Rede von
Dr.
Burkhard
Ritz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem am Mittwoch hier in diesem Hause die großen Perspektiven der europäischen Politik im Mittelpunkt gestanden haben, müssen wir uns mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wieder in die Niederungen der harten Alltagsarbeit hinunterbewegen. Wenn auch der vorliegende Gesetzentwurf inhaltlich deckungsgleich ist mit dem Initiativentwurf der Koalitionsfraktionen, der bereits die Ausschüsse passiert hat, so sind uns doch in der Zwischenzeit zusätzliche Informationen zugegangen, die es der CDU/CSU-Fraktion notwendig erscheinen lassen, aus Anlaß dieser ersten Beratung eine Erklärung vor diesem Hohen Hause abzugeben.
Der in der Drucksache VI/79 vorliegende Entwurf eines Gesetzes über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiet der Landwirtschaft ist, meine Damen und Herren, die in Gesetzessprache gekleidete Konkretisierung des Versprechens, ja der Zusage der Bundesregierung, daß der Landwirtschaft aus der Aufwertung keinerlei Verluste entstehen sollen. Bevor ich zum Gesetzesentwurf selbst komme, nenne ich einige Punkte, die das Gesetz völlig ausklammert, die aber mit der Frage des Verlustausgleichs in unmittelbarer Beziehung stehen:
Erstens. Nach übereinstimmender Auffassung, auch des Bundeslandwirtschaftsministers, sind durch die jetzigen, bis zum 31. Dezember gültigen Übergangsregelungen die Verluste, vor allem im Bereich von Geflügel, Obst, Gemüse und in anderen Bereichen keineswegs abgedeckt. Der Landwirtschaftsminister hat die Auffassung vertreten, daß ein zusätzlicher Ausgleich erfolgen sollte. Diesbezügliche Hoffnungen sind durch den Finanzminister zunächst gedämpft worden, obwohl wir durchaus anerkennen, Herr Bundesminister, daß das Bundeskabinett gestern eine erste Hilfestellung beschlossen hat.
Zweitens. Der vorliegende Gesetzentwurf deckt ebenfalls nicht jene Verluste ab, die bei den Zahlungen aus dem Europäischen Ausrichtungsfonds entstehen. Sowohl die Mittel für die allgemeine Markt- und Agrarstruktur als auch für die vorgesehenen Prämien bei der Abschlachtung von Milchkühen und bei der Rodung von Obstanlagen werden den Empfängern nur um jeweils 8,5 % gekürzt zufließen. Besonders schwerwiegend dürfte dieser Tatbestand für jene Unternehmen sein, die bereits auf Grund fester Zusagen Investitionen vorgenommen haben. Der Einwand, daß wir nach der Aufwertung auch weniger in diesen Fonds einzahlen, vermag zwar den Finanzminister zu trösten, die betroffenen Empfänger, die Landwirte, Unternehmen und Körperschaften allerdings nicht.
Drittens. Der Agrarexport betrifft zwar nicht unmittelbar den Einkommensausgleich, steht aber mittelbar in einem engen Zusammenhang. Die Aufwertung stellt den Agrarexport vor schwerwiegende Probleme. Die früheren Bundesregierungen und Bundestage haben durch viefältige Initiativen den Agrarexport gefördert, nicht zuletzt auch durch das in der vorigen Legislaturperiode verabschiedete Absatzfondsgesetz, das mit finanziellen Belastungen der Produzenten wie des Bundes verbunden ist und das nicht zuletzt auch dem Ziele dienen soll, dem Agrarexport zusätzliche Impulse zu geben. Meine Damen und Herren, schon heute zeichnet sich ab, daß durch die Aufwertung ganze Märkte verlorenzugehen drohen, ein Schaden, der nicht mehr reparabel sein dürfte, womit auch die sehr erfreulichen Zuwachsraten der letzten Jahre im Agrarexport kaum noch zu erreichen und zu halten sein werden. Damit aber entsteht ein zusätzlicher Druck auf dem Binnenmarkt, der nun wieder unmittelbar den Produzenten belasten wird.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie auf die Frage, wie sie diese Schäden auszugleichen gedenkt, nicht immer nur mit dem Hinweis auf anstehende Prüfung antwortet, sondern sehr schnell konkret erklärt, wie diese Verluste ausgeglichen werden sollen.
Zum Gesetzentwurf selbst. Durch die in der Zwischenzeit bekanntgewordene Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften betreffend die auf dem Agrarsektor infolge der Aufwertung der D-Mark zu treffenden Maßnahmen, über die im Rat zwar noch formell abzustimmen ist, sehen wir uns in einigen Aussagen durch die Bundesregierung getäuscht. Sowohl der Bundesminister für Wirtschaft wie der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten haben von diesem Platz aus das Parlament geradezu ermuntert, den Gesetzentwurf nach eigenen Vorstellungen auszugestalten. Diese Ausgestaltung durch das Parlament wird allerdings durch die Verordnung des Rates in hohem Maße eingeschränkt, wenn etwa in Art. I Nr. 3 festgelegt ist, daß diese Beihilfen — ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren, Frau Präsidentin — „teilweise in Form eines Vorschusses gewährt werden können, den die landwirtschaftlichen Erzeuger beim Kauf ihrer Erzeugnisse erhalten und der höchstens 3 % des Verkaufspreises betragen darf". Damit liegt der im Gesetz genannte Ausgleichsbetrag von 3 % über die Änderung des Mehrwertsteuergesetzes fest und ist zumindest nach oben nicht mehr veränderbar. Art. I Nr. 3 der Verordnung sagt weiter:
Diese Beihilfen können in Form einer direkten Beihilfe den landwirtschaftlichen Erzeugern gewährt werden, sofern sie nicht in Abhängigkeit vom Preis und der Menge des Erzeugnisses bestimmt wird.
Wir fragen die Bundesregierung, wie sie ihr Versprechen einlösen will, einen vollen Verlustausgleich zu sichern, der doch durch den jeweiligen Verkaufsakt entsteht. Auch unsere bereits geäußerte Befürchtung, daß ein, wenn auch geringer Teil der Ausgleichsmittel nicht für den durch den Verkauf entstehenden Verlustausgleich, sondern für soziale und strukturelle Maßnahmen bereitgestellt wird, wird durch die Verordnung bestätigt. Ich darf Art. I Nr. 3, letzter Satz, zitieren:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Dezember 1969 639
Dr. Ritz
Die Bundesrepublik Deutschland gleicht den Abbau der gemeinschaftlichen Finanzierung durch geeignete soziale und strukturelle Maßnahmen aus.
Art. I Nr. 4 lautet:
Die Bundesrepublik Deutschland gleicht die Degressivität der gemeinschaftlichen Finanzierung durch geeignete strukturelle oder soziale Maßnahmen aus.
Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: auch wir halten den Ausbau sozialer Maßnahmen für vordringlich und werden diesem Hause entsprechende Gesetzesinitiativen vorlegen. Allerdings halten wir die Koppelung mit den Ausgleichsabgaben für nicht vereinbar mit dem Grundsatz des vollen Verlustausgleichs.
Ein Letztes zur EWG-Verordnung. Art. I Nr. 5 lautet lapidar:
Die Verfahrensbestimmungen des Art. 93 des Vertrages gelten für die in diesem Artikel genannten Beihilfen.
Das heißt nichts anderes, als daß die Beihilfen einer ständigen Überprüfung durch Kommission und Mitgliedsländer unterliegen und eine Umwandlung der Beihilfen zu erfolgen hat, wenn die Grundsätze gemeinsamer Politik verletzt werden.
Nachdem die Bundesregierung schon nicht vermocht hat, das nach unserer Meinung am besten geeignete Grenzausgleichssystem durchzusetzen, scheint sie nun auch noch bereit zu sein, sich für die verbleibende unzulängliche Regelung eines hohen Maßes an unmittelbarem Einfluß zu begeben.
Der vorliegende Entwurf selbst sieht vor, daß bis 3 % der Aufwertungsverluste über die Änderung des Mehrwertsteuergesetzes ausgeglichen werden sollen. Ohne in einen Detailstreit eintreten zu wollen, möchte ich doch sagen, daß hier viele Fragen offenbleiben, vor allem die Frage, ob nicht durch den zunehmenden Druck auf den deutschen Agrarmarkt, der durch die um 8,5 % verbilligten Einfuhren erfolgen wird, der 3 %ige Vorteil durch sinkende Nettopreise irrelevant wird. Auch die Durchbrechung der Steuersystematik im Rahmen der Mehrwertsteuerregelung erscheint uns bedenklich.
Völlig unbefriedigend ist der Art. 5 des vorliegenden Gesetzentwurfs, der nur unzulängliche Aussagen über den zusätzlichen Ausgleich von 920 Millionen DM, also fast einer Milliarde, macht. Wie dieser Ausgleich erfolgen soll, bleibt offen. Das Wie soll einem eigenen Gesetz vorbehalten bleiben, das erst — und das scheint mir wichtig zu sein — nach Erlaß der erforderlichen Rechtsakte des Rates und der Kommission der EWG verabschiedet werden kann. Danach oder ich kann Gesetzestexte nicht lesen und interpretieren — sind wir in unserer Entscheidung ebenfalls nicht mehr ganz frei. Nicht nur die Landwirte, sondern auch die Steuerzahler sollten aber schon jetzt wissen, wie dieser Ausgleich gedacht ist. Bisher wissen wir nur, daß es keine gerechte Lösung geben wird.
Auch der Wissenschaftliche Beirat Ihres Hauses, Herr Bundesminister, kommt zu dem Ergebnis — ich darf zitieren —, daß es praktisch nicht möglich sei, Verteilungskriterien zu finden, die eine richtig bemessene Kompensation für den Einkommensausfall im Einzelfall gewährleisten.
Der Bundeslandwirtschaftsminister hat, wie ich meine, mit Recht darauf verwiesen — ich glaube, es war im Ausschuß, Herr Minister Ertl —, daß in der breiten Öffentlichkeit viel Verständnis für die besonderen Probleme der Landwirtschaft und auch für die anstehenden Probleme des Einkommensausgleichs vorhanden ist. Dieses Verständnis, Herr Minister, läßt sich aber nicht durch Unklarheit konservieren, sondern wird sehr bald verlorengehen, wenn diese Öffentlichkeit nicht weiß, wie dieser Ausgleich in der Tat erfolgt.
Nachdem die Aufwertung schon im europäischen Raum, wie wir an anderer Stelle ausgeführt haben, zuwenig abgesichert wurde und ein Grenzausgleichssystem als einzige Antwort auf das Versprechen des vollen Verlustausgleiches nicht durchgesetzt werden konnte, müssen wir nun feststellen, daß sich jetzt auch binnenwirtschaftlich die Bundesregierung durch Hilflosigkeit auszeichnet.
Alles in allem ist der vorliegende Entwurf ein Dokument der Unzulänglichkeit und ein Meisterstück der Halbheiten.
Schon heute muß befürchtet werden, daß das Gesetz dem feierlichen Versprechen, der Landwirtschaft den vollen Verlustausgleich als Folge der Aufwertung zu gewähren, nicht gerecht werden kann und die feierlichen Zusagen auf vollen Verlustausgleich weithin eine Fiktion darstellen.