Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine sehr geehrten Herren! Die bisherige Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung soll in Zukunft „Bundesanstalt für Arbeit" heißen. Das wird nicht nur eine Umbenennung sein, sondern ein Kennzeichen, daß der Bundesanstalt für Arbeit neue Aufgaben zugewachsen sind, daß die Pflöcke weiter hinausgesteckt werden müssen. Bisher hatte die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom Gesetz her die Aufgaben der Arbeitsvermittlung, der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe. Durch Rechtsverordnungen sind ihr im Laufe der Zeit noch einige andere Aufgaben übertragen worden wie die Förderung der Arbeitsaufnahme in Berlin, die Gewährung von
Anpassungsbeihilfen, die Beihilfen zur beruflichen Fortbildung. Jetzt soll der Bundesanstalt für Arbeit durch Gesetz außer den bisherigen Aufgaben eine Reihe von neuen Aufgaben übertragen werden. Der Herr Bundesminister für Arbeit und der Herr Kollege Müller haben sie schon erwähnt; ich will sie nur noch stichwortartig zusammenfassen: Förderung der beruflichen Bildung, Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Die Bundesanstalt soll dazu beitragen, daß Arbeitslosigkeit und Mangel an Arbeitskräften vermieden oder behoben werden, daß weiter die berufliche Beweglichkeit der Erwerbspersonen gesichert und verbessert wird. Meines Erachtens müßte es bei dieser Aufgabe in einem der ersten Paragraphen des Gesetzentwurfs nicht heißen „gesichert", sondern „hergestellt". Eine berufliche Beweglichkeit, so wie wir sie uns für die Zukunft vorstellen, haben wir nämlich im großen ganzen noch nicht; sie muß erst hergestellt werden.
Weiter soll die Bundesanstalt dafür sorgen, daß nachteilige Folgen aus der technischen Entwicklung oder aus wirtschaftlichen Strukturwandlungen vermieden, ausgeglichen oder beseitigt werden, sie soll die berufliche Eingliederung älterer und anderer Erwerbspersonen, deren Unterbringung erschwert ist, fördern, und sie soll die Struktur der Beschäftigung nach Gebieten und Wirtschaftszweigen verbessern.
Wir Sozialdemokraten freuen uns, daß einschlägige, teilweise jahrzehntelange Bemühungen von uns, denen immer entgegengehalten wurde, es sollte nicht so viel geplant werden, man sollte das dem freien Spiel der Kräfte überlassen, jetzt endlich zum Durchbruch kommen sollen. Der SPD-Entwurf eines Arbeitsmarktanpassungsgesetzes auf der Drucksache V/887 vom 30. August 1966 ist streckenweise sinngemäß und der Tendenz nach jetzt von dem Regierungsentwurf übernommen worden. Beispiele dafür sind unsere Vorschläge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, zur Förderung der Teilnahme an beruflichen Bildungsveranstaltungen und zur Verhütung von Arbeitslosigkeit oder unterwertiger Beschäftigung.
Ein so fortschrittlicher Entwurf, der auf alte sozialdemokratischen Forderungen zurückgegriffen hat, war sicher nur in der jetzigen neuen Regierung möglich. Ganz zufrieden sind wir allerdings mit dem Entwurf noch nicht. Es fehlen eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen, die in dem SPD-Entwurf enthalten sind. Insbesondere fehlt z. B. die ganze Neuordnung des Berufsausbildungsrechts. Wer die Mobilität der Arbeitnehmer für die Zukunft gesetzlich fixieren will, aber die Grundlagen für den Beruf, nämlich die erste Berufsausbildung, d. h. etwa die ersten drei Jahre, aus dieser Fixierung ausläßt, der baut ein Haus ohne Grundmauern. Wir meinen, die Neuordnung unseres Berufsausbildungsrechts müßte mindestens gleichzeitig geschehen. Man kann darüber geteilter Meinung sein, ob sie in diesen Gesetzentwurf oder in einen separaten Gesetzentwurf gehört, aber auf alle Fälle müssen beide Materien
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1967 7409
Folger
gleichzeitig geregelt werden. Sonst hängen beide in der Luft.
Aber auch sonst sind die in den ersten Paragraphen des Gesetzentwurfs erklärten Ziele durch die nachfolgenden Vorschläge nicht ausreichend ausgefüllt, jedenfalls nicht nach unserem Dafürhalten. Da fehlt z. B. die Verpflichtung des Arbeitgebers, geplante Betriebsänderungen, die Entlassung oder unterwertige Beschäftigung zur Folge haben können, unverzüglich dem zuständigen Arbeitsamt anzuzeigen, wie das in § 48 unseres Arbeitsmarktanpassungsgesetzes vorgeschlagen ist. Wie sollen denn die Arbeitsämter geeignete Maßnahmen treffen können, die Nachteile für die Arbeitnehmer vermeiden sollen, wenn sie von diesen beabsichtigten Maßnahmen nicht rechtzeitig erfahren, sondern erst dann, wenn das schwere Schicksal der Arbeitslosigkeit bereits begonnen hat?
Es fehlt auch eine Freistellung von der Arbeit zur beruflichen Bildung, die in § 46 unseres Arbeitsmarktanpassungsgesetzes bis zu höchstens zehn Arbeitstagen im Kalenderjahr vorgesehen ist. Es wäre nicht damit zu rechnen, daß eines der Hauptziele des neuen Gesetzentwurfs, nämlich die berufliche Beweglichkeit herzustellen und zu verbessern, erreicht werden kann, wenn Fortbildung nur in der regulären Freizeit möglich sein soll, d. h. nach der Arbeit oder während des Erholungsurlaubs. Das wird sicher auch in Zukunft notwendig sein. Aber es bedarf darüber hinaus in bestimmten Fällen der Freistellung von der Arbeit für Fortbildungsmaßnahmen, die mit Aussicht auf Erfolg nur in einer konzentrierten, zusammengefaßten Form möglich sind.
Unter den ausdrücklich genannten Trägern beruflicher Bildung, deren Einrichtungen gefördert werden können, fehlen unseres Erachtens die Volkshochschulen, die seit eh und je Berufsbildung betreiben und in kleinen und mittleren Orten oft sogar die einzigen Träger beruflicher Fortbildung sind. Die Formulierungen des Gesetzentwurfs schließen zwar die Volkshochschulen nicht aus, weil es dort bei der Aufzählung ja heißt: „insbesondere" sind damit die und die Träger gemeint, aber wir meinen, die Bedeutung der Volkshochschulen ist so groß, daß sie in der gleiche Reihe genannt werden müssen, damit auf diese Weise alle Zweifel ausgeschaltet werden, daß sie zu diesen Trägern zählen.
Der Beratende Ausschuß bei der bisherigen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gemäß § 23 des Schwerbeschädigtengesetzes ist in dem Entwurf auch nicht enthalten. Wir meinen, er sollte darin verankert werden, damit er nicht in der Luft hängt.
Der Entwurf enthält auch keine ausreichende Koordination von Berufs- und Arbeitsmarktforschung und Berufsberatung. Es muß sichergestellt werden, daß jungen Menschen nicht zu einem Beruf geraten wird, der nach den Ergebnissen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung keine gute oder überhaupt keine Zukunft mehr hat, und es muß ihnen, wenn sie den Wunsch haben, einen solchen Beruf zu ergreifen, davon sachverständig abgeraten werden können.
Außerdem fehlen ausreichende Vorschriften für Koordinationen der beruflichen Rehabilitation durch die Bundesanstalt, ein Mangel, der bisher schon immer beklagt wird. Bei dieser Gelegenheit sollten diese Dinge neu überdacht und neu geregelt werden, damit nicht ganz verschiedene Maßnahmen unabhängig voneinander nebeneinanderherlaufen.
Der Entwurf muß auch im Hinblick auf die Nahtlosigkeit zwischen der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung die Rechtsprechung bezüglich geringfügiger Beschäftigung berücksichtigen. Das gilt auch für manche Abschnitte bezüglich des Arbeitslosengeldes. Auch da ist nach unserem Dafürhalten die Rechtsprechung nicht genügend berücksichtigt, nicht genügend in gesetzliche Formulierungen übertragen worden.
Der Entwurf enthält keine Verpflichtung aus dem internationalen Übereinkommen 102 über das Arbeitslosengeld für mittelbar vom Streik betroffene Arbeitnehmer. Das ist nahezu schon ein klassischer Streit in der arbeitsrechtlichen Wissenschaft, Literatur und Rechtsprechung, der hier bereinigt werden könnte. Jedermann, der sich mit dem Arbeitsrecht beschäftigt hat, ist ziemlich früh auf das Problem gestoßen: Was soll mit den Leuten werden, die zwar nicht streiken, die aber wegen eines Streiks im Zulieferbetrieb betroffen sind, so daß sie nicht mehr weiterarbeiten können? Von wem sollen sie ihren Arbeitslohn bzw. Streikgelder oder sonst eine Lohnersatzleistung erhalten? Das könnte entsprechend dem internationalen Übereinkommen hier auch mit berücksichtigt werden.
Nun noch ein paar Sätze zur Finanzierung. Herr Kollege Müller ist dankenswerterweise schon darauf eingegangen. Wir haben mit der Finanzierung auch einigen Kummer. Mit Ausnahme des Arbeitslosengeldes sowie des Kurzarbeiter- und Schlechtwettergeldes sind eigentlich alle anderen Leistungen der Bundesanstalt Aufgaben des Bundes, nicht Aufgaben der Bundesanstalt. Diese Aufgaben müßten dementsprechend auch vom Bund finanziert werden. Im Regierungsentwurf ist das nur für ,die Wehr- und Ersatzdienstleistenden, die Kosten der Arbeitslosenhilfe und für eventuelle weitere Aufgaben, die die Bundesregierung der Bundesanstalt zusätzlich neu überträgt, vorgesehen. Alle übrigen Leistungen müssen aus den Beiträgen der Arbeitnehmer und den Beiträgen der Arbeitgeber, die ja schließlich auch ,aus der geleisteten Arbeit der Arbeitnehmer stammen, finanziert werden. Das ist unseres Erachtens ein unguter Zustand. Denn in Wirklichkeit kommen die Leistungen der Bundesanstalt, ganz besonders in Zukunft, einem wesentlich größeren Personenkreis zugute. Die Aufbringung der Mittel ist deshalb unseres Erachtens inkonsequent. Die konjunkturpolitischen Maßnahmen insbesondere, die mit dem neuen Gesetz geplant sind, kommen der ganzen arbeitenden Bevölkerung zugute. Mindestens sollte für die Zeit nach 1971, d. h. nach Ablauf der derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung, ein Weg gefunden werden, wie diese Leistungen aus allgemeinen Steuermitteln und/oder aus einer Erweiterung des Kreises der Beitragspflichtigen finanziert werden können.
7410 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1967
Folger
Auch noch in anderer Beziehung haben wir Kummer mit dem Gesetzentwurf. Das ist die Tatsache, daß in einer Reihe von Bestimmungen die Selbstverwaltung angeknabbert wird, z. B. die ersatzlose Streichung des jetzt bestehenden Gebots, die Geschäfte der Bundesanstalt in der Regel von Arbeitskräften wahrnehmen zu lassen, die durch privatrechtlichen Dienstvertrag angestellt sind, der Wegfall des Vorschlagsrechts des Verwaltungsausschusses beim Landesarbeitsamt bei der Ernennung der Direktoren der Arbeitsämter, das Ernennungsrecht des Bundespräsidenten für alle Beamten, die der Besoldungsordnung B unterfallen, die Beschränkung des Rechts des Verwaltungsausschusses beim Arbeitsamt und beim Landesarbeitsamt auf eine Mitwirkung — .an Stelle der Aufstellung des konkreten Haushalts — und die Ermächtigung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, im Rahmen ,der Förderung der beruflichen Bildung und der Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung eine Rechtsverordnung zu erlassen — statt einer Anordnung des Verwaltungsrates —, wenn die Bundesanstalt nicht innerhalb eines Jahres nach Aufforderung durch ihn eine solche erläßt oder den geänderten Verhältnissen anpaßt. Diese Anknabberung der Selbstverwaltung werden wir noch recht gründlich prüfen und überlegen müssen, ob sie unvermeidlich ist oder ob wir nicht eher die Selbstverwaltung stärken sollten.
Alles in allem, der Regierungsentwurf zeigt erfreuliche, fortschrittliche Ansätze. Aber er ist noch nicht vollkommen. Einige Punkte habe ich aufgezählt, um zu zeigen, in welcher Richtung wir drängen werden. Meine Kollegin Freyh wird das speziell in bezug auf die individuelle Förderung noch ergänzen. Wir hoffen, daß dann nach der Beratung in den zuständigen Ausschüssen, insbesondere im Ausschuß für Arbeit, ein Gesetz zustande kommt, das mit .der früheren Planlosigkeit Schluß macht, den Arbeitsmarkt; soweit das möglich ist, stabil macht und damit für die ganze Bevölkerung von großem Nutzen sein wird.