Rede von
Karl Wilhelm
Berkhan
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unmittelbarer Anlaß für diese Debatte waren die Regierungserklärung, die-Erklärungen des Außenministers und des Verteidigungsministerssowie Inhalt, Beratung und Beschlüsse der Ministerratstagung; vermutlich werden das !auch die Akzente sein, die heute die Debatte bestimmen. Daher meinen wir Sozialdemokraten, daß die Fragen der inneren Führung, die wirklich schwerwiegenden Fragen der Wehr- und Kriegsdienstverweigerer — hier insbesondere in der Truppe — bei einem anderen Anlaß beraten werden können, wenn wir .den Bericht des Wehrbeauftragten zur Debatte stellen.
Heute lassen Sie mich also zur Erklärung des Außenministers sagen, daß die Intervention der Sowjetunion in die Tschechoslowakei hinein in West-, aber auch in Osteuropa einen Schock ausgelöst hat. Für uns ist das ein Anlaß, die Positionen unserer Außenpolitik und die Positionen unserer Sicherheitspolitik 211 überprüfen und gegebenenfalls Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Zweifellos sind durch das Vorgehen der Sowjetunion die sich normalisierenden Beziehungen zwischen West- und Osteuropa beeinträchtigt worden.
Der brutale Eingriff in die Souveränitäteines selbständigen und unabhängigen Staates wurde zu unserem Bedauern im Anschluß daran von der Hauptinterventionsmacht noch durch eine neue Doktrin gerechtfertigt. Danach verlangt die sowjetische Staatsführung für sich das Recht, sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, wenn diese eine politische Entwicklung einleiten, die von der Sowjetunion als Bedrohung Ides sozialistischen Systems, wie sie es auffaßt, angesehen wird. Diese neue Interventionsdoktrin widerspricht nach unserer festen Überzeugung dem Völkerrecht. Sie ist für uns Anlaß ernster Besorgnisse. Wer beurteilt denn, wann und wo unter Berufung auf dieses Interventionsrecht Gewalt angewendet wird oder nicht?
10852 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968
Berkhan
Die Antwort der freien Staaten des Westens und ihres Verteidigungsbündnisses auf diese neue Situation muß 'in einem engeren Aneinanderrücken bestehen. Dabei haben wir den veränderten militärischen Bedingungen in Europa Rechnung zu tragen. Alle Maßnahmen .der einzelnen Staaten und der westlichen Allianz insgesamt müssen auf die vorrangige Aufgabe der NATO abgestellt sein, die da lautet: Friedenssicherung durch Aufrechterhaltung eines angemessenen militärischen Gleichgewichts und gleichzeitig beständige Bemühung um Verständigung ialler Staaten und Völker in West- und Osteuropa. Dieser Dualismus unserer Bündnisaufgabe hat gerade in den letzten Jahren .an Bedeutung 'gewonnen. Zur Zeit des Amtsantritts der Regierung der Großen Koalition haben im Dezember 1966 die 15 Außenminister der in der NATO verbündeten Staaten beschlossen, die friedenssichernde Funktion der Allianz einer Analyse zu unterziehen und dabei die Allianzaufgabe in einer sich verändernden Welt deutlich herauszuarbeiten. Ergebnis war der sogenannte Harmel-Bericht. Dieser Bericht ist auch in der Situation nach dem 21. August immer noch aktuell.
Das gilt auch für die Vorschläge und Angebote, die bei der NATO-Ministerratstagung in Reykjavik gemacht wurden. Die Allianz steht nach wie vor zu ihrem Angebot einer beiderseitigen gleichwertigen und gleichzeitigen Rüstungsbegrenzung in Europa, weil alle Regierungen — auch unsere Regierung —davon ausgehen, daß ein Abbau .der gegenseitigen Hochrüstungen ein sinnvoller Schritt auch auf dem Wege ,der politischen Annäherung wäre.
Wir müssen aber daran erinnern, daß uns der Dualismus unseres Verteidigungsbündnisses in den letzten Jahren besonders klar vor Augen gestanden hat. Es ist auf der einen Seite eine Gemeinschaft mit der Aufgabe, die Sicherheit der ihr zugehörigen Staaten zu gewährleisten, und auf der anderen Seite ein politisches Bündnis von Staaten, die wissen, daß nur ein Abbau der Spannungen zwischen Ost und West eine dauerhafte Friedensordnung in Europa begründen kann. Diese Aufgaben widersprechen sich nicht, sondern sie ergänzen sich. Militärische Anstrengungen sind für uns notwendig, weil sie das Risiko von Übergriffen verhindern und ein Gleichgewicht der Potentiale begründen, das uns den nötigen Rückhalt für Sicherheitsarrangements und die vertragliche Absicherung einer neuen Friedensordnung gibt. Beharrliche Politik des Abbaus der Spannungen aber muß den militärischen Anstrengungen ihre Zielsetzung und langfristige Perspektiven eröffnen. Eine nur militärische Antwort — das hat der Außenminister in der vergangenen Woche hier sehr deutlich gesagt - hat in der Vergangenheit nicht ausgereicht und wird auch in der gegenwärtigen Situation unserer Lage nicht gerecht. Die Aktionen der Sowjetunion in diesem Sommer und im Herbst haben den Ländern der westlichen Allianz eindeutig die Notwendigkeit klargemacht, die allgemeinen Probleme der europäischen Sicherheit, die von Natur aus kollektiven Charakter haben, auch gemeinsam zu lösen.
Der Zusammenhalt im Bündnis ist in der gegenwärtigen Situation wieder gewachsen. Die Sowjetunion hat in einer TASS-Erklärung zur Brüsseler Ratstagung vom 24. November 1968 festgestellt, daß an der Schwelle des Jahres 1969, „da jeder Teilnehmer des Nordatalantikvertrages juristisch das Recht des Austritts erhält", der NATO-Ministerrat versuche, alles zu tun, „um mit der abgegriffenen These von der sowjetischen Gefahr die in einer Reihe von Mitgliedstaaten der NATO in Erscheinung tretende Tendenz zu einer größeren Selbständigkeit in der eigenen europäischen und internationalen Politik zu ersticken". - Soweit die TASS-Erklärung.
Jeder in diesem Hause weiß, aber auch die Sowjetunion weiß, daß nicht eine Gruppe von Ministern versucht, den Handlungsspielraum von Staaten unseres Bündnisses einzuengen, sondern daß es die sowjetischen Maßnahmen waren, die zu einem engeren Aneinanderrücken unserer Staaten geführt haben und die uns den Wert des Bündnisses sehr deutlich vor Augen führen.
Wir werden an unseren Zielen einer langfristigen Politik des Abbaues der Spannungen in Europa festhalten, obwohl die andere Seite mit dem Einmarsch in die CSSR eine bedauerliche Verschärfung der Situation herbeigeführt hat. Die Präsenz sowjetischer Divisionen in diesem Nachbarlande verändert die Dislozierung der Streitkräfte des Warschauer Paktes in Mitteleuropa und zwingt uns, die NATO-Streitkräfte in die Lage zu versetzen, auch in der veränderten militärischen Situation ihren Aufgaben in bezug auf Sicherheit gerecht zu werden. Gerade das Ergebnis der Ministerratstagung von Brüssel hat klargemacht, daß die Allianz trotz aller Rückschläge an ihrem Ziel der Herbeiführung gesicherter, friedlicher, für beide Seiten nutzbringender Beziehungen zwischen Ost und West festhält. In dem Abschlußkommunique wurde ausdrücklich betont, daß der Wunsch nach Frieden Fortschritte auf den entscheidenden Gebieten der Rüstungskontrolle und Abrüstung verlange. Ich glaube, das ist der Absatz 12 in dem Kommuniqué. Weitere Bemühungen um die Lösung der grundlegenden Fragen, die Ost und West trennen, blieben notwendig.
und die Entspannungspolitik müßte fortgesetzt werden.
— Ich habe ja nur eine halbe Stunde.
Darum habe ich ja mit Ihnen gestimmt, Herr Scheel. Jetzt will ich mich aber bemühen, langsamer zu sprechen. Danke schön!
Das ist sicher eines der wichtigsten Ergebnisse der Tagung von Brüssel. Nach dem Willen der Staaten des Westens gibt es keine Rückkehr zum Kalten Krieg, die von uns ausginge. Wir werden die Sowjetunion nicht aus dem Zwang entlassen, sich mit
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unseren zukunftweisenden Angeboten auseinanderzusetzen. Wir haben dabei nicht die Absicht, Differenzen in den Warschauer Pakt zu tragen. Wir meinen aber, daß es keinen anderen Weg zur Bewahrung des europäischen Friedens und zur Überwindung der vorhandenen Gegensätze gibt. Wir können aber auch dann von dieser Politik nicht abgehen, wenn sie der Sowjetunion auf die Nerven geht und wenn sie die Homogenität ihres Blocks einem Differenzierungsprozeß unterwirft.
In der Vergangenheit bemühten sich die Staaten des Westens, die Entspannungspolitik sowohl durch bilaterale Verträge zwischen einzelnen westlichen und östlichen Staaten als auch durch multilaterale Verhandlungen zu fördern. Beides widerspricht einander nicht. Dennoch werden wir in Zukunft stärker als in der Vergangenheit darauf angewiesen sein, das Bündnis selbst als ein Instrument der Entspannung zu nutzen.
Die Sowjetunion hat uns eindeutig klargemacht, welche Bedeutung sie dem Warschauer Pakt zumißt und in wie starkem Maße dieser Vertrag als System politischer Koordination aufzufassen ist. Die Staaten des Westens werden der von der Sowjetunion erzwungenen kollektiven Einheitsfront nicht erfolgreich gegenübertreten können, wenn sie nicht ebenfalls ihre Interessen und Ziele in Zukunft enger koordinieren, und zwar freiwillig enger koordinieren.
Dabei wird es auch auf eine bessere Verdeutlichung der europäischen Interessen im Rahmen der NATO ankommen. Der Bündniszusammenhalt zu unseren nordatlantischen Partnern, zu den USA und Kanada, darf dabei sicher nicht geringer werden. Unser Außenminister hat am vorigen Mittwoch von der stärkeren Betonung der europäischen Identität im Bündnis gesprochen. Die Westeuropäische Union kann vielleicht ein Instrument sein, diese Identität mehr zu betonen und herauszuarbeiten. Sie kann der Sache dienen. Das gleiche gilt für eine Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften. Es gilt, eine bessere Zusammenarbeit der sechs Kernstaaten mit Großbritannien und anderen beitrittswilligen Staaten in einer Form zu finden, die sowohl mit den bestehenden Verträgen vereinbar ist als auch den Interessen Dritter gerecht zu werden vermag. Die Gesamtheit der Bündnisstaaten hat gleichzeitig sowohl ihre Bemühungen zu intensivieren, die Verteidigungsmaßnahmen der geänderten Situation anzupassen, als auch ihre Entschlossenheit zu bekunden, die Bemühungen um eine friedliche Ordnung in Europa weiter zu verfolgen. Alle Partner, insbesondere aber die Bundesrepublik Deutschland, sind an dieser Geschlossenheit des Bündnisses in der Verfolgung des doppelten Zieles des Bündnisses — Sicherheit für Westeuropa und Entspannung und Frieden für ganz Europa — vital interessiert.
Wir stellen zu unserem Bedauern nach wie vor fest, daß die Sowjetunion trotz unseres ehrlichen und ernstgemeinten Angebots an ihrer Diskriminierung der Bundesrepublik festhält. Wir müssen den Menschen in den Staaten des Ostens klarmachen, immer wieder klarmachen, daß das künstlich aufgebaute Gespenst des deutschen Revanchismus der realen Grundlage entbehrt.
Das bedeutet für uns eine Verpflichtung: wir müssen eine Politik betreiben, die mit unseren militärischen Anstrengungen und unseren politischen Initiativen nirgendwo den Verdacht aufkommen lassen kann, daß wir eine gewaltsame Veränderung des Status quo anstreben. Unsere Verteidigungsanstrengungen müssen immer eindeutig defensiv sein. Das gilt für die Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr und für die Zahl der bei uns unter Waffen stehenden Soldaten, das gilt aber auch für jede Äußerung in Wort und Schrift seitens der verantwortlichen deutschen Politiker.
Wir wissen, daß die Gefahr bewußter Mißdeutungen nie ausgeschlossen werden kann, und dürfen deshalb um so eher erwarten, daß die hohlen Formeln der Politik der Stärke und die groben Schlagworte mancher Sonntagsreden aus dem Wortschatz der Politiker gestrichen werden,
zumindest derjenigen Politiker, die hier in diesem Hause die drei demokratischen Parteien vertreten. Nur auf diese Weise bleibt uns das Vertrauen unserer Freunde erhalten. Die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht leisten, eine Politik zu betreiben, die sie von ihren Verbündeten trennt. Die Diskriminierung unserer Politik und unserer Ziele durch die Sowjetunion bleibt bei unseren Freunden so lange unwirksam, wie wir uns nicht eine dominierende Rolle anmaßen, die wir auf Grund historischer Vorgänge, auf Grund unserer besonderen Lage in Mitteleuropa und auf Grund unserer Spaltung in diesem Kontinent nicht spielen wollen, aber auch nicht spielen können.
Schon in der Vergangenheit hat man sich vergeblich bemüht, die Bundesrepublik als einen aggressiven und revanchistischen Staat hinzustellen, uns von unseren Verbündeten zu isolieren und das Mißtrauen aller europäischen Länder — der kommunistischen wie der nichtkommunistischen — auf die Bundesrepublik Deutschland zu konzentrieren. Diesen Bemühungen müssen wir eine offene und beharrliche Politik der Verständigung entgegensetzen, die von einer stabilen Sicherheitslage aus auf dem Wege des gegenseitigen Gewaltverzichts, der Rüstungskontrolle und Abrüstung durch Überwindung ,der politischen und sozialen Gegensätze zu einem europäischen Sicherheitssystem, zu einer europäischen Friedensordnung führen kann. Nur eine solche Politik gewährleistet uns die dauerhafte Unterstützung unserer Verbündeten sowohl in bezug auf eine schließliche Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas als auch in bezug auf eine Sicherung der Stellung Berlins.
Wir sind dankbar dafür, daß der Ministerrat der NATO im Sommer in seinem Kommuniqué von Reykjavik jede Behinderung oder Gefährdung des freien Zugangs nach Berlin und jede Änderung des
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Status der Stadt als Gefährdung der Entspannungspolitik angesehen hat. Auch bei der Brüsseler Sitzung haben die Minister wiederum an die Sowjetunion appelliert, die Vier-Mächte-Vereinbarungen über Berlin und die auf Grund dieser Vereinbarungen von den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien getroffenen Entscheidungen zu respektieren. Es wurde erneut bekräftigt, daß die drei Mächte entschlossen sind, die Sicherheit der Stadt zu gewährleisten und den freien Zugang aufrechtzuerhalten.
Unsere Entschlossenheit, auf dem Wege zu einer europäischen Friedensordnung fortzuschreiten, darf uns aber nicht davon abhalten, zu jeder Zeit Entscheidungen zu treffen, die wir für notwendig halten, wenn es gilt, die Sicherheitsfunktion der Allianz zu gewährleisten. Angesichts der Ereignisse dieses Sommers haben wir Sozialdemokraten von Anfang an erklärt, eine gemeinsame Lageanalyse und Bestandsaufnahme sei notwendig. Sollte diese Bestandsaufnahme zu dem Ergebnis kommen, daß gemeinsame Aktionen zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft der militärischen Kräfte des westlichen Bündnisses erforderlich würden, könnte sich kein Bündnispartner seinen Verpflichtungen entziehen, auch die Bundesrepublik Deutschland nicht.
Diese gemeinsame Analyse hat inzwischen zu dem Ergebnis geführt, daß im Potential des Warschauer Paktes erhebliche Verschiebungen stattgefunden haben. Und die Tatsache, daß hervorragend ausgerüstete sowjetische Divisionen heute im Böhmerwald jenseits der bayerischen Grenze stehen, hat ohne Zweifel die operativen Möglichkeiten der Streitkräfte des Warschauer Paktes verbessert. Diese Verschiebung der militärischen Kräfteverhältnisse in Mitteleuropa war begleitet von einer Verstärkung der sowjetischen Seestreitkräfte im Mittelmeer und von einer erheblichen Erhöhung der Rüstungshaushalte in den Staaten des Warschauer Paktes im gegenwärtigen Rechnungsjahr.
Die 14 an der gemeinsamen NATO-Verteidigung teilnehmenden Staaten haben als Reaktion darauf eine Verbesserung der Qualität und der Einsatzbereitschaft ihrer eigenen Streitkräfte vereinbart. Damit soll kein neuer Rüstungswettlauf eingeleitet werden: Nach den Worten von Außenminister Brandt bezwecken die in Brüssel getroffenen Vereinbarungen nichts anderes, als durch angemessene undramatische Verbesserung die NATO-Streitkräfte in die Lage zu versetzen, auch in der veränderten militärischen Situation ihren Aufgaben gerecht zu werden.
Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie in den Grenzen des unbedingt Notwendigen die Mängel beseitigen will, die weder mit unserer Sicherheit noch mit unserer Verpflichtung im Bündnis vereinbar sind. Der Verteidigungsminister hat in seiner Rede in der vergangenen Woche u. a. ausgeführt, daß zur Beseitigung dieser Mängel zusätzlich zu den bereits in der mittelfristigen Finanzplanung ausgewiesenen Summen etwa 2,5 Milliarden DM erforderlich sind. Diese Summe wird in den Jahren 1969 bis 1972 benötigt. Wenn sie voll ausgeschöpft wird, sind das pro Jahr 625 Millionen DM.
Die SPD-Fraktion bleibt bei ihrer Zusage, die hier grundsätzlich durch den Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt ausgesprochen wurde. Keiner kann aber erwarten — weder der Verteidigungsminister noch der Finanzminister —, daß das Parlament gewissermaßen eine Blankovollmacht ausstellt. Der Finanzminister muß schon sagen, wie die 2,5 Milliarden DM aufgebracht werden sollen.
Erstens: Sollen an anderer Stelle Einsparungen vorgenommen werden? Oder erwartet man — zweitens — ein höheres Steueraufkommen, als es bisher den Schätzungen der mittelfristigen Finanzplanung zugrunde gelegt wurde? Oder soll — drittens — eine zusätzliche Belastung erfolgen wie etwa bei der Ergänzungsabgabe? Oder denkt man — viertens — an die Aufnahme von Anleihen?
— Zusätzlich! Wir sind uns doch einig!
— Ja, ja, zusätzlich, meine ich. Wir sind uns doch einig, Herr Scheel. Ich weiß gar nicht, warum Sie das so betonen.
— Wir sind uns nicht einig? Dann müssen wir sehen, was nachher Herr Schultz dazu sagt. Dann werden wir sehen, wo die Differenz liegt.
Der Verteidigungsminister muß uns wissen lassen: wie wird diese Summe in den einzelnen Jahren verteilt sein, und wie wird sie aufgeteilt werden z. B. bei den fortlaufenden Kosten — Personal, Materialerhaltung, allgemeine Kosten — und bei den einmaligen Kosten, Beschaffung und dergl.? Ich meine, der Verteidigungsrat sollte bald diese Fragen klären, dem Kabinett berichten, und dann kann der Verteidigungsminister dem Verteidigungsausschuß in dieser Frage zur Verfügung stehen. Doch hielte ich es für gut, Herr Minister Schröder, wenn Sie heute schon — ohne Einzelheiten zu nennen — ganz allgemein zu diesen Fragen einmal Stellung nähmen.
Die Forderungen der NATO konzentrieren sich auf zwei Schwerpunkte. Diese Schwerpunkte sind: erstens eine Verbesserung der Qualität, Schlagkraft und Bereitstellung der Bündnisstreitkräfte sowohl hinsichtlich der Mannschaftsstärke als auch ihrer Ausrüstung und zweitens eine Erhöhung der Qualität der Reserven und die Steigerung ihrer Fähigkeit zu einer raschen Mobilmachung. Wir wissen, daß Schlagkraft und Bereitstellung der Streitkräfte in bezug auf die Mannschaftsstärken vor dem Hintergrund der schwierigen Personallage der Bundeswehr gesehen werden müssen.
Der Verteidigungsminister hat in der vorigen Woche darauf hingewiesen, daß uns Anfang 1969 nur noch etwa 200 000 längerdienende Soldaten für den Dienst in der Truppe zur Verfügung stehen. In diesem Hause haben wir seit Jahren häufig über ein angemessenes Verhältnis zwischen der Zahl der längerdienenden Soldaten und der Zahl der Wehrpflichtigen diskutiert. Wir kennen die Idealvorstellung: 62 % Längerdienende und 38 % Wehrpfichtige.
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Wir wissen aber auch, daß diese Zahl nie erreicht wurde. Wir sehen die Gefahr, daß sich das Verhältnis in absehbarer Zeit genau umgekehrt einpendeln kann.
Zur Lösung des dringenden Personalproblems wird — zum Teil durch Initiative des Parlaments —inzwischen eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen vorgelegt. Alle diese Gesetze finden ihre Deckung im Rahmen des Haushalts, im Rahmen des Einzelplans 14. Sie erfordern also keine zusätzlichen Mittel, sondern die Beträge sind im Haushalt drin.
Aber keiner sollte heute so tun, als käme die Zuspitzung der Personalmisere unerwartet und als hätte sie nicht vorausgesehen werden können. In den zuständigen Referaten, Unterabteilungen und Abteilungen des Ministeriums mußte doch seit Jahren bekannt sein, welcher Abgang an längerdienenden Zeitsoldaten mit dem Auslaufen der jeweiligen Verpflichtungszeiten zu erwarten war und welche abwärtsweisende Tendenz die Zahl der Neuverpflichtungen beharrlich aufwies. Man sage nicht, daß durch die Einsparungen unter dem Zwang der mittelfristigen Finanzplanung die militärische Laufbahn an Attraktivität verloren habe. Diese Einsparungen haben auch andere Bereiche getroffen, ohne daß derartige Folgen eingetreten sind. Sicher ist es auch eine Unterbewertung unserer Soldaten, wenn wir glauben, ihre Probleme könnten ohne größere Schwierigkeiten durch Geld gelöst werden.
Wir sind auch der Meinung, daß die schematische Anpassung der Soldatenbesoldung an bestimmte Regelungen des öffentlichen Dienstes zum Teil korrekturbedürftig ist. So ist die strukturelle Verbesserung vor allem der vernachlässigten Unteroffiziersbesoldung sicher dringend.
Dennoch liegen die Probleme tiefer. Hoffentlich kommen wir nicht zu spät. Das Verteidigungsministerium hat anerkannt, daß Befähigung und Leistung auch bei unseren Soldaten in anderer Weise honoriert werden müssen als in der preußischen Armee des vergangenen Jahrhunderts. Mein Kollege Detlef Haase wird zu dieser Frage und mein Freund Karl Herold noch zu anderen Fragen Stellung nehmen. Ich will hier nur sagen, daß alle Laufbahnen in Zukunft allen Soldaten, die befähigt sind, offenstehen müssen. Diese Armee muß voll in unsere Leistungsgesellschaft integriert werden. Das gilt für den Grenadier wie für den General.
Wenn es uns gelingt, diese Armee in den Staat zu integrieren, wenn es uns also gelingt, die Normen unserer Leistungsgesellschaft in der Armee wirksam werden zu lassen, dann — davon bin ich überzeugt, Herr Barzel — wird der Dienst in dieser Armee attraktiv werden, und dann werden wir leichter mit den Personalproblemen fertig werden.
— Ich weiß, daß Sie natürlich eine besondere Vorliebe für Generale haben, während ich eine besondere Vorliebe für Grenadiere habe.
— Natürlich ist das eine Unterstellung.