Rede von
Hansheinrich
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als die erste Diskussion über den nun vorliegenden Gesetzentwurf der CDU/CSU in der Öffentlichkeit begann, hatte man zunächst den Eindruck, hier wäre ein Stich in ein Wespennest erfolgt, wenigstens wir Freien Demokraten hatten diesen Eindruck. Zum Schluß hat sich daraus — und ich glaube, so ist es richtig — ein Sturm im Wasserglas entwickelt. Alle die Befürchtungen auf der einen Seite und die Hoffnungen auf der anderen Seite sind erfreulicherweise und Gott sei Dank dort geblieben, wo sie hingehörten.
Meine Damen und Herren, es geht — und hier fühlen wir uns wieder einmal, erstaunlich, was heute alles möglich ist, weitgehend in Übereinstimmung mit den Antragstellern — doch bei der Vorlage Drucksache V/2234 — Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes — lediglich darum, daß eine seit Jahren notwendige Korrektur in Richtung auf einen besseren Schutz der soziologischen Minderheit — ich bitte, das sehr genau zu beachten — im Betriebsverfassungsgesetz verankert wird.
So sehen wir es, und es ist auch unsere Meinung, daß diese Korrektur vorgenommen werden muß.
Als das Betriebsverfassungsgesetz im Jahre 1952 vom Bundestag verabschiedet wurde, war vom Gesetzgeber vorgesehen und gewünscht, daß Arbeiter und Angestellte mit den gleichen Möglichkeiten, mit den gleichen Beteiligungen, mit den gleichen Rechten, mit den gleichen Entscheidungen für ihre soziologischen Gruppen daran beteiligt werden sollten. Die Praxis hat gezeigt — darauf ist der Kollege Ziegler schon zu sprechen gekommen, vielleicht aus einer etwas anderen Sicht —, daß es zu Majorisierungen geführt hat, die nichts mehr mit der soziologischen Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten und ihren unterschiedlichen Interessen zu tun haben, daß es oftmals notwendig war, das Wohlwollen der anderen Organisation zu haben, um als Gruppenvertreter in die an sich notwendige und richtige Position gewählt zu werden, daß in manchen Fällen sogar ein ziemlich rücksichtsloser Gebrauch der, sagen wir einmal: nicht genau definierten Möglichkeiten stattfand.
Ergebnis dieser Praxis war, daß die jeweils kleinere soziologische Gruppe — das ist in vielen Fällen heute die Angestelltengruppe, das ist in anderen Fällen die Arbeitergruppe; das kann sich in der Zukunft durch die Veränderungen völlig verschieben, das wissen wir auch — mit ihren Interessen im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht gleichberechtigt war, in der Praxis zumindest. Es führte dazu, daß sich Organisationsinteressen stärker durchsetzen konnten als die notwendigen Interessen der einzelnen soziologischen Gruppen.
Herr Kollege Seidel, ich könnte mir sehr gut vorstellen, daß es beispielsweise in weiten Kreisen der Angestelltenschaft ein sehr positives „Na endlich" gibt, seitdem dieser Entwurf hier auf dem Tisch liegt. Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen, daß man den Entwurf nicht — jedenfalls nicht aus der Sicht der Freien Demokraten — allein unter diesem Gesichtspunkt sehen sollte, daß die soziologische Gliederung, von der wir ausgehen und die wir Freien Demokraten im Rahmen der Arbeitnehmerschaft bejahen, in Fluß ist. Das wissen wir alle. Wir wissen, daß 1950 der Anteil der Angestellten 16,8 % und der Anteil der Arbeiter 51 % betrug. 1966 hat der Anteil der Angestellten auf 27,2 % zugenommen und der Anteil der Arbeiter auf 48,5 % abgenommen. Wir wissen aus den Vereinigten Staaten, wo diese Entwicklung schneller vor sich gegangen ist, daß bereits 1955/56 die beiden soziologischen
7426 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1967
Schmidt
Gruppen gleichgezogen hatten und daß bereits im Jahre 1962 die Zahl der Angestellten mit 6 Millionen die Zahl der Arbeiter überstieg. Ich möchte also davor warnen, allein von der jetzigen, für eine Gruppe nachteiligen, für die anderen besseren Situation auszugehen. Man sollte die Vorlage unter dem Gesichtspunkt sehen, daß die soziologische Gruppe, die in der Minderheit ist, die gleichen Rechte haben soll.
Aus diesem Grunde haben wir Freien Demokraten uns bereits in der letzten Zeit mit ähnlichen Gedanken befaßt. Wir begrüßen daher die Vorlage, die es ermöglicht, den echten Schutz der soziologischen Minderheit im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes stärker zu verankern und dadurch gewisse unangenehme Dinge, gewisse Ungerechtigkeiten, wie Herr Kollege Seidel zugegeben hat, für die Zukunft zu verhindern. Wir glauben, daß das richtig ist, weil wir die gegliederte soziologische Situation bejahen. Wir .glauben, daß es richtig ist, daß über Gruppeninteressen von Gruppenvertretern, ganz gleich, welcher Organisation sie angehören, gemeinsam entschieden werden soll und daß Gruppenvertreter von der gesamten Gruppe der Angestellten gemeinsam, ganz gleich, welcher Organisation sie angehören, gewählt werden sollen.
Das beste Beispiel hierfür hat die Bundesregierung vor langer Zeit gegeben, als sie das Personalvertretungsgesetz für den öffentlichen Dienst schuf, in dem diese echte und der Relation entsprechende Vertretung der einzelnen Gruppen — es sind dort drei, Beamte, Angestellte und Arbeiter — verankert ist. Dort haben wir das Beispiel, wie man es machen kann, wenn man Mißbrauch, wenn man nicht sehr schöne Praktiken verhindern will.
Wir sind nicht der Meinung, daß der Schutz der Minderheit dahin gehen sollte, möglichst viele kleine Institutionen und Gruppen und Grüppchen und Organisationen auf diese Art und Weise im Betriebsrat zu verankern.
— Das geschieht nicht. Schauen Sie sich einmal das Personalvertretungsgesetz an. Da gibt es Möglichkeiten. In diese Richtung müssen wir unsere Beratungen vielleicht etwas konzentrieren. Das geschieht nicht, wenn ich sage: Angestellte zusammen, Arbeiter zusammen. Ich gebe zu, daß hier einiges an der jetzigen Vorlage geändert werden muß. — Bitte, Herr Kollege!