Rede von
Manfred
Schlager
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Nein, Herr Kollege, natürlich will ich die erste Lesung nicht vorziehen, aber ich glaube, im Hinblick auf den Wellenschlag, den diese beiden Anträge verursacht haben, ist es vielleicht doch angezeigt, hier kurz zu diesem Problem zu sprechen, einfach auch deshalb, Herr Kollege, weil das, wie wir es verstehen, auch mit der wachsenden Kriminalität im Zusammenhang steht. Ich habe vorhin eingangs meiner Einführungen schon gesagt, daß Ihr Antrag allenfalls einen Aspekt der wachsenden Kriminalität anspricht. Wir müssen — schon aus optischen Gründen und in der Verantwortung gegenüber unserem Volk — die Dinge aber doch etwas breiter darstellen. Dazu gibt die heutige Debatte durchaus Anlaß. Ich meine jedenfalls, wir sollten das hier ansprechen.
Viele Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften, vor allem in den Großstädten, vertreten nun die Ansicht — daran kommen Sie nicht vorbei, Herr Kollege Dorn; wir haben uns dieses Material sehr genau angesehen; es wurde ja auch im Hearing Entsprechendes bestätigt —, daß die gesetzliche Neuregelung des Haftrechts bei der Bekämpfung der Kriminalität doch zu großen Schwierigkeiten führt. Vor allem die Berufsverbrecher begehen vor ihrer rechtskräftigen Verurteilung und Strafverbüßung eine Vielzahl weiterer Straftaten. Nach den Erfahrungen der Praxis nehmen sie wegen der bevorstehenden Bestrafung — nun hören Sie zu, Herr Kollege — in aller Regel keine Arbeit mehr auf. Sie zeigen auch im Hinblick auf die zu erwartende Strafe vielfach eine gewisse Gleichgültigkeit. Ihre verbrecherische Neigung und ihre wirtschaftliche Zwischensituation verleiten sie dann eben dazu, weitere Bleichgelagerte Straftaten zu begehen. Gerade die „schweren Jungen" gehen, wenn sie einmal erwischt worden sind, aufs Ganze. Diese Tatsache ist mit eine Ursache für die wachsende Kriminalität. Ich glaube, all dies gehört zur Vervollständigung des Problems in die heutige Debatte.
Nun ist es so, daß sich bei den erfahrenen Verbrechern schwer nachweisen läßt, daß sie fliehen
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wollen, weil sie darin geübt sind — manchmal auch mit Hilfe einer nicht gerade recht getreuen Beratung —, den Nachweis eines festen Wohnsitzes, einer sozialen oder familiären Bindung zu präparieren. Der jetzt objektiv gefaßte Begriff der Fluchtgefahr läßt dem Richter im Gegensatz zu dem noch subjektiv gefärbten Begriff des Fluchtverdachtes in der alten Fassung der Strafprozeßordnung eben nur noch einen ganz engen Wertungsspielraum.
Nach Ansicht der Antragsteller erschüttert es daher das Rechtsbewußtsein breitester Schichten unseres Volkes in einer gesellschaftlich und politisch nicht zu verantwortenden Weise, daß es gerade dem gefährlichen Kriminellen derzeit möglich ist, sozusagen unter den Augen der Polizei laufend in erheblicher Weise weiter gegen die Gesetze zu verstoßen, ohne daß man dem vorbeugen kann.
— Herr Kollege Dorn, Sie müssen deutlicher sprechen; ich kann Sie leider nicht verstehen. Aber ich gestehe Ihnen selbstverständlich gern wieder eine Zwischenfrage zu.
Ich möchte aber noch eins abschließend sagen. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr steht natürlich ganz eng unter dem Prinzip, dem Gebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Haft wegen Wiederholungsgefahr darf nicht ausgesprochen werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht, wobei wir uns dann noch — das wäre die erste Lesung, Herr Kollege — zu den Modalitäten der beiden Entwürfe im einzelnen zu äußern haben werden.
Im übrigen kann nicht unerwähnt bleiben, daß auch die mit der sogenannten Gesamtstrafenbildung verbundene Strafmilderung tatsächlich zu neuerlichen Straftaten vor der Bestrafung reizt. Es reizt natürlich zu weiteren Straftaten an, wenn für Straftaten, die man noch schnell nach dem Entdecktwerden bis zur Straßverbüßung begeht, nur noch um ein Geringes mehr bestraft wird. Auch um dieses Problem werden wir uns kümmern müssen.
Nun wehre ich mich gegen den Vorwurf, wir würden jetzt mit der Ausdehung dieses Haftgrundes der Wiederholungsgefahr über die Sexualdelikte hinaus den Weg des geringsten Widerstandes gehen, wie es eine hessische Tageszeitung geschrieben hat. Diese Zeitung meint, wir sollten statt dessen die Polizei verstärken, besser bezahlen und endlich modernisieren. Das ist in der Tat — ich verkenne das nicht — einer der wesentlichsten Beiträge überhaupt zur Bekämpfung der wachsenden Kriminalität: die Polizei mit Sachmitteln, mit Personalmitteln und auch mit Spezialisten zu verstärken. Aber es ist nicht der einzige Weg. Die Forderung nach besserer Ausstattung ist natürlich leichter erhoben, als sie in einer Zeit der Vollbeschäftigung und der ständigen Etatnöte verwirklicht werden kann. Das von mir zitierte Blatt stellt dann auch seine Kritik ungewollt in die richtige Proportion hinein, wenn es nämlich auf derselben Seite in seiner gestrigen Ausgabe in einem kritischen Beitrag zur hessischen Politik feststellt, der hessische Kultusminister Schütte verliere als einer der progressivsten Kulturpolitiker von Tag zu Tag mehr an Nimbus, weil es ihm nicht gelinge, genügend Geld für seine Reformen locker zu machen. Das ist eben des Pudels Kern auch für uns hier. Vor allem die Ausstattung mit genügend Personal hat heute ihre natürlichen Grenzen. Das möchte ich auch sagen, Herr Kollege Dorn, zu Ihrem Vorschlag, unseren Polizisten Schreibkräfte an die Seite zu stellen. Das hört sich theoretisch gut an, aber die praktische Durchführung dürfte sehr viel mehr Schwierigkeiten machen. Aber darüber zu reden werden wir sicher auch noch Gelegenheit haben.
Sicherlich würde es die Steigerung der Kriminalität bremsen, wenn wir die Personalstärke vor allem jener Polizeieinheiten entscheidend vergrößern könnten, die unmittelbar mit der Verbrechensbekämpfung und der Aufklärung von Straftaten zu tun haben. Aber hier werden auch schon eine Reihe von Wegen gegangen. Ich erinnere an die Politessen, die den ruhenden Verkehr überwachen. Es ist überhaupt das Problem, daß sich die Polizei vielzuviel mit der Verkehrsregelung abgeben muß, anstatt die Verbrechensbekämpfung forcieren zu können. Im Hearing wurde uns ja bestätigt, daß die größten Erfolge in der Verbrechensbekämpfung dort sind, wo die Täter mehr als anderswo auf frischer Tat gefaßt werden können, wo das Risiko des Gegriffenwerdens größer ist und die Chance, nicht entdeckt zu werden, geringer ist, wo die Polizei im Bild unserer Städte wieder präsenter wird und sich damit das Risiko des Entdecktwerdens gerade auch für die Gelegenheitsstraftaten entscheidend vergrößert.
Im Hinblick auf die fortschreitende Technisierung, die auch dem Verbrechertum neue Wirkungsmöglichkeiten eröffnet, kommt aber auch der Aus- und der Fortbildung des Personals sowie der Verwendung von Spezialisten aus anderen Berufen eine immer größere Bedeutung zu. Wir werden die besoldungsrechtlichen Konsequenzen hieraus für das Polizeiwesen, aber auch in ihrer Auswirkung auf das gesamte Besoldungsgefüge sorgfältig zu prüfen haben. Ob man wegen der notwendigen Einstellung von Fachleuten z. B. für die elektronische Datenverarbeitung mit dem herkömmlichen Besoldungsrecht noch auskommen wird, ist eine sehr schwierige Frage.
In diesem Zusammenhang stellt sich aber auch die Frage einer besseren Fortbildung, nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, daß durch die Elektronik mancher Arbeitsplatz — z. B. durch Auflösung von Karteien — verlorengehen wird. Hier wird natürlich Personal frei, und es ist die Frage, wie man dieses Personal zweckmäßig, vielleicht nach entsprechender Umschulung, verwenden kann. Hier wird es aber eines großen psychologischen Einfühlungsvermögens und sozialer Fürsorge des Dienstherrn bedürfen, um mit diesem Personalproblem fertigzuwerden. Wir sind im übrigen der Ansicht, daß die Laufbahn des höheren Polizeidienstes und seine Aus- und Fortbildung ,einer Reform bedürfen, ohne daß deswegen nun die Einheitslaufbahn der Polizei aufgegeben werden muß.
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Weil ich gerade die Aus- und Fortbildung anspreche, möchte ich doch einen Kriminalbereich besonders herausgreifen, für den die Ausbildung von besonderer Bedeutung ist, nämlich den Bereich der Wirtschaftskriminalität, auch auf die Gefahr hin, daß der Kollege Dorn mich wieder „rügt". Gerade wirtschaftsdeliktisches Verhalten ist einer Aufklärung nur zugänglich, wenn der Polizeibeamte, der Richter, der Staatsanwalt auch über das nötige spezifische Rüstzeug, die nötigen Fachkenntnisse im Wirtschaftsleben verfügen. Aber gerade hier stehen sich wie in einem Zweikampf der kenntnisreiche — und daher noch übermächtige — Verbrecher und die bisher nur mangelhaft ausgebildeten Strafverfolgungsbehörden gegenüber. Gerade der Wirtschaftsverbrecher bedient sich aller Massenmedien, aller Verkehrsmittel, zahlreicher Nachrichtenverbindungen und nicht zuletzt einer ausgeklügelten gesellschaftsfeindlichen Rechtsberatung. Die Verfolgung einer Vielzahl von Straftaten mit Millionenschaden ist offensichtlich mangels ausreichender Sachkunde ergebnislos geblieben. Hierdurch wird verdeutlicht, daß die Polizei, der Staatsanwalt und der Richter in dem Erkennen wirtschaftsdeliktischen Verhaltens nachdrücklicher zu schulen sind und daß die mangelnde Ausbildung mit eine Ursache für die wachsende Kriminalität gerade auf diesem Gebiet ist.
Die beste Fortbildung der Beamten ist natürlich der ständige Kontakt im Bereich der Wirtschaftskriminalität zwischen Staatsanwalt und Polizei sowie die fortgesetzte Auswertung kaufmännischer
) Verhaltensweisen, die Auswertung aller im Ermittlungsverfahren sichergestellten Bilanzen und Buchführungsunterlagen, die Kontaktpflege zu den verschiedenen Finanzämtern, informatorische Besprechungen mit den Leitern der Landeszentralbanken über Gepflogenheiten beim Ankauf von Wechseln, die Auswertung aller beim Vergleichs- und Konkursgericht gestellten Anträge. Selbstverständlich müssen sich der Polizeibeamte und der Staatsanwalt auch gute Kenntnisse in der Buchführung und Bilanzierung aneignen.
Die Weiterbildung kann aber nur in der Praxis erfolgen. Aus diesem Grunde sollte bei der Kriminalpolizei an die Einführung sogenannter gleitender Planstellen gedacht werden — man sollte es zum mindesten prüfen —, die dem Beamten die Beförderung innerhalb des Sachgebietes ermöglichen und eine Versetzung in ein artfremdes Sachgebiet, in dem er seine früher erworbenen Kenntnisse nicht zielgerichtet verwerten kann, ausschließen. So viel zu dem Problem der Ausbildung.
Weil wir aber gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität immer knapp an fachkundigem Personal sein werden, empfiehlt es sich, gerade hier die Strafverfolgung für einen größeren Amtsbereich zu konzentrieren. Deshalb werden in meiner Fraktion auch Überlegungen angestellt, in Anlehnung an die Konzentration der Steuerstrafgerichte auch für Wirtschaftsstrafsachen generell Spezialamtsgerichte und Sonderstrafkammern vorzuschlagen, wie das meines Wissens in zwei Ländern bereits mit gutem Erfolg erprobt wird.
Es gäbe noch einiges zu den anderen Ursachen der Kriminalität im Bereich des Kreditwesens, im Bereich der Steuer- und Zolldelikte, im Bereich der Jugendkriminalität zu sagen. All das müssen wir uns aber heute wegen der Zeitknappheit versagen. Ich möchte zum Abschluß nur noch folgendes ansprechen.
Die steigende Kriminalität erfüllt uns mit großer Sorge und sie bringt, wie Kollege Picard gesagt hat, auch die Gefahr mit sich, daß die Rechtstreue unserer Bevölkerung allmählich untergraben wird. Doch müssen wir dazu folgende grundsätzliche Feststellungen treffen.
Die steigende Kriminalität ist nicht nur ein deutsches Problem, sie ist auch ein europäisches, ja ein weltweites Problem. Es darf uns nicht beruhigen, aber es gibt doch einen guten internationalen Vergleich wieder, wenn ich feststelle, daß die deutsche Steigerungsquote wesentlich niedriger als die unserer europäischen Nachbarn ist. Ich möchte hier nur einmal auf das schwedische Beispiel hinweisen. Es macht besonders deutlich, daß wir es heute eben auch mit einer ganz besonderen Art der Kriminalität, nämlich mit der Wohlstandskriminalität, zu tun haben. Auch der amerikanische Wahlkampf stand im Zeichen der wachsenden Kriminalität. Die Rückkehr zu Gesetz und Ordnung ist ja die Parole gewesen, auf die Millionen von Amerikanern am stärksten reagiert haben. Unter diesem Aspekt müssen wir auch Humphreys bissige Bemerkung sehen, er wolle nicht zum Sheriff, sondern zum Präsidenten des amerikanischen Volkes gewählt werden. Aber die Amerikaner haben verärgert reagiert auf die echte oder angebliche Tolerierung von Straftaten durch eine, wie sie meinen, zu liberale Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Exekutive, die die großen wie die kleinen Gauner durch ihre Netze schlüpfen läßt.
Im internationalen Vergleich können sich unsere Polizeibehörden mit der von ihnen erzielten Aufklärungsquote durchaus mit den anderen Ländern messen, und das trotz ihrer im Vergleich zur Aufgabe unzureichenden Ausstattung an Sachmitteln, ihrer unzureichenden Personalausstattung und trotz einer Bezahlung, die meiner Ansicht nach nicht in allen Punkten den Entbehrungen und Gefahren entspricht, die dieser Dienst mit sich bringt.
-Wenn wir nicht bald auf kriminalpolitischem Gebiet zu entscheidenden Verbesserungen kommen, wird man — da möchte ich zum Abschluß ein Wort des Herrn Präsidenten des Bundeskriminalamts zitieren — vielleicht eines Tages tatsächlich von den 60er Jahren als der guten alten Zeit, aber auch von einer Zeit sprechen, in der entscheidende Versäumnisse begangen wurden.
Für meine Fraktion darf ich abschließend feststellen, daß wir uns der Ursachen und der Bekämpfung der wachsenden Kriminalität in besonderer Weise auch in Zukunft annehmen werden.