Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. In der Ihnen vorliegenden Drucksache V/2234 haben sich einige Druckfehler eingeschlichen. Einer von ihnen ist von wesentlicher und sinnentstellender Bedeutung. Ich möchte ihn daher vorweg hier in aller Öffentlichkeit berichtigen.
— Nein, ich habe nicht die Absicht.
Auf Seite 3 in Art. 1 Nr. 16 muß unter Buchstabe a im dritten Absatz hinter dem Wort „Vorsitzenden" eingefügt werden: „bzw. dessen Stellvertreter mit der gleichen Stimmenzahl". Der ganze dritte Absatz muß also lauten:
Werden aus einer Gruppe zwei Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden bzw. dessen Stellvertreter mit der gleichen Stimmenzahl vorgeschlagen, so entscheidet das Los.
Wir haben selbstverständlich nicht die Absicht, eine allgemeine Losentscheidung einzuführen und, wie das eine westfälische Zeitung geschrieben hat, die Wahlurne durch den Knobelbecher zu ersetzen.
Nun zur Begründung des Antrags.
— Weitere Änderungen wären an sich noch notwendig. Die Fehler sind aber nicht so sinnentstellend. Die Änderungen sind redaktioneller Art, und wir werden sie der Beratung im Ausschuß vorbehalten.
Meine Damen und Herren! Sie wissen, daß das Betriebsverfassungsgesetz vor wenigen Wochen 15 Jahre in Kraft ist. Es ist im Oktober 1952 — genau am 14. Oktober — nach vielen parlamentarischen und außerparlamentarischen Auseinandersetzungen in Kraft getreten. Heute strahlt es seine Wirkungen
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auf das Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, auf die Ordnung in der Welt der Arbeit, in der Welt der Betriebe aus. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, der noch vor wenigen Wochen durch den Mund seines stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Beermann, daran erinnerte, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund dem Gesetz von Anfang an entgegenstand und daß dieses Gesetz nicht seinen Vorstellungen und den Vorstellungen seiner Gewerkschaften entsprach, wird heute bestätigen, daß das Betriebsverfassungsgesetz auf breiter Front zur betrieblichen und sozialen Wirklichkeit geworden ist, daß es sich zu einem guten und brauchbaren Instrument der partnerschaftlichen Zusammenarbeit im Betrieb entwickelt hat. Überall dort, wo das Gesetz positive Anwendung findet, dient es der Vertiefung der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, hat es Spannungen gemildert und dem sozialen Frieden gedient. Was mein Fraktionskollege, der heutige Verteidigungsminister Dr. Gerhard Schröder bei der Einbringung als ein kühnes Experiment bezeichnete, muß heute als gelungen angesprochen werden. 142 000 Betriebsräte, 10 000 Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten zeugen in ihrem Wirken davon, daß der Partnerschaftsgedanke seiner Verwirklichung nähergekommen ist. Das Betriebsverfassungsgesetz hat sich als ein guter Ersatz für das Betriebsrätegesetz der Weimarer Zeit gezeigt und gilt in der ganzen Welt hinsichtlich der darin gewählten Regelung der Beziehungen zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern als eine vorbildliche Einrichtung.
Niemand wird nun behaupten wollen, dieses Gesetz sei schon im ersten Anlauf so gelungen, daß es nicht noch verbesserungsfähig und verbesserungswürdig wäre. Nach 15 Jahren Erfahrung wäre es an der Zeit, es in seinem ganzen Umfange zu überprüfen. Ich muß gestehen, wir waren auch sehr versucht, eine solche Überprüfung des Gesetzes in seinem ganzen Umfang vorzunehmen, aufgetretene Lükken zu schließen und festgestellte Mängel abzustellen. Wir haben aber aus guten, wohlerzogenen Gründen von einer solchen umfassenden Novellierung abgesehen, weil uns im Moment der Zeitpunkt dafür nicht gekommen erscheint und weil wir einer künftigen Entwicklung nichts vorwegnehmen wollten und auf der anderen Seite auch nichts verbauen wollten. Der vorliegende Entwurf verbaut nichts. Im Gegenteil, er schafft die Voraussetzungen dafür, daß im Betrieb bei der Bildung der Vertretung der Arbeitnehmerorgane eine gute Atmosphäre entsteht.
Der Gesetzentwurf hält sich in engen Grenzen. Es ist ein genau abgrenzbarer Teilbereich angesprochen. Es dreht sich nur um die Verhältnisse der Meinungsbildung innerhalb der Arbeitnehmerschaft, um die Bildung ihrer Vertretungsorgane. Die Beziehungen zwischen den Betriebsangehörigen und dem Vertretungsorgan, dem Betriebsrat, einerseits und der Unternehmensleitung andererseits werden durch diesen Gesetzentwurf nicht berührt.
Meine Damen und Herren, ich möchte es Ihnen angesichts der vorgerückten Zeit ersparen, daß ich auf Einzelheiten des Gesetzentwurfs näher eingehe. Sein Kernstück, das Ziel, das wir angestrebt haben,
ist eine Verbesserung bzw. Stärkung des Rechts der Minderheiten, der demokratischen Meinungsgruppen aller Schattierungen und der soziologischen Minderheiten.
Wir haben deshalb vorgeschlagen, daß die für die Einbringung von Wahlvorschlägen notwendige Unterschriftenzahl von bisher einem Zehntel auf ein Zwanzigstel herabgesetzt wird. Mindestens drei, höchstens hundert. Wer von Ihnen die Praxis in den Betrieben kennt, weiß, wie sich die Unterschriftenklausel in der Vergangenheit ausgewirkt hat. Nehmen wir als Beispiel einen Betrieb mit 200 Beschäftigten. Wenn hier fünf Listen eingebracht werden sollten, mußten mindestens 100 Unterschriften vorgelegt werden. Das war praktisch eine Offenlegung des Wahlgeheimnisses, weil mindestens die Hälfte der Betriebsangehörigen ihre Einstellung offen kundwerden lassen mußten.
Ein weiteres wichtiges Stück des Entwurfs ist die Einführung des Prinzips der Verhältniswahl, des d'Hondtschen Verfahrens, bei der Bildung der Organe, der Vorstände, der Ausschüsse, den Freistellungen der Betriebsräte usw. Ich habe es eigentlich nie begriffen, warum wir auf der Ebene des Betriebs bei der Bildung der Organe etwas vorenthalten haben, was in allen anderen Stufen eine Selbstverständlichkeit ist. In den Gemeindeparlamenten, den Kreisparlamenten, im Bundestag, in den Landtagen ist die Bildung der Ausschüsse nach dem d'Hondtschen Verfahren eine Selbstverständlichkeit.
Wir sprechen in dem Gesetzentwurf noch an die Gleichstellung der Jugendvertreter mit den Betriebsräten und die Möglichkeit, an Stelle der Gesamtbetriebsversamlung auch Teilversammlungen durchzuführen, wenn hierfür ein Bedürfnis besteht, z. B. wenn es sich um besondere Probleme der Angestellten oder der Jugendlichen handelt.
Mit diesen wenigen Bemerkungen zum Gesetzentwurf selbst möchte ich mich begnügen. Ich möchte noch einige allgemeine Bemerkungen anknüpfen.
Meine Damen und Herren, der Betrieb wird heute immer mehr zu einem Kristallisationspunkt des gesellschaftlichen Geschehens. Für einen Großteil unserer Staatsbürger ergeben sich dort die ersten Berührungspunkte mit der Gesellschaft, mit dem Staat überhaupt. Dort im Betrieb wird vielfach die Einstellung zum Staat, zur Gesellschaft entscheidend geprägt und geformt. Das Verhalten in der Gemeinschaft und das demokratische Bewußtsein werden vom Erleben im Betrieb und von den dort erhaltenen Eindrücken sehr weitgehend mitbestimmt. Ein guter demokratischer Stil, eine echte Toleranz, Achtung vor der Meinung anderer, auch kleinerer Gruppen, wird sich gerade im Betrieb auswirken, und er wird vom Betrieb aus auch auf andere Bereiche des öffentlichen Lebens ausstrahlen und sich dort günstig bemerkbar machen. Mit unserem Entwurf wollen wir die Voraussetzungen für eine gute demokratische Atmosphäre schaffen und dafür sorgen, daß Willkür und Majorisierung im Betrieb keinen Platz finden.
Die Arbeitnehmer sind heute fest in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung integriert. Sie
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haben sich als voll- und gleichberechtigte Staatsbürger erwiesen, und sie sind es auch. Wer könnte annehmen, daß dies im Betrieb nicht zur Auswirkung kommt? Im Gegenteil, wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß die Belegschaft ein Spiegelbild der verschiedenen geistigen und politischen Strömungen darstellt und daß auch und gerade im Betrieb dieselben Kräfte wie in der übrigen Bevölkerung wirksam werden.
Mir ist bekannt, daß sich in diesem Hohen Hause einige Kollegen darüber Gedanken machen und im nächsten Jahr wahrscheinlich darüber eine Debatte anregen werden, ob die Methoden der politischen Bildung, die bei uns in der Bundesrepublik betrieben wird, wirksam und richtig sind. Diese Sorgen sind zweifellos berechtigt. Ich darf hier aber bemerken, daß die beste politische Bildung immer noch die Praxis erlebter Demokratie ist. Demokratie als Lebensstil kann am besten im Betrieb praktiziert werden. Dort wird sie im ständigen Zusammenleben geübt, dort ist jeder auf jeden angewiesen, dort treten die Probleme hautnah an den einzelnen heran, dort ist echte Demokratie wirklich lebendig. Dort zeigt sich auch, daß sich eine solche echte, lebendige Demokratie nicht in der Mechanik von Mehrheitsentscheidungen erschöpft, daß jede beachtliche Gruppe ihre faire Chance haben soll und muß. Das ist eines der Kernziele, das wir mit unserem Entwurf anstreben. Wir wollen die Chancengleichheit und gleiche Startvoraussetzungen für alle demokratischen Gruppen.
Selbstverständlich sind wir uns bewußt, daß damit auch die Gefahr besteht, daß sich rechts- und linksextreme, radikalistische Gruppen als Nutznießer dieses Gesetzes bedienen. Brauchen wir dies zu fürchten? Ich glaube nicht. Wir sind überzeugt, daß gerade im Betrieb die Überlegenheit und Humanität einer freiheitlichen Ordnung durch lebendiges Beispiel bewiesen werden kann. Wenn Kommunismus und rechtsextremen Gruppen der Boden fehlt, in .den sie säen können, werden ihnen auch die Erfolge versagt bleiben. Unser Ziel ist es, mit diesem Entwurf den Betriebsrat zu einem verantwortungsbewußten, arbeits- und handlungsfähigen Vertretungsorgan der gesamten, aber auch wirklich der gesamten Arbeitnehmerschaft im Betrieb zu machen. Das kann kein Eintopf sein. Hier müssen alle lebendigen Kräfte entsprechend ihrer Stärke zur Geltung kommen
Meine Damen und Herren, wir glauben nicht mit diesem Gesetz den Anspruch auf die beste, die einzig mögliche Lösung erheben zu können. Wir sind daher aufgeschlossen für Anregungen und Änderungsvorschläge in den Ausschußberatungen und werden uns solchen Anregungen bestimmt nicht verschließen, wenn sie dazu beitragen, daß im Betrieb eine lebendige Demokratie wirksam werden und ausgebaut werden kann.
Ich beantrage namens meiner Fraktion, die Regierungsvorlage an den Ausschuß für Arbeit als federführenden Ausschuß sowie an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen und an den Innenausschuß zur Mitberatung zu überweisen.