Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich bin geneigt, mich dem anzuschließen, was Herr Dr. Kraske über das „endlich" gesagt hat, und möchte mich insoweit nur auf ihn beziehen.
Zum Inhalt des Gesetzes hat der Berichterstatter Dr. Even das Wesentliche vorgetragen, meine Herren Vorredner ebenso. Erlauben Sie mir nur, noch einmal auf einen einzigen Punkt im sachlichen Bereich kurz zurückzukommen, nämlich auf das, was insbesondere Herr Kollege Dr. Arndt hier vorgetragen hat. — Ich sehe ihn im Augenblick nicht. — Doch!
Entschuldigung, so weit links habe ich ihn nicht vermutet.
Herr Kollege Dr. Arndt, es ist nun einmal das Wesen der Steuerprogression, daß sie unterschiedlich wirkt. So ist beispielsweise der Kirchgang .des einen Bürgers und des anderen Bürgers je nach ihren Einkommensverhältnissen unterschiedlich teuer, weil nämlich auch die Kirchensteuer progressiv ist. Genauso ist jeder Beitrag zu irgendeinem Verband, ob zum Berufsverband oder zur Arbeitnehmerorganisation, nämlich der Gewerkschaft, dann unterschiedlich billig oder teuer, wenn die Betreffenden Steuern zahlen. Wenn der Arbeitnehmer, der Gewerkschaftsbeitrag zahlt, nicht steuerpflichtig ist, weil er unterhalb der Proportionalzone liegt, ist für ihn die Steuerbegünstigung eben am geringsten. Das ist nun einmal das Wesen der Progression. Da handelt es sich nicht um ein Problem der Parteienfinanzierung, das Sie angesprochen haben, sondern um ein Problem des Steuerrechts, und da sollte es erörtert werden, aber nicht im Augenblick hier.
Ich selbst hatte wegen der Chancengleichheit ein einziges Bedenken, und das betraf die politischen Parteien. Ich mußte nämlich feststellen, .daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands die höchste Mitgliederzahl und laut Beitragsordnungen der Parteien den höchsten Beitragssatz hat. Da bekam ich Bedenken, daß sie am meisten begünstigt sei. Darüber habe ich mich hinweggesetzt.
Aber nun zum Gesetz selbst. Was mich bedrückt — und ich glaube, das sollte man heute einmal hier aussprechen dürfen —, ist, daß in ,dem Augenblick, in dem wir einem Verfassungsauftrag nachkommen, wir zweifellos in der Bevölkerung ein Unbehagen erzeugen. Dieses Unbehagen wird aus zwei Gründen erzeugt: erstens weil dieser Deutsche Bundestag, wie die Bevölkerung meint, ein Gesetz in eigener Sache verabschiedet — Herr Kollege Kraske, das ist ein Problem, das ja auch bei den Diätenfragen eine Rolle spielt — und zweitens weil die veröffentlichte Meinung dahin geht, das Gesetz diene nur dem Zweck der Finanzierung. Das muß deswegen nachdenklich stimmen, weil die Bevölkerung grundsätzlich ein Ja zur Demokratie sagt, und deren notwendiger Bestandteil sind nun einmal die politischen Parteien. Es stimmt doppelt bedenklich deswegen, weil die Parteien, .die notwendiger Bestandteil der Demokratie sind, zu der die Bevölkerung ja sagt, trotzdem unbeliebt sind, obwohl alle indirekt sagen: Wir brauchen sie. Das hat uns veranlaßt, einmal eine Untersuchung darüber anzustellen, was denn eigentlich die Bürger unter „Demokratie" verstehen. Und da kam allerdings ein Erschreckendes heraus. Nach Ausschluß aller möglichen Fehlerquellen verstand die Mehrheit der Bevölkerung unter „Demokratie" Wohlstand. Ich habe damals in der eigenen Partei gesagt: Wißt ihr, was das heißt? Das heißt, wenn der Wohlstand vermeintlich abbricht, kann auch die Demokratie gefährdet werden. Das ist ein Problem, das man anläßlich der Verabschiedung des Parteiengesetzes sehen sollte.
Das Gesetz als solches bringt mit Sicherheit keine Festigung des Parteienstaates und damit nicht den Fortbestand der Demokratie. Das Gesetz als solches schafft nach unserer Überzeugung nur eine Voraussetzung für den geregelten Fortbestand der Parteien. Das ist das Ziel derer, die es erarbeitet haben. Das Gesetz schafft nur eine der Voraussetzungen.
5810 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, 28. Juni 1967
Dr. Friderichs
Wir selbst sollten — das ist eine Mahnung an uns selbst — jetzt nicht selbstzufrieden sein und so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Das Gesetz regelt nur und ausschließlich das Formale und nicht mehr. Lassen Sie mich hier ganz bewußt sagen: Über die Substanz dieses Gesetzes entscheiden wir, die wir hier sitzen, und nicht das Gesetz und nicht die Regierung. Die politischen Parteien haben es zu erfüllen.
Wir schaffen ein Gesetz, das wir selber geltend machen, und dieser Verpflichtung sollten wir uns auch heute bewußt sein — aber das alles in einer Situation, in der Unbehagen in der öffentlichen Meinung, Unbehagen in unserem Volke vorhanden ist, Mißvergnügen mit den Parteien, Mißvergnügen mit dem Staat, kurzum, wenn ich es artikulieren darf, wie man es landläufig um die Ohren geschlagen bekommt: mit denen in Bonn. Das drückt sich einmal aus in einem plötzlichen Aufschnellen einer politischen Partei, die nicht in diesem Hause vertreten ist, der NPD, wobei hier die Parallele zum Wohlstandsabbruch sichtbar ist — zum falschverstandenen Demokratieverständnis. Es drückt sich nach meiner Überzeugung auch in den Demonstrationen von Studenten aus, sei es in Köln, sei es in Berlin.
Ich glaube, wir sollten uns bei diesem Grundgesetz der Parteien — wenn ich es so bezeichnen darf — mit dieser Frage einen Moment beschäftigen. Erlauben Sie mir hier — mit der Genehmigung des Präsidenten —, wenige Sätze von dem zu zitieren, was Professor Scheuch heute in der „Welt" schreibt. Scheuch sagt:
Vielleicht ist es eine der wesentlichsten Ursachen für die jetzige Unruhe an den Hochschulen, daß uns diese Generation bei Worte nimmt, daß sie praktische Demokratie und Freiheit dort erwartet, wo wir Demokratie und Freiheit nur sagen. Dieser Widerspruch zwischen Erwartungen und Realität scheint dabei als Widerspruch nur empfunden zu werden; zu artikulieren und zu analysieren vermögen die Studenten ihre Unruhe nicht. In dieser Situation ist es dann oft zufällig, an welchen Objekten die Unruhe zum aktiven Protest wird.
Ich glaube, wir, die wir in diesem Hause sitzen, sollten nicht fragen, wer die Studenten aufputscht, sondern wir sollten uns der Frage zuwenden, wo die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Agitation liegen. So zu fragen, ist unsere Aufgabe.
Meine Damen und Herren! Ich habe die Weimarer Zeit nicht miterlebt. Ich bin zu jung dazu. Die Älteren in der eigenen Fraktion haben mir gesagt, auch damals habe es bei den Studenten begonnen, weil sie erfahrungsgemäß früher das artikulieren, was nach gewisser Verzögerungszeit die Bevölkerung auch auszudrücken pflegt. Wir müssen also diesen Tatbestand beachten, und wir sollten ihn gerade beim Grundgesetz der Parteien, der Träger dieses Staates, dieser Demokratie, mit beachten. Die Studenten scheinen zu spüren, daß die Entwicklungen der letzten Zeit der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland nicht unbedingt genutzt haben, daß sie sie nicht unbedingt gestärkt haben.
Ich wage — auch wenn einige sich provoziert fühlen —, jetzt folgendes auszusprechen: Der Weg von der formierten Gesellschaft bis zur gezielten Wahlrechtsänderung ist nicht weit. Beispiel: Wenn der amtierende Bundesinnenminister meint, man könne oder solle die NPD durch die Einführung eines anderen Wahlrechts verhindern und damit sei alles in Ordnung, verkennt er, daß damit nämlich nichts in Ordnung ist — außer dem Formalen, aber auch nicht mehr. Wenn hier so oft die Gemeinsamkeit aller Parteien in der Deutschlandpolitik verlangt wird, verkennen diejenigen, die sie fordern, daß Gemeinsamkeit kein Beweis für Richtigkeit ist.
Ich hoffe, daß zu diesem entscheidenden politischen Thema in diesem Hohen Hause eine Vielzahl von Vorstellungen, die nicht aufeinander abgestimmt sind, vorhanden ist, und hoffe, daß diese Vorstellungen nicht umgemünzt werden in ein falsch verstandenes Gemeinsamkeitsidyll, um dann, verbrämt als Pseudoideologie, verkauft zu werden. Das schadet richtiger, aufrechter Politik.
Verstehen Sie das alles bitte nur als Beispiel; ich möchte noch ein weiteres anfügen. Ich habe hier einmal unter dem Widerspruch der linken Seite des Hauses gesagt, daß ich gegen Kohlepolitik mit Herz und für Energiepolitik mit Verstand sei. Die Dinge liegen ganz eng beieinander. Auch hier werden Worte herausgeschleudert, die mit den wahren Situationen nichts zu tun haben.
Vielleicht artikulieren die Studenten auch noch etwas anderes. Vielleicht vermissen sie in diesem Hohen Hause die Opposition. Dieses Hohe Haus war zu lange ohne faktische Opposition und nur mit einer formalen Opposition versehen. Es hatte leider seit 1959/60 keine kräftige, harte, die Regierung provozierende Opposition.
Das führt dazu, daß man der Opposition, wenn sie wie die jetzige in der Haushaltsdebatte ihre Aufgabe im demokratischen Sinne wahrnimmt, seitens eines Pressekonzerns Filibustern, seitens der früheren Opposition Indielängeziehen, was letztlich dasselbe ist, vorwirft.
Meine Damen und Herren, ein konsequenter Weg.
Um den Weg fortzusetzen: Der Bundeskanzler droht mit Rücktritt. Ich zitiere wörtlich:
Sollte das Parlament in den Fragen, die ich für wesentlicher halte, anders entscheiden, so werde ich diese Entscheidungen nicht ausführen, sondern meinen Platz einem Willigeren räumen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, 28. Juni 1967 5811
Dr. Friderichs
— Meine Damen und Herren, es ist das gute Recht des Bundeskanzlers, dies zu erklären. Ob es die Demokratie fördert, wenn diese Erklärung abgegeben wird, bevor die Parlamentsparteien überhaupt wissen, worum es im einzelnen geht, das zu beurteilen möchte ich allerdings Ihnen überlassen. Ich glaube, wir alle sollten dem Herrn Parlamentspräsidenten Dr. Gerstenmaier dafür danken, daß er ein richtiges Empfinden für demokratische Verhaltensweisen unmittelbar nach dieser Äußerung artikuliert hat.
Lassen Sie mich gerade an dieser Stelle noch einmal Scheuch zitieren:
Wird der Unterschied zwischen Realität und Anschein in der Politik größer und sollen Zweifel an diesem Unterschied durch obrigkeitsstaatliches Verhalten entmutigt werden, dann ist allerdings die Vorbedingung gegeben, daß eine zunächst nicht politisch gemeinte Unruhe zum politischen Faktum wird.
Das bezogen auf die Studenten.
Meine Damen und Herren, das Parteiengesetz, umreißt unsere formale. Stellung, Wir,. die politischen Parteien, die hinter diesen Fraktionen stehen, müssen es ständig mit Wirklichkeit erfüllen. Unbehagen läßt sich bei denen, die es ausdrücken, nicht mit Gewalt, auch nicht mit Knüppeln beseitigen, sondern nur durch Änderung des Verhaltens jener, die es verursacht haben. Das als Mahnung an uns selbst.
Proklamieren wir doch in dieser Situation, die nach meiner Auffassung ernster ist, .als es viele von uns zur Zeit meinen, nicht ständig selbst, wir müßten der Jugend wieder Ideale geben! Erlauben Sie mir, mit der Genehmigung des Präsidenten mit der Zitierung eines Briefes zu schließen, den der Sekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Lothar Erdmann kurz vor seiner Ermordung im KZ Sachsenhausen an seinen Sohn geschrieben hat. Er scheint mir in dieser Situation zu passen. Erdmann schreibt:
Manche älteren Leute sagen, die Aufgabe der Jugend sei Enthusiasmus, Hingabe, Glaube, Gehorsam, Enthusiasmus? — Ja, aber nur für Menschen und Ideen, zu denen man sich auch dann leidenschaftlich positiv stellen kann, wenn man sie auf Herz und Nieren prüft. Glaube? — Gewiß, aber nur an glaubwürdige Menschen, nur an Gedanken, die aus der Wahrheit sind und keiner Reklame bedürfen. Die Wahrheiten, die heute auf den Märkten ausgeklingelt werden, sehen verdächtig nach Ausverkauf billiger Ramschware aus. Gehorsam? — Sicherlich. Aber er ist nur da am Platze, wo ein einfacher Zweckgedanke klare Unterordnungsverhältnisse verlangt. Überall sonst ist der Verzicht auf Prüfung einer Auslieferung der eigenen Zukunft und der unseres Volkes an den historischen Zufall, das blinde historische Verhängnis, das oft genug diejenigen zu Führern bestellte, denen blind zu gehorchen ein Verbrechen an der
eigenen Generaton wie den kommenden Geschlechtern wäre.
Wir Freien Demokraten stimmen dem Gesetzentwurf zu in der Hoffnung, daß alle Parteien dieses Hauses ihn als eine zwingende Aufforderung empfinden, das Gesetz mit Sinn und Wirklichkeit zu erfüllen.