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    Deutscher Bundestag 239. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1969 Inhalt: Gedenken an den Aufstand vom 17. Juni 1953 und an die Verabschiedung des Grundgesetzes von Hassel, Präsident 13245 A Bericht der Bundesregierung über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler. . 13246 A Überweisung einer Vorlage an den Haushaltsausschuß 13254 C Änderung einer Ausschußüberweisung . 13254 D Verlegung der Fragestunde bis zum Beginn der Parlamentsferien 13254 D Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland Scheel (FDP) 13255 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 13262 D, 13288 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 13274 C, 13288 B Brandt, Bundesminister . 13283 B, 13288 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Tag der Deutschen Einheit (Drucksache V/2818) — Erste Beratung — 13289 B Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses über den Antrag der Abg. Metzger, Dr. Mommer, Frau Dr. Hubert, Dr. Schulz (Berlin), Majonica, Dr. Lenz (Bergstraße), Illerhaus u. Gen. betr. Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen V/2755, V/4123) Dr. Furler (CDU/CSU) 13289 C Nächste Sitzung 13290 D Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 13291 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 239. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Juni 1969 13245 239. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 10.00 Uhr
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    Berichtigung Es ist zu lesen: 236. Sitzung, Seite 13107 B, Zeile 18 statt „Dr. Wahl": „Weigl" Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 239. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Juni 1969 13291 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Aigner ** 21.6. Frau Albertz 21.6. Dr. Arndt (Berlin) 20.6. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 17.6. Bals 17.6. Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke 17.6. Bauer (Würzburg) * 20. 6. Bazille 21. 6. Behrendt ** 17.6. Berkhan * 20.6. Frau Blohm 20. 6. Blumenfeld * 20. 6. Dr. Brenck 15.7. Brück (Holz) * 20. 6. Buchstaller 19. 6. Burgemeister 20. 6. Corterier 17.6. Deringer 176. Dr. Dittrich ** 20. 6. Draeger * 20. 6. Dr. Eckhardt 21. 6. Dr. Even 28. 6. Flämig * 20.6. Franzen 19. 6. Dr. Friderichs 17.6. Dr. Giulini 20. 6. Dr. Götz 17.6. Freiherr von und zu Guttenberg 15.7. Haage (München) 17.6. Hahn (Bielefeld) ** 21. 6. Hamacher 30. 6. Dr. Heck 17. 6. Dr. Dr. Heinemann 20. 6. Hellenbrock 15.7. Frau Herklotz * 20.6. Hösl* 20. 6. Frau Holzmeister 18. 6. Dr. Jaeger 17.6. Junker 17.6. Kahn-Ackermann * 20. 6. Dr. Kempfler * 20. 6. Frau Klee * 20. 6. Dr. Kliesing (Honnef) * 20. 6. Klinker *' 21. 6. Koenen (Lippstadt) 20. 6. Dr. Kopf * 20. 6. * Für die Teilnahme an einer Sitzung der Versammlung der Westeuropäischen Union ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht 1 Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kübler * 20. 6. Kunze 15.7. Kurlbaum 17.6. Lange 20. 6. Lemmrich* 20. 6. Lenze (Attendorn) * 20. 6. Dr. Lohmar 30. 6. Lotze 15.7. Frau Dr. Maxsein * 20. 6. Meis 21. 6. Meister 20. 6. Memmel ** 19. 6. Dr. von Merkatz * 20. 6. Michels 27. 6. Mischnick 17.6. Missbach 5.7. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 17.6. Müller (Berlin) 19. 6. Dr. Müller (München) * 20. 6. Müller (Remscheid) 19.6. Nellen 15.7. Pöhler * 20. 6. Dr. Pohle 19.6. Porten 19. 6. Raffert 17.6. Frau Renger 17.6. Richarts ** 20. 6. Richter * 20. 6. Dr. Rinderspacher * 20. 6. Rohde 17. 6. Frau Rudoll 20. 6. Dr. Rutschke * 20.6. Sander * 20. 6. Saxowski 17.6. Schlager 20. 6. Schmidhuber 20. 6. Dr. Schmidt (Offenbach) * 20. 6. Schmidt (Würgendorf) * 20. 6. Dr. Schulz (Berlin) * 20. 6. Frau Dr. Schwarzhaupt 17.6. Dr. Serres * 20. 6. Springorum ** 20.6. Dr. Staratzke 20. 6. Steinhoff 15.7. Dr. Steinmetz 20. 6. Dr. Freiherr von Vittinghoff-Schell * 20. 6. Dr. Wahl * 20. 6. Frau Wessel 15.7. Wienand* 20. 6. Dr. Wilhelmi 30. 6. Zebisch 21.6. b) Urlaubsanträge Frau Kleinert 4.7. Lemmer 27. 6.
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    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Bericht über die Lage der Nation im geteilten Deutschland sollte uns, den Fraktionen des Deutschen Bundestages, die Pflicht auferlegen, zunächst einmal einige Gemeinsamkeiten zu erörtern und, wenn Sie mir das erlauben, einige Bekenntnisse abzulegen. Am Anfang das Bekenntnis zur Einheit, zur Einheit unserer Nation; ein Bekenntnis, dem sich in diesem Bundestage niemand widersetzen wird und das die Grundlage unseres Handelns seit 20 Jahren gewesen ist. Wenn auch die Aussichten der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands heute vielleicht ungünstiger sind als in den Jahren vorher, so wird dieses Bewußtsein, daß die beiden Teile Deutschlands eine Nation bilden, bei uns nicht verkümmern und nicht verkümmern dürfen.
    Die staatliche Teilung dieser Nation ist praktisch eine vollzogene Sache. Und wenn jetzt in diesen Tagen auch noch die Evangelische Kirche Deutschlands die formalen Arbeiten in der DDR vollzieht zur Trennung einer Kirche, die eine der letzten Institutionen gewesen ist, die in beiden Teilen Deutschlands eine Organisationsform hatte, dann muß man mit Bedauern die Verschlechterung der Situation feststellen. Es gibt nur noch wenige Erinnerungsposten, darunter den Interzonenhandel, den wir so wie den Handel in der Bundesrepublik abwickeln, so, als ob wir noch ein einheitliches Staatsgebilde wären. Aber das ist nahezu das einzige. Die Politik der DDR, meine Damen und Herren, hat diesen Weg gewollt und bewußt betrieben. Die Politik der Bundesrepublik Deutschland hat dieses Ergebnis nicht verhindern können.
    Wenn wir den Bericht zur Lage der Nation jetzt, am 17. Juni, von der Bundesregierung bekommen haben und erörtern, ist das Anlaß zu einem zweiten Bekenntnis, nämlich zu dem Bekenntnis zur Freiheit, in dem sich die Fraktionen dieses Bundestages einig sind, zur Freiheit für die Deutschen hier und im anderen Teil Deutschlands, auch ein Bekenntnis zu einer Politik, die der Erhaltung und der Vermehrung der Freiheit der anderen in der Welt dient. 20 Jahre Grundgesetz sollen daran erinnern, daß wir in einem Rechtsstaat leben, in einem Rechtsstaat liberaler Prägung. Wir Freien Demokraten sind stolz darauf, daß dieses Grundgesetz, unsere Verfassung, liberalen Geist atmet und daß Mitglieder unserer Partei an seinem Zustandekommen in hervorragender Weise mitgewirkt haben. Wenn man heute über die Notwendigkeit der Änderung des Grundgesetzes spricht und wenn auch wir, die Freien Demokraten, Grundgesetzänderungen vorschlagen, dann tun wir
    das nicht, um den liberalen Gehalt dieses Grundgesetzes anzustasten oder einzuschränken, sondern wir tun es, um im Sinne einer liberalen Ausgestaltung unserer Verfassung zu wirken, deren so langes Bestehen die Väter dieser Verfassung noch nicht einmal vermutet haben; denn sie hatten damals die Hoffnung, daß Deutschland viel schneller wieder beieinander sein würde, als wir jetzt bedauerlicherweise feststellen müssen.
    Und ein Drittes, meine Damen und Herren, sollte am Anfang unserer Erörterungen stehen: das Bekenntnis zum Frieden. Es ist die Grundlage der Politik der Bundesrepublik, es ist die Grundlage der Politik dieser Bundesregierung. Wie immer wir in der Opposition stehen mögen und welche Auseinandersetzungen wir mit der Bundesregierung haben mögen — nachher werden Sie sehen, welche wir haben —, die Bereitschaft und den Willen zum Frieden als Grundlage der Außenpolitik dieser Regierung erkennen wir an, und wir unterstützen die Bundesregierung darin.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU.)

    In diesen Tagen ist in manchen Berichten aus dem Ausland und in Gesprächen mit führenden Politikern unserer westlichen Verbündeten davon gesprochen worden, daß die Bundesrepublik und die europäischen Länder insgesamt einen größeren Teil an Verantwortung für die Politik, auch für die weltpolitischen Fragen übernehmen müssen. Ich selber hatte darüber sowohl mit dem von dem Herrn Bundeskanzler hier einmal erwähnten amerikanischen Senator Javitts bei seinem Besuch hier und in Washington als auch mit dem amerikanischen Präsidenten Nixon ein Gespräch. Es hat mich außergewöhnlich zufriedengestellt, daß hinter dieser Erwartung, die Bundesrepublik solle mehr Verantwortung für weltpolitischen Fragen übernehmen, nicht etwa die so häufig vermutete Vorstellung steht, wir müßten mehr für das zahlen, was die Weltpolitik kostet. Das ist nicht der Fall, sondern dahinter steht in der Tat das Bewußtsein, daß ein Land wie die Bundesrepublik nach 25 Jahren Abstinenz von der Politik wieder in der Weltpolitik Verantwortung übernehmen muß, vor allem aber in der Europapolitik, die uns hier ganz besonders interessiert.
    Wenn ich „Europapolitik" sage, dann meine ich nicht „Westeuropapolitik", nicht die wünschenswerte Integration der westeuropäischen Länder, nicht die Erweiterung der EWG um Großbritannien — auch ein wünschenswertes Ziel der Politik —, sondern ich verstehe unter Europapolitik auch den Versuch der Schaffung der Kooperationsmöglichkeiten zwischen den beiden Teilen Europas. Denn wenn wir von der Lage unserer Nation sprechen, dann können wir das nicht tun, ohne daran zu erinnern, daß die beiden Teile Deutschlands nur über eine europäische Zusammenarbeit zueinander kommen können, die beide Teile Europas umfaßt, und nicht nur durch westeuropäische Politik.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, der Bericht des Bundeskanzlers klang für die, die ihn gehört haben,



    Scheel
    außerordentlich beruhigend. Er war wohlgefällig: Es gebe kaum Probleme; in diesem Teil unserer Nation könnten wir zufrieden sein. Der Bundeskanzler hat nur sehr zurückhaltend durchblicken lassen, daß wir nicht nur mit uns zufrieden sein könnten, sondern daß_ wir sicherlich auch mit der Großen Koalition zufrieden sein könnten und selbstverständlich auch mit der CDU und nicht zuletzt mit dem Bundeskanzler.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber dies war wohl so dicht vor der Wahl eine entschuldbare — wie ich sagen möchte — redaktionelle Überarbeitung des Berichts.

    (Beifall bei der FDP.)

    Aber wenn man diesen Bericht einmal an dem mißt, was man von einem Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland erwarten muß, dann gibt es einige Fragen, und es gibt einige Beanstandungen zu diesem Bericht. Ich will sie gar nicht auf der Basis von Erwartungen anbringen, die wir — meine Parteifreunde von der FDP — haben, die manche von Ihnen vielleicht zu hoch gespannt nennen könnten, sondern ich bringe sie auf der Basis eine Berichterstatters aus Ihren Reihen an, der während des Zusammenseins der Großen Koalition — übrigens in einer hervorragenden Rede — diesem Parlament gesagt hat, was ein solcher Bericht enthalten müßte, wenn er Sinn und Zweck haben soll, was er enthalten müßte, wenn er die Überschrift „Bericht über die Lage der Nation im geteilten Deutschland" verdienen soll.
    Hier fehlen ganz wesentliche Punkte. Dieser Bericht hat nicht das getan, was Herr Dr. Seume damals forderte. Er hat nicht die Kenntnisse bei uns über das Leben der Menschen im geteilten Deutschland zusammengefaßt — in beiden Teilen Deutschlands nämlich. Er enthält keine Ausführungen darüber, wie den Menschen im anderen Teil Deutschlands konkret wirtschaftlich, politisch und kulturell geholfen werden könnte. Er sagt nichts über die Vergleiche der Lebensumstände in den beiden Teilen Deutschlands — etwas, was wir wissen müssen! —, nichts über die Art der Altersversorgung drüben. Die hier kennen wir als Parlamentarier, aber man sollte sie immer wieder nennen; wie ich überhaupt der Meinung bin, daß wir in der übrigen Welt das Bild dieser Bundesrepublik nicht nur nach der Wirtschaftskraft ausrichten sollten, die wir haben, nach der Tüchtigkeit unserer Wirtschaftler, unserer Unternehmer und nach dem Einfallsreichtum unserer Wissenschaftler, sondern auch nach dem Wert unserer freiheitlichen, liberalen politischen Ordnung und dem Wert unserer Sozialstruktur. Unsere Sozialstruktur mit der anderen zu vergleichen, das wäre z. B. eine Aufgabe dieses Berichts gewesen. Fragen der Schule und der Ausbildung in ihrer fachlichen und auch in ihrer politischen Qualität sind in diesem Bericht nicht erwähnt worden. Dabei wäre ein Vergleich zwischen den beiden Teilen Deutschlands auf diesem Gebiet ganz besonders interessant gewesen. Denn in der Ausbildung gibt es sogar nach der Meinung anerkannter Fachleute bei uns diese und jene Einrichtung in der DDR, die wir sehr sorgfältig prüfen sollten, und zwar auch darauf hin, ob
    wir nicht, was besser ist als bei uns, sogar übernehmen könnten.
    Wir vermissen auch Ausführungen über das Problem der politischen und wirtschaftlichen Integration der DDR in den Ostblock. Das ist ja eine Grundlage der Politik, wenn man den Versuch unternehmen will, die beiden Teile unserer Nation zusammenzuführen.
    Der Bundeskanzler sagt auch nichts über die die beiden Teile Deutschlands immer noch verbindenden Tatsachen, wenn auch diese Verbindungen vielleicht rein verwaltungstechnischer Art sind; aber es gibt auch wirtschaftliche, wissenschaftliche, karitative und immer noch kirchliche Einrichtungen, deren verbindende Bedeutung man hätte erwähnen müssen. Ich meine, der lapidare Satz : „Das ostdeutsche Regime bekämpft alles Gemeinsame in Deutschland" ist zu wenig Information über die DDR in diesem Bericht gewesen.
    Dafür aber hat der Bundeskanzler einen großen Raum der meiner Überzeugung, nach fruchtlosen Erörterung der Frage der Anerkennung und Nichtanerkennung der DDR gewidmet. Ich habe das Gefühl, als ob hier der Bundeskanzler den Versuch unternimmt, einen Popanz aufzubauen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Marx [Kaiserslautern] : Wer hat denn damit angefangen?)

    — Ich komme darauf zurück. — Je näher man dem Wahltermin kommt, um so undifferenzierter wird die Diktion über diesen sehr komplizierten Fragenbereich. Ich meine, daß früher selbst die Bundesregierung sich etwas differenzierter ausgedrückt hat, als Mitglieder der Bundesregierung selbst noch nicht etwa bestritten, daß die DDR Staatscharakter habe. Heute versucht der Bundeskanzler, durch eine neue Erläuterung diesen Staatscharakter in Zweifel zu ziehen, indem er feststellt, daß sich die Bevölkerung in der DDR nicht als Staatsvolk fühle. Ich stimme dieser Feststellung in vollem Umfang zu. Natürlich werden sich die Menschen in der DDR nicht als Staatsvolk fühlen. Aber das ist für das Verhältnis der DDR zum übrigen Ausland nicht besonders wichtig, sondern das ist von Wichtigkeit im Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander. Hier glaube ich, sind wir uns alle einig, und wir sollten das auch gar nicht wegzudiskutieren versuchen, daß für niemanden, soweit er an diesem Pult gesprochen hat, die DDR Ausland ist und wir für sie Ausland sein könnten, sondern zwischen den beiden Teilen Deutschlands, die Teile einer Nation sind, gibt es besondere Beziehungen, Beziehungen besonderer Art. Aber das kann nicht daran hindern, daß die DDR im Verhältnis zur übrigen Welt ihre Interessen völkerrechtlich mehr und mehr selbst vertritt und daß mehr und mehr eine solche Interessenvertretung akzeptiert wird, ob wir das wünschen oder nicht.
    Hier hilft eben der Begriff „Staatsvolk", ja oder nein, nicht. Denn der Herr Bundeskanzler weiß so gut wie ich, daß bei der Definition des Begriffs „Staat" im diplomatischen Verkehr untereinander in der Welt der Begriff „Staatsvolk" nicht weiter-



    Scheel
    hilft. Sonst würden wir nämlich mit den meisten Staaten Afrikas z. B. keine diplomatischen Beziehungen unterhalten können, weil es dort nahezu keinen unter den neuen Staaten gibt, dessen Bevölkerung sich als Staatsvolk versteht. Davon kann keine Rede sein. Dennoch werden sie international anerkannt. Das ist eben die nüchterne Wirklichkeit, mit der wir es hier zu tun haben.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten schon aus diesem Grunde die fruchtlose Diskussion über Anerkennung oder Nichtanerkennung wenigstens in dieser Form nicht weiterführen.

    (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der CDU/CSU: Wer hat sie begonnen? — In welcher Form?)

    — In der Form, in der sie der Herr Bundeskanzler hier eben eröffnet hat und in der Sie, meine Damen und Herren — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht in Ihrer Form! — Abg. Baron v. Wrangel: Sie haben sie eröffnet! — Abg. Dr. Luda: Das gehört doch zu Ihren „alten Zöpfen"! — Zuruf des Abg. Dr. Gradl.)

    — Herr Dr. Gradl, ich kann nur annehmen, daß Sie heute vormittag nicht hier gewesen sind.

    (Zuruf des Abg. Dr. Gradl.)

    — So! Ich habe auf das zu antworten, Herr Dr. Gradl, was heute vormittag gesagt worden ist,

    (Abg. Dorn: Sehr richtig!)

    und Sie werden mir sicherlich erlauben, daß ich das, was der Bundeskanzler sagt, sehr kritisch untersuche. Denn auch wenn ich es nicht wollte: es wäre meine demokratische Pflicht als Oppositionsangehöriger, das zu tun, und ich erfülle diese demokratische Pflicht.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich will also noch einmal wiederholen, meine Damen und Herren: Wir sollten diese Frage nicht in dieser Form weiter diskutieren, sondern eher in einer nützlicheren, auf die Praxis bezogenen Form, damit wir Lösungsmöglichkeiten in der einen oder anderen außenpolitischen Kamalität finden.
    Die Bevölkerung in der DDR — das ist ganz sicher — hat keine Zeit und keine Energie, sich mit solch unsinnigen Dingen wie bloßen Gesprächen über die Frage: Anerkennung, ja oder nein, zu befassen. Sie spürt die Existenz der kommunistischen Staatsgewalt zu deutlich selbst, als daß sie darüber, wie soll ich sagen, so reflektieren könnte, wie es der Kanzler heute morgen getan hat. Die Bevölkerung in der DDR — darüber müssen wir uns hier doch klar sein, und wir sind uns darüber klar — braucht ihre Kraft, und zwar ihre ganze Kraft, um sich einen Rest von privatem Glück zu erhalten in einem totalitären Staat, in dem es schwer ist, sich privates Glück zu erhalten.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, ich will nichts anderes damit, als Ihnen noch einmal — ich tue das jetzt zum zweiten Male — vorschlagen, daß wir uns doch darüber einigen sollten, diese so schwierige Problematik etwas differenzierter zu diskutieren, auch wenn einen Wahlzeiten nicht gerade dazu verleiten mögen.

    (Abg. Dr. Gradl: Auch in Ihrem Wahlkreis!)

    — Herr Dr. Gradl, wir diskutieren das ja so differenziert. Deswegen bitte ich darum, daß Sie es vielleicht mit uns tun,

    (Abg. Dr. Martin: Sie philosophieren mit dem Holzhammer!)

    damit wir nicht falsche Eindrücke von Ihren wirklichen Absichten bekommen und Sie nicht falsche Eindrücke von unseren wirklichen Absichten verbreiten.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Rasner: Sprechen wir uns nach den Wahlen!)

    Ich will jetzt nicht weiter in diese Diskussion eintreten, sondern nur noch einmal erwähnen, daß wir die Vorschläge, die die Freie Demokratische Partei über das Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander gemacht hat

    (Abg. Rasner: Machen wird!)

    — gemacht hat! —, nämlich den Versuch zu unternehmen, daß Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander für eine Übergangszeit vertraglich zu regeln, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem internationale Verhandlungen es ermöglichen, wieder beieiannder zu sein — unter welcher staatsrechtlichen Dachkonstruktion auch immer als
    Vorschläge für eine Übergangszeit verstehen, die dem Frieden in Europa dienen und eine Voraussetzung schaffen sollen, in Europa politische Entscheidungen herbeizuführen, die dem Näherrücken der beiden Teile Deutschlands dienlich sein können.
    Meine Damen und Herren, halten Sie mich doch nicht für einen Illusionisten, der etwa der Meinung wäre — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) .

    — Ich muß wirklich einmal in den Raum sehen, um festzustellen, ob das jemand ernst gemeint hat; aber ich sehe, daß das nicht der Fall ist.
    Halten Sie mich nicht für einen Illusionisten, der der Meinung wäre, daß, wenn ein solcher Vorschlag gemacht wird, die Regierung der DDR, Herr Ulbricht etwa, nunmehr mit Begeisterung die Kooperation mit der Bundesrepublik aufnimmt und gleich um einen Termin ersucht, um solche Kooperationsgespräche zu beginnen. Davon kann doch keine Rede sein! Niemand von uns hat das je behauptet. Dies ist ein sehr schweres Geschäft. Aber ich meine, wenn wir in diesem Geschäft von Geduld und Beharrlichkeit sprechen — und ich nehme das Wort von der Geduld und Beharrlichkeit, das der Herr Bundeskanzler in regelmäßigen Abständen zur Grundlage seines Verhaltens macht oder zu machen verspricht, auf, weil ich es für richtig halte —, sollten wir uns nicht nur auf die Geduld und Beharrlichkeit im Abwarten beschränken, sondern auch im Handeln geduldig und beharrlich sein,

    (Beifall bei der FDP)




    Scheel
    auch geduldig und beharrlich in Initiativen, mag das auch noch so lästig sein, mag das auch noch so beschwerlich sein. Darum geht es uns, um nichts anderes.
    Meine Damen und Herren, wohin unsere Politik in diesem Bereich führt, ist in dem Bericht von heute morgen allerdings nur sehr unterkühlt sichtbar geworden, nämlich an der Stelle, als der Bundeskanzler von Kambodscha, von Syrien, vom Irak und von unserem Verhältnis zu den arabischen Staaten und den Bemühungen, die wir hier gemacht haben, gesprochen hat. Allerspätestens bei der Betrachtung darüber, wie sich unser Verhältnis zu Kambodscha entwickelt hat, müssen wir doch auf den Gedanken kommen, daß wir unsere Verhaltensweise ändern müssen, wenn wir vermeiden wollen, daß wir sie am Ende unter ungünstigeren Bedingungen, als wir sie jetzt noch vorfinden, ändern müssen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Was ist in Kambodscha geschehen? Meine Damen und Herren, weil wir auch in diesem Fall die unsere außenpolitische Handlungsfreiheit bindende und einschränkende Formel, die man fälschlicherweise Hallstein-Doktrin nennt — sie stammt ja nicht von Herrn Hallstein, sondern von einem seiner Mitarbeiter —, angewandt haben, wenn auch verbal modifiziert, hat sich als eindeutiges Ergebnis gezeigt: Unsere diplomatischen Beziehungen mit diesem Lande, das vielleicht für unsere Politik gar nicht das wichtigste ist, sind unterbrochen. Ich frage mich, unter welchen Umständen sie wiederaufgenommen werden sollen.
    Aber es ist ja nicht dieses Land allein, sondern es ist der Irak, es ist Syrien, es ist der Sudan. Man mag sich dabei beruhigen, daß dies Länder sind, mit denen wir zufällig im Augenblick keine diplomatischen Beziehungen haben. Aber diese Ruhe ist doch wohl fehl am Platze; denn Sie wissen genauso gut wie ich, daß wir uns seit Monaten und Jahren die größte Mühe gegeben haben, diese von d e r Seite her unterbrochenen diplomatischen Beziehungen wiederaufzunehmen. Wir haben uns Mühe gegeben, die uns politische Energie gekostet hat und die uns materiell etwas gekostet hat; das wissen Sie genauso gut wie ich. Das heißt also: Wenn nunmehr diese Länder diplomatische Beziehungen zur DDR aufgenommen haben und wir die gleichen Regeln anwenden, dann zählen Sie sie ruhig mit zu den Ländern, zu denen wir keine diplomatischen Beziehungen mehr haben und bei denen man einen Weg suchen muß, wie man sie am Ende wiederaufnimmt.
    Es ist für uns nicht gerade eine Beruhigung, daß Kambodscha wenige Tage, nachdem es unsere Verhaltensweise in diesem Fall mit dem endgültigen Abbruch der Beziehungen beantwortet hat, seinerseits die diplomatischen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten wiederaufzunehmen angekündigt hat. Ich weiß nicht, wie die Vereinigten Staaten darauf reagieren werden. Ich könnte mir vorstellen, daß die Vereinigten Staaten wegen der Bedeutung, die Kambodscha für die Vereinigten Staaten hat, dieses Angebot akzeptieren. Die Vereinigten Staaten betreiben eine Politik in der Welt, die es nicht aus-
    schließt, daß man mit dieser oder jener Macht vorübergehend keine Beziehungen hat. Ich glaube, das sollten wir auch bei uns nicht ausschließen; das kann einmal vorkommen und muß den individuellen Umständen überlassen bleiben. Das kann im Einzelfall einmal vorkommen. Aber Formeln zu verteidigen, die den Abbruch diplomatischer Beziehungen in größerem Umfang geradezu als sicher erscheinen lassen — meine Damen und Herren, das ist doch töricht! Daran geht doch kein Weg vorbei.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich nehme nicht an, daß die Hallstein-Doktrin noch ergänzt werden soll durch eine neue außenpolitische Formel des Bundespressechefs, der nach Presseberichten, die ich nicht widersprochen gesehen habe, erklärt hat, daß man von dem „Wahn der Allgegenwärtigkeit der Bundesrepublik" nun endlich einmal ablassen müsse. Das wäre nunmehr die außenpolitische Formel des Rückzuges aus der Weltpolitik, zumindest des diplomatischen Rückzugs, vielleicht nicht des politischen.

    (Unruhe in der Mitte.)



Rede von Erwin Schoettle
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
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    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Bitte sehr.