Rede von
Johannes
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht erneut versuchen, Urheberrechte geltend zu machen. Ich unterliege auch nicht der Euphorie, zu glauben, daß dieses Gesetz nun alle Schwierigkeiten für alle Zeiten ausräumt. Ich möchte nur mit ein paar Sätzen das herausstellen, was wir in diesem Gesetz für ganz besonders wichtig halten. Das soll aber nicht bedeuten ,daß alle anderen damit zusammenhängenden Fragen von weniger großer Bedeutung sind.
Wir begrüßen es, daß im Vordergrund der Aufgaben der Bundesanstalt die Arbeitsvermittlung und die begleitende Berufsberatung im Sinne der §§ 28 ff. stehen soll. Die Zielsetzung ist also, wie hier betont worden ist, eine aktive Beschäftigungspolitik, d. h., es soll angestrebt werden, daß Vermittlungen möglichst vor Eintritt der Arbeitslosigkeit vorgenommen werden, insbesondere dann, wenn ältere Arbeitnehmer, die sich nicht selbst überlassen werden können, durch einen Strukturwandel schlecht wieder einen Arbeitsplatz finden. Das gilt insbesondere auch für ältere Angestellte. Lassen Sie mich das an einem Beispiel klarmachen. Wenn beispielsweise durch Strukturveränderung ein 50- oder 55jähriger Werkmeister arbeitslos wird, wird er von sich aus schlecht noch einen Arbeitsplatz finden. Wir können uns eigentlich den volkswirtschaftlichen Luxus nicht erlauben, daß ein solcher Arbeitnehmer vielleicht zehn Jahre nicht mehr ordnungsgemäß in den Arbeitsprozeß eingegliedert ist.
Lassen Sie mich das auch noch an einigen Zahlen nach dem heutigen Stand erläutern. Im September 1965 hatten wir bei einer überhitzten Konjunktur 700 000 offene Stellen bei etwa 85 000 Arbeitslosen, wobei noch gleichzeitig mehr als 1,2 Millionen Gastarbeiter in der deutschen Wirtschaft beschäftigt waren. Im September 1967 hatten wir bei immerhin noch 355 000 offenen Stellen 341 000 Arbeitslose. Selbst im November dieses Jahres standen den über 395 000 Arbeitslosen — es ist hier schon einmal gesagt worden, das sind 1,8 v. H. der unselbständigen Erwerbspersonen — immer noch über 280 000 offene Stellen gegenüber. Aus dieser Gegenüberstellung ist sicherlich zu erkennen, daß zwar nicht alles, aber doch ein erheblicher Teil darauf zurückzuführen ist, daß entweder der Arbeitsmarkt die geeigneten Fachkräfte nicht mehr zur Verfügung stellen kann oder aber sie nicht in den entsprechenden Regionen aufzufinden sind. Hier ist also eine große Aufgabe, die das zukünftige Gesetz mit zu erfüllen hat.
Meine Damen und Herren, dazu gehört aber noch ein zweites, die unbedingte berufliche Mobilität. Dazu ist eine allmähliche aber systematische Überwindung traditioneller und liebgewordener Vorstellungen erforderlich. Hier berufe ich mich auf das zweite Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Kapitel 4: Wachstum und Strukturwandel. Hier heißt es — ich darf vielleicht mit Genehmigung
7418 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1967
Müller
des Präsidenten zum besseren Verständnis zitieren —, daß ein stetiges Wachstum Starrheit der Strukturen verbietet und von allen, die wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen haben, einen hohen Preis flexiblen Verhaltens abverlangt, so von den Unternehmern, die Bereitschaft, den technischen Fortschritt zu nutzen, von den Arbeitnehmern die Bereitschaft, erlerntes Wissen und Können zu erweitern und zu erneuern, gegebenenfalls sogar den Arbeitsplatz oder den Betrieb, den Beruf oder sogar den Wohnort zu wechseln. Hier sei, heißt es, eine große Aufgabe in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt und auch den Sozialpartnern zu bewältigen, wie es übrigens in § 310 auch schon vorgesehen ist. Aber darüber hinaus muß noch einiges mehr geschehen.
Ich bin deshalb der Meinung, daß das Gesetz mit Vorrang vor allen Gesetzesvorlagen, die im Arbeitsausschuß liegen, zügig beraten werden muß. Volkswirtschaftliche, sozialpolitische und gesellschaftspolitische Gründe geben hierzu Anlaß. Wir können uns den Luxus nicht erlauben, längere Zeit Arbeitslosigkeit hinzunehmen. Denken Sie nur an den Rentenberg, den wir zu bewältigen haben, und die sonstigen sozialpolitischen Aufgaben. Zwar garantiert das Grundgesetz den freien Berufs- und Arbeitsplatzwechsel. Das wird aber fragwürdig, wenn infolge der schnellen Entwicklung .der Technik Strukturwandlungen erfolgen, die den sicheren Arbeitsplatz gefährden. Die freie Gesellschaft wird sich erst darin bewähren müssen, wie es ihr gelingt, Vorsorge zu treffen, daß auch jeder seinen Arbeitsplatz in dieser freien Gesellschaft unter Aufrechterhaltung der sozialen Marktwirtschaft haben wird. Dazu sind viele psychologische Hemmnisse zu beheben. Dazu ist auch erforderlich, daß der Gesetzgeber entsprechende Vorsorge trifft. Das soll mit diesem Gesetz geschehen. Deshalb bitte ich um eine möglichst rasche und zügige Beratung in den zuständigen Ausschüssen.