Rede von
Karl
Moersch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Dr. Kliesing, dieser Grundsatz gilt allgemein. Er gilt sogar für die CDU/CSU-Fraktion und für die Bundesregierung.
Das haben wir nie bestritten. Aber darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, daß der Präsident von dem Hohen Hause mehr als bisher bei der freien Auslegung der Geschäftsordnung unterstützt werden muß. Er soll z. B. einen Redner, der in der Debatte nicht auf den vorhergegangenen eingeht, sondern zu einem anderen Sachpunkt spricht, auch einmal unterbrechen können und ihm sagen können: Jetzt wollen wir erst einmal diesen Punkt, der hier zur Debatte steht, ausdiskutieren. Das erreichen Sie nicht mit einer Beschränkung auf zehn Minuten, das erreichen Sie nicht mit fünf Minuten, das erreichen Sie nur, indem man das einige Male durchexerziert, damit allgemein bekannt wird, daß man zunächst zu dem Punkt spricht, der jetzt daran ist. Dann erreicht man eine Debatte.
Das geht immer dann, wenn Sie einen ganz bestimmt umrissenen Gegenstand haben. Aber wenn Sie „Ziehharmonika-Anfragen" einbringen, ist es natürlich sehr schwierig, zu einem Punkt konkret Stellung zu nehmen. Das ist ein Vorwurf, der allen Fraktionen in diesem Hause gilt. Weniger wäre dann manchmal mehr. Dann könnte man sich auf ein ganz bestimmtes Thema konzentrieren. Aber deshalb müssen Sie ja nicht die Geschäftsordnung ändern. Ihre Vorstellungen vom Parlamentarismus müssen Sie überprüfen, Herr Dr. Wörner. Darauf kommt es an.
Deswegen will ich zu Ihrem Antrag, vor allem zu Punkt 1, einige Bemerkungen machen.
— Was heißt hier „endlich" , Herr Müller? Sie sind wahnsinnig ungeduldig.
— Entschuldigen Sie, Herr Müller, Sie haben eins gut.
Der Gedanke, vom Saalmikrofon aus zu sprechen, ist absurd, wenn Sie an die Funktion des Parlaments denken. Es ist etwas völlig anderes, Herr Dr. Wörner, ob Sie in der Fragestunde den Herrn Regierungsvertreter fragen. Dann ist das Saalmikrofon der geeignete Ort der Handlung. Diejenigen, die die Geschäftsordnung gemacht haben, haben sich das wahrscheinlich gerade deswegen überlegt. Aber wenn Sie in einer Reihe sitzen — und wenn dieser Saal nach manchen Plänen geändert wird, sieht es aus, als ob wir in der Schulbank säßen, nämlich gleichmäßig aufgereiht in einem Rechteck — und wenn dann vom Saal aus gesprochen wird, frage ich Sie: Mit wem debattieren Sie eigentlich?
— Haben Sie eine Ahnung! Im Unterhaus sitzt man sich gegenüber, aber hier niemals.
Wenn wir dann, wie Herr Wörner glaubt, vom Saalmikrofon aus diskutieren, dann haben Sie kein parlamentarisches Gegenüber. Das ist das Problem. Wie soll dann ein Dialog zustande kommen, wenn Sie an eine Regierungsbank reden, wo die Spitzen der Regierung noch nicht einmal dem Parlament angehören? Das ist doch die Frage, um die es hier mit geht.
Es geht hier um die Funktion, um den Sinngehalt der parlamentarischen Debatte, und der besteht darin, daß unter Abgeordneten eine Debatte geführt wird und daß sie einen Dialog wollen. Dann müssen Sie einander gegenüber sprechen. Dann müssen Sie hier vorne stehen und müssen zu diesem Hause sprechen. Dann können Sie nicht — —
— Das hat mit Mehrheitswahlrecht gar nichts zu tun, Herr Rasner. Das ist Ihre Zwangsvorstellung, daß das mit Mehrheitswahlrecht zu erreichen wäre. In Wahrheit ist es doch so, daß hier einer vorne stehen muß und zu den anderen sprechen muß, weil er sie möglicherweise sogar überzeugen will, was mir natürlich bei Ihnen, Herr Rasner, kaum gelingen wird; einverstanden. Denn Sie haben den Antrag mit unterschrieben.
Aber Sie haben sich meiner Ansicht nach nicht überlegt, was in diesem einen Punkt hier steht. Das ist für mich das Gravierende an diesem Vorgang, daß Sie über die Funktion des parlamentarischen Dialogs nicht nachgedacht haben. Sonst hätten Sie den Antrag nicht stellen können. Hier heißt es, daß man vom Saalmikrofon aus sprechen soll.
7394 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1967
Moersch
— In dem Antrag steht drin, Herr Dr. Wörner:
Bei kurzen Reden kann der Abgeordnete vom Saalmikrofon sprechen.
— Daß Sie den Freiheitsbegriff falsch verstehen, Herr Dr. Wuermeling, wundert mich in diesem Fall nicht. Es geht nicht um die Freiheit dessen, der hier zum anderen spricht, sondern es geht um das Recht der anderen, ihm ins Gesicht zu blicken, wenn er spricht. Das ist nämlich ein ganz wesentlicher Punkt bei der Debatte und beim Dialog.
Sie müßten ernsthaft darüber nachdenken, ob dieser Antrag, den Sie gestellt haben, parlamentarisch sinnvoll ist. — Herr Dr. Stark, daß Sie ernsthaft darüber nachgedacht haben, will ich Ihnen gern zugestehen. Aber ich behaupte: es hat dann eben nicht ganz ausgereicht; sonst hätten Sie den Antrag nicht so stellen können, wie Sie ihn gestellt haben, weil Sie hier zu einer völligen Veränderung des Parlaments kommen,
weil Sie dann zu einem Parlament kommen, dem niemand gegenübersitzt, wenn Sie vom Saal aus sprechen, als der Präsident, und der muß dann zwangsläufig die Rolle des Oberlehrers spielen, rein optisch gesehen. Sie sitzen dann einer Art Prüfungsbehörde gegenüber, die sich Regierung nennt. Das ist nämlich das optische Bild, wenn Sie vom Saal aus Reden halten und nicht den Kollegen, mit denen Sie diskutieren wollen, dabei ins Auge blicken können. Das möchte ich Ihnen zu diesem Antrag sagen.
— Ja, ist das Ihr Vorgesetzter, Herr Dr. Kliesing? Ich bin der Meinung, dieses Parlament ist ein Gesetzgeber.
— Die Regierung ist nicht der Diskussionspartner. Das ist ein Irrtum. Sie haben nicht das englische System. Sie haben eine andere Verfassung.
— Ich weiß gar nicht, was Sie sich so darüber aufregen. Sie haben hier einen Antrag gestellt.
— Nein, Sie haben meiner Ansicht nach nicht zu Ende gedacht, was dieser Antrag für die Funktion des Parlaments bedeutet. Das deutsche Parlament hat eine andere Funktion als das englische Unterhaus, aus der Tradition heraus. Deswegen können Sie meiner Ansicht nach nicht eine Debatte einführen, die vom Saal aus geführt wird und bei der Sie nur der Regierung gegenüberstehen. Das ist ausgeschlossen. Das verändert völlig die Funktion des Deutschen Bundestages.
Vielen Dank,
Herr Lehrer!)
— Ihre Argumente werden durch Zwischenrufe nicht
besser, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.
Sie haben hier einen Antrag gestellt, der meiner Ansicht nach eine Veränderung von Grund auf bewirken würde. Ich kann eben nicht eine Kann-Vorschrift einführen, wo es um ein ganz anderes Prinzip geht, nämlich um das Prinzip des Dialogs, das Herr Dr. Wörner hier selbst aufgestellt hat. Herr Dr. Wörner, wer Dialog will, muß eben Debatte von Angesicht zu Angesicht führen und kann sie nicht vom Saal aus führen. In seltenen Fällen — —
— Es wird allgemein in diesem Hause nicht mit der Regierung debattiert, sondern die Regierung gibt Erklärungen ab. Wir haben eine Regierung, die nicht aus Parlamentariern bestehen muß. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu England. Sie sollten doch nicht verschiedene Verfassungsformen und Verfassungstraditionen hier durcheinandermengen.
Ich bitte Sie, das doch einmal ernsthaft im Geschäftsordnungsausschuß zu überlegen und dafür einzutreten, daß künftig der Ablauf der Debatte durch den Präsidenten mehr gesteuert werden kann, als das bisher der Fall gewesen ist — das hielte ich für eine entscheidende und gute Reform —, und nicht weitere Komplikationen in die Geschäftsordnung einzusetzen.