennen. Das Völkerrecht kennt keine Rechtspflicht zur Anerkennung. Auch der vollkommenste Staat hat keinen Anspruch darauf, anerkannt zu werden. Ob man einen Staat anerkennt, d. h. ihn im Verkehr mit sich selber zum Völkerrechtssubjekt machen will, obliegt ausschließlich demjenigen, dessen Bekundung der Anerkennung verlangt wird.
    Die zwei Staaten, die es in Deutschland gibt, sind nicht Geschöpfe des — ich bitte mich da nicht mißzuverstehen und mir nicht Dinge zu unterlegen, die ich nicht meine — Selbstbestimmungsrechts der deutschen Nation; dieses kann nur die ganze deutsche Nation ausüben. Auch wir sind es nicht. Wir sind in unserer Entstehung genauso wie die DDR Produkt einer Phase der alliierten Besatzungs-
    und Militärpolitik. Aber im Unterschied zu dort bekamen wir die Möglichkeit, uns auf diesem Teilgebiet Deutschlands demokratisch als Deutsche einzurichten, und das macht einen erheblichen Unterschied gegenüber dem aus, was östlich der Elbe geschehen konnte. Aber es ändert nichts daran, daß auch drüben ein Staat ist.
    Diese beiden Staaten sind eingebettet in die deutsche Nation; denn die Bevölkerung in diesen Staaten — als einzelne und als Gesamtheit genommen — will es so. Sogar ihre Regierungen erklären es gelegentlich, ausdrücklich oder durch konkludente Handlungen. Aber keiner dieser Staaten ist identisch mit dem alten Deutschen Reich; keiner ist im strengen Sinne des Wortes Rechtsnachfolger des alten Deutschen Reiches; sie sind neue Gebilde eigenen Entstehungsgrundes, Gebilde einer Übergangszeit, Gebilde, die deswegen so sind, was sie sind und wie sie sind, weil andere Mächte es wollten, die Macht über uns hatten und es heute noch nicht fertigbringen, sich darüber zu einigen, wie Europa aussehen soll, wie ihre Machtzonen gegeneinander abgegrenzt werden sollen. Vielleicht hat Golo Mann genau das gemeint, als er davon sprach, die Bundesrepublik solle sich auch selbst anerkennen — anerkennen, was sie ist.
    Anerkennung ist ein Zauberwort: Wenn man sich freilich mit solchen Dingen von Berufs wegen viel zu befassen hatte, verschwindet ihre magische Kraft. Anerkennung ist eine ganz einfache Sache! Ein Staat erklärt einem anderen, er wolle mit ihm Beziehungen rechtlicher Art aufnehmen, entweder allgemeine Beziehungen nach dem gemeinen Völkerrecht oder spezielle, ,spezifische eingegrenzte Beziehungen nach dem Recht eines besonderen, durch beide zu schaffenden Rechtskreises. Die Staaten des Commonwealth waren solche Staaten, die sich untereinander durch ein spezifisches Commonwealth-Recht verbunden wissen wollten, aber nach außen mit denen, die das wollten, ihre eigenen Rechtsbeziehungen aufnehmen konnten.
    Was fangen wir mit dem an, was wir heute vor uns haben? Ich sehe keine andere Möglichkeit, als auf lange Sicht dahin zu wirken, daß unter den Großmächten ein Zustand entsteht, der ihnen die Schaffung eines einigen Deutschlands für sich selber nutzbringender erscheinen läßt als die Existenz eines getrennten Deutschland. Das werden sie aber erst dann tun, wenn wir alle zusammen eine europäische Friedensordnung zuwege gebracht haben, darin manche Dinge bedeutungslos geworden sein werden, und allen klar wird, daß es für die Welt nützlich sein könnte, daß es ein unverstümmeltes Deutschland gibt.
    Kurzfristig oder mittelfristig sollten wir alles tun, um mit dem anderen deutschen Teilstaat — wie ich ihn sehe, habe ich gesagt — zu Vereinbarungen zu kommen, die das Leben der Menschen drüben erleichtern. Sie sagten, Herr Strauß, es komme auf die großen politischen Perspektiven an. Natürlich kommt es darauf an, aber man darf, wenn man Weltgeschichte denkt, darüber den kleinen Mann nicht vergessen, lieber Kollege Strauß!
    Ich habe keinerlei Illusionen. Auch das Wort Hoffnung schreibe ich mit ganz großen Buchstaben. Man muß trotzdem anfangen; Sie kennen das Wort Wilhelms von Oranien. Es wird ein langer Marsch werden, aber auch der längste Marsch beginnt mit einem ersten Schritt. Ich glaube, hier wurde ein erster Schritt getan.



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    Über die Einzelheiten, von denen hier gesprochen worden ist, möchte ich nichts weiter sagen. Ich habe schon zu lange gesprochen, und ich bitte um Entschuldigung dafür. Nur an einem liegt mir noch. Bei dem, was auf lange Sicht notwendig ist, und bei dem, was auf diesem Weg an Etappen zurückgelegt werden muß, müssen wir alles tun, um möglich zu machen, daß sich die eine deutsche Nation in ihrer Identität im Subtentiellen begreift und erhalten wissen will. Wenn ich von der einen deutschen Nation spreche, meine ich auch die Menschen in Leipzig, Chemnitz und anderswo.
    Weiter: auf diesem Marsch müssen wir Hindernisse wegräumen, die je und je entgegenstehen könnten, wo jene Mächte, auf die wir angewiesen sind, veranlaßt werden müssen, ihr Interesse auch in der Beseitigung der Spaltung Deutschlands zu sehen. Wenn uns das gelingt — ich werde es wahrscheinlich nicht erleben —, dann wird es die eine deutsche Nation in einem deutschen Staat wieder geben.
    Dabei ist mir ganz klar — ich habe das schon im Parlamentarischen Rat gesagt, als wir Art. 146 berieten —, daß es keine Eingemeindung des einen Teilstaates durch den anderen geben wird. Den neuen deutschen Staat werden wir zusammen machen müssen. Seine Verfassung werden wir zusammen beraten und beschließen müssen. Nur dann wird sie eine Deutsche Konstitution sein! Ich würde mich freuen, Herr Kollege Windelen, wenn sie im Kern möglichst so aussehen würde wie unser Grundgesetz. Aber dazu müssen alle ihr Wort sagen können, die den Namen „Deutsche" verdienen und zu denen wir so gerne sagen: „liebe Brüder und Schwestern".

    (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Aber demokratisch legitimiert!)

    — Natürlich. Muß ich das denn wirklich noch sagen?
    Das ist unsere Aufgabe, das ist unser Ziel. Wenn wir es errreichen, haben wir nicht nur Schaden vom deutschen Volke abgewendet, dann haben wir auch den Nutzen dieses Volkes und der Welt gemehrt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und zahlreichen Abgeordneten der CDU/CSU.)