Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Als die Sozialklausel 1960 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt wurde, war es der Wille des Gesetzgebers, daß sie ihrer Wirkung nach etwa in der Mitte liege zwischen den Kündigungsbeschränkungen des allzu starren Mieterschutzgesetzes und der freien Kündbarkeit, wie sie einst bei Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches um die Jahrhundertwende statuiert worden war. Beides sind extreme Grenzpositionen, die in ein neues soziales Mietrecht nicht mehr übernommen werden konnten, wenn man einerseits die Wohnungswirtschaft in die soziale und freie Marktwirtschaft überführt, andererseits aber die Wohnung — wie der Herr Minister soeben schon dargelegt hat — als den Mittelpunkt, als das Heim betrachtet, in dem eine Familie ihre volle Entfaltung finden soll. Man war damals der Überzeugung, daß mit dieser neuen Bestimmung in der Tat die sozialen Schwierigkeiten und nicht zurechtfertigende Härten, die mit einer Kündigung immer verbunden sind, behoben werden könnten.
Dabei dachte der Gesetzgeber keineswegs daran, etwa nur bei ganz außergewöhnlichen Situationen die Möglichkeit zur Fortsetzung des Mietverhältnisses
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einzuräumen. Vielmehr sollte dort, wo zusätzliche Schwierigkeiten beim Wohnungswechsel oder bei der Ersatzraumbeschaffung auftreten, die Sozialklausel des § 556 a des Bürgerlichen Gesetzbuches durchgreifen, so etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft der Frau, bei Kinderreichtum oder bei hohem Alter, eben dort, wo diese Umstände eine Belastung mit sich bringen können, die über die Unbequemlichkeiten hinausgehen, die mit jedem Wohnungswechsel verbunden sind. Ziel des § 556 a BGB sollte aber nicht allein die Beseitigung von Härten, sondern bereits ihre wesentliche Milderung sein.
So wollte der Gesetzgeber 1960 im § 556 a BGB eine Bestimmung schaffen, mit der er bei grundsätzlich freier Kündbarkeit des Wohnungsmietverhältnisses seine Verpflichtung zur Verwirklichung der Sozialstaatlichkeit zu erfüllen gedachte. Dieser Wille des Gesetzgebers ist auch in der Formulierung der Bestimmung erkennbar, selbst wenn die Wortfassung mit besonderer Betonung auf den Einzelfall abstellt. Mit den verwendeten Begriffen wollte der Gesetzgeber gerade im Einzelfall die soziale Unbilligkeit beseitigen, die sich in einer sozialen Marktwirtschaft im freien, wenn auch sozial gebundenen Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage aus den Umständen des Einzelfalles ergeben könnte.
Die Rechtsprechung ist in den knapp vier Jahren, in denen die Sozialklausel in den weißen Kreisen anwendbar geworden ist, diesen Überlegungen des Gesetzgebers nicht uneingeschränkt gefolgt. Je länger, desto mehr hat sich aber doch eine Auslegung entwickelt, die. den Vorstellungen des Gesetzgebers besser entspricht. Dies wurde erst jüngst auch von dem Mieterverein in Wiesbaden in einem Gespräch mit dem „Wiesbadener Kupier" eingeräumt, das Sie in der Ausgabe dieser Zeitung vom 10. Juni dieses Jahres lesen können.
Auch das Argument, das heute gern in die Debatte geworfen wird, um die Unzulänglichkeit der Sozialklausel zu beweisen, daß nämlich nur 2 % aller Räumungsstreitigkeiten zugunsten des Mieters entschieden würden, ist nicht stichhaltig. Denn immerhin sind von den im Jahre 1965 entschiedenen 42 683 Räumungsprozessen in der Bundesrepublik nicht nur 771 Prozesse zugunsten des Mieters ausgegangen, sondern 8721 Klagen sind auf sonstige Weise, wie es in der Statistik der Gerichte heißt, erledigt worden.
— In der Statistik der Gerichte, Herr Jacobi! — Dabei handelt es sich ganz wesentlich um die Rücknahme der Räumungsklage, nachdem ein außergerichtlicher Vergleich vorausgegangen war. Solche Vergleiche gehen aber erfahrungsgemäß zugunsten der Mieter aus, da hier das angestrebte Ziel einer Fortsetzung des Mietverhältnisses erreicht wurde.
Mit den 771 abgewiesenen Räumungsklagen zusammen haben damit 9438 Klagen im Sinne des Mieters positiv geendet. Dies aber sind nicht nur 2 % sondern rund 22 % der im Jahre 1965 abgeschlossenen Räumungsfälle. Hierzu kommt noch, daß bestimmt nicht alle übrigen Fälle mit einem
Räumungsurteil abgeschlossen wurden, sondern auch durch gerichtliche Vergleiche endeten, die ihrerseits wiederum, wie angestrebt, eine Verlängerung des Mietverhältnisses gebracht haben, so daß sich unweigerlich ein Gesamtergebnis feststellen läßt, daß für die Mieter weit günstiger liegt als nur bei 2 % der Räumungsverfahren.
Ich bin der Überzeugung, daß sich die Rechtsprechung sicherlich auf eine gute Mittellinie einpendeln würde. Die Rechtsprechung braucht nun einmal immer einige Zeit, um zu einer einigermaßen einheitlichen Rechtsfindung zu kommen. Dies zeigte sich auch bei dem alten Mieterschutzgesetz, wo sich trotz der Vielfältigkeit der Lebensverhältnisse und trotz des Mangels einer obergerichtlichen Rechtsprechung eine solche einheitliche Linie durch lange Jahre erhalten hat. Dies wäre auch im vorliegenden Fall nicht anders.
Ich räume aber ein, daß sich an diesen Anlaufschwierigkeiten, mit denen sich die Rechtsprechung erst zurechtfinden muß, die Kritik entzündet hat, daß die Sozialklausel — um ein oft zitiertes Wort aufzunehmen — geradezu zum Stein des Anstoßes geworden ist. Denn mit der heutigen Vorlage, die gleich zwei Vorschläge zur Revision vor allem des § 556 a des Bürgerlichen Gesetzbuches enthält, nämlich die auf Anregung des Landes Schleswig-Holstein entwickelte Gesetzesinitiative des Bundesrates und sodann die Stellungnahme der Bundesregierung hierzu, die ihrerseits nun einen zusätzlichen Vorschlag unterbreitet, ist es seit Beginn der Praktizierung der Sozialklausel bereits das dritte Mal, daß sich der Bundestag mit diesem Problem beschäftigen muß.
Ich gebe auch zu, daß sich der Wille des Gesetzgebers sicherlich in einer entsprechenden Wortfassung deutlicher ausdrücken ließe, als es geschehen ist, um so wirklich Schutz für die Fälle zu bieten, für die er notwendig sein soll. So lassen sich wohl Korrekturen denken, um die Interessenabwägung zwischen Vermieter und Mieter wirklich so vornehmen zu können, wie sie vom Gesetzgeber gewollt ist.
Wenn etwa in der derzeit geltenden Fassung des § 556 a von der „vollen Würdigung der Belange des Vermieters" die Rede ist, so bleibt zu überlegen, ob dieser Begriff nicht die Gewichte zu sehr zugunsten des Vermieters verschiebt. Es ist doch ganz selbstverständlich, daß der Richter bei Abwägung der gegenseitigen Interessen die Belange beider Teile „voll" zu würdigen hat. Sind aber bei den sachlichen Voraussetzungen, von denen der Anspruch auf Fortsetzung eines Mietverhältnisses abhängt, die Worte hinsichtlich der zu berücksichtigenden Belange des Vermieters zusätzlich hinzugefügt, so erhalten eben diese Vermieterbelange ein größeres Gewicht, wenn man diese Worte nicht nur als reine Füllworte ansehen will, die damit aber auch ohne weiteres entbehrt werden könnten.
Aber über diesen Korrekturen darf der Blick auf die Eigentumsgarantie, wie sie in Art. 14 des Grundgesetzes verankert ist, nicht verlorengehen. Beim Studium mancher Veröffentlichungen gewinnt man den Eindruck, daß die im ersten Weltkrieg begonnene und nach Abschluß des zweiten fortgesetzte
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totale Reglementierung des Wohnungswesens fast eine selbstverständliche Dauerbeschränkung des Hauseigentümers geworden wäre. Wollte man aber einer solchen Auffassung nachgeben, dann hätte dies zur Folge, daß die normale Eigentumsgarantie für den Hauseigentümer von vornherein nur noch ein minimaler Rest bliebe, nämlich der, der übrigbliebe, wenn man die staatlichen Reglementierungen abgelaufener Notzeiten von dem normalen Eigentumsbegriff abzöge. Aber auch dem Hauseigentümer wird das volle Eigentum gewährleistet.
Sicherlich kann der Gesetzgeber in Zeiten des Wohnungsmangels — darüber haben wir uns immer wieder auseinandergesetzt und haben darüber gesprochen — die Sozialbindung des Eigentums besonders herausstellen und den Mietern einen besonderen Schutz angedeihen lassen, wie dies auch in der Zeit des Mieterschutzgesetzes der Fall war. Aber darüber hinaus muß eben das elementare Grundrecht des Eigentums vom Gesetzgeber respektiert werden, das in sich das Recht zur freien Verfügung enthält.
Die Sozialklausel fordert vom Vermieter berechtigterweise eine Rücksichtnahme, wenn auf seiten des Mieters besondere Umstände vorliegen, die eine Kündigung zu dieser Zeit selbst unter Würdigung der Belange der Gegenseite nicht rechtfertigen.
Um diese Rangordnung der Werte nicht zu verwischen und damit dem Hauseigentümer womöglich eine Bindung aufzuerlegen, die das Eigentumsrecht seinem Zwecke entfremden könnte — um ein Wort von Professor Forsthoff aufzunehmen —, erscheint es auf alle Fälle erforderlich, bei dem Vorschlag der Bundesregierung zur Neufassung des § 556 a eine Korrektur zu überlegen. Um deutlich zu unterstreichen, daß die Sozialklausel keine Ausnahmebestimmung für extreme Fälle darstellt, wie sie in manchen Gerichtsentscheidungen qualifiziert wurde, schlägt die Bundesregierung vor — und der Herr Minister hat es vorhin noch einmal erläutert —, der Mieter könne die Fortsetzung des Mietverhältnisses schon dann verlangen, wenn seine Beendigung eine Härte bedeute. Hier müßte aber zumindest von einer unverhältnismäßigen, vielleicht auch empfindlichen Härte oder einer, wie Sie selber, Herr Minister Lauritzen, vorhin meinten, unberechtigten Härte die Rede sein, die das Durchgreifen der Sozialpflichtigkeit rechtfertigt.
— Denn eine Härte, Herr Jacobi, liegt, ganz allgemein gesprochen, ja schon dann vor, wenn der Mieter seine Mieträume aufgeben, wenn er umziehen und sich anderswo neu einrichten muß.
Solche den üblichen Rahmen nicht überschreitenden Unbequemlichkeiten können aber einen Einbruch in die Struktur des Eigentums nicht rechtfertigen. Vielmehr muß gerade die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel auch hier gestellt und beantwortet werden, und zwar aus folgenden Erwägungen: Das Mietverhältnis ist ein rein obligatorisches, rein schuldrechtliches Verhältnis, wie sicherlich niemand in Abrede stellen kann. Die Anwendung der Sozialklausel aber bringt eine gewisse „Verdinglichung" dieser nur obligatorischen Rechtsposition mit sich, die jedoch so schwerwiegend ist, daß sie sich ohne Vorliegen einer entsprechenden, vom Gesetz anerkannten causa nicht legitimieren läßt; dies um so mehr, als ja auch die verlängerten Kündigungsfristen ganz zugunsten des Mieters wirken. Wenn man darüber hinaus einen zusätzlichen Schutz mit der Sozialklausel schafft, so müssen in der Tat die Voraussetzungen hierfür fester umrissen sein, um eben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels mehr zu entsprechen, als dies im Regierungsentwurf geschehen ist.
Überlegungen löst auch der Vorschlag der Bundesregierung aus, der dem Vermieter die Pflicht zu einer besonderen Rechtsbelehrung seines Mieters über die Widerspruchsfrist zuweisen möchte. Sowenig sonst im Bürgerlichen Gesetzbuch eine ähnliche Rechtsmittelbelehrung vorgesehen ist, sowenig ist einzusehen, warum gerade hier eine solche Verpflichtung festgelegt werden soll; muß sich doch jeder Staatsbürger über seine Rechte und Pflichten selbst verlässigen, um sich in dem gesteckten gesetzlichen Rahmen die für ihn notwendigen Informationen zu verschaffen und anzueignen. Wenn er dies unterläßt, so geht dies zu seinen Lasten. Ich vermag nicht einzusehen, warum gerade im Mietrecht der allgemein gegebene Grundsatz verlassen werden soll. Selbst wenn in den rückliegenden knapp vier Jahren seit Inkrafttreten des sozialen Mietrechts der eine oder andere Mieter die Gesetzesfristen .übersehen und versäumt hat, so werden doch mit der Zeit auch diese gesetzlichen Vorschriften zu den selbstverständlichen Überlegungen der Betroffenen gehören, auf die sie dann ohne weiteres achten werden.
Schließlich sehe ich keine einleuchtende Veranlassung, weshalb der Vermieter die Gründe seiner Kündigung auf Verlangen seines Mieters darlegen sollte, ehe dieser Widerspruch eingelegt und damit zu erkennen gegeben hat, daß er die Kündigung nicht unbesehen hinzunehmen bereit ist; belastet es doch den Mieter in keiner Weise, wenn er zunächst Widerspruch erhebt und damit quasi ein formelles Verfahren in Gang bringt, um dann eben seine Chance abzuwägen, wenn er mit der Geltendmachung dieses Widerspruchs die Bekanntgabe der Kündigungsgründe fordert. Er kann ja jederzeit in diesem Vorverfahren ohne irgendwelche geldlichen Nachteile oder Belastungen seinen Widerspruch zurücknehmen. Zudem sind die Gestaltungsrechte im bürgerlichen Recht, zu denen selbstverständlich auch die Kündigung zählt, stets frei ausübbar, ohne daß sie begründet werden müssen. Von diesem Grundsatz sollte man eigentlich auch im Mietrecht nicht ohne zwingenden Anlaß abgehen, sofern nicht der Mieter mit seinem Widerspruch deutlich gemacht hat, daß er zu seinen Gunsten die Sozialpflichtigkeit einer Kündigung entgegensetzen möchte. Wenn wir erst nach Erhebung des Widerspruchs dem Vermieter eine Pflicht zur Mitteilung der Kündigungsgründe aufgeben, dann entsprechen wir auch der Forderung, die der große Rechtslehrer Otto von Gierke in die Worte gekleidet hat: Der Gesetzge-
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ber soll nur in Notfällen gehalten sein, die Pflicht des richtigen Gebrauchs in dem gebotenen sozialen Umfang zur Rechtspflicht zu stempeln.
Die übrigen in der Vorlage enthaltenen Änderungen gesetzlicher Bestimmungen, vor allem die Verfahrensvorschriften, haben nicht das gleiche Gewicht wie die soeben besonders hervorgehobenen Punkte. Ich denke hier an die Festlegung einer ausschließlichen gerichtlichen Zuständigkeit, die Streitigkeiten um eine Mietwohnung an den Ort der belegenen Sache bindet — dieser Vorschlag ist ohne weiteres akzeptabel —; ich denke auch an die Erweiterung des Rechtsweges in Mietsachen, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu fördern und auf diese Weise möglichst schnell zu gültigen Leitsätzen zu kommen, wenn auch nach meinen Überlegungen zumindest das Oberlandesgericht nur für Grundsatzentscheidungen zuständig sein sollte, nicht schon für Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile. Ich denke auch an die Einführung eines obligatorischen Güteverfahrens für Räumungsprozesse und Verfahren auf Fortsetzung des Mietverhältnisses. Gerade hier vermögen wir noch nicht abzusehen, ob und inwieweit eine derartige Einrichtung wirklich Erfolg bringt. Auf ialle Fälle werden wir damit die Bemühungen unterstreichen, zwischen den Mietparteien eine partnerschaftliche Vereinbarung zu erleichtern. Gerade dieser Einrichtung möchten wir darum Erfolg wünschen.
Ich habe nur einige Punkte aus der Vorlage herausgegriffen, um darzutun, wo bei den kommenden Beratungen in den zuständigen Ausschüssen der Schwerpunkt der Diskussion liegen muß. Eines wollen wir bestimmt nicht: daß, wenn wir dort die Neufassung der Sozialklausel beschließen, die Justiz dadurch überfordert wird. Wir wollen aber auch nicht, daß der Widerspruch künftig zum Regelfall bei einer Kündigung werden soll. Was als Leitziel dabei vor uns stehen muß, darf ich mit den Worten des Herrn Ministers Heinemann wiedergeben, die er vor wenigen Tagen bei dem Bremer Anwaltstag nach Professor Radbruch zitierte. Er sagte: Wir haben bisher zuviel Rechtschirurgie und zuwenig Rechtshygiene betrieben; wir haben die Rechtspflege bisher zu sehr als Streitsache, statt vor allem als Streitverhütung aufgefaßt.
In der Tat, auch dieses Hohe Haus hat die Aufgabe, mit einer Novellierung, wie sie hier vorgeschlagen ist, mehr Rechtshygiene statt Rechtschirurgie zu betreiben. Damit versuchen wir erneut, jenes partnerschaftliche Ziel zu verwirklichen, das schon immer mit dem Abbau der Wohnungszwangswirtschaft angestrebt wurde. Wir hoffen zuversichtlich, daß wir dieses Ziel wirklich erreichen.