Herr Kollege Fellermaier, ich glaube, Sie haben sich in der Jahreszahl getäuscht. Zu diesem Zeitpunkt waren wir in der Bundesregierung, und der Bundesarbeitsminister hatte von beiden Fraktionen den Auftrag, eine Vorlage in dieser Richtung in seinem Hause zu erarbeiten. Es lag also gar keine Veranlassung für uns vor, einen eigenen Entwurf vorzulegen.
Sie sind ein Jahr zu spät dran, Herr Kollege Fellermaier.
Gerade weil die Vorgeschichte etwas anders ist, hat es mich etwas gewundert, meine Damen und Herren, als ich heute mittag — gerade noch rechtzeitig — in dem Leistungsbericht 1967 der Bundesregierung auf Seite 71 unter „Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung" las — ich darf kurz zitieren —:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1967 7411
Schmidt
Die Sozialpolitik im ersten Jahr der Großen Koalition hat ihren besonderen Schwerpunkt in den Regierungsvorschlägen zur Arbeitsförderung.
Das freut uns. Das freut uns sehr, weil wir anscheinend zum Schwerpunkt der Sozialpolitik des letzten Jahres schon ein Jahr vorher so viel mit beigetragen haben. Insoweit herrscht also sehr viel Übereinstimmung, meine Damen und Herren.
Bedauert haben wir allerdings, daß die Vorlage erst heute hier zur Diskussion steht. Wir hätten es begrüßt — und so war es ja wohl auch erst vorgesehen —, wenn bereits im Frühjahr dieses Jahres die Gesamtdiskussion über die Änderung des AVAVG stattgefunden hätte. Es sind jedoch einige Schwierigkeiten aufgetaucht. Es wäre sonst nicht notwendig gewesen, einzelne Dinge, die vom Zeitpunkt her nicht mehr aufzuschieben waren, vorzuziehen, und dann wäre es auch nicht notwendig gewesen, in den vergangenen Wochen noch einmal einen finanziellen Aspekt, nämlich das Schlechtwettergeld, herauszunehmen. Dann hätte man, was sicher noch besser gewesen wäre, den ganzen Komplex zusammen beraten können.
Andererseits, Herr Bundesarbeitsminister, haben wir Verständnis dafür — gerade auch nach den Ausführungen des Kollegen Folger —, daß es nicht so einfach gewesen ist, die Übereinstimmungen zwischen der CDU/CSU und uns in diesen Fragen mit den Überlegungen, die im Arbeitsmarktanpassungsgesetz von seiten der SPD angestellt worden sind, in Einklang zu bringen und daraus einen Entwurf zu machen, der hinsichtlich seiner Grundstimmung trotzdem noch unsere Zustimmung findet.
Ich glaube, wir sind alle froh darüber — jedenfalls sind wir Freien Demokraten froh darüber —, daß mit diesem Entwurf in die Arbeitsmarktpolitik der aus der Medizin entlehnte Grundsatz „Vorbeugen geht vor Heilen" eingeführt wurde; denn wir glauben, daß es die heutige spezielle konjunkturpolitische und strukturpolitische Situation, aber vor allem natürlich auch die wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen dringend notwendig machen, daß wir unter Berücksichtigung all dieser Umstände von dem vor zehn Jahren zunächst als Heilungsgesetz für den Fall der Arbeitslosigkeit geschaffenen AVAVG zu einer Vorbeugungsmaßnahme in allen Richtungen kommen.
Diese Vorbeugung, diese Arbeitsförderung, diese Umbenennung der Bundesanstalt in „Bundesanstalt für Arbeit" ist auch nach Meinung und Aussage auch der Freien Demokraten eine dringende Forderung der Zeit, und zwar ,generell deswegen, weil die wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen eine Anpassung notwendig machen, weil die starke Entwicklung der Automation Unruhe und Bewegung in den Arbeitsmarkt bringt, was entsprechende Maßnahmen erfordert. Die Stärkung der beruflichen Durchlässigkeit und der beruflichen Mobilität muß einfach in den Vordergrund aller arbeitsmarktpolitischen Überlegungen gestellt werden. Strukturprobleme, Krisenprobleme, die sich im
Bergbau ergeben haben und die wir in manchen Zonenrandräumen kennen, machen es ganz besonders erforderlich, daß wir eine aktive Arbeitsmarktpolitik treiben, damit wir die Sorge vor der Arbeitslosigkeit, die Sorge vor der Ausweglosigkeit in einem Beruf, in dem man nicht mehr weiterkommen kann, weil er aus Gründen der Entwicklung abgebaut wird, beheben können.
Deshalb glauben wir, meine Damen und Herren, daß neben den wirtschafts-, finanz- und konjunkturpolitischen Überlegungenheute einer produktiven Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, wie sie in dem Vorschlag der Bundesregierung angesprochen ist, größte Bedeutung zukommt.
Wir stimmen mit dem Herrn Bundesarbeitsminister überein, daß eine aktive Beschäftigungspolitik einer der besten Garanten für Stabilität und Wachstum ist, ich möchte sogar sagen, ein bestirer als manches Bremsen und Gasgeben in der Finanz- und Steuerpolitik, ,ein besserer als manche Planungen mit nicht gerade sehr handfesten und sich für die Zukunft als oftmals problematisch erweisenden Unterlagen, ein besserer Garant auch als ,das, was in der letzten Woche im sozialpolitischen Bereich leider beschlossen wurde.
Nun lassen Sie mich einiges zu den Punkten des Entwurfs sagen, die uns Freien Demokraten ganz besonders bedeutsam erscheinen. Hier stimmen wir mit beiden Sprechern der Koalitionsfraktionen überein, selbstverständlich auch mit dem Bundesarbeitsminister, dem ich dafür ja schon ein Kompliment machen konnte. Der Erfolg einer solchen Arbeitsförderung, wie sie von diesem Gesetz ausgehen soll, steht und fällt mit einer Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die intensiv [die Entwicklungen untersucht. Wir denken hierbei nicht nur an ein Institut. Ich stimme hier völlig mit dem Kollegen Müller überein, daß man an viele Institute denken muß. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, daß wir hier die soziologischen und andere Fakultäten der Hochschulen mit einschalten. Eine solche ständige Beobachtung der Arbeitsmarkt- und Berufsentwicklung müssen wir als Grundlage sehen. Wir müssen erreichen, daß ein möglichst frühzeitiges Erkennen der auf uns zukommenden Probleme möglich ist. Denn nur dann werden wir die Arbeitsmarkttransparenz erreichen, die wir brauchen, um den Aufgaben gerecht zu werden, zu deren Lösung wir im Interesse der arbeitenden Menschen und ihrer Zukunft verpflichtet sind. Hätten wir vor sechs oder acht Jahren in diesem Hohen Hause ein solches Arbeitsförderungsgesetz beschließen können und hätten wir damals die Forschungen beginnen können, manches von dem, was heute an Ruhr, Emscher und Saar an Problemen vor uns steht, wäre vielleicht besser und zeitiger in richtige Bahnen gelenkt worden als heute, wo wir mit den Dingen einfach konfrontiert werden und manchmal aus der Sicht des Augenblicks Maßnahmen treffen müssen, die nicht so konstruktiv und nicht so zukunftsweisend sind wie das, was wir für den Arbeitsmarkt der Zukunft wollen.
Entscheidend bleibt für die Freien Demokraten für eine gute erfolgreiche Durchführung der Arbeits-
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Schmidt
förderung darüber hinaus die Ausgestaltung der Berufsberatung. Auch hier stimme ich mit dem Kollegen Müller überein. Bisher hatte die Berufsberatung nach unserem Dafürhalten eine etwas stiefmütterliche Basis im Rahmen der Bundesanstalt und im Rahmen des gesamten Apparats. Sie galt nur als Lehrstellenvermittlung. Ich selbst habe als Lehrer oftmals feststellen müssen, daß die Dinge von dort aus leider nicht so gesteuert werden konnten, wie es zum Wohle der jungen Menschen notwendig gewiesen wäre. Es scheint mir von sehr großer Bedeutung zu sein, die Berufsberatung im Rahmen einer echten Arbeitsförderung angesichts der kommenden Aufgaben personell stärker auszugestalten und sie vielleicht auch mit qualifizierteren und damit natürlich auch besser bezahlten Kräften auszustatten.
Für alle Umschulungs-, Fortbildungs- und beruflichen Bildungsmaßnahmen müssen zunächst einmal die schulischen und bildungsmäßigen Voraussetzungen geschaffen werden. Das amerikanische Beispiel zeigt uns, was passieren kann und wovor wir uns hüten müssen, wenn die Automation, wenn die Strukturkrise einen breiten Kreis von Arbeitnehmern trifft, deren schulische Grundbildung so gering ist, daß sich eine Umschulung und Fortbildung sehr schwierig gestaltet. Wir müssen die möglichst besten und chancengleichen Grundausbildungen schon von der Volksschule her und in den einzelnen weiterführenden Bereichen in allen Teilen unserer Bundesrepublik ebenfalls miteinbeziehen; denn nur dort, wo die Betroffenen auch die Voraussetzungen für die Umschulung und Fortbildung mitbringen, wird ein Erfolg zu erzielen sein. Nur dort, wo die entsprechende Grundausbildung vorhanden ist, wird die Fortbildung einen Sinn haben. Nur dort wird es eine echte Arbeitsmarkttransparenz geben, wo die Bereitschaft, im neuen Lebens- und Wirkungskreis tätig zu werden, erzeugt werden kann, nur dort werden die Umschulungs-
und Fortbildungsmaßnahmen sinnvoll sein.