Rede von
Helene
Wessel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, wenn ich diesen Bericht gebe, nicht, nach welchem Paragraphen der Geschäftsordnung ich mich zu verhalten habe. Ich muß Ihnen naturgemäß einige Zahlen und einige Fälle nennen. Ich werde mich dabei an mein Manuskript halten müssen. Vorsorglich nehme ich also § 37 der Geschäftsordnung in Anspruch. Ich möchte den Herrn Präsidenten bitten, mir das zu genehmigen.
Meine Damen und Herren, die Tätigkeit des Petitionsausschusses, über die zu berichten ich die Ehre habe, beruht bekanntlich auf Art. 17 unseres Grundgesetzes, der besagt, daß jeder in unserem Volk das Recht hat, sich mit Bitten und Beschwerden an den Bundestag zu wenden. Diese vom Bundestag und damit vom Petitionsausschuß entgegengenommenen Petitionen haben in der 5. Wahlperiode, also seit dem 18. Oktober 1965, die Zahl von rund 11 500 erreicht. Damit ist seit Bestehen der Bundesrepublik, also von September 1949 bis heute, vom Petitionsrecht gegenüber dem Bundestag in rund 135 000 Eingaben zu den unterschiedlichsten Anliegen und etwa 860 000 Zuschriften zu acht größeren Fragenkomplexen mit gleichem Inhalt und meist gleichem Text — in sogenannten Masseneingaben — Gebrauch gemacht worden. Hinzu kommt noch eine nicht näher festgestellte Zahl von Unterzeichnern von Sammelpetitionen, die ihr Anliegen — auch das ist auf ,Grund des Art. 17 möglich — gemeinschaftlich mit anderen vorbrachten. — In der 5. Wahlperiode waren dies etwa 120 000 Bittsteller.
Weitere Zahlen — ich möchte Sie nicht damit belästigen — bitte ich Sie aus der letzten, mit der Drucksache V/2181 vom 13. Oktober 1967 veröffentlichten Statistik zu entnehmen.
Gestatten Sie mir, Ihnen drei Einzelbeispiele dafür zu nennen, was im Petitionsausschuß in jüngster Zeit bearbeitet worden ist, um Ihnen daran einmal anschaulich zu zeigen, wie weit der Bogen der Anliegen
gespannt ist, die praktisch alle Lebensbereiche und Rechtsgebiete umfassen.
Der Inhaber eines Handwerksbetriebes trug dem Ausschuß vor, daß ihm anläßlich der Ausführung von Installationsarbeiten an Bauten der Bundesregierung erhobene Nachforderungen abgelehnt worden seien. Die Bundesregierung, in diesem Fall der Bundesminister der Verteidigung, begründete die Ablehnung in schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen gegenüber dem Ausschuß damit, daß der Petent es versäumt habe, seine Nachforderungen in der nach der Verdingungsordnung für Bauleistungen vorgeschriebenen Frist geltend zu machen und beweiskräftige Unterlagen beizubringen. Der Bundesverteidigungsminister hat in keiner Weise bestritten, daß der Anspruch des Petenten zu Recht bestände.
Ausschuß und Büro vertraten 'demgegenüber die Auffassung, daß der Anspruch des Potenten in der vom Bundesminister der Verteidigung ausgerechneten Höhe von rund 8000 DM begründet sei und daß sich die Bundesregierung auf die genannten Verwirkungsvorschriften nicht berufen könne. Ich darf noch hinzufügen, daß der Petent durch die Haltung der Bundesregierung in eine schwierige wirtschaftliche Lage geriet und vor dem Konkurs stand. Nach fast zweijährigem Bemühen konnte die Bearbeitung der Petition vor kurzem dadurch erfolgreich abgeschlossen werden, daß sich die Bundesregierung, in diesem Fall ein Vertreter des Bundesverteidigungsministers, bereit erklärte, dem Petenten den Betrag von 8000 DM auszuzahlen.
Ich möchte Ihnen von einem zweiten Fall berichten, der erfreulicherweise auch positiv von uns erledigt werden konnte. Es handelt sich um die Witwe eines früheren Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Sie führte darüber Beschwerde, daß ihr eine Bundesbehörde das Witwengeld uni den Betrag, den sie zusätzlich aus der Invalidenversicherung erhalte, gekürzt habe. Ausschuß und Büro haben das zuständige Bundesministerium in einem längeren Schriftwechsel davon überzeugen können, daß der Einsenderin das ungekürzte Witwengeld zusteht. Die Petentin erhielt eine Nachzahlung von rund 12 000 DM. Mindestens so wichtig aber ist die Tatsache, daß mit dieser Entscheidung etwa 500 weitere Versorgungsempfänger in den Genuß solcher Nachzahlungen gelangen werden.
Der dritte Fall, den ich Ihnen nennen möchte, ist leider noch nicht zu einem positiven Abschluß gelangt; aber es ist ein Fall, der uns alle interessieren dürfte. Eine Petentin wünschte, einer Witwe gleichgestellt zu werden, um Anspruch auf Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz zu bekommen. Die Einsenderin war in die Sowjetunion verschleppt und während dieser Zeit von ihrem Ehemann für tot erklärt worden. Der Ehemann ist nach der Todeserklärung eine neue Ehe eingegangen, so daß die frühere Ehe als aufgelöst gilt. Die Todeserklärung wurde zwar inzwischen aufgehoben; die frühere Ehe bleibt jedoch nach § 38 des Ehegesetzes aufgelöst.
Die eherechtlichen Vorschriften enthalten keine Regelung über die sich aus der Auflösung der Ehe
Deutschet Bundestag — 5. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1967 7397
Frau Wessel
ergebenden unterhaltsrechtlichen Folgen. Sie nehmen die Benachteiligung des zu Unrecht für tot erklärten ersten Ehegatten in Kauf und schützen mir den gutgläubigen zweiten Ehegatten. Hierbei handelt es sich jedoch um keine Härte im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes, so daß eine Hinterbliebenenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz nicht in Betracht kommen kann. Da die Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen hinsichtlich der unterhaltsrechtlichen Folgen einer Eheauflösung in Fällen der geschilderten Art — die die Einräumung eines der Billigkeit entsprechenden Anspruchs auf Unterhalt zugunsten des zu Unrecht für tot erklärten Ehegatten zum Gegenstand haben — zurückgestellt hat, erwägt der Ausschuß jetzt, den Bundestag zu einer Gesetzesinitiative mit dem Ziel einer Entschädigung 'des zu Unrecht für tot erklärten Ehegatten anzuregen.
Die aufgezeigten drei Fälle sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der genannten großen Zahl von Petitionen, mit denen sich der Petitionsausschuß und sein Büro in gewissenhafter, oft mühseliger Arbeit ständig befassen.
Aus jahrelanger Tätigkeit im Petitionsausschuß kann ich sagen, daß aus einem großen Teil der Eingaben — insbesondere der um Abhilfe persönlicher Beschwerden—ein allgemeiner Unmut, oft sogar das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber der Verwaltung spricht. Dieses Gefühl geht auf die ständige Zunahme der staatlichen Aufgaben mit den dadurch bedingten größeren Konfliktsmöglichkeiten zwischen dem einzelnen Bürger und dem Staat zurück. Der einzelne ist in immer stärkerem Maße vom Staat, von seinen Geboten und Verboten, von seinen Leistungen und seinen Ansprüchen abhängig geworden. In dieser Situation ist der Petitionsausschuß für den Bürger oft die letzte Zuflucht, von der er sich Hilfe verspricht. Ein gut arbeitender Petitionsausschuß des Bundestages kann hier an 'entscheidender Stelle der Wegbereiter für eine Verbesserung des Verhältnisses der Bürger zur Verwaltung sein.
Lassen Sie mich hier an dieser Stelle folgendes hinzufügen: ich glaube, wenn man die Arbeit des Petitionsausschusses und die Vorschläge, die ich zu einer Verbesserung seiner Arbeit noch machen werde, mit derselben Bedeutung und Wichtigkeit in diesem Hause behandeln würde wie kurz vorher die Geschäftsordnungsfragen, dann würde der Petitionsausschuß auch innerhalb dieses Hauses und in der Bürgerschaft eine ganz andere Bedeutung und Wichtigkeit haben.
Auf Grund meiner Erfahrungen als frühere Vorsitzende des Petitionsausschusses und aus 'den Erkenntnissen der zwei zuvor dargestellten Beschwerdefälle, die nur mit größter Mühe und viel Zeitaufwand doch noch erfolgreich abgeschlossen werden konnten, kann ich und muß ich sagen, daß die rechtlichen Möglichkeiten und Befugnisse des Petitionsausschusses im Einzelfall oft nicht ausreichen. Der Ausschuß besitzt zwar in der, Petitionsstelle einen gut arbeitenden Hilfsdienst mit qualifizierten Mitarbeitern; er ist jedoch in den Möglichkeiten der Hilfe gegenüber den Petenten begrenzt. Er kann
wohl die Regierung um schriftliche Stellungnahmen oder auch um die Entsendung von Vertretern zum mündlichen Vortrag vor dem Ausschuß bitten, und das geschieht auch häufig.
Der Ausschuß kann jedoch selbst dann nicht tiefer in einen Einzelfall eindringen, wenn er das Gefühl hat, daß ihm viel gründlicher nachgegangen werden müßte, als es aus den Berichten der Ministerien hervorgeht. Ihm fehlt insbesondere die Befugnis der eigenen Sachaufklärung mit dem uneingeschränkten Recht auf Aktenvorlage bzw. Akteneinsicht und dem Recht auf Information an Ort und Stelle, dem sogenannten Inspektionsrecht. Der Ausschuß ist daher weitgehend von der Berichterstattung der Ministerien abhängig. Dies ist einfach unbefriedigend und kann im Einzelfall trotz — und das betone ich auch — der überwiegend guten Zusammenarbeit mit den Ministerien unerträglich sein.
Der Gesetzgeber hat von allen bestehenden Rechtsschutzeinrichtungen und Kontrollorganen — wie z. B. Verwaltungsgerichtsbarkeit, Rechnungshöfen, dem Wehrbeauftragten — den Petitionsausschuß, der wie kein anderes Organ geeignet wäre, der Volksvertretung Ansehen und Vertrauen zu vermitteln, in seinen rechtlichen Möglichkeiten am schwächsten ausgestattet.
Vornehmlich mit dem Hinweis auf diese unbefriedigenden rechtlichen Möglichkeiten der Petitionsausschüsse in Bund und Ländern wird in letzter Zeit der Ruf nach Einführung eines Ombudsmans für den zivilen Bereich zur Wahrnehmung und Verstärkung der Rechte des Bürgers gegenüber der Verwaltung — analog dem Wehrbeauftragten für den militärischen Bereich, der im Grunde genommen nichts anderes als eine zusätzliche Petitionsstelle für die Bundeswehr ist, entsprechend den skandinavischen Vorbildern — erhoben. Der propagierte Ombudsman oder, wie man auch sagen kann, Parlamentsbeauftragte soll — wie man hört — nach diesen Überlegungen im wesentlichen die gleichen Tätigkeitsgebiete haben, die dem Petitionsausschuß zustehen. Er soll aber darüber hinaus die ihm heute noch fehlenden Befugnisse bekommen.
Konkrete Vorschläge mit Varianten zur Einführung eines derartigen Beauftragten sind in den letzten zwei Jahren, insbesondere in jüngster Zeit von der Aktionsgemeinschaft „Deutscher Ombudsman", von unserem früheren Kollegen und jetzigen Staatssekretär Professor Dr. Schäfer und dem Präsidenten des Deutschen Juristentages, Rechtsanwalt Dr. Redeker, gemacht worden. In einigen Bundesländern — z. B. Berlin, Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen — sind einschlägige Gesetzentwürfe bereits beraten worden oder in Vorbereitung. In Nordrhein-Westfalen z. B. haben CDU-Abgeordnete des Eingabenausschusses des Landtages einen Gesetzentwurf vorbereitet, der die Stelle eines Parlamentsbeauftragten im Rahmen des Eingabenausschusses vorsieht, dem besondere Rechte, ähnlich denen des Ombudsmans, übertragen werden sollen.
Ein Weiteres ist interessant. Seit kurzem erörtern auch die Präsidenten der deutschen Landtage diesen Fragenkomplex. Eine Reihe von ihnen haben die
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Frau Wessel
skandinavischen Länder, in denen die Einrichtung eines Ombudsman bereits besteht, besucht. Sie neigen — ich kann mich hier nur auf Pressenotizen berufen — nach diesen Pressenotizen dazu, keine neue Behörde zu schaffen, die ein Ombudsman zwangsläufig mit sich bringen würde, sondern die Petitionsausschüsse und damit die Parlamente insgesamt durch Erweiterung ihrer Rechte und durch Schaffung eines qualifizierten Mitarbeiterstabes zu stärken. Die Mitglieder unseres Petitionsausschusses stimmen diesen Überlegungen, die trotz einiger Varianten und Nuancen das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments gegenüber der Verwaltung zu verbessern, im Ergebnis zu.
Der Petitionsausschuß hat sich in letzter Zeit wiederholt mit diesem Fragenkomplex befaßt. Nach den Erkenntnissen, die wir inzwischen auch auf Grund der Erörterungen mit dem State Comptroller des Staates Israel, Dr. Nebenzahl, mit dem Vorsitzenden der Tanzania Permanent Commission und mit einem Vertreter des Bundesjustizministers gewonnen haben, sind wir auch heute noch der schon vor vier Jahren niedergelegten Auffassung, daß das gemeinsame Ziel aller Befürworter einer verstärkten Kontrolle der Verwaltung am einfachsten und am schnellsten und am billigsten durch eine Stärkung der Stellung und der Befugnisse des Petitionsausschusses und seines Petitionsbüros erreicht werden könnte, ohne daß es der Schaffung eines besonderen parlamentarischen Beauftragten in der Bundesrepublik bedürfte.
1m Rahmen einer solchen Reform wäre es meines Erachtens nötig, daß dem Ausschuß bzw. seiner Vorsitzenden oder seinem Vorsitzenden — mit der Möglichkeit einer Delegation auf beamtete Mitarbeiter — das Recht eingeräumt wird, die Beschwerde des Staatsbürgers ,an Ort und Stelle nachzuprüfen. Das würde bedingen, daß alle Behörden, Dienststellen und Amtspersonen des Bundes Auskunft zu geben und Akteneinsicht zu gewähren hätten. Die Behörden des Bundes, der Länder und der Gemeinden müßten angewiesen werden, bei der Durchführung der erforderlichen Erhebungen Amts- und Rechtshilfe zu leisten. Die vorhandene Einrichtung der Petitionsstelle des Bundestages brauchte, um ihren erweiterten Aufgaben voll nachkommen zu können, lediglich geringfügig personell ergänzt und in der Bewertung ihrer Dienstposten so gestellt zu werden, daß erfahrene Fachleute dafür vorhanden sind und die vorhandenen auch gehalten werden können.
Auch hier ein Wort zur Bewertung der Arbeit des Petitionsbüros. Es ist notwendig, zu sagen, daß unsere Bemühungen seit Jahren dahin gehen, gute Facharbeiter dort zu haben. Aber wir müssen auch Wert darauf legen, ,daß die Stellen entsprechend bewertet und eingestuft werden, weil wir sonst fähige und tüchtige Arbeiter auf die Dauer doch nicht haben.
Ich komme zum Schluß. Nach meiner Auffassung sollte das Parlament zunächst seine bestehenden Einrichtungen stärken und besser nützen, bevor es ein neues, erhebliche Mehrkosten verursachendes Organ schafft. Das scheint doch einleuchtend zu sein. Ich bin sicher, daß dies dazu beitragen würde, das
Unbehagen des Staatsbürgers gegenüber Staat und Verwaltung, von dem auch heute morgen in den Ausführungen in diesem Hohen Hause so viel gesprochen worden ist, abzubauen und das Menschliche in diesem Verhältnis mehr zu fördern. Sollte diese aus der Erfahrung des Petitionsausschusses dringend notwendige Erweiterung der vorgenannten Befugnisse des Petionsausschusses in absehbarer Zeit nicht gewährt werden, bin ich allerdings der Auffassung, daß wir die Einrichtung eines Ombudsmans respektive eines Beauftragten des Bundestages — ähnlich dem Wehrbeauftragten — für den zivilen Bereich der Beschwerden im Interesse — das betone ich ganz besonders — der Wahrnehmung der Rechte des Staatsbürgers entsprechend Art. 17 unseres Grundgesetzes ernsthaft überlegen müssen.
Zum Schluß möchte ich Sie bitten, meine Damen und Herren, die in der Sammelübersicht 25 des Petitionsausschusses — Drucksache V/2364 — enthaltenen Anträge zu Petitionen anzunehmen.