Verehrter Herr Kollege, wir wollen Sie gar nicht dadurch überfordern, daß wir in der Zeit zu weit zurückgehen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 197, Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1968 10639
Mertes
Vielleicht gestatten Sie noch einige weitere Fragen; aber auch wenn Sie sie nicht gestatten, bin ich gezwungen, sie zu stellen. Warum steht die Bundesregierung noch heute auf dem Standpunkt, daß im Jahre 1969 die Ausgabensteigerung der öffentlichen Haushalte 6 % betragen muß? Warum streitet die Bundesregierung noch immer darüber, ob sie im Haushaltsjahr 1969 neue Schulden machen soll, ob sie die erhöhten Steuereingänge zur Schuldenrückzahlung oder für eine Konjunkturausgleichsrücklage verwenden will?
Zum Zeitpunkt der Übernahme der Bundesregierung durch die Große Koalition, im Herbst 1966, waren die Preise stabil. Heute, nach zwei Jahren ihrer neuen Wirtschafts- und Finanzpolitik, spricht die Bundesregierung von Preissteigerungen in Höhe von 3,8% für das vierte Quartal 1969.
Wie anders sprach der heutige Bundeswirtschaftsminister, als er noch als Oppositionsredner den damaligen Bundeskanzler Professor Erhard angriff! Wo bleibt die von Herrn Schiller damals propagierte Konzeption einer von Jahr zu Jahr und von Prozent zu Prozent abzubauenden Preissteigerungsrate?
So, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung die währungs- und wirtschaftspolitische Situation bis vor wenigen Tagen völlig verkannt. Keine Äußerung von ihr deutete darauf hin, daß sie plötzlich aus eigener, innerer Überzeugung währungspolitische Maßnahmen durchführen werde.
Geht die Bundesrepublik nun einen solchen Weg, so warnen die Freien Demokraten vor der Manipulierung der Umsatzsteuer im grenzüberschreitenden Verkehr. Ein solcher Weg verletzt das der Mehrwertsteuer immanente Prinzip des steuerneutralen Grenzübergangs. Ein solcher Weg verletzt, auf die Dauer gesehen, die Interessen der Europäischen Gemeinschaft. Insbesondere aber ist dieser Weg als Ersatz für eine Aufwertung ein Schritt in den Dirigismus, dem andere Länder als Ersatz für andere währungspolitische Maßnahmen folgen werden. Ein solcher Weg würde ferner dazu führen, daß man jedesmal, wenn durch eine falsche Wirtschaftspolitik die Preise in Bewegung kommen, ohne Rücksicht auf die Kostenlage mit der Manipulierung der Umsatzsteuersätze im grenzüberschreitenden Verkehr droht.
Wir wissen, daß die SPD seit Jahren den Weg verfolgt, Wirtschaftspolitik über diese Manipulierung der Umsatzsteuersätze zu betreiben. Die CDU/ CSU hat sich ihr angesichts der Ergebnisse der von der Großen Koalition betriebenen Wirtschaftspolitik nunmehr angeschlossen. Die Freien Demokraten lehnen aus den genannten Gründen diese Manipulierung der Umsatzsteuersätze nach wie vor eindeutig ab.
— Die Freien Demokraten, meine Herren von der
SPD, werden bei der Einzelberatung des Gesetzes
in den Ausschüssen trotzdem Anträge aur Verbesserung des Gesetzes stellen.
— Insbesondere werden Sie, Herr Dr. Möller — um nur ein Beispiel zu nennen — die Einbeziehung der schwebenden Kontrakte ablehnen. Die steuerliche Maßnahme hat zum Ziel, den Export zu vermindern. Dieses Ziel kann bei den schwebenden Kontrakten auch durch diese steuerliche Maßnahme nicht erreicht werden, weil diese Exporte ganz einfach aus rechtlichen Gründen und wegen des zukünftigen deutschen Exports abgewickelt werden müssen.
Die politische Konferenz in Bonn, von der heute abend wiederholt die Rede war, hat nicht zu einer konzertierten Wirtschaftspolitik sondern — schon heute erkennbar — zu nationalen Maßnahmen geführt, die einen neuen, weiteren gefährlichen Schritt in die Desintegration der Weltwirtschaft darstellen und einen Rückschritt besonders in der EWG bewirken. Die eigentlichen Probleme bleiben nach wie vor ungelöst.