Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Zeit befinden sich nach wie vor 42 sowjetische Divisionen westlich der Weichsel, d. h. in Westpolen, in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, in der CSSR und in Ungarn, also rund 15 Divisionen mehr als vor Beginn der sowjetischen Intervention vom 21. August dieses Jahres. 20 sowjetische Divisionen stehen allein in der Tschechoslowakei, und ein großer Teil von ihnen ist an der bayerischen Grenze stationiert, in einem Gebiet also, in dem es vorher keine sowjetischen Divisionen gab. Die sowjetischen Streitkräfte sind näher an uns herangerückt und befinden sich in einem höheren Grad der Einsatzbereitschaft als zuvor. Mithin war im Ergebnis für die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland und Europas das Ereignis vom 21. August keineswegs ein nur interner Vorgang ides Ostblocks.
Die Strategie der Sowjetunion hat sich als imperialistisch, global und total erwiesen. Sie reicht von Landungsmanövern bei Nord-Norwegen, dem Druck auf Finnland, der wachsenden Präsenz im Mittelmeer bis zur Interventionsdrohung nach den Art. 53 und 107. Die Teilung der Welt, die seit 1945 wohl eine Tatsache ist, wird im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, die sie defensiv auslegen, von der Sowjetunion offensiv ausgelegt. Die Vereinigten Staaten haben sich weder 1953 in Ost-Berlin noch 1956 in Budapest noch 1968 in Prag engagiert. Die Sowjetunion dagegen betrachtet diese Teilung unter anderen Gesichtspunkten. Sie tastet ständig die westliche Welt nach schwachen Stellen ab, um ihren eigenen Einflußbereich zu vergrößern.
Trotz allem bleibt, wie die Bundesregierung hier mit Recht gesagt hat, die Politik der aktiven Friedensbereitschaft und Friedenssicherung, wie sie die Bundesrepublik gegenüber West und Ost verfolgt, richtig. Eine Entspannung jedoch als Monolog und ohne Antwort aus dem Osten wäre sinnlos und illusionär..
Der Breschnew-Doktrin, nach der eine Intervention in einem sozialistischen Lande möglich und notwendig ist, wenn dieses Land von der von Moskau verkündeten Linie abweicht, ist nun eine Militärdoktrin Ost-Berlins gefolgt. In ihr wird das, was die Warschauer-Pakt-Staaten zur Rechtfertigung der Aggression vom 21. August anführen, weiter entwickelt und besonders auf die Bundesrepublik Deutschland ausgedehnt. Das scheint uns ein Rückfall in die stalinistische Ara zu sein, der offenbar aggressive Züge trägt und aus dem heraus man sich eine ideologischpolitische Ausgangsposition für mögliche Schikanen und mehr gegenüber der Bundesrepublik und West-Berlin aufzubauen suchen könnte. Mit dieser Doktrin wird gegen alle internationalen Vereinbarungen verstoßen und idas genaue Gegenteil von Friedenspolitik gemacht. Diese Ostberliner Politik fügt sich nahtlos in den praktizierten Imperialismus der Sowjetunion ein.
Mit dem Einmarsch in Prag hat die Sowjetunion alle Spekulationen auf ein Auseinanderfallen des Ostblocks und auf selbständige Politik dort widerlegt. Es gibt also keinen östlichen Polyzentrismus, wie es vor allem die gaullistische Politik so lange glaubte. Der Ostblock ist zwangsweise geeint worden, wenn auch einige osteuropäische Staaten noch einen, wenn auch eingeschränkten, Grad an Handlungsfreiheit behalten haben.
Die fortschreitende Erosion der NATO 'allerdings ist durch diese Entwicklungen drastisch gestoppt worden. Sie haben gezeigt, daß sich die Absichten eines potentiellen Gegners sehr rasch ändern können. Wir haben uns daher — was andere und ich schon mehrfach betont haben — wieder einmal
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primär nach den Fähigkeiten und Möglichkeiten der anderen Seite einzurichten und nicht nach den Absichten, wie sie heute und morgen sehr verschieden sein können.
An diese Stelle gehört auch die vieldiskutierte Frage der Vorwarnzeit. Die Sowjetunion hat über Monate hinweg Manöveroperationen und Truppenverschiebungen bis zur Intervention durchgeführt. Obwohl sie in ihrem Ablauf für den Westen kein Geheimnis blieben, war der Zeitpunkt der Intervention überraschend. Die Sowjetunion vermag aus ihrer gegenwärtigen Position und aus ihrem Bereitschaftsstand jederzeit überraschende Aktionen vorzunehmen. Aus diesem Grunde haben wir sicherzustellen, daß unsere eigene Präsenz überall da vorhanden ist, wo sie möglicherweise notwendig ist. „Rotation" und „Big Lift" können nur mehr als zusätzliche Ergänzungen einen gewissen Wert behalten.
Mit Befriedigung haben meine Freunde und ich aus den Darlegungen der Bundesregierung, insbesondere des Herrn Verteidigungsministers, entnommen, daß die Regierung der Präsenz voll aufgefüllter und ausgebildeter Verbände im Rahmen der NATO eine hohe Priorität zuweist. Die dafür erforderlichen Mittel müssen über die mittelfristige Finanzplanung hinaus von der Regierung aufgebracht und von diesem Hause bewilligt werden. Unsere Bevölkerung wünscht zuallererst Sicherheit und ist bereit, Anstrengungen dafür die gleiche Priorität zu geben, wie sie die Regierung vorgeschlagen hat. Unsere Verbündeten sind nach allen ihren Äußerungen bereit, auch ihre Verteidigungsbudgets der veränderten Lage anzupassen. Dem möglichen Gegner müssen das Risiko und die Gefahr eines Angriffs glaubwürdig aufgezeigt werden.
Voraussetzung für eine glaubhafte Abschreckung sind ausreichende militärische Mittel und die Entschlossenheit, sie gegebenenfalls zur rechten Zeit und am rechten Ort einzusetzen. Die wesentlichsten Merkmale dieses Konzepts müssen die eindeutige Absicht beinhalten, im Bündnis gemeinsam zu han- dein und das Bündnisgebiet gegen alle möglichen Formen einer Aggression zu verteidigen. Die Allianz muß auf jeder Stufe einer Aggression wirksam reagieren können und ein so hohes Maß an Flexibilität in der Abwehr haben, daß der Gegner bei jeder Art einer Aggression ein unkalkulierbares und daher untragbares Risiko eingehen würde.
Der Verteidigungsausschuß dieses Hauses hat sich seit November 1966, also seit zwei Jahren, wiederholt mit den Strukturproblemen unserer Streitkräfte, vor allem mit den Unteroffiziersproblemen, beschäftigt. Im Juni 1967 hat das Parlament darüber eine Entschließung gefaßt und im Dezember 1967 in einer Wehrdebatte ausführlich diskutiert. Aus gegebener Veranlassung darf ich darauf hinweisen, daß die entscheidenden Gesetze, deren Ausarbeitung wegen der Komplexität der Sachverhalte und der haushaltsmäßigen Abdeckung sich im allgemeinen einer Initiative aus dem Hause entziehen, von der Regierung erst vor einer Woche dem Bundestag zugeleitet werden konnten und nun unverzüglich von uns behandelt werden. Wie unverzüglich dieses Haus und seine Ausschüsse sich dieser für unsere Soldaten so wichtigen Gesetze annehmen, geht wohl am besten daraus hervor, daß der Verteidigungsausschuß die Vorlagen, bei denen er mitberatend ist, schon auf die Tagesordnung seiner morgigen Sitzung an erster Stelle gesetzt hat. Das gleiche gilt für den Innenausschuß, der sämtliche Vorlagen, bei denen er mitberatend und der Verteidigungsausschuß federführend ist, ebenfalls auf seine morgige Tagesordnung gesetzt hat, wofür ich dem Herrn Vorsitzenden des Innenausschusses ausdrücklich Dank sagen möchte.
Es handelt sich bei den Entwürfen um die Strahlenflugzeugführerlaufbahn, die Einführung einer Laufbahn des militärfachlichen Dienstes, also einer neuen Laufbahn für besonders qualifizierte Unteroffiziere, die Wiedereinführung des Soldaten mit zweijähriger Dienstzeit, die Ausdehnung der Unfallentschädigung auf alle Verunglückten, die Erhöhung der Verdienstausfallentschädigung für Wehrübende, die Verdoppelung des Entlassungsgeldes für Wehrpflichtige und eine Ausdehnung der Erfassungsmöglichkeit für Wehrpflichtige.
Ich nenne diese Maßnahmen an erster Stelle der Probleme der Streitkräfte, weil nach meiner Meinung Maßnahmen der Bewaffnung und Ausrüstung, der Technologie und auch der Strategie gegenüber der Forderung, den Personalstand nach Qualität und Quantität auf einen optimalen Stand zu bringen, so wichtig sie sein mögen, zweitrangig sind gegenüber diesem primären Problem.
Das sogenannte Eingliederungsgesetz wird hoffentlich das Kabinett ebenfalls bald verlassen. Es betrifft die Soldaten mit 12- bis 15jähriger Dienstzeit und soll ihnen einen Rechtsanspruch auf weitere Verwendung im öffentlichen Dienst, verbunden mit der Wahrung ihres Besitzstandes, bringen. Mit diesem Gesetz wird der länger dienende Unteroffizier eine überschaubare Laufbahn vor sich haben, und ich bin sicher, daß das eine anziehende Wirkung auch in unserer hochbeschäftigten Industriegesellschaft haben wird.
Zu verwirklichen sind die Absichten des Gesetzgebers aber nur, wenn Länder und Gemeinden bereit sind, die Übernahme der ausscheidenden langdienenden Soldaten ebenso wie der Bund zu gewährleisten.
Ich darf an dieser Stelle unsere Länder und Kommunen dringend bitten, sich hier nicht zu verschließen, denn ohne ihre Hilfe und Mitwirkung ist das Problem nicht zu lösen.
Vor wenigen Wochen war ich im Bereich einer Handwerkskammer auf Regierungsbezirksebene eingeladen, bei der Freisprechung von 45 Meistern und
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55 Gesellen, die als Unteroffiziere durch den Berufsförderungsdienst der Bundeswehr bei diesem Festakt freigesprochen werden konnten, die Festansprache zu halten. Bei dieser Gelegenheit ist mir die Bedeutung, ja, die Attraktivität dieser Einrichtung der Bundeswehr besonders deutlich geworden. Wir beklagen mit Recht, daß die hochwichtigen und speziellen Funktionen unserer Unteroffiziere in einer modernen technisierten Armee noch nicht den Grad von gesellschaftlicher Anerkennung gefunden haben, den sie verdienen. Um so mehr ist diese Anerkennung bei der von mir gerade erwähnten Gelegenheit deutlich geworden. Ein qualifizierter Ausbilder der Bundeswehr ist zum qualifizierten Handwerksgesellen und -meister geworden. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, diese Möglichkeiten und ihre Ergebnisse, die man als vorzüglich und beispielhaft für alle Streitkräfte, auch die unserer Verbündeten, empfinden muß, öffentlich mehr herauszustellen, als das bisher geschehen ist.
Das Thema „Wehrgerechtigkeit" hat Regierung und Parlament seit vielen Jahren beschäftigt. Schon im Juni 1962 ist die Bundesregierung auf Antrag aller Parteien einstimmig ersucht worden, die Wehrpflichtigen, die nicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen werden konnten, in größerer Zahl zum verkürzten Grundwehrdienst oder zur zivilen Dienstpflicht heranzuziehen. Vor einem Jahr ist erstmals der Gedanke einer Wehrsteuer aufgeworfen worden. Das führte dann im Dezember 1967 zu dem Vorschlag des Bundesministers der Verteidigung, eine parlamentarische Kommission unter Vorsitz des Parlamentarischen Staatssekretärs zu bilden, die sich mit den Lösungsmöglichkeiten des Problems der Wehrgerechtigkeit befassen sollte.
Noch vor der Sommerpause in diesem Jahr hat die Kommission dem Parlament und der Bundesregierung einen umfangreichen Bericht mit Zahlenmaterial und eine Reihe von konkreten Vorschlägen vorgelegt. Als sich der Verteidigungsausschuß sogleich nach den Parlamentsferien mit den Vorschlägen, die übrigens von delegierten Vertretern aller Fraktionen des Hauses unterschrieben worden waren, befassen wollte, ersuchte die Bundesregierung, damit noch zuzuwarten, bis eine innerhalb der Bundesregierung abgestimmte Stellungnahme erarbeitet worden sei. Wie ich gestern von Herrn Staatssekretär von Hase erfahren habe, steht die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorschlägen der Kommission nun unmittelbar bevor. Es darf aber hier gesagt werden, daß ein Teil des Anliegens der Dienenden durch die von mir vorher genannten Novellierungen von Gesetzen erfüllt werden wird. Aber nur ein Teil! Ich halte es für unbedingt notwendig, daß der gediente Wehrpflichtige, wenn er schon 1 1/2 Jahre für den Dienst an der Gemeinschaft herangezogen worden ist, bevorzugt zum Studium zugelassen, bevorzugt im öffentlichen Dienst eingestellt wird und überall da, wo es nur irgend möglich ist, einen gerechten Ausgleich gegenüber dem Nichtdienenden erhält.
Ich glaube, wir alle, das ganze Haus, sollten die Konferenz der Kultusminister und alle Behörden und Institutionen, die sich angesprochen fühlen müssen, bitten, in Zukunft so zu verfahren, weil es dem Gesetzgeber allein niemals möglich sein wird, die Wehrgerechtigkeit von sich aus erschöpfend und gerecht für alle zu regeln.
Allein bis Ende Oktober 1968 haben fast 3000 Soldaten Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer — ich sage lieber „Wehrdienstverweigerer" — eingereicht. Das sind in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 600 mehr als in den letzten zehn Jahren zusammen!
Diese Zahlen sagen alles. Die außerordentlich weitgehende Regelung unseres Grundgesetzes in dieser Frage beginnt durch einen organisierten Mißbrauch ausgenützt zu werden.
Die frühere reguläre und achtbare Antragstellung vor der Einberufung macht zunehmend einer Antragstellung nach der Einberufung Platz. Die Erträglichkeit muß dort ihre Grenze finden, wo die von unserem ganzen Volk gewünschte Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gefährdet wird.
Wenn sich in einer Batterie mehrere Soldaten verschiedener Geschütze als Kriegsdienstverweigerer melden und nun nicht mehr an ihrer Waffe verwendet werden dürfen, so fallen diese Geschütze aus, da ausgebildeter Ersatz hierfür naturgemäß nicht vorhanden ist. Wenn sich in einer Panzerkompanie mehrere Panzerfahrer als Kriegsdienstverweigerer melden, sind die Panzer nicht mehr einsatzbereit; denn die Heranbildung von Panzerfahrern erfordert Zeit. Wie wir aus zahlreichen Gesprächen mit der Truppe wissen, verursacht auch nur ein Soldat als Kriegsdienstverweigerer in einer Kompanie Unruhe, insbesondere wenn durch Gehorsamsverweigerung und anderes die Befassung mit disziplinären Maßnahmen und unendlichem Papierkrieg den Kompaniechef von seiner eigentlichen Aufgabe, Soldaten auszubilden, fernhält.
Dazu kommt, daß sich mehr und mehr Soldaten als Kriegsdienstverweigerer erst nach der Grundoder Spezialgrundausbildung melden, so daß ein Ersatz für sie einfach nicht sofort vorhanden sein kann. Sie wollen durch eine späte Meldung offensichtlich dem Ersatzdienst entgehen. Einschlägige Hinweise durch Verbände und Anzeigen in bestimmten Zeitschriften liefern die Gebrauchsanweisung für solches Verhalten.
In keinem Land der Welt tritt das Problem so extrem in Erscheinung wie gegenwärtig bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
In Frankreich werden, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, von 225 000 Einberufenen im Jahr 50 bis 60 Kriegsdienstverweigerer anerkannt und 100 bis 120 abgewiesen. Die Bundesrepublik ist das
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einzige Land der Welt, in dem das Recht auf Kriegsdienstverweigerung durch die Verfassung garantiert ist. Die Minderheiten, die versuchen, unsere staatliche Ordnung und die Bundeswehr anzugreifen und auszuhöhlen, sollten daran denken, daß sie letzten Endes nur durch unsere demokratische Verfassung die Möglichkeit der Betätigung und Meinungsäußerung haben, deren Bestand gerade die Bundeswehr zu schützen berufen ist.
Meine Fraktion erwartet in dieser Frage Vorschläge der Bundesregierung, insbesondere über die Möglichkeiten einer unverzüglichen Überführung von Antragstellern aus der Truppe in einen zivilen Ersatzdienst, der in jeder Beziehung mit dem Truppendienst vergleichbar ist.
An die zweite Stelle der von mir skizzierten Prioritätenliste gehören Bewaffnung und Ausrüstung der Truppe. Zur Abschreckung, die ich eingangs in ihren unverzichtbaren Wirkungen darzustellen versuchte, gehören auch für die Bundesrepublik Gleichartigkeit und Gleichmäßigkeit der Bewaffnung mit den Verbündeten in Zentraleuropa sowie die Unmöglichkeit für den potentiellen Gegner, sich auf minderbewaffnete Gefechtsfeldabschnitte einrichten zu dürfen, mithin die nukleare Komponente.
Ein Mitspracherecht bei der Zielauswahl und beim Einsatz ist gerade für ein geteiltes Land unerläßlich und in der Tat nach meiner Überzeugung geradezu eine eminente Frage gesamtdeutscher Verantwortung. Meine Herren von der FDP, vielleicht betrachten Sie diese Frage auch einmal unter diesem Aspekt.
Ich bin dem Kollegen Berkhan für die Auffassung, die er zu diesem Punkt in einer deutschen Zeitung in diesen Tagen geäußert hat, außerordentlich dankbar. Sie deckt sich ganz und gar auch mit meinen eigenen Motiven.
Aus den Gründen, die ich vorher genannt habe und von denen jeder einzelne gewichtig genug wäre, um die Entscheidung allein auf ihm aufzubauen, die aber in ihrer Gesamtheit uns geradezu zwingen, so zu handeln, halten wir es für notwendig, die zweite Generation der Pershing, mit der die 7. US-Armee gegenwärtig ausgerüstet wird, auch für die Bundeswehr zu beschaffen.
Unsere Panzerwaffe ist durch die Einführung des Kampfpanzers „Leopard" erheblich verstärkt worden. Die Exporterfolge dieses Waffensystems beweisen, daß wir für die europäischen Gegebenheiten ein kampfkräftiges und nicht überteuertes System gefunden haben, das gleichgeartete Entwicklungen verbündeter Staaten hinter sich gelassen hat.
Ich habe durchaus nichts gegen die gemeinsame Entwicklung des Panzers 70 mit den Vereinigten Staaten von Amerika einzuwenden, auch wenn diese Entwicklung erhebliche finanzielle Mittel in Anspruch genommen hat. Aber ich befürworte nach wie vor für den nächsten halben Generationswechsel einen
kampfkraftverstärkten „Leopard", weil es sich nach meiner Meinung beim Panzer 70 um ein überperfektioniertes System handelt,
bei dem die Kosteneffektivität wohl nicht ohne weiteres zu bejahen ist. Auf diesem Sektor geht die Sowjetunion seit langer Zeit den Weg der Qualität und Quantität, und hier ist eine vielfache quantitative Überlegenheit nicht durch ein noch so perfektes Einzelfahrzeug auszugleichen.
Einzelne technische Komponenten und wichtige technische Erfahrungen bei der Entwicklung des Panzers 70 können auch in der nächsten Generation des „Leopard" ohne extreme Verteuerung dieses Systems übernommen werden.
Ein Hauptaugenmerk werden wir weiterhin auf die Panzerabwehr zu richten haben. Kanonenjagd-und Raketenpanzer sind die eine Seite, tragbare Panzerabwehrwaffen des Einzelkämpfers die andere Seite der Lösungsmöglichkeiten dieses Problems. Hier sind Entwicklungen in unserem Land vorhanden, die zu guten Hoffnungen berechtigen und die mit einem großzügigen Einsatz von Entwicklungsmitteln bedacht werden sollten, um so schnell wie möglich zur Serienreife zu gelangen. Ich gestehe offen, daß ich weitreichende und wegwerfbare Rohrwaffen für den Grenadier für kosteneffektiver und in der Quantität für wirksamer halte als montierte Raketen, die eines teueren „Leopard"-Fahrgestells bedürfen, um für den Einsatz in Betracht zu kommen. Auf dem Gebiet des Schützenpanzers haben wir ohne Zweifel verlorenes Terrain aufzuholen. Hier bedarf auch der Radpanzer einer raschen Vervollständigung zur Einsatzreife und Einführung.
Die Lücke in unserer Tieffliegerabwehr muß ehestens geschlossen werden. Tieffliegerangriffe werden auf absehbare Zeit fast ausschließlich bei guter Sicht ausgeführt werden können. Zu ihrer Abwehr genügt ein Rohrwaffensystem mit Radarortung und optischem Feuerleit- und Richtsystem. Ein Allwettersystem ist eine nützliche Forderung, die ich aber gleichwohl angesichts der Dringlichkeit der Vorhaben für überspitzt halte.
Schließlich haben wir unser Augenmerk auf eine ausreichende Bevorratung, vor allem bei Munition und Sprengstoff, zu lenken. In einer ganzen Reihe von Munitionsarten sind wir unterbevorratet. Die Ansätze des Haushaltsplanes 1969 sehen endlich wieder Steigerungen in diesem Kapitel vor, die ihre Fortsetzung auch in den darauffolgenden Jahren finden müssen. Wir können uns auf diesem Gebiet keine unbeschränkte Einfuhr aus anderen Ländern leisten, sondern müssen unserer eigenen, auf diesem Sektor sehr leistungsfähigen Industrie mehr Geltung verschaffen.
Die Akzente, die ich in den Fragen der Rüstungsbeschaffung setzen wollte, ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben — sonst hätte ich dem Antrag meines Freundes Majonica wider-
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sprechen müssen und statt 30 Minuten etwa 130 Minuten in Anspruch nehmen müssen — wären unvollständig, würde ich das Projekt „Neues Kampfflugzeug" — NKF — außer acht lassen.
Die Bundeswehr hat mit der Beschaffung von 88 „Phantom"-Aufklärern ihr bisher größtes, finanziell umfangreichstes Vorhaben in die Wege geleitet. Ich bestreite keineswegs — weder jetzt noch früher —, daß es sich bei diesem Flugzeug um das beste seiner Art für die gedachte Verwendung handelt. Ich bestreite aber nach wie vor, daß die Kosteneffektivität, die Mr. McNamara zu Recht großgeschrieben hat, ohne mit ihr alle Rüstungsentscheidungen der USA optimal getroffen zu haben, bei diesem System noch gegeben ist. Ich bin aber zufrieden, wenn es der deutschen Luftfahrtindustrie gelingt, an ihre große technische Leistung, das erste strahlgetriebene Flugzeug der Welt entwickelt zu haben, anzuknüpfen und mit der systemführenden Entwicklung eines Kampfflugzeuges für die zweite Hälfte der siebziger Jahre zu beweisen, zu welchen technischen Leistungen sie heute noch imstande ist.
Es ist dies die erste wirkliche und ganz sicher die letzte Chance, eigenen technischen Know-how zu erringen und sich auf einem Gebiet zu bewähren, das maximale Ausflüsse auf den zivilen Standard hat.
Wir müssen in Forschung und Entwicklung, Technologie und industrieller Rüstung eine Lücke zu schließen versuchen, die in den letzten Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden ist. Vor wenigen Jahrzehnten waren deutsche Forscher führend auf den Gebieten der Kernspaltung, des Raketenantriebs und der Strahlflugzeuge. Diese drei Gebiete sind die großen Motoren für die technische Revolution dieses Jahrhunderts geworden. Wir waren daran nach dem zweiten Weltkrieg nurmehr minimal beteiligt.
Es geht weit über das eigentliche Thema der Debatte hinaus, und trotzdem ist es notwendig, daß ich hier postulieren möchte, daß auch unser ziviler Fortschritt in dieser Welt, unser Bestehen auf den Märkten dieser Welt und unsere Geltung als Industrienation davon abhängen werden, ob es uns gelingt, an den Spitzenleistungen des technischen Fortschritts zu partizipieren oder ob wir uns in der Rolle des Konsumgüterfabrikanten bescheiden wollen.
Wenn wir, meine politischen Freunde und ich, an dieser Stelle unsere absolute Entschlossenheit bekunden, mit unseren Verteidigungsanstrengungen zur Regeneration des nordatlantischen Bündnisses zur Erfüllung des gemeinsamen Zieles, den Frieden zu erhalten, der Bedrohung zu begegnen, unser Volk und Land zu schützen — so hat es der Verteidigungsminister formuliert —, so tun wir das in der ständigen Bereitschaft, uns größeren europäischen Zusammenschlüssen zu öffnen und gerade dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Unsere Geltung, unsere Verhandlungsposition, unser Wert als Gesprächspartner sind aber bis dahin davon abhängig, daß wir, ohne Großmacht zu sein und ohne es je wieder werden zu wollen, unsere Position auf allen Gebieten unseres Lebens, unserer staatlichen Existenz, unserer Verteidigung und unserer technischen
Leistungen so ausbauen, daß wir ein Partner sind, mit dem man sprechen kann und muß.
Unsere Haltung in der internationalen Währungspolitik hat trotz mancher falscher Töne, die in der internationalen Kommentierung mit eingeflossen sind, uns letztlich doch Achtung und Respekt in West und Ost gebracht. Lassen Sie uns auch auf dem Gebiet der Stärkung des Bündnisses und der Verteidigung Europas Beiträge leisten, die uns konstruktiv und opferbereit für das große Bündnis unserer verbündeten Völker, aber auch existenzfähig und respektiert als Nation vor der Welt bestehen lassen.