Rede von
Werner
Jacobi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau hat seine Bemerkungen mit der Erklärung eingeleitet, hier finde die erste große Städtebaudebatte statt. Das ist aber — ich möchte sagen: leider — heute nicht der Fall, weil uns die Zeitpeitsche drängt, hier möglichst knapp zu verfahren. Um 14.30 Uhr soll das Hohe Haus in die Aussprache über die Regierungserklärung der vergangenen Woche eintreten. Ich glaube, wir sollten dem Rechnung tragen, weil wir nichts davon haben, wenn wir jetzt die Aussprache auseinanderreißen und sie etwa am Abend wieder aufgreifen. Ich will mich deshalb bemühen, diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen und darauf verzichten, zu wiederholen, was von meinen Vorrednern zur Sache bereits gesagt worden ist, obwohl es den Experten förmlich juckt, zu der einen oder anderen Frage doch noch etwas zu sagen; der Politiker aber muß die vordringlichen Bedürfnisse dieses Hauses respektieren. Ich will infolgedessen nicht von einem vorbereiteten Manuskript ausgehen, sondern lediglich ein paar Punkte aufgreifen, die mir der Erörterung zu bedürfen scheinen.
Ich halte es für ein gutes Omen, daß zwei Minister vor dem jetzigen Minister bereits mit dieser Vorlage vom Grundsatz und von der Aufgabe her beschäftigt waren. Ich hoffe, daß sich daraus die Fähigkeit aller Fraktionen dieses Hauses ergibt, sachkundig und interessiert an dem wieder vorgelegten Entwurf mitzuwirken. Dieser Entwurf hat nicht nur bei den Fachleuten, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit ein lebhaftes Echo gefunden. Den Vorbemerkungen des Herrn Kollegen Dr. Hesberg entnehme ich, daß gewisse Bedenken, die auch in seinen Reihen eine Zeitlang geltend gemacht wurden, hier doch offenbar hinter der erkannten großen Aufgabe zurückgestellt werden. Von Herrn Dr. Bucher wissen wir bereits, daß er sich in letzter Zeit wiederholt positiv zu den Grundsätzen dieses Entwurfs erklärt hat. Das gibt uns die Hoffnung, daß wir weitgehend einvernehmlich verfahren, auch wenn noch Einzelfragen offen sind und der Klärung bedürfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gelegentlich ist allerdings kritisch bemerkt worden, daß es dieses Gesetzes gar nicht bedürfe, weil das Bundesbaugesetz ausreiche. Das ist ein Irrtum. Das Bundesbaugesetz kann den Notwendigkeiten, von denen hier ausgegangen wird, nicht Rechnung tragen. Herr Minister Dr. Lauritzen hat auf einige Punkte, aus denen sich das ergibt, bereits hingewiesen, z. B. auf den wesentlichen Unterschied zwischen der Bauleitplanung und den Sanierungs- und Entwicklungsplanungen. Aufgabe der Bauleitplanung ist es bekanntlich, einen planerischen Rahmen für die geordnete bauliche Entwicklung zu setzen. Der Vollzug der Planung aber bleibt grundsätzlich der Initiative der Grundeigentümer überlassen, und die reicht hier nicht aus, um städtebauliche Mißstände beseitigen zu lassen oder zu verhindern. Die Durchführung dieser im öffentlichen Interesse liegenden Maßnahmen ist nun einmal nicht und kann nun einmal nicht sein eine Sache freier Initiativen. Vielmehr müssen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen von der öffentlichen Hand nicht nur veranlaßt, sondern oft von ihr durchgeführt und regelmäßig auch durch den Einsatz öffentlicher Mittel ermöglicht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es bedarf in diesem Zusammenhang eines wenn auch kurzen Wortes zu einer der Hauptfragen, die hier berührt werden, nämlich zu dem leidigen Komplex der ungerechtfertigten Bodengewinne, die durch spekulative Maßnahmen erzielt werden. Jedermann weiß, daß in Sanierungs- und Entwicklungsgebieten die Bodenpreise meist dann schon ins Uferlose steigen, wenn sich auch nur die Absicht städtebaulicher Planungen herumzusprechen beginnt. Dann hat nun einmal — so leid uns das tun mag: es ist die reine Wahrheit — die Stunde der Bodenpreistreiberei begonnen. Die Spekulanten schließen ihre Reihen, und sehr oft wird hierdurch nicht nur die Verwirklichung der im öffentlichen Interesse liegenden Planungen erschwert, sondern sogar verhindert. Diese spekulativen Bereicherungen einiger gehen aber immer zu Lasten der Allgemeinheit, einmal deshalb, weil die überhöhten Bodenpreise nicht von einer abstrakten öffentlichen Hand, sondern letztlich von den Steuerzahlern beglichen werden müssen, zum anderen, weil durch unangemessene Bodenpreise
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die Verwirklichung der dem Allgemeinwohl dienenden Planungen immer zeitlich verzögert, mitunter sogar total verhindert wird.
Über das Ausmaß dieser Bodenpreissteigerungen ist seit mehr als zehn Jahren in diesem Hause immer wieder lebhaft geklagt worden; abgeholfen worden ist dem Übel nicht. Wir alle wissen, daß sich Jahr für Jahr das Ergebnis unserer Prüfungen in Bildern niederschlägt, die uns nur traurig stimmen können. Nach einer Erhebung des Deutschen Städtetages sind die Grundstückspreise von 1936 bis 1964 im Durchschnitt um 800 Prozent gestiegen. Dabei muß berücksichtigt werden, daß von 1936 bis zur Aufhebung des Preisstopps im Jahre 1950 die Bodenpreise in Grenzen konstant geblieben sind. Der Preisanstieg um 800 Prozent fällt also überwiegend in die Zeit von 1950 bis 1964.
Wir kennen Zahlen aus München, wo heute hier und da für den zur Durchführung öffentlicher Planungen benötigten Boden Preise verlangt werden, die um 1000 Prozent angestiegen sind. Ähnliche Beispiele uferloser Bodenpreissteigerungen werden aus zahlreichen anderen Städten berichtet. In einer niedersächsischen Stadt — das Beispiel liegt noch gar nicht lange zurück — bedurfte es nur der Ankündigung eines Kaufhausbaues — in einem Sanierungsgebiet —, um die Grundstückspreise über Nacht von 20 und 30 DM auf 300 DM pro qm ansteigen zu lassen. Aus dem benachbarten Bad Godesberg wird über einen ähnlichen Fall berichtet. Da schaffte es ein Grundeigentümer sogar, für den Quadratmeter 1100 DM einzuhandeln, weil sein Grundstück unbedingt erworben werden mußte und die, die daran interessiert waren, nicht jahrelang warten wollten. Mag das auch ein extremer Einzelfall sein, es bleiben in großer Zahl normale Fälle, die mit ihren spekulativen Erscheinungsformen empörend genug sind. Wir sollten die Problematik der spekulativen Bodengewinne im übrigen auch unter gesellschaftspolitischen Aspekten sehen.
Heute ist die Forderung nach einer gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung nahezu Allgemeingut geworden. Sie findet ihren Niederschlag in den Programmen der Parteien. Das ist vortrefflich! Aber gehört hierzu nicht logischerweise, den sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichernden Bodenspekulanten mit größerer Entschiedenheit und mit wirksamen Mitteln entgegenzuwirken? Es bedarf gesetzlicher Regelungen, die unvertretbaren Bodenpreissteigerungen einen Riegel vorschieben. Wir wissen, daß das im Bundesbaugesetz verankerte bodenrechtliche Instrumentarium dem nicht hat abhelfen können.
Ich habe vor etwa sieben Jahren im Rahmen einer Großen Anfrage in diesem Zusammenhang eingehende Ausführungen gemacht. Ich bedauere sehr, feststellen zu müssen, daß diese Ausführungen bis zur Stunde leider nichts an Aktualität verloren haben.
Inzwischen ist allerdings die Einsicht auch außerhalb der Reihen meiner Parteifreunde gewachsen. So können wir im Berliner Aktionsprogramm der CDU lesen, daß auch sie es für unerläßlich hält, ein neues Bodenrecht zu schaffen, welches berücksichtigt, daß das Eigentum an Boden besonderen Sozialbindungen unterliegt. Der Satz „Planungen und Neuordnungen in Stadt und Land müssen von Verzögerungen und ungerechtfertigten Verteuerungen befreit werden" läßt trotz seiner vagen Formulierung eine gewisse Hoffnung aufkommen. Auch Ihre Forderung, meine Herren von der CDU, daß Spekulationsgewinne aus Bodengeschäften steuerlich stärker zu erfassen sind, wollen wir gern und mit Hoffnung vermerken. Unsere Wertschätzung wäre aber noch größer gewesen, wenn in Ihrem Aktionsprogramm der im ursprünglichen Entwurf enthaltene Satz stehengeblieben wäre, der folgendermaßen lautet:
Die CDU will, daß Wertsteigerungen an Grundstücken, die durch öffentliche Planungen verursacht sind, beim Enteignungsverfahren den Privateigentümern nicht zugute kommen.
Sie haben diesen Satz gestrichen. Hoffentlich ist Ihre Grundhaltung, die Ihnen die „einkassierte" Formulierung eingab, unverändert geblieben.
— Ich denke, das ist sehr zur Sache gesprochen, auch wenn es dem einen oder anderen in Ihren Reihen, wie lich nach diesem Zwischenruf befürchten muß, unangenehm sein sollte, daß wir auf diesen Punkt zu sprechen kommen.
— Verzeihen Sie, 'ich mache das Gesetz doch nicht schwerer. Ich wecke vielmehr. die Bereitschaft, gemeinsame Wege zu finden. Darauf hoffe ich!
Wir haben im übrigen mit Interesse vermerkt, daß auch maßgebliche Kollegen aus der FDP-Fraktion, so Herr Dr. Bucher, zur Schaffung eines sozialen Bodenrechts eine erfreulich positive Haltung eingenommen haben. Herr Dr. Bucher hat das in Übereinstimmung mit dem von ihm als Minister vorgelegten Gesetzentwurf getan.
Hoffen wir, daß den Worten Taten folgen. Das bedingt aber, daß § 15 der jetzigen Vorlage einer kritischen Prüfung unterzogen wird. In der jetzigen Form ist er weder praktikabel noch justitiabel. Er schiebt Sachbearbeitern und Richtern eine politische Entscheidung zu, die sie kaum treffen können, und es wird dabei übersehen, daß die Forderung des Grundgesetzes an den Gesetzgeber dahin geht, den Eigentumsinhalt gesetzlich klar zu begrenzen.
Ich weise in diesem Zusammenhang und im Blick auf irrige Kommentare darauf hin, daß durch den Ausschluß von Werterhöhungen, die in Erwartung der Sanierung oder durch ihre Durchführung eintreten, keineswegs eine Werteinfrierung eintritt. Der Eigentümer nimmt vielmehr an der allgemeinen Werterhöhung teil. Auch kommt die weitere Entwicklung nach dem Abschluß der Ordnungsmaßnahmen dem Eigentümer zugute. Insofern stellt die von uns angestrebte Nichtberücksichtigung von Wert-
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erhöhungen, die aus Anlaß von Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen entstehen, zu dem der einzelne keinen Beitrag geleistet hat, lediglich eine zeitlich und örtlich begrenzte Maßnahme dar. Das will wohl beachtet werden.
Auch sollte nicht übersehen werden, daß die bei der Wertermittlung nicht berücksichtigten Werterhöhungen zur Tragung der unrentierlichen Kosten der Sanierung einzusetzen und erforderlich sind. Wer behauptet, daß die Gemeinden diese nicht berücksichtigten Werterhöhungen in ihre eigene Tasche stecken könnten, sollte erst einmal einen Blick in das Gesetz werfen. Dies ist überhaupt allen Kritikern anzuraten, vor allem denjenigen, die zu eifervoller und hierdurch oft an der Sache vorbeigehender Kritik neigen. Sie sollten beispielsweise auch bedenken, daß die Sanierung nicht nur im öffentlichen, sondern auch im Interesse des einzelnen Eigentümers selbst liegt. Wenn die öffentliche Hand nichts unternähme, würde möglicherweise eine derartige Verschlechterung des Eigentums eintreten, daß der Eigentümer noch weniger hätte, als ihm jetzt gegeben werden kann.
Auf die zwar nur vereinzelt, aber lautstark ausgesprochene Verdächtigung, das Gesetz ziele auf eine Sozialisierung des Grund und Bodens auf kaltem Wege ab, lohnt sich ein Eingehen nicht. Auch hier läßt der vorliegende Gesetzentwurf mit seinen umfassenden Reprivatisierungsvorschriften, die weitergehen als die Vorlagen der Minister Lücke und Bucher, die Haltlosigkeit solcher Ausstreuungen erkennen.
Dem vorgesehenen Institut des gemeindlichen Grunderwerbsrechts und einigen besonderen Vorschriften über die Enteignung stehen wir grundsätzlich positiv gegenüber. Hierzu noch offene Fragen werden in den Ausschußberatungen hoffentlich eine allgemein vertretbare Klärung finden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zum Schluß auf die Bemerkungen Bezug nehmen, die Herr Minister Lauritzen zu der Finanzierungsproblematik gemacht hat. Wir sollten hier wirklich alles daransetzen, um bessere Voraussetzungen und größere Klarheit zu schaffen, als sie heute besteht. Im übrigen aber sollten wir eines nicht außer acht lassen. Wir dürfen bauliche Mißstände und städtebauliche Fehlentwicklungen sich nicht weiter fortentwickeln lassen und damit die Kosten der Sanierung und Entwicklung in gleichem Maße zu weiterem Steigen bringen. Denn wir werden damit zugleich die sozialen Folgekosten, d. h. die Kosten zur Beseitigung oder Milderung der Folgen der Mißstände, wachsen lassen, ohne daß die Wurzel des Übels beseitigt wird. Auch werden unserer Volkswirtschaft beträchtliche Verluste dadurch entstehen, daß auf Grund unzureichender Siedlungsstrukturen ein optimales Wirtschaftswachstum verhindert wird. Nicht zuletzt werden eine aktive regionale Strukturpolitik und eine koordinierte Raumordnungspolitik durch das Fehlen der städtebaulichen Grundlagen in beträchtlichem Umfang erschwert.
Ich hoffe, daß sowohl bei der mittelfristigen Finanzplanung als auch bei der endgültigen Fassung des Art. 104 a Abs. 3 des Grundgesetzes den Erfordernissen, die hier angedeutet worden sind, Rechnung getragen wird.
Ich darf zusammenfassen: Die seit Jahren hinausgeschobene Erneuerung und Entwicklung unserer Städte und Gemeinden liegt dm öffentlichen Interesse. Sie ist ein Gebot des Allgemeinwohls. Der uns vorliegende Gesetzentwurf bietet ein praktikables Instrumentarium zur Durchführung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen an. Er bietet es an, meine Damen und Herren! Seine bodenordnungspolitischen Bestimmungen können auf der Grundlage der verfassungsrechtlich postulierten Sozialpflichtigkeit des Eigentums einen bedeutsamen Schritt auf dem Wege zur Schaffung eines sozialen Bodenrechts darstellen.
Bei gutem Willen aller Beteiligten muß es gelingen, den Gesetzentwurf bis zum Ende der Legislaturperiode zu verabschieden. An diesem guten Willen wird es seitens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nicht fehlen. Die lange, leidvolle Vorgeschichte des Entwurfs, die umfangreichen Materialien, die in der Zwischenzeit entstanden sind — das ist die positive Seite dieser Vorgeschichte —, erleichtern die Beratungen. Wir bedauern, daß unser Vorschlag auf Einsetzung eines Sonderausschusses bei der Mehrheit dieses Hauses auf Widerspruch gestoßen ist. Um so mehr hoffen Wir, daß alles darangesetzt wird, die Ausschußberatungen sowohl mit Sorgfalt als auch zügig, in jedem Falle mit der festen Absicht durchzuführen, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Wir möchten allerdings im Gegensatz zu Herrn Kollegen Dr. Hesberg darum bitten, die beiden von ihm zur Mitberatung vorgeschlagenen Ausschüsse — Rechtsausschuß und Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — darauf zu beschränken, sich votierend zu äußern, da es sich hier zumeist um Einzelfragen handelt und weil wir die Sorge haben, daß die direkte Mitbeteiligung das Ziel, von dem wir sprechen, vereiteln könnte. Ich darf hier darauf Bezug nehmen, daß soeben bei der ersten Lesung der Novelle zum Bundessozialhilfegesetz so verfahren worden ist.
Ich bitte also, die beiden Ausschüsse nicht mitzubeteiligen.
Im übrigen sollten wir alle daran denken, daß wir einer Aufgabe entsprechen müssen, die über die Gegenwart hinaus bedeutsam ist, bei der wir sogar von unserer „Verantwortungsbereitschaft für künftige Generationen" ausgehen müssen.
Bemühen wir uns, mit diesem Gesetz ein brauchbares Werkzeug für die Anpassung unserer räumlichen Umwelt an die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse unserer heutigen Gesellschaft zu schaffen! Der Gesetzentwurf bietet uns hier eine Chance. Wir alle sollten sie nutzen.
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