Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun ist mir der Schwarze Peter zuteil geworden, daß ich Ihnen, die Sie hier so wacker aushalten, die Mittagspause verkürzen muß.
Ich möchte es deshalb möglichst human machen und darauf verzichten, noch Wesentliches zur Notwendigkeit des Gesetzes zu sagen. Das hat der Herr Minister bei der Einbringung getan. Wir sind uns alle dessen bewußt, daß es auf dem Wege vom Wohnungsbau zum Städtebau darauf ankommt, nicht nur daß gebaut wird, sondern wie gebaut wird. Wir alle wissen, welche Versäumnisse in der Vergangenheit begangen worden sind, obwohl keiner von uns bereit sein wird, hier mit Steinen zu werfen. Denn wir erinnern uns ja an die Zeit, wo es einfach eine Notwendigkeit war, zu bauen, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, und wo es Luxus gewesen wäre, an städtebauliche Prinzipien zu denken. Das muß man in dieser Nüchternheit aussprechen.
Aber wir sehen doch so manches, wo wir uns fragen: Mußte das so sein, konnte hier nicht mit demselben Geld etwas anderes gemacht werden? Oder wenn ich einen Satz aus der Begründung, aus der Einbringungsrede in Frageform wiedergeben darf: Welche Vorstellungen macht sich unsere Gesellschaft vom Wert des Menschen an Hand seiner Wohnungen? Wird der Wert des Menschen nur in PS ausgedrückt und in den Hubraummaßen seines Autos? Sollten wir nicht vielmehr zu der Anschauung kommen, daß eine Wohnung eben nicht nur aus vier Wänden und einem Dach darüber besteht und Städte nicht nur eine Ansammlung von solchen Wänden und Dächern sind? Vielmehr sollen sie einem Wert entsprechen, was ich als ein treffendes Motto für dieses Gesetz betrachten würde. Ich habe dieses Wort neulich bei der Einweihung eines Demonstrativbauvorhabens von einem Bischof gehört — es war ein kirchlicher Bauträger —, und der Bischof zitierte das Bibelwort vom „lebendigen Stein". Ich glaube, dieses Motto vom lebendigen Stein, über die Aufgabe des Städtebaus geschrieben, wäre ein sehr gutes.
Aber abgesehen von diesen mehr transzendentalen Überlegungen gibt es ja auch sehr nüchterne Überlegungen. Es sind konjunkturpolitische Gründe angeführt worden. Allerdings bin ich etwas skeptisch, ob hier wirklich Konjunkturpolitik gemacht werden kann. Sicherlich ist Städtebau beweglicher als Wohnungsbau. Aber wenn wir hier auch keine Konjunkturreserve bilden können, so können wir zumindest eine Konjunkturgrundlage schaffen; denn wir haben ja bis jetzt nicht „zu befürchten", daß von seiten des Bundes allzuviel Geld hineingesteckt und die Konjunktur angeheizt wird. Es wird vielleicht zu einer bescheidenen Grundlage reichen.
Damit bin ich nun schon beim ersten Problem, um das es uns von der FDP hier vor allem geht, der Finanzierung. Wir sehen in dem Gesetz zwei Hauptprobleme, deren Lösung für uns sehr wesentlich ist, erstens die Finanzierung und zweitens die Art und Weise, in der die Bodenordnung geregelt wird. An diesem Problem der Finanzierung sind ja die bisherigen Versuche gescheitert. Die beiden Herren Vorredner haben das bereits zum Ausdruck gebracht. Es war nicht etwa so — was ich bei dieser Gelegenheit doch noch betonen möchte —, wie es neulich Herr Kollege Wienand in einem Pamphlet der SPD dargestellt hat — Entschuldigung, „Pamphlet" ist ein Amerikanismus; ich meine, in einer Broschüre der SPD —, als er sagte, die früheren Regierungen aus CDU/CSU und FDP hätten es nicht geschafft, einen Gesetzentwurf zuwege zu bringen. Das haben wir schon geschafft, es ist aber an der Finanzierung gescheitert, d. h. praktisch am einhelligen Widerstand aller Finanzminister der Länder ohne Ansehen der Couleur parteipolitischer Art. Dieses Schicksal möchten wir diesem Entwurf nicht wünschen.
Nun ist es bedauerlich, daß auch hier nur wieder der Bekenntnisparagraph 69 — bei mir war es auch nicht anders — dasteht, in dem der Bund sich zu seiner Finanzierungsverpflichtung bekennt; in der mittelfristigen Finanzplanung sehen wir bis jetzt nichts. Herr Minister Lauritzen hat uns einige Hoffnungen darauf gemacht. Es ist wirklich dringend notwendig, daß hier eine konkrete klare Finanzierungsgrundlage hineinkommt. Im früheren Entwurf war wenigstens noch die Bestimmung des § 7, daß die Rückflüsse aus dem sozialen Wohnungsbau hier eingesetzt werden könnten. Die ist jetzt leider auch nicht mehr drin. Nun, der Finanzminister hieß damals Dahlgrün, das soll bei der Gelegenheit auch bemerkt werden. Es wird wirklich die Aufgabe sein, diese Finanzierung eindeutig zu klären, sonst ist es eben kein Städtebauförderungsgesetz, sondern allenfalls eine Novelle zum Bundesbaugesetz.
Damit zum zweiten Punkt: Bodenrecht. Dieses Problem muß wirklich sehr eingehend behandelt und sehr kritisch betrachtet werden, denn es ist nun einmal sehr viel Mißtrauen verbreitet. Ich meine nicht die populären Bedenken, die von manchen Kreisen geäußert worden sind, sondern ich meine Mißtrauen, daß hier das Eigentum mehr als notwendig eingeschränkt werden solle. Dabei ist es ganz klar — das gebe auch ich ohne weiteres zu —, es ist ein Instrumentarium notwendig, um den Städtebau zu ermöglichen, ein rechtliches Instrumentarium, das die Sozialbindung des Eigentums, wie sie im Grundgesetz postuliert ist, hier konkretisiert. Ohne das kommt man nicht aus.
Es gibt zwar heute schon Einzelfälle erfolgreicher Stadtsanierungen, ich nenne Kempten und Bietigheim als Beispiele, die ohne ein solches Gesetz auskamen. Das sind aber glückliche Einzelfälle, das wird nicht immer so möglich sein. Wir brauchen also ein solches Instrumentarium, und dieses Instrumentarium ist unter zwei Voraussetzungen zu vertreten, nämlich, daß sich das Gesetz erstens auf wirklich notwendige Sanierungsfälle beschränkt und daß
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es zweitens eine ganz klare Haltung zum Eigentum einnimmt. Unter der ersteren Voraussetzung verstehe ich, daß es bedenklich ist, wenn neben die eigentlichen Sanierungsfälle, also wenn die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gegeben sind, nun noch in § 3 Abs. 2 die sogenannte Funktionsuntüchtigkeit gestellt wird. Das ist ein Ersatz für die frühere Bestimmung „Sonstige Erneuerung". Ich finde aber auch diesen Ersatz nicht sehr glücklich, denn das kann nun eben Veranlassung geben zu einer — lassen Sie es mich einmal etwas pointiert ausdrükken — gewissen Hybris der Kommunen.
Ich kenne einen Fall in einer Stadt, da wurden mir am Stadtplan vom Bürgermeister zwei Sanierungsgebiete gezeigt, das eine ganz klar ein Fall notwendiger Sanierung, bei dem anderen Fall war ich baß erstaunt, als ich dieses Gebiet ansah: es bestand aus Villen und drei- und vierstöckigen Häusern aus der Zeit um 1900 — sicher keine Meisterleistungen der Architektur, aber keine Rede von Sanierungsbedürftigkeit. Dieses Beispiel zeigt, daß man mit solchen etwas weitgehenden Formulierungen über das Ziel hinausschießen könnte. Angesichts des Mißtrauens, das hier herrscht, möchten wir darauf drängen, daß der Sanierungsbegriff wirklich ganz klar formuliert wird.
Ebenso gilt es, bei den Entwicklungsmaßnahmen zunächst vorsichtig zu sein, bei denen man mehr oder weniger eine Terra incognita betritt.
Die zweite Voraussetzung dafür, daß wir diesem Bodenrechtsinstrumentarium zustimmen können, ist, wie ich sagte, die Haltung zum Eigentum. Auch hier ist Mißtrauen angebracht. Ich erinnere mich, in den ersten Wochen meiner damaligen Amtstätigkeit als Wohnungsbauminister mit dem Stoßseufzer von Herrn Professor Mitscherlich konfrontiert worden zu sein: Wie schön wäre es doch, wenn die Gemeinden bei uns ein unumschränktes Enteignungsrecht hätten! Nun, ich fragte ihn, ob er schon einmal etwas von Art. 14 des Grundgesetzes gehört habe, und er sagte, ja; eben das sei es, was er beklage. Nun, Herr Mitscherlich ist nicht nur der Mann, der uns empfiehlt, in Zelten zu wohnen, solange nicht anständig gebaut wird, sondern ein mit Recht hochangesehener Wissenschaftler. Wenn solche Äußerungen verbreitet werden, ist das Mißtrauen verständlich. Deshalb müssen wir alles tun, um dieses Mißtrauen abzubauen.
Ich anerkenne, daß im Entwurf, wie es auch in dem früheren Entwurf war, nach wie vor das Prinzip durchgehalten ist, daß keiner, der von einem Sanierungsvorhaben betroffen ist, Grundeigentum verlieren soll. Nur die Form, in der er wieder Grundeigentum bekommt, kann verschieden sein, Teileigentum, Immobilienanteilscheine usw. Das ist richtig. Dieses Prinzip ist gewahrt. Ich begrüße es auch, daß in § 1 Abs. 4 dieses Prinzip, wenn auch in deklamatorischer Form, wieder verankert ist. Man könnte allerdings wünschen, daß es statt in der SollForm in der Muß-Form hier zu lesen stünde. Ohne weiteres ist also einzuräumen, daß der einzelne, der
von einer Sanierung betroffen wird, bezüglich der Form des Eigentums, das er wieder erhält, Konzessionen machen muß.
Der neuralgische Punkt aber ist § 15, die Frage der Wertermittlungen für Ersatzleistungen. Einigkeit besteht darüber — und ich glaube, auch Einigkeit mit den Haus- und Grundbesitzer-Verbänden —, daß keine Spekulationsgewinne dadurch gemacht werden dürfen, daß etwa ein Dritter von außerhalb des Sanierungsgebietes dort Grund und Boden aufkauft und dabei ein Geschäft macht. Dieser Fall ist ganz klar auszuschließen. Einigkeit besteht wohl auch darin, daß die Kosten der Ordnungsmaßnahmen, die dem Grundstück direkt zugute kommen, bei der Wertfestsetzung für Ersatzleistungen nicht berücksichtigt werden sollen.
Nun aber beginnt schon der Streit. Ich glaube, man muß dabei davon ausgehen, daß die Gründe für eine Sanierung sehr verschieden sein können. Sie können subjektiv sein, etwa eine Verwahrlosung des Hauses, die auf Schlamperei oder auf Untüchtigkeit des Hauseigentümers beruht. Aber das dürften eigentlich die seltensten Fälle sein, und auch diese Fälle können zum Teil wieder auf Vorgänge in der Vergangenheit — ich meine den langandauernden Mietenstopp — zurückzuführen sein.
Meistens aber werden die Gründe objektiver Art sein. Wenn etwa ein ganzes Viertel nach Art des Berliner Wedding sanierungsbedürftig ist, wenn dort sechs, sieben Hinterhöfe sind, deren Größe nach der Abmessung des Sprungtuchs der Feuerwehr für .den Fall eines Brandes bemessen war, dann ist dafür der jetzige Eigentümer solcher Häuser und Grundstücke sicher nicht verantwortlich. Dieser Eigentümer hat schon bisher wenig Freude an seinem Haus gehabt, vielleicht mit Ausnahme derjenigen, die ein gutgehendes Geschäft unten drin hatten, und mit dieser Ausnahme wird er auch verhältnismäßig wenig Miete bezogen haben.
Die Verhältnisse sind also sehr unterschiedlich, Es wird kaum möglich sein, hier in einer perfekt gerechten Weise zu differenzieren. Deshalb möchte ich eigentlich .als Motto vorschlagen: in dubio pro proprietario, wobei ich den Eigentümer nicht einem vor .dem Strafrichter stehenden Angeklagten gleichstellen möchte. Aber ich möchte zum Ausdruck bringen, daß .die Eigentumsgarantie in Art. 14 des Grundgesetzes sehr klar ausgedrückt ist. Demgegenüber steht die Sozialbindung, die ich durchaus bejahe, die sich aber praktisch von Fall zu Fall, d. h. nach Sachgegenstand und nach Zeit, ganz verschieden auswirken wird. Deswegen, meine ich, muß man sich etwas mehr an die feststehende Größe, die Eigentumsgarantie, anlehnen und sollte deshalb etwas großzügig verfahren. Ich habe das mit dem Stichwort ausgedrückt: dem Eigentümer einen gewissen Bonus, eine gewisse Prämie zubilligen. Dabei denke ich auch daran, daß damit für den Eigentümer ein Anreiz geschaffen wird, selbstverantwortlich zu sanieren.
Der Entwurf trägt in § 15 .diesem Gedanken Rechnung, indem der § 15 zugegebenermaßen heute für den Eigentümer günstiger und beweglicher gefaßt
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ist, als er es im alten Entwurf war. Dafür hat § 15 aber nun den Nachteil — das hat Herr Jacobi hervorgehoben —, daß er schwer praktikabel ist und womöglich in starkem Umfang die Gerichte beschäftigt. Es wird unsere Aufgabe sein, hier vielleicht doch eine konkrete Lösung zu finden. Ich habe mir darüber einige Gedanken gemacht, die aber jetzt vorzutragen zu weit führen würde.
Nur stichwortartig etwas zu dem übrigen Instrumentarium. Wir lehnen entschieden das neu eingeführte Ankaufsrecht ab. Man nennt es jetzt etwas verschämt „Grunderwerbsrecht". Eine solche verschämte Bezeichnung ist immer ein Hinweis darauf, daß etwas nicht klar bezeichnet werden soll. Es ist ein klares Ankaufsrecht. Ich halte es für wenig praktikabel; denn das Ankaufsrecht ist an die Versagung der Genehmigung geknüpft. Wer also mit der Ablehnung seines Verkaufsbegehrens rechnen muß, wird schon gar keinen Antrag auf Genehmigung eines solchen Kaufvertrags stellen, weil er ja dann automatisch das Ankaufsrecht provozieren würde. Dadurch werden vielleicht Verkäufe verhindert, die im Interesse der Sanierung nur wünschenswert wären. Rechtlich stellt das Ankaufsrecht oder Grunderwerbsrecht eine vereinfachte Enteignung dar. Deshalb halten wir es für keine gute Erfindung.
Auch das Abbruchs- und Modernisierungsgebot halten wir nicht für unbedingt notwendig. Ich meine, hier herrscht ein gewisser Perfektionismus, und es besteht auch hier wieder die Befürchtung, daß manche Ideologen zu weit gehen könnten, wenn es heißt: Abgebrochen werden muß, was die Erneuerung des Sanierungsgebiets beeinträchtigt. Entweder ist der Bau polizeiwidrig, dann könnte man ihn heute schon abbrechen lassen. Oder es ist in Einzelfällen ein Sonderling da, der eine Bruchbude noch eine Zeitlang stehenlassen will. Ich meine, damit werden wir schließlich auch fertig.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir begrüßen es, daß der Entwurf eines Städtebauförderungsgesetzes vorgelegt worden ist. Dafür, ob wir ihm in seiner endgültigen Fassung zustimmen, sind ,die beiden Punkte entscheidend: daß die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung geregelt ist und daß das bodenrechtliche Instrumentarium rechtlich einwandfrei ist, d. 1h. daß Einschränkungen des Eigentums nur in dem geringstnotwendigen Umfang vorgenommen werden.