Rede von
Dr.
Karl
Mommer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht für meine Fraktion, sondern für die Unterzeichner der Anträge
unter Punkt 5 c und d unserer Tagesordnung. Ich will keine allgemeinen Ausführungen zu der Lage Europas machen, sondern nur kurz erläutern, worum es in diesen Anträgen, besonders in dem Antrag Drucksache V/3084, geht.
Im Mai dieses Jahres fand in diesem Hause eine Parlamentarierkonferenz statt, an der sich Abgeordnete aus den EWG-Ländern und den Ländern, die einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EWG gestellt haben, beteiligten. Ferner waren Abgeordnete aus Schweden und Österreich dabei, die wegen ihrer Neutralität nicht Vollmitglied werden können, aber so eng wie möglich an die EWG heranrücken möchten.
Der Antrag ist so, wie er dasteht, inzwischen durch die Ereignisse überholt. Aber der Kernpunkt, um den es geht, hat eine neue Fassung in der Entschließung gefunden, die am 9. November die Parlamentarierkonferenz der Europäischen Bewegung in Den Haag gefaßt hat. Es geht darum, daß Europa in einer entscheidenden Entwicklung, nämlich in der Erweiterung von sechs auf zehn, schon seit 1961 durch ein Veto blockiert ist. Seit sieben Jahren wäre der große Fortschritt möglich, und er wird unmöglich gemacht. Wenn eine solche Krise, die ja ihre Auswirkungen auf die gesamte europäische Politik hat, andauert, dann geht das nicht nur die Mitglieder der EWG an, sondern alle Beteiligten. Das kommt in dem Punkt 2 dieses Antrages zum Ausdruck, in dem verlangt wird, daß eine Konferenz der Außenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und der Länder, die ihnen beitreten wollen, unter Beteiligung der Europäischen Kommission einberufen wird. Das ist in dem Punkt 6 der Haager Entschließung wiederaufgenommen, und ich zitiere daraus zwei kurze Sätze:
Wir verlangen, daß eine Konferenz der Regierungschefs zu diesem Zweck einberufen wird. Jedes Übereinkommen sollte anderen Ländern zum späteren Beitritt offenstehen.
Mit „zu diesem Zweck" ist gemeint, der Schaffung neuer Tätigkeitsfelder für die europäische Politik auf dem Gebiet der Außenpolitik, auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik zu dienen.
Der eigentliche Sinn dieses Antrags ist der, daß, nachdem man einen letzten Versuch in der EWG gemacht hätte, mit der EWG und mit allen ihren Mitgliedern vorwärtszukommen, dann schließlich doch der Entschluß gefaßt werden müßte, neue Fortschritte durch das Beschreiten neuer Wege zu machen, auf denen es kein Vetorecht gibt.
Meine Damen und Herren, ich sage hier in diesem Raum niemandem etwas Neues, wenn ich sage, daß man draußen sehr auf uns schaut und manchmal auch mit dem Finger auf uns zeigt. Auch hier in unserem Hause — auf allen Bänken — gibt es doch nicht nur die Sorge um Europa, sondern auch die Sorge um unsere Europapolitik. Ich sehe es so: seit 1962 bewegen wir uns in unserer Europapolitik in einem selbstgezimmerten Widerspruch. Auf der einen Seite, in Reden und auch in aktiven Bemühungen im einzelnen, versuchen wir, den Ausbau, die Erweiterung, die Demokratisierung der Gemeinschaften voranzubringen und die europäische Politik
10882 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968
Dr. Mommer
auszudehnen auf das Gebiet der Außenpolitik und der Verteidigung. Auf der anderen Seite pflegen wir — wie ich glaube, im Widerspruch zur Präambel eines Vertrages, den wir im Jahre 1963 ratifiziert haben — präferenzielle Beziehungen zu der Regierung, die das meiste, was wir da in Europa wollen, gar nicht will oder es jedenfalls dann nicht will, wenn dadurch die Souveränität des Nationalstaates berührt würde. Und diese Regierung wiederum bewegt sich auch in einem Widerspruch. Auf der einen Seite will sie die übernationale Integration nicht, empfindet aber Unbehagen bei den Konsequenzen. Das haben wir in den letzten Wochen in der Währungskrise erfahren können. Ich empfehle die Lektüre eines Leitartikels im „Figaro" von gestern. Da können Sie feststellen, wie, statt den Ausgleich für eine sich entwickelnde deutsche Wirtschafts- und Finanzkraft in einem größeren und übernational organisierten Europa zu suchen, nach dem Gleichgewicht der Kräfte durch Beziehungen zu großen Mächten gesucht wird, deren Hegemonialstreben man im übrigen immer kritisiert.
Bei unserem Verhalten ergibt sich, daß wir nicht nur das juristisch in den Römischen Verträgen verankerte Veto politisch möglich machen. Ein juristisch verankertes Veto ist noch kein praktisches politisches Veto. Ich glaube nicht, daß wir sehr lange aufgehalten worden wären, wenn sich etwa der kleinste Teilnehmerstaat in der EWG auf den Art. 237 berufen hätte. Über diese politische Ermöglichung des Vetos hinaus geben wir auch ein tatsächliches Vetorecht auf den Gebieten, die sich außerhalb des Bereichs der Verträge von Rom befinden. Es kann und darf nichts stattfinden auf dem Gebiete der Außen- und Verteidigungspolitik, wenn nicht im vorhinein derjenige, dem das vielleicht nicht gefällt, seine Zustimmung gegeben hat.
Ich finde, daß in einer Gemeinschaft präferenzielle Beziehurigen in jedem Fall problematisch sind. Gemeinschaft und Präferenz, das ist ein gewisser Widerspruch in sich. Nun würde ich natürlich dazu keine Bemerkungen machen, wenn durch unsere Präferenz die Gemeinschaft nicht gelähmt, sondern dynamisiert würde. Dann wäre niemand glücklicher als ich. Aber das Gegenteil ist der Fall. Unsere Politik macht das negative Verhalten erst möglich. Das ist nicht nur mein Urteil, sondern das ist das Urteil aller aufmerksamen Beobachter in Europa.
Nun wird die Bundesregierung natürlich meine Meinung nicht teilen können, und wir werden einander so leicht nicht überzeugen. Aber ich würde es begrüßen, wenn sie mich wenigstens in dem einen Punkt dementierte, der ein wichtiger praktischer Punkt in der Entschließung von Den Haag ist, in dem Punkt nämlich, in dem es um die baldige Einberufung einer Konferenz der Regierungschefs geht. Es würde mich freuen, wenn die Bundesregierung da nicht nur keinen Widerstand leistete, sondern ihrerseits mithelfen würde, daß eine solche Konferenz zustande kommt, auf der die sehr kritische Gesamtlage Europas beraten werden müßte.
Überhaupt, Herr Präsident, würde ich mich freuen, wenn ich in dieser sanften Kritik, die ich vorgetragen habe, unrecht behielte. Das würde mich um so
mehr freuen, als ich mich im übrigen in voller Übereinstimmung mit den Regierungserklärungen der vorigen Woche befinde.