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ID0602321400

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    1. tocInhaltsverzeichnis
      Deutscher Bundestag 23. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 Inhalt: Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über. die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland (Drucksache VI/223) Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 851 A Mischnick (FDP) 860 C Wehner (SPD) 866 A Dr. Gradl (CDU/CSU) 874 D Frau Funcke, Vizepräsident (zur GO) 877 D, 882 B Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . . 878 A Mertes (FDP) (zur GO) 878 C Wienand (SPD) (zur GO) . . . 879 D Dr. Wörner (CDU/CSU) (zur GO) . 879 C Schulte (Unna) (SPD) (zur GO) . 879 D Ollesch (FDP) (zur GO) 880 B Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) (zur GO) 880 D Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) (zur GO) 880 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) (zur GO) 881 B Collet (SPD) (zur GO) 881 D Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 882 A Fragestunde (Drucksachen VI/222, VI/239) Frage des Abg. Buchstaller: Pressemeldungen über Rücktrittsdrohungen der führenden Generale des Heeres Schmidt, Bundesminister . 882 D, 883 C, D, 884 A, B, C, D, 885 C Buchstaller (SPD) 883 B Dr. Althammer (CDU/CSU) 883 D, 884 A Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . . 884 B Josten (CDU/CSU) 884 C, D Horn (SPD) 885 A Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 885 A, B, C, D Möhring (SPD) . . . . . . . 885 B Dr. Bußmann (SPD) 885 B, C Fragen des Abg. Hussing: Berufung Professor Grzimeks zur Beratung der Bundesregierung in Fragen des Tier-, Natur- und Landschaftsschutzes Dr. Ehmke, Bundesminister . . . . 886 A II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 Frage des Abg. Reddemann: Pressemeldung über den Abschluß eines Vertrages mit der CSSR ohne Berlin-Klausel Dr. Ehmke, Bundesminister . . 886 B, C, D, 887 A Reddemann (CDU/CSU) . . . . . 886 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 886 C Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 886 D, 887 A Damm (CDU/CSU) . . . . . . . 887 A Fragen der Abg. Dr. Klepsch und Damm: Veröffentlichung des Textes eines Abkommens mit Prag über die Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Menschenversuche Dr. Ehmke, Bundesminister . , 887 B, C, D, 888 A, B Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . 887 B, C Leicht (CDU/CSU) . . . 887 C, 888 A Wehner (SPD) . . . . . . . . 887 D Dr. Czaja (CDU/CSU) 888 B Frage des Abg. Müller (Remscheid) : Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Frage der Berufsunfähigkeitsrente Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 888 C, 889 A, B Müller (Remscheid) (CDU/CSU) . . 889 A Dr. Götz (CDU/CSU) 889 B Frage des Abg. Folger: Maßnahmen der Bundesregierung gegen den Arbeitskräftehandel Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 889 C Fragen des Abg. Dr. Czaja: Fortführung der Frauen-Enquete in bezug auf die heimatvertriebenen und geflüchteten Frauen Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär 890 A, B Dr. Czaja (CDU/CSU) 890 B Frage des Abg. Müller (Remscheid) : Aufnahme des Besuchs von höheren Wirtschaftsfachschulen in das Förderungsprogramm der Bundesanstalt für Arbeit Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 890 C, D Müller (Remscheid) (CDU/CSU) . . 890 D Frage des Abg. Dr. Müller (München) : Finanzierung des Neubaues von Studentenheimen Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 891 B, C Dr. Müller (München) (SPD) . 891 B, C Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen: Schwierigkeiten in der ärztlichen Notversorgung an Festtagen 891 C Frage des Abg. Leicht: Gewinnung von zahlreicherem Nachwuchs für die Pflegeberufe Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 891 D, 892 B Leicht (CDU/CSU) 892 A Fragen des Abg. Köster: Maßnahmen der Bundesregierung zur Verwirklichung des Europäischen Jugendwerkes — Durchführung eines europäischen Jugendkongresses Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 892 B, C, D, 893 A Köster (CDU/CSU) . . . . . . 892 C, D Fragen des Abg. Jung: Internationaler Erfahrungsaustausch über die Bekämpfung von Grippeepidemien und Schaffung der wissenschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen dafür Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 893 A, B, C, D Jung (FDP) . . . . . . . 893 C, D Bäuerle (SPD) . . . . . . . 893 D Frage des Abg. Burger: Ausbildung von Bewerbern für den Krankenpflegeberuf nach Vollendung des 16. Lebensjahres Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 894 A, C Burger (CDU/CSU) 894 B Frage des Abg. Burger: Neuordnung der hierarchischen Ordnung in den Krankenhäusern Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 894 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 III Frage des Abg. Dr. Riedl (München) : Vorwürfe gegen die Ärzteschaft im Zusammenhang mit der letzten Grippewelle Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 895 A, B Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . . 895 B Fortsetzung der Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland (Drucksache VI/223) Rasner (CDU/CSU) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 895 B Schulte (Unna) (SPD) (Erklärung nach § 36 GO) . . . 895 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident (zur GO) . . . 895 C Franke, Bundesminister 895 D Strauß (CDU/CSU) . . . . . . 899 A Brandt, Bundeskanzler . . . 906 D, 924 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 909 A Scheel, Bundesminister 914 B Borm (FDP) 918 C Dr. Bach (CDU/CSU) 923 A von Hassel, Präsident (zur GO) . 924 B Dr. Dahrendorf (FDP) 925 A Nächste Sitzung 927 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1970 851 23. Sitzung Bonn, den 15. Januar 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
    2. folderAnlagen
      Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 16. 1. Dr. Aigner * 16. 1. von Alten-Nordheim 16. 1. Dr. Bayerl 31. 1. Biechele 23. 1. Dr. Birrenbach 16. 1. Frau Dr. Elsner* 16. 1. Dr. Franz 16. 1. Frehsee 16. 1. Dr. Gatzen 16. 1. Gewandt 16. 1. Dr. Giulini 16. 1. Glombig 16. 1. Dr. Haas 31. 1. Haehser 16. 1. Frau Dr. Henze 31. 1. Dr. Huys 23. 1. Dr. Jungmann 16. 1. Krammig 17. 1. Lücke (Bensberg) 16. 1-. Lücker (München) 16. 1. Michels 16. 1. Dr. Prassler 16. 1. Rawe 15. 1. Riedel (Frankfurt) * 15. 1. Röhner 16. 1. Schirmer 31. 1. Dr. Schulz (Berlin) 16. 1. Struve 17. 1. Dr. Warnke 16. 1. Weigl 16. 1. Winkelheide 31. 1. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments
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      Rede von: Unbekanntinfo_outline


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      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


    Rede von Dr. Hermann Schmitt
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      Rede von Dr. Franz Josef Strauß


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      (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

      — Wenn alles, was hier gesagt wird, neu sein müßte, dann könnte der Bundestag den größten Teil seiner Zeit in Urlaub gehen, Herr Kollege.

      (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

      Bei dieser Frage handelt es sich heute um die Konfrontation mit einer Kombination, die heißt — ich wage es zu sagen, auch wenn es nicht mehr Mode
      ist —: weltrevolutionärer Kommunismus und russischer Imperialismus, beides in der Zentrale Moskau vertreten.

      (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

      Seit der Erarbeitung und Anwendung der BreschnewDoktrin haben wir eigentlich keinen Grund — obendrein wenn ich an die Lektüre des einschlägigen Kapitels von Helmut Schmidt denke —, das etwa nicht zu erwähnen.
      Die Frage, um die es hier geht, ist die Frage der Einordnung Deutschlands in seine Umwelt, damals und heute. Diese Frage hat den Wiener Kongreß beschäftigt, als die Konturen des Deutschen Bundes zustande kamen. Das waren die Fragen, die 1866, 1870/1871 Europa beschäftigt haben. Das war nicht zuletzt die Frage, die sich Bismarck stellte, als er das heute vom Kollegen Kiesinger erwähnte kleindeutsche Reich bewußt in dieser Beschränkung — mehr war wohl auch nicht drin — im Gegensatz zu den Träumen von 1848/49 schuf, weil er seine Aufgabe darin sah, diesem Reich keine expansive Rolle, diesem Reich auch keine Weltmachtstellung zu verschaffen, sondern seine primäre Aufgabe darin sah, die Umwelt mit der Existenz dieses Reiches zu versöhnen, und darum — Aspekt des 19. Jahrhunderts, der damaligen Bündniskonstellationen: cauchemar des coalitions — entscheidenden Wert darauf legte, daß dieses Reich nicht zwischen Westen und Osten in eine doppelte Frontstellung gedrängt wurde. Blindheit und Verblendung, womit ich ersten und zweiten Weltkrieg mit einem Stichwort umschreiben will, haben dieses Reich zerstört, und wenn wir jemals wieder zu einer nationalen Einheit, nicht nur in verbalem Sinne, sondern im Sinne eines gemeinsamen staatlichen Daches, sei es nationaler Art, sei es übergreifender Art, kommen wollen, dann geht es um das Problem, wie dieses Deutschland, dessen Problematik Kollege Kiesinger mit den Stichworten „60 Millionen plus 17 Millionen, Wirtschaftspotentiale und Militärpotentiale" umrissen hat, wie dieses Reich, wie diese deutsche Nation als politische Organsation in ihre Umwelt eingefügt werden kann. Das ist die Frage, und deshalb plädiere ich, ohne damit etwas grundlegend Neues oder erschütternd Umwälzendes zu sagen, abermals dafür, die Behandlung der deutschen Frage nicht mit dem Jahre 1933 oder 1945 zu beginnen — obwohl das wesentliche Zäsuren sind —, sondern sie in ihren historischen Zusammenhängen zu ergründen und bei allen Lösungsmöglichkeiten, bei allen möglichen Lösungsmodellen die Erfahrungen nicht nur unserer Generation, sondern die Erfahrungen, die bis in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zurückreichen, als Gedankenhilfen und Arbeitskonstruktionen mit heranzuziehen.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Mit bewegt hier eine Frage. Es ist vor kurzem ein Buch erschienen: „Die deutschen Kriegsziele 1914/1918". Ich möchte mich hier mit der Frage nicht beschäftigen. Das ist eine umfangreiche Literatur.

      (Zuruf von der SPD.)

      — Oh, das ist ein sehr wesentliches Problem zur
      Klärung der europäischen und deutschen Zusammen-



      Strauß
      hänge, ein Problem, das viel ernster ist, als daß es spöttische Zwischenrufe verdienen würde.

      (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

      Hier würde uns interessieren, nicht nur die deutschen Kriegsziele 1914/18 zu erfahren, sondern auch die russischen Kriegsziele 1914/18. Dann würde man wahrscheinlich zu der Auffassung kommen, daß es Bismarck dank einer Reihe von Möglichkeiten und Umständen gelungen war, den widerstrebenden Nachbarn die Gründung des kleindeutschen Reiches aus den Zähnen zu reißen, daß es aber bereits in den Jahren 1914/18 ein ganz genau fixiertes Kriegsziel unseres russischen Kriegsgegners von damals war, mit dieser ihm unbequemen Zentralmacht in Europa Schluß zu machen. Zu dieser imperialistischen oder machtpolitischen Zielsetzung von damals kam dann und kommt auch heute noch die ideologische Zielsetzung und all das, was wir wissen und was ich im einzelnen hier nicht mehr zu erwähnen brauche.
      Aus diesem Grunde, Herr Kollege Wehner, war es heute früh auch etwas deplaziert, daß Sie Kollegen Kiesinger unterbrochen haben, als er sagte, es führe kein Weg mehr zu Rapallo. Das Wort „Ausverkauf" hat in dem Zusammenhang überhaupt keine Berechtigung. Es gibt keine einzige Stelle in meinen politischen Reden, wo ich jemals die Meinung vertreten hätte, daß irgend jemand, außer ein Halbverrückter oder Ganzverrückter, heute noch an ein Rapallo denken könnte. Das Wort „Rapallo" hat ja seinen ursprünglichen historischen Sinn verloren. Es wird heute für etwas ganz anderes verwendet, als der Vorgang von Rapallo 'eigentlich gewesen ist.

      (Sehr richtig! 'bei der CDU/CSU.)

      Für eine Rückkehr zur Rapallo-Politik fehlen sämtliche Voraussetzungen; darüber gibt es keinen Zweifel. Das Bekenntnis des Herrn Bundeskanzlers gestern zur westlichen Absicherung seiner ostpolitischen Initiativen ist ja eine ganz deutliche Absage an ein Rapallo-ähnliches Denken. Das schließt nicht aus, daß wir bei allen ostpolitischen Initiativen auf falsch verstandene Rapallo-Ressentiments unserer westlichen Freunde und Nachbarn sorgsamer Rücksicht nehmen müssen, als wenn es das Stichwort „Rapallo", ,dieses Trauma „Rapallo", nicht gäbe.
      Aber gerade wenn diese westliche Absicherung unserer Ostpolitik, in der Regierungserklärung mehrmals ausgedrückt, sozusagen eines der Axiome unserer Politik ist, in dem Fall auch unserer gemeinsamen Politik oder der gemeinsamen Teile unserer Politik ist, dann 'erweist sich doch, Herr Kollege Wehner — nicht daß ich hier zu allen Methoden und Formen der Adenauer-Politik zurückkehren wollte —, daß die Frage, ob es möglich gewesen wäre, ohne feste westliche Bindungen ostpolitische Abschlüsse zu treffen, eindeutig, und zwar historisch, geklärt ist, was Sie heute offengelassen haben.

      (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

      Konrad Adenauer wußte, warum er den Anschluß der Bundesrepublik an die Europäischen Gemeinschaften, an die NATO, auch an die Westeuropäische Union mit allem Nachdruck betrieben und allen Angeboten auf angeblich freie Wahlen, Konföderationsideen usw. so nachdrücklich widerstanden hat. Für ihn gab es nicht einen cauchemar des coalitions, für ihn gab es einen cauchemar d'isolation: daß nämlich dieses Deutschland ohne feste Bindungen an den Westen mit seinen schmalen Schultern, Herr Bundeskanzler, von denen Sie gestern mit Recht gesprochen haben, dann im Strudel der widerstrebenden Großmachtinteressen buchstäblich zermalmt würde, wenn es nicht einen festen Standort dort beziehen würde, wohin es nun einmal nach Geschichte, Kultur, Tradition, Gesinnung und politischer Einstellung gehört, nämlich im Westen, was nicht Feindschaft mit dem Osten heißt.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Aus dieser nicht nur die Geschichtsforscher, sondern auch den Politiker beschäftigenden Überlegung muß man heute auch die Frage stellen: was war der russische Plan oder die russische Absicht bei dem von Hitler verschuldeten Einmarsch der sowjetischen Truppen in Deutschland, bei ihrem auch von den Westmächten - dank ihrem langen militärischen Zögern — erleichterten Vordringen in das Herz Europas? Was war ihre Absicht? War es die Absicht, Hitler zu stürzen und das NS-Regime zu beseitigen? Ja, ohne jeden Zweifel, und das war ein legitimes Kriegsziel. Trotz allem, was vorangegangen war
      Hitler-Stalin-Pakt usw. -, war das ohne Zweifel ein legitimes Kriegsziel. Aber dieses Kriegsziel hätte erreicht werden können, ohne daß deshalb der von den sowjetischen Truppen besetzte Teil Deutschlands diesem gesellschaftlichen Umwandlungsprozeß mit Gewalt unterworfen worden wäre, wie es nun geschehen ist.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Hier muß mehr dahinterstecken. Ich habe darauf auch keine Antwort. Aber die Frage muß uns beschäftigen: was waren die Absichten der Sowjets?
      Oder kann man sagen, Herr Kollege Wehner: wenn wir uns etwas geschickter verhalten, alle vorhandenen Chancen ausgenutzt, alle Sondagen durchgeführt hätten, hätten wir doch eine Möglichkeit gehabt, sowohl die westlichen wie die östlichen Truppen durch eine geeignete Staatsorganisation wieder aus unserem Lande zu bringen? Hier bin ich der Auffassung - ich muß das sagen, weil das meine Überzeugung ist, und dafür ist dieses Parlament da , daß die Sowjetunion, deren Emissär Ulbricht noch während der Kriegshandlungen eingeflogen wurde, einen ganz fest konzipierten, ihren langfristigen strategischen Zielsetzungen entsprechenden Plan für Deutschland hatte und deshalb um keinen Preis bereit gewesen wäre, einem neutralen, entmilitarisierten, aber in unserem Sinne demokratischen Gesamtdeutschland mit noch so enger Grenzziehung seine Zustimmung zu erteilen.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Deshalb ist es nicht nur die Frage der Vorfeldbeherrschung, der Sicherung gegen eine westliche Aggression; das hätte sich auch leichter erreichen lassen. Es ist schon eine Frage einer offensiven Zielsetzung, wobei ich nicht so primitiv bin, den Sowjets ein rein militärisches Denken zu unterstel-



      Strauß
      len. Für die Sowjets ist das militärische Instrument ein Ausschnitt aus ihrem politischen Arsenal, und es ist nicht in der plump primitiven, brutalen, kriminellen Methode Hitlers das einzige Mittel der Politik, auf das man sich verläßt. Es ist ein Ausschnitt aus ihrem Arsenal, dessen Anwendung lieber angedroht, als daß es in Wirklichkeit eingesetzt wird, wenn die Drohung allein schon genügt.
      Darum ist für mich immer wieder die Frage — sie sollte es auch für mehr sein, und sie es wahrscheinlich für uns alle —: was ist die sowjetrussische Vorstellung für Deutschland gewesen, was ist sie heute, was ist sie gegenüber Europa? Hier ist in der sowjetischen Literatur, in der politischen Diskussion eines nicht zu verkennen. Ich bin insofern mit schuld daran, als mein sehr harmloses Buch eine Fülle von Reden, Rezensionen,, Vorträgen und Kritiken ausgelöst hat, deren Volumen mindestens das Zwanzigfache des Umfanges meines Buches ausmacht. Ich meine hier den wütenden Angriff gegen die Konzeption eines europäischen Bundesstaates. Hier tritt ganz klar zutage, wo die Interessen sich schneiden. Dabei ist der Angriff gegen den europäischen Bundesstaat, gegen diese Konzeption nicht eine defensive Idee, sondern er entspringt der Klarheit darüber, daß das Zustandekommen eines europäischen Bundesstaates jede Manövrierfähigkeit in Richtung Ausdehnung des Gesellschaftssystems nach Westen ein für allemal versperren würde.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Das sind die Zusammenhänge, wie ich sie mir vorzutragen erlaube.

      (Zuruf des Abg. Wehner.)

      Deshalb glaube ich, daß Deutschland in den Augen der Sowjets eine Schlüsselposition im Hinblick auf die Konzeption der ja weit nach vorn geschobenen sowjetischen Westgrenze einnimmt. Das beweist, wie eng unser Spielraum ist, wie wenig wir allein vermögen und daß ohne eine Änderung der politischen Kräfteverhältnisse und Konstellationen in einer historisch langfristig angelegten Konzeption, zu der wir nur einen kleinen Teil beizutragen vermögen, eine Änderung der leider bestehenden Verhältnisse, wenn nicht ein Wunder geschieht, in einer vorausschaubaren Zeit nicht erwartet werden kann. Insofern stimme ich mit dem überein, Herr Kollege Wehner, was Sie nach der mir zugegangenen Agenturmeldung gegenüber der „Rheinischen Post" erklärt haben.
      Nun muß ich ,ein kritisches Wort zu den Materialien zum Bericht zur Lage der Nation sagen. Herr Kollege Kiesinger hat heute morgen schon einige kritische Anmerkungen gemacht. Ich möchte die kritischen Anmerkungen jetzt nicht ad infinitum fortsetzen. Ich glaube, daß man es sich hier etwas zu leicht gemacht hat,

      (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!)

      denn die Auswahl der Ereignisse läßt keine echte Systematik erkennen, und das zusammenhanglose, nur im zeitlichen Ablauf dargestellte Hintereinander gewisser Ereignisse läßt bei dem, der die Vorgeschichte nicht kennt, weil ,er sie nicht erlebt oder
      nicht studiert hat, falsche Schlußfolgerungen aufkommen.
      Ich nenne nur zwei mögliche Schlußfolgerungen, die gezogen werden können. Erstens: die Gleichsetzung der einen Seite Deutschlands mit dem anderen Teil Deutschlands, in Vollzug einer Funktion der politischen Absichten der jeweiligen Sieger-
      oder Besatzungsmächte. Zweitens: die Verwischung der Tatsache, daß die Schuld an der Spaltung Deutschlands eindeutig bei der Sowjetunion und ihrer politischen Zielsetzung liegt, wobei westliche Fehler und Versäumnisse sie dabei unterstützt haben mögen.
      Wenn man hier auch die Potsdamer Konferenz erwähnt und davon ausgeht, daß man damals noch von einem einheitlichen Deutschland mit einer einheitlichen Wirtschaft gesprochen habe, so hätte dazu auch mehr gesagt werden müssen, besonders was die politische Bewertung in einem politischen Dokument angeht. Wenn eine reine Tatsachenschilderung beabsichtigt gewesen ist, so wäre es besser gewesen, einfach auf Siegler Band I und II zu verweisen. Dann hat man eine wesentlich umfassendere, aber auch noch nicht lückenlose Dokumentation.
      Man muß wissen — das darf nicht vergessen werden, weil solche Wahrheiten einfach nicht verwischt werden dürfen —, daß Molotow damals drei Forderungengestellt hat, sicherlich nicht, weil sie ihm persönlich eingefallen sind, sondern weil sie Teil des russischen Konzeptes waren: erstens eine russische Beteiligung an der Kontrolle über Rhein und Ruhr; zweitens Reparationen in Höhe von 10 Milliarden Dollar aus laufender Produktion oder durch Demontagen — über diese Forderung hätte man langfristig noch am leichtesten reden können, aber erst nach Wiederaufbau der Wirtschaft —; und die dritte Forderung war — sie beweist, daß wir zwar dieselben Worte verwenden, aber in verschiedenen Begriffssystemen denken, vergleichbar der Situation, wenn zwei dieselben Zahlen gebrauchen, aber der eine im Dezimal- und der andere im Sexagesimalsystem rechnet; dann geht die Rechnung nicht auf, obwohl sich beide dieselben Zahlen vorhalten — die Umwandlung ganz Deutschlands in ein friedliebendes, demokratisches, einheitliches Land. Was wir unter „demokratisch und friedliebend" verstehen, deckt sich einfach nicht mit dem, was bei der Umstülpung der Werte auf der anderen Seite darunter verstanden wird.
      Als diese Forderung von den Amerikanern — an der Spitze von dem gestern erwähnten Herrn Byrnes — abgelehnt wurde, hat die Sowjetunion ihre Zustimmung zu weiteren Aufbaumaßnahmen, weiteren gesamtdeutschen Maßnahmen im Sinne der Potsdamer Beschlüsse verweigert und durch ihr ständiges Njet im Kontrollrat eine untragbare Situation geschaffen. Es waren die drei Punkte Rhein- und Ruhr-Kontrolle, Reparationen in Höhe von zehn Milliarden Dollar und Umwandlung unserer Gesellschaftsordnung. Nummer drei ist ja auch heute noch das Thema, um das es bei der deutschen Frage geht.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)




      Strauß
      Es ist bestürzend, nachzulesen, daß damals Außenminister Byrnes eine völlige Demilitarisierung und Neutralisierung als westliches Konzept angeboten und noch — damals war man mit Menschenleben großzügiger, als man es heute ist — erklärt hat, die Amerikaner würden sich verpflichten, mit ihrer Luftwaffe die Deutschen zu bestrafen, wenn sie sich diesen Auflagen entzögen. So hat man damals noch gedacht und gesprochen. Ich möchte nicht sagen, daß das wünschenswert ist, aber es war eine sehr handfeste, eisenhaltige Sprache, die hier gegen uns geführt worden ist.
      Auch dazu haben die Sowjets nein gesagt, als die Amerikaner ihnen eine solche zeitlich fast nicht begrenzte Garantie anboten. 25 Jahre hieß es zunächst. Molotow sagte: 50 Jahre. Da sagte Byrnes: Gut, nehmen wir 50 Jahre. 50 Jahre Entmilitarisierung und Neutralisierung! — Nein, darum ging es nicht. Es ging um die Mitherrschaft über Rhein und Ruhr und damit über ein Wirtschaftspotential, und es ging um die Umwandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse im damaligen Deutschland.
      Das, Herr Bundeskanzler, müßte bei Materialien zum Bericht zur Lage der Nation auch in einer kurzen Wertung aufgeführt werden. Diese wertneutrale Darstellung scheinbar zusammenhangloser Fakten, die aber dann in ,der Reihenfolge der Darstellung doch wieder falsche Verantwortlichkeiten entstehen lassen, ist nicht ausreichend.

      (Beifall bei der CDU/CSU.) Und dann lese ich noch:

      Am 13. August 1961
      — so heißt es dort —
      wurde mit dem Bau der Mauer die Teilung Berlins vertieft.
      Das ist eine Viertelwahrheit. Natürlich ist die Teilung Berlins vertieft worden, aber der Bau der Mauer war — siehe das, was der Kollege Wehner heute morgen sagte — noch etwas mehr als nur eine Vertiefung der Teilung Berlins. Das war ein tiefer Einschnitt in die Nachkriegsgeschichte und die Beziehungen nicht nur zwischen den beiden Teilen Deutschlands, sondern auch innerhalb Europas und zwischen Osten und Westen. Darum glaube ich, daß wir mit solchen Formulierungen wie „Die deutsche Nation ist auf dem Boden Deutschlands in seinen tatsächlichen Grenzen von 1970 in zwei Staaten gegliedert", mit dieser wertneutralen Darstellung am Kern der Sache, an der Substanz der politischen Problematik vorbeigehen und Verwirrung erzeugen.

      (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

      Das gilt auch für den Ausdruck „das besondere Besatzungsgebiet Berlin" oder — wie es dann wieder heißt — „die selbständige politische Einheit inmitten der DDR" ; das ist der Ausdruck, der von der anderen Seite gebraucht wird. Berlin ist nach dem Willen des Parlamentarischen Rates ein Teil des Bundes, dessen volle Zugehörigkeit zum Bund aus guten Gründen und nicht gegen unseren Willen einem alliierten Vorbehalt unterworfen worden ist.

      (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

      Wenn wir nämlich schon in der Terminologie, die angesichts der Mentalität und Formalistik der anderen Seite eine größere Rolle spielt, als wir es uns oft zu träumen erlauben, allmählich unsere Position zu ändern beginnen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir dann eines Tages in einer anderen Landschaft wieder zu uns selber finden oder auch nicht mehr zu uns selber finden.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Ich bewerte die Ulbricht-Rede vom Dezember viel weniger optimistisch — nicht weil ich von Grund auf ein Pessimist bin oder drüben alles nur in negativen Farben sehe. Aber daß Ulbricht sagte, er gehe aus besonderem Grunde auf das Problem Berlin nicht ein, hat nichts damit zu tun, daß er zu Berlin nichts mehr zu sagen hätte, sondern liegt daran, daß er der Meinung ist, daß bei Annahme seines Vertragsentwurfs das Thema Berlin sich automatisch in seinem Sinne lösen wird und deshalb jetzt nicht mehr vorgezogen werden sollte.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Ich habe dem Sprecher der Bundesregierung — was er einem alten Parlamentarier nicht übernehmen möge — eine kleine Belehrung zu erteilen. Wenn er wieder ein Fernseh- oder Rundfunkinterview mit Herrn Rummel gibt, dann sollte er nicht sagen, daß die Formulierung in diesem Bericht an Tacitus erinnert, sondern er sollte sagen, daß sie an Cäsar erinnert: „Gallia est omnis divisa in partes tres". Und hier heißt es: „Germania est omnis divisa in partes duas". Das hat aber nicht Tacitus geschrieben, sondern Cäsar. Das nur nebenbei, weil ja keiner aus seiner Haut herauskann.

      (Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe bei der SPD.)

      — Sie zweifeln daran, Herr Kollege Schmidt?

      (Zurufe von der SPD.)

      — Nein, ich habe nicht Sie genannt; Sie heißen doch nicht Ahlers. Und Herr Ahlers hat sicher so viel Humor, daß er das nicht als Belehrung, sondern als einen netten Beitrag empfinden wird.

      (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD.)

      Wenn es nun aber hier heißt: „Das Bemühen, bessere Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu erreichen, kann nur erfolgreich sein, wenn die grundsätzlich unvereinbare gesellschaftliche und politische Entwicklung hüben und drüben nie außer acht gelassen wird", so muß ich einmal fragen: Was heißt denn das, was ist denn der Denkvorgang, der dieser Formulierung vorausgegangen ist, wenn es nicht einfach nur eine Aneinanderreihung von Worten zu einem grammatikalisch halbwegs richtigen Satz bedeuten soll?
      Das gilt auch für das Wort „Entwicklung". „Entwicklung" ist eine sehr euphemistische Ausdrucksweise. Es handelt sich nicht um einen Entwicklungsprozeß, sondern darum, daß sich bei uns, wenn auch



      Strauß
      nach einigen Eingriffen der Besatzungsmächte, der gesellschaftliche Prozeß frei gestalten konnte, nach dem freien Willen der Bevölkerung in freien, gleichen, geheimen Wahlen unzählige Male gestaltet, und daß drüben keine Entwicklung stattgefunden hat, sondern eine Entwicklung oder eine Lage aufoktroyiert worden ist, und zwar mit einer Tendenz, die man dann nicht als „Entwicklung" bezeichnen kann, wenn man nicht das Ganze allzusehr verniedlichen, bagatellisieren oder beschwichtigend darstellen will.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Die Formulierungen im Verfassungstext der DDR spielen gegenüber der Verfassungswirklichkeit und den politischen Absichten keine Rolle, wie wir leider wissen. Es war der in der Bundesrepublik auch publizistisch tätige Sowjetbotschafter, den ich bei allem Respekt vor seiner Mission gerade deshalb hier sehr vorsichtig behandle, der in einem Interview in der „Rheinpfalz" 1967 auf die Frage: „Glauben Sie an die Wiedervereinigung noch in diesem Jahrhundert?" erwidert hat:
      Ich muß Ihnen sagen, diese Frage ist methodisch nicht richtig, weil als Grundlage dieser Frage die politische Entwicklung dieser beiden Staaten anzusehen ist. Eine mechanische Wiedervereinigung ist unmöglich. Es ist erst möglich, über Wiedervereinigung zu sprechen, wenn Veränderungen in der politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung und in vieler anderer Hinsicht dazu führen werden, daß sich beide Staaten nicht mehr fremd gegenüberstehen, auch ideologisch gesehen. Sie müssen erst eine gemeinsame Ideologie besitzen.
      Und so geht es weiter.

      (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

      Das ist die Wahrheit. Wie gesagt: das ist auch nicht neu. Es nützt uns auch nichts, die Wahrheit zu wissen, in der Darstellung der Verhältnisse gegenüber dem Inland und Ausland aber nicht von dieser Wahrheit so auszugehen, daß wir uns der Dramatik und der Wucht der geschichtlichen Situation, in der wir uns befinden, voll bewußt erscheinen. Darum handelt es sich bei diesem Zusammenhang, und deshalb habe ich, ausgehend vom Potsdamer Abkommen, die sowjetischen Kriegsziele und Nachkriegsziele dargestellt.
      Wir sollten sorgsam darauf achten, daß in keiner Dokumentation und in keiner Darstellung der Eindruck erweckt wird, als ob die Spaltung im Westen eingeleitet worden sei und der Osten nur auf westliche Spaltungsmaßnahmen als Opfer der vorangegangenen Entscheidungen reagiert habe.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Wer jene Zeit noch in Erinnerung hat — wir haben sie im Wirtschaftsrat mitgemacht —, der weiß auch, daß der Entschluß, die Bizone und die Trizone zu schaffen, von dem in Ihren Materialien die Rede ist, nicht etwa eine westliche Überlegung zur Separation, sondern ein verzweifelter Ausweg war, um der bis zur Unerträglichkeit gestiegenen Hungersnot und Wirtschaftsnot allmählich ein Ende zu bereiten. Ich
      kann einfach meine Meinung nicht unterdrücken, daß das dauernde Njet zu Maßnahmen im Sinne der Potsdamer Beschlüsse auch das Ziel verfolgt hat, die Not in Deutschland so zu steigern, daß die reife Ernte dann eines Tages denen, die es darauf angelegt hatten, in den Schoß fallen sollte.

      (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

      Das bitte ich bei den Materialien zum Bericht zur Lage der Nation in Zukunft in der Auswahl der Fakten, aber auch in der Wertung der Fakten so darzustellen, daß ein solches Dokument — würdig einer deutschen Bundesregierung - auch später als eine geschichtlich fundierte Darstellung mit höchstem Objektivitätsgehalt angesehen werden kann.

      (Beifall bei der CDU/CSU.) Nun komme ich — —


      (Zuruf von der SPD: Zum Schluß!)

      — Beinahe! An sich ist es doch ganz interessant, mir zuzuhören.

      (Abg. Dr. Apel: Na!)

      Herr Kollege Wehner, Sie haben heute morgen, was gar nicht Ihrer Art entspricht, eine Antwort verweigert. Die Frage, die Kollege Barzel an Sie gerichtet hatte, lautete, ob Sie noch auf dem Boden der Entschließung des Bundestages — CDU/CSU plus SPD — vom 25. September 1968 stünden.

      (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

      Sie mögen sagen, daß Sie damals schon nicht für diese Entschließung waren — mögen Sie sagen! — und daß Sie aus Kabinettsdisziplin dann nicht anders konnten, als sie stillschweigend hinzunehmen. Aber wir alle haben dieser Entschließung aus innerer Überzeugung zugestimmt, und zugestimmt hat ihr nicht zuletzt auch der damalige Außenminister, der heutige Bundeskanzler. Da stellt sich für uns und muß sich für uns die Frage stellen: warum ist denn diese Entschließung aufgegeben worden?

      (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

      Welche Überlegungen, welche Motive, welche Argumente, welche Hoffnungen, welche Zusammenhänge haben hier zugrunde gelegen?

      (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

      Ich möchte nicht unterstellen, daß das Nein der FDP von damals zum Punkt 6 dieser Entschließung auch die Einstellung der SPD nach dem Motto „Der Schwanz wedelt mit dem Hund" geändert hat.

      (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Denn in diesem Punkte 6 heißt es:

      Unsere Verbündeten und die ganz überwiegende Mehrheit der Völker haben bekundet, daß sie die Bundesregierung als die einzige deutsche Regierung ansehen, die frei und rechtmäßig gebildet ist. Sie spricht auch für jene, denen mitzuwirken bisher versagt ist. Die Anerkennung des anderen Teiles Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation kommt nicht in Betracht.



      Strauß
      Ich würde mich nicht scheuen, dieser Entschließung auch heute noch mein Ja zu geben.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Ihrer Antwort, Herr Kollege Wehner, Sie seien jetzt überhaupt gegen Entschließungen, weil sie den Handlungsspielraum der Regierung einengten, muß ich entgegenhalten, daß das ein Ausweichen vor einer ganz klaren Erklärung ist.

      (Abg. Rasner: Unter dem Motto „Mehr Demokratie" !)

      Schließlich hat auch der Herr Bundeskanzler selbst seinen Handlungsspielraum — ich begrüße es — eingeengt, indem er hier eine ganze Reihe von Festlegungen getroffen hat, von denen ihn sozusagen keine Macht der Erde bei allen ostpolitischen Verhandlungen abbringen werde. Aber wie sollen wir diese für voll glaubhaft und vorerst einmal unabänderlich halten, wenn vom September 1968 bis zum Januar 1970 eine damals wesentliche Festlegung der damaligen Koalitionsparteien — einstimmig von beiden Fraktionen angenommen — heute nicht mehr gilt und die Frage „Wie hältst Du es mit dieser Entschließung?" damit beantwortet wird: „Ich bin überhaupt gegen Entschließungen." Das ist keine klare Aussprache hier, wenn es um den Bericht zur Lage der Nation geht; da müssen auch von Ihrer Seite her die Karten auf den Tisch gelegt werden.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Weil ich mich schon mit Ihnen beschäftige, Herr Kollege Wehner, muß ich auch sagen, daß Sie heute morgen ein Eigentor geschossen haben; da hätten Sie in dem Punkte jedenfalls besser geschwiegen. Sie haben mir in schärfsten Tönen vorgehalten, wie infam es sei, dem Bundeskanzler Geschichtslosigkeit vorzuwerfen. Sie wissen, daß alle Äußerungen und Sätze immer nur im Zusammenhang ihren vollen Wert und ihre volle Verständlichkeit haben. Ich bin von dem Korrespondenten des Deutschlandfunks
      gefragt worden, was ich von einem Artikel - in
      dem Fall sage ich: des Herrn Willy Brandt - vom
      7. Januar 1970 im „Bulletin" halte, der das Vorwort zu einem Buch wiedergibt und den Titel trägt „Chancen und Aufgaben deutscher Politik". Da schreibt er:
      Es ist wahr, daß die Bundesrepublik Deutschland dem ihr anvertrauten Teil der Nation eine freiheitliche Ordnung mit allen Möglichkeiten positiver Fortentwicklung gegeben hat; daß sie in ihrer gesellschaftlichen Struktur stärker, gesünder, stabiler ist als die Weimarer Republik. Aber es ist ebenso wahr, daß diese unsere Gesellschaft sich in den zweieinhalb Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg auch weithin nach restaurativen Mustern geformt hat. Sie setzte die Kräfte frei zu einem beachtlichen Wiederaufbau, aber einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit wich sie aus. Und gerade deshalb ist sie gegen Rückfälle in ein Schwarzweiß-rot-braun-Denken nicht völlig gefeit.

      (Lebhaftes Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

      Das ist der Text, zu dem ich gefragt worden bin. Auf
      diesen Text hin habe ich geantwortet: Ich glaube,
      daß diese Urteil sehr ungerechtfertigt ist und im übrigen die Geschichtslosigkeit des jetzigen Bundeskanzlers beweist.

      (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

      Wenn ich ihn nicht vorher als Herrn Willy Brandt bezeichnet hätte — bewußt; nicht um ihn herabzusetzen —