Rede von
Hermann
Höcherl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Zunächst möchte ich mit aller Deutlichkeit feststellen, daß es noch keine Vorschläge der Kommission zur Reform der Agrarstrukturpolitik in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gibt. Herr Vizepräsident Mansholt hat dem Rat in seiner Erklärung vom 10. Dezember 1968 lediglich bisherige Überlegungen innerhalb der Kornmission vorgetragen.
Bei einem Programm mit so schwerwiegenden Auswirkungen für die Landwirtschaft der Gemeinschaft ist ein solches Verfahren ungewöhnlich. Da keine Dokumente mit einer detaillierten Darstellung vorhanden sind, kann eine Beurteilung lediglich auf Grund der mündlichen Erklärung erfolgen, die Vizepräsident Mansholt vorgestern vor dem Rat abgegeben hat.
Es ist auch nicht ausgeschlossen — und die Bundesregierung erwartet es sogar —, daß die Kommission bei ihrer Beschlußfassung die Reaktion der EWG-Offentlichkeit auf die Rede des Vizepräsidenten Mansholt berücksichtigen wird.
Die Bundesregierung bedauert und versteht die Unruhe, die durch die Erklärungen Vizepräsident Mansholts im Berufsstand, der sowieso große Anpassungsschwierigkeiten zu bestehen hat, entstanden sind. Bei aller kritischen Einstellung muß man aber gerechterweise sagen, daß sich auch einige positive Elemente in den Vorstellungen Vizepräsident Mansholts befinden.
Die Beschaffung von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen, ,die Förderung der Ausbildung und Umschulung von Landwirten und deren Kindern, die Einführung von Landpachtprämien und Landabgabenrenten decken sich in der Grundtendenz mit unserem Agrarprogramm. Der aufgestellte Grundsatz der absoluten Freiwilligkeit für die Betroffenen ist zu bejahen. Niemand soll und darf gezwungen werden, seine bisherige Existenz aufzugeben oder sich an neuen Formen überbetrieblicher Zusammenarbeit zu beteiligen.
11118 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 205. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1968
Bundesminister Höcherl
Auch eine regionale Schwerpunktbildung möchte ich begrüßen. Die Tatsache, daß eine weitgehende nationale Verantwortung bestehen und erhalten bleibt und die Agrarstrukturpolitik in der EWG lediglich koordiniert werden soll, entspricht den Vorstellungen der Bundesregierung.
Sehr bemerkenswert erscheint mir, daß der Herr Vizepräsident Mansholt entgegen seinen bisherigen Äußerungen nunmehr auch dem Nebenerwerbslandwirt seine ihm zukommende Rolle in einer modernen Landwirtschaft zuerkennt. Die Bundesregierung sieht das als ein Ergebnis ihrer jahrelangen Bemühungen an. Seine Forderungen nach besseren sozialen Bedingungen in der Landwirtschaft — kürzere Arbeitszeiten, längerer Urlaub, freies Wochenende, bessere Versorgung der älteren Menschen — sind wesentlicher Bestandteil jeder modernen Agrarpolitik und werden von der Bundesregierung auch in ihrem eigenen Agrarprogramm vertreten.
Obwohl wir bisher nur über mündliche Informationen verfügen, muß ich schon jetzt in zwei Punkten deutliche Kritik anmelden.
1. In viel größerem Maße als im nationalen Rahmen erscheinen mir Gesamtprojektionen für die EWG bis zum Jahre 1980 angesichts des völlig unzureichenden statistischen Materials in einigen EWG-Ländern sehr problematisch. Solche Zahlen, auch wenn sie nicht so gemeint sind, werden von der Landwirtschaft als eine Androhung der Existenzvernichtung aufgefaßt und als eine Mißachtung ihrer großen Leistungen und harten Arbeit im Anpassungsprozeß empfunden. Das gilt ganz besonders von der Ankündigung, daß bis 1980 weitere 5 Millionen Erwerbstätige aus der Landwirtschaft ausscheiden werden und lediglich 5 Millionen in der Landwirtschaft verbleiben sollen. Der Anteil der landwirtschaftlichen Erwerbstätigen ist in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. So beträgt er in Italien 24 %, in der Bundesrepublik 10,2, in den Niederlanden 8,4 und in Belgien nur 6 %. In der Bundesrepublik sind in den letzten 15 Jahren mehr als zwei Millionen Menschen freiwillig aus der Landwirtschaft ausgeschieden, aber nur deswegen, weil ihnen vorher interessante und erstrebenswerte Existenzen in anderen Wirtschaftsbereichen geboten werden konnten. Wer 5 Millionen Menschen innerhalb der Gemeinschaft zu einem Berufswechsel veranlassen will, um den in der Landwirtschaft Verbleibenden ein ausreichendes Einkommen zu sichern, der muß zunächst die sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen schaffen, die einen so starken Anreiz auszuüben in der Lage sind, daß sich dieser Prozeß organisch, freiwillig und menschlich erträglich vollziehen kann. Die Tatsache z. B., daß heute noch in Italien 24 °/o aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt sind, zeigt, daß dort der größte Nachholbedarf besteht. Mansholt hätte in seinen Ausführungen auf diese bedeutsamen Unterschiede in den Mitgliedstaaten eingehen müssen.
2. Vizepräsident Mansholt stellt seine gesamte Zielprojektion lediglich auf zwei Betriebs- bzw. Unternehmensformen ab, wobei die eine, nämlich die sogenannte Produktionseinheit, nur als Übergangsform gedacht ist. Als förderungswürdig wird letztlich nur noch das sogenannte moderne landwirtschaftliche Unternehmen herausgestellt. Eine derartige Uniformierung der möglichen Vielfalt durchaus zweckmäßiger Kooperationsformen würde der Landwirtschaft entschieden Gewalt antun.
Daß Mansholt nur Großbetrieben die Existenzberechtigung zuerkennt, hat besondere Unruhe in der Landwirtschaft erregt. Dabei muß er selbst zugeben, daß zwei Drittel sämtlicher Betriebe in der Gemeinschaft weniger als 10 ha groß sind und etwas weniger als 90 % aller Betriebe unter 20 ha liegen. Eine Planung, die sich vornimmt, bei über 6 Millionen landwirtschaftlicher Einheiten in der Gemeinschaft in 10 Jahren derartige Größenvorstellungen zu verwirklichen, ist unrealistisch. Das bedeutet keinen Verzicht auf Kooperation; denn auch das Agrarprogramm der Bundesregierung geht davon aus, daß die Kooperation landwirtschaftlicher Betriebe weiter voranschreitet und in geeigneter Form unterstützt wird.
Die Bundesregierung hat aber bewußt vermieden, in diesem Zusammenhang irgendwelche Größenvorstellungen, Unternehmenstypen und Zeitabläufe zu fixieren oder etwa gar zur Voraussetzung für die staatliche Förderung zu machen.
Bei den Erklärungen Mansholts fehlt jede Angabe über die Höhe der Kosten. Sie sind aber entscheidend für die Durchführung des Programms.
Die Vorschläge der Kommission bleiben abzuwarten. Erst dann kann die Bundesregierung mit einer gründlichen Prüfung beginnen. Das Hohe Haus wird wie bisher mit allen Einzelheiten befaßt werden.
Zusammenfassend möchte ich feststellen: Die Bundesregierung sieht ihr eigenes Agrarprogramm als d i e realistische Lösung an.
Zu der zweiten Frage: Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, bei den künftigen Agrarpreisverhandlungen für das Wirtschaftsjahr 1969/70 von ihrer bisherigen Auffassung abzugehen.