Rede von
Karl
Herold
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Verteidigungsminister hat in der vergangenen Woche mit Recht die These vertreten, daß Einsatzbereitschaft und Schlagkraft der Streitkräfte eng mit einer Lösung des Personalproblems zusammenhängen. Der Schlüssel für alle Maßnahmen, auch im Bereich von Beschaffung und Ausrüstung, ist eine ausgewogene Personalstruktur. Neue große Beschaffungsprogramme können überhaupt erst dann über das Geplante hinaus beraten werden, wenn uns die genügende Zahl von qualifizierten Soldaten zur Verfügung steht. Schon deshalb sind finanzielle Mehraufwendungen für die Verteidigung in den nächsten Jahren nach meiner Auffassung eng begrenzt.
Die vom Verteidigungsminister vorgeschlagenen Beschaffungsprogramme gehen von der festgelegten Mannschaftsstärke der Bundeswehr aus. Sie leiten keinen hektischen Aufrüstungsprozeß ein und stehen nicht im Gegensatz zur vom Bündnis gestellten militärischen Aufgabe.
10864 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968
Herold
Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßen wir ausdrücklich die beabsichtigte Verbesserung der Tieffliegerabwehr, insbesondere zum Schutz unserer Flugplätze. Ebenso scheint uns eine Verstärkung der konventionellen Feuerkraft in den Artilleriebataillonen angebracht zu sein. Wir lenken die Aufmerksamkeit, Herr Minister, aber noch einmal auf die Verbesserung der Panzerabwehr und die Notwendigkeit, moderne Flächenfeuerwaffen in die Rüstungsplanung einzubeziehen. Alle diese Forderungen sind nicht neu. Wir haben sie schon in der Verteidigungsdebatte vom Dezember 1967 erhoben. Diese Waffen haben den Vorteil, daß sie eindeutig defensiv sind und auch von Böswilligen nicht als offensive Bewaffnung gedeutet werden können.
Wir erwarten vom Herrn Verteidigungsminister, daß der Verteidigungsausschuß bald umfassend darüber informiert wird, wann die einzelnen Lieferungen anlaufen können. Wir möchten auch erfahren, welche personelle Besetzung bei diesen Ausrüstungen beabsichtigt ist. In der Vergangenheit ist gerade — nur als Beispiel gesagt — die Einführung leichter Fla-Rohrwaffen bei der Personalbesetzung auf Schwierigkeiten gestoßen.
Im Zusammenhang mit der Einführung zusätzlicher Panzerhaubitzen möchten wir gern erfahren, Herr Minister, wie der Stand der Planung für die leichten Artillerie-Raketenwerfer ist.
Wir sind aber nach wie vor sehr skeptisch in bezug auf die Einführung des Kampfpanzers 70. Der Generalinspekteur hat bereits darauf hingewiesen, daß dieser neue Panzer die Technik und die Personalwirtschaft der Bundeswehr vor neue große Probleme stellen wird; er könne nur von langdienenden Zeitsoldaten und nicht von Wehrpflichtigen beherrscht werden. Wir sind der Meinung, daß wir uns keine Verschärfung der Personalprobleme leisten können.
Unsere Misere liegt ja gerade im Mangel an längerdienenden Soldaten.
Der Kampfpanzer Leopard scheint uns bei Ausnutzung noch vorhandener Verbesserungsmöglichkeiten auch als Nachfolgemuster für den M 48 geeignet. Ich unterstreiche an dieser Stelle auch noch einmal die Ausführungen meines Kollegen Berkhan in der vorjährigen Verteidigungsdebatte. Damals schlug er vor, das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Kampfpanzern und Jagdpanzern zu überprüfen. Der Jagdpanzer ist billiger als der Kampfpanzer, und er hat auch den Vorteil, daß er eine eindeutige Defensivwaffe ist.
Ich warne davor, im Zusammenhang mit dem sogenannten halben Generationswechsel bei der Panzerwaffe den Fragen des Devisenausgleichs die bestimmende Rolle zuzuweisen.
Wenn wir auch beim Devisenausgleich die Notwendigkeit langfristiger Lösungen bejahen, so sind wir dennoch der Meinung, daß Gesichtspunkte des Devisenausgleichs bei der Ausrüstung der Bundeswehr nicht im Vordergrund stehen dürfen. Mit dem
Kampfpanzer Leopard hat die deutsche Industrie ein Waffensystem entwickelt, das internationale Anerkennung gefunden hat. Wir sollten ihr die Möglichkeit geben, weitere Entwicklungschancen auf diesem Sektor zu nutzen.
Gerade angesichts der veränderten militärischen Situation muß das Beschaffungsprogramm für die Marine noch einmal einer sorgfältigen Überprüfung unterzogen werden. Ihr ursprünglicher Auftrag: Verteidigung der Ostseeausgänge und Überwachung des Vorfelds, hat eher an Bedeutung gewonnen. Die Ausführungen des Herrn Verteidigungsministers in seiner Rede werfen hier eine Frage auf. Die Beschaffung von vier modernen Einheiten des Typs Fregatte 70 wird mit dem Ersatz der außer Dienst zu stellenden fünf US-Leihzerstörer begründet. Herr Minister, das frühere Korvettenprogramm und dann die Fregatte 70 waren uns bisher mit der Notwendigkeit einer Raketenflugabwehr und von Führungsschiffen für Kleinverbände begründet worden. Ändert sich mit der neuen Begründung — Ersatz für die Leihzerstörer — nunmehr auch die Aufgabe dieser Fregatten?
Der Verteidigungsminister hat in seiner Rede außerdem auf die Notwendigkeit einer regelmäßigen Verbeserung der elektronischen Aufklärung hingewiesen. Wir würden es begrüßen, wenn wir im Verteidigungsausschuß bald einmal über das Gesamtproblem elektronischer Aufklärung sprechen könnten. Neben einer gewissen Modernisierung des Geräts gibt es auf diesem Gebiet auch im Personellen und vor allen Dingen im Organisatorischen Fragen, die der Prüfung und Verbesserung bedürfen.
Wir alle in diesem Hause sind daran interessiert, die Truppe so auszurüsten, daß sie den gegebenen Verteidigungsauftrag erfüllen kann. Wir sind uns aber auch darin einig, daß wir das nordatlantische Bündnis gerade angesichts der durch die Invasion in die Tschechoslowakei veränderten Situation mit neuem Inhalt zu erfüllen haben. Wenn das auf dem Wege technologischer Zusammenarbeit und Kooperation in der Rüstungswirtschaft möglich ist, so sollten wir diesen Weg beschreiten. Der Schwerpunkt sollte dabei auf europäischer Zusammenarbeit liegen. Das ist nicht nur aus verteidigungspolitischen Gründen, sondern auch aus Gründen der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung notwendig.
Wir begrüßen daher die Bestrebungen, durch europäische Zusammenarbeit einen Nachfolgetyp für unsere Flugzeuge F 104 G und Fiat G 91 zu entwickeln. Dabei darf es sicher nicht zu einem Flugzeugtyp kommen, der nach Leistung und Kosten die Notwendigkeiten der Luftwaffe wesentlich übersteigt. So sehr sich auf nationalem Gebiet der Grundsatz durchsetzen muß, daß nicht alles, was technisch möglich ist, auch vernünftig ist, so sehr gilt das auch für die internationalen Entwicklungen.
Für die Verteidigungsaufgaben in Mitteleuropa brauchen wir zuverlässige und robuste Waffensysteme. Sie überfordern die Truppe weder bei der Unterhaltung noch bei der Wartung. Darin sind wir auf vielen Gebieten mit unseren Bündnispartnern einig.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968 10865
Herold
Die Anforderungen für militärische Ausrüstungen vor allem der europäischen Bündnispartner sind auf vielen Gebieten identisch, wie man z. B. am Kampfpanzer Leopard gut aufzeigen kann. Hier ist für uns der Ansatzpunkt langfristiger Forschungs- und Entwicklungsprogramme. Der Verteidigungsminister hat dem Verteidigungsausschuß die Vorlage eines längerfristigen Forschungs- und Entwicklungsplans zugesagt. Wir bitten Sie, Herr Minister, für eine Beschleunigung dieses Vorhabens zu sorgen. Das Parlament hat einen Anspruch darauf, den Zusammenhang der Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit den im Rüstungsplan eingesetzten Beschaffungsvorhaben zu durchleuchten. Dieser Forschungs- und Entwicklungsplan muß Alternativen aufzeigen, damit wir bei veränderten Situationen nicht immer wieder bei Null anfangen müssen.
Im vergangenen Jahr, während der Diskussion über den Rüstungsplan, ist von dieser Stelle aus erklärt worden, daß noch keine Entscheidung über die Einführung des Kampfpanzers 70 getroffen worden sei; es solle lediglich die Eñtwicklung zum Abschluß gebracht werden, erst dann folge die Entscheidung. Nun sind aber im Haushalt 1969 bereits 25 Millionen DM zur Erarbeitung von Fertigungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Panzerentwicklung ausgewiesen. Soll das heißen, Herr Minister, daß im Ministerium bereits eine Vorentscheidung über die Einführung dieses Projektes getroffen worden ist? Ich würde mich in diesem Falle ganz den Ausführungen des Kollegen Zimmermann anschließen.
An diesem Beispiel wird die Notwendigkeit der Ergänzung des Rüstungsplans durch einen längerfristigen Forschungs- und Entwicklungsplan überdeutlich. Aber wenn der Herr Verteidigungsminister sich bereit erklärt, für baldmögliche Vorlage zu sorgen, so kann es bei einer Klarlegung im Ausschuß nicht sein Bewenden haben. Nicht nur die verantwortlichen Politiker, auch die Streitkräfte — die vor allen Dingen — und unsere Staatsbürger haben einen Anspruch darauf, daß der Auftrag der Bundeswehr zumindest in den Grundzügen sowie die Mittel und Maßnahmen, die zu seiner Erfüllung notwendig sind, offen dargelegt und diskutiert werden können.
Wir haben mit Befriedigung zur, Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, das Weißbuch zur Verteidigungspolitik im Januar kommenden Jahres zu veröffentlichen. Wir hatten dieses Weißbuch ursprünglich ja für einen früheren Zeitpunkt gewünscht und erwartet. Sicher machen es die Ereignisse dieses Sommers notwendig, seitdem eingeleitete Maßnahmen und veränderte Vorhaben einzubauen; das Weißbuch wird aber für uns Anlaß sein, die Sicherheitspolitik in diesem Hause noch einmal zu diskutieren, und zwar in engstem Zusammenhang mit unserer Außenpolitik. Wir hoffen, daß das Weißbuch nicht nur allgemeine Ausführungen enthält, sondern auch das für die Beurteilung erforderliche Zahlenmaterial. Es kann sich nicht beschränken auf die Situation der Jahreswende 1968/69. Es wird auf dem Rüstungssektor, bei der langfristigen Personalplanung, auf dem Gebiet der
Forschung und Entwicklung und für die Infrastruktur Angaben enthalten müssen, die zumindest den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung umfassen.
Wir haben bei früheren Debatten schon auf die Beispiele des englischen Weißbuches und des jährlichen Berichts des amerikanischen Verteidigungsministers hingewiesen, der nicht nur das laufende Finanzjahr erfaßt, sondern das Verteidigungsprogramm für die nächsten fünf Jahre festlegt. Für die Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, sind solche Programme und Weißbücher keine Grundsatzprogramme, sie können bei veränderter politischer Situation selbstverständlich den neuen Verhältnissen jederzeit angepaßt werden.
Ich will schließen mit einem Zitat aus der Rede des Verteidigungsministers vom vergangenen Freitag. Er hat ausgeführt:
Langfristige politische Absichten spiegeln sich deutlich im militärischen Bereich ... in der Art der Bewaffnung und in der Ausbildung der Streitkräfte wider. Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß die Struktur der sowjetischen Streitkräfte vornehmlich auf die Durchführung offensiver Operationen ausgerichtet ist.
Auch unsere langfristigen politischen Absichten im Bereich der militärischen Planung müssen ganz deutlich werden. Diese Absichten sollen sich allerdings auf die Erhaltung der Abschreckung und die Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit konzentrieren. Es darf keinem Zweifel unterliegen, daß Struktur und Bewaffnung unserer Streitkräfte vornehmlich auf die Durchführung defensiver Operationen ausgerichtet sind.