Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Dr. Arndt (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß Sie,. Herr Kollege Güde, unserem Kollegen Reischl Argumentationen unterstellt haben, die meinem Freunde Reischl ganz fern liegen, das tut mir leid; denn das fördert nicht gerade die Sachlichkeit der Debatte. Reischl hat hier weiß Gott nicht die Auffassung vertreten, man sollte skrupulös sagen, eine solche Gesetzgebung werde möglicherweise vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, und deshalb wolle man sich aus Ängstlichkeit doch lieber davon fernhalten. Das hat Reischl nicht gesagt.
Sie brauchen niemanden hier zu erzählen, daß das Bundesverfassungsgericht kein Gesetzgeber ist. Es weiß jeder hier im Hause, daß ihm nur die Kontrolle obliegt. Das, was hier vorgetragen worden ist, ist vielmehr die eigene Sorge, ob das, was in dem Entwurf des Gesetzes steht, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ich glaube, diese Sorge haben wir doch gemeinsam; auch Sie wünschen doch nichts in das Gesetz hineinzuschreiben, wovon man befürchten müßte, daß ihm so ernste Bedenken entgegenstehen, daß es wiederum zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt, die dem Bundestag eine objektive, natürlich nicht in böser Absicht vorgenommene Verletzung der Verfassung nachweist.
Das Bundesverfassungsgericht ist sehr behutsam in seinen Entscheidungen und nimmt sehr Bedacht auf den Ruf der gesetzgebenden Körperschaft; denn es weiß genau, daß dieser Ruf der gesetzgebenden Körperschaft in der Bevölkerung entscheidend ist für das Ansehen der Demokratie. Aber auch wir sollten etwas Bedacht nehmen auf den Ruf des Bundesverfassungsgerichts und sollten uns, zumindest nicht unnötig, in die Lage und Rolle hineinbringen, sozusagen wider den Stachel zu löcken, weil uns irgendeine Entscheidung nicht gefällt. Selbstverständlich sind dem Bundesverfassungsgericht Grenzen gesetzt, und es hat diese Grenzen, glaube ich, auch immer eingehalten.
Nun muß ich etwas sehr Kritisches sagen, Herr Kollege Güde. Ich habe auch bei Ihnen wie bei manchem anderen den Eindruck, als ob Sie sich nicht hinreichend mit dieser Rechtsprechung beschäftigt hätten; sonst hätten Sie manches nicht ausführen können, was Sie gesagt haben. Es steht seit 1958 in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fest, daß den Parteien finanzielle Mittel vom Staat zur Verfügung gestellt werden können. Ich glaube sogar sagen zu können, daß die Entscheidung aus dem Jahre 1958 in diesem Punkte weiter geht als die Entscheidung von 1966. Das wird in der Öffentlichkeit
vielfach verkannt; ich muß dazu gleich noch einige grundsätzliche Bemerkungen machen.
Damals, im Jahre 1958, hat das Bundesverfassungsgericht den Parteien wegen der zentralen Stellung, die sie im gesamten Verfassungswesen einnehmen und die in den Wahlen besonders wirksam wird, organschaftliche Funktionen im inneren Bereich des Verfassungswesens zuerkannt. Das ist ein Wort, was da steht. Dann wird daraus vom Bundesverfassungsgericht auch noch die Folgerung gezogen: es muß, da die Durchführung von Wahlen eine öffentliche Aufgabe ist und den Parteien dabei eine entscheidende Rolle zukommt, auch zulässig sein, nicht nur für die Wahlen selbst, 'sondern auch für die. die Wahlen tragenden politischen Parteien finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung zu stellen. Das ist eine nahezu unbegrenzte Zusage. Das, woran es immer wieder gehapert hat, waren die Modalitäten. Das Urteil von 1966 sagt ja nicht, daß die Parteien nicht Zuschüsse zu ihren Kosten von Staats wegen bekommen können, sondern sagt nur: Das habt ihr euch nicht genug überlegt; ihr könnt das nicht im Haushaltsgesetz machen wegen des Bepackungsverbots; es geht nicht, ohne daß ein Parteiengesetz erlassen wird; es müssen Maßstäbe aufgestellt, Grenzen gesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat immer nur die Modalitäten beanstandet, niemals in seiner Rechtsprechung die staatliche Mitfinanzierung von politischen Parteien. Es hat im Gegenteil schon 1958 in einer sehr weiten Form, die weitergeht als 1966, den Grundsatz ausgesprochen, daß den politischen Parteien finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung gestellt werden können.
Ich sage das auch deswegen — denn ich glaube, daß zwischen uns viel Übereinstimmung besteht —, weil das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache leider Beifall von der falschen Seite bekommen hat. Es ist gesagt worden, das Bundesverfassungsgericht habe nun den politischen Parteien einmal kräftig auf die Finger geklopft. Ich weise in aller Öffentlichkeit zurück. Wer das sagt, hat von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Ahnung. Wenn man in der Rechtsprechung einen Tadel sehen will, dann für die nicht unerheblich großen Kreise unserer Bevölkerung, die noch nie etwas anderes für die politischen Parteien getan haben, als auf sie zu schimpfen.
Das ist gar nicht im Sinne des Bundesverfassungsgerichts. Das will mit seinen Ausführungen tadeln, daß in unserem Volke, Gott sei es geklagt, nicht genug Gemeinsinn besteht, um einzusehen, welche Aufgabe die politischen Parteien haben, und ihnen dann auch die entsprechenden Mittel freiwillig und sogar durch Opfer zur Verfügung zu stellen.
Ich will noch weitergehen. Man kann heute erkennen, wer Gegner der Demokratie ist. Das erkennt man nicht an seinen Ausdrücken; alle sind ja angeblich heute Demokraten. Aber man erkennt ihn daran, daß er gegen die politischen Parteien ist, daß er gegen die Finanzierung der politischen Parteien ist, daß er gegen die Diäten der Abgeordneten ist und daß er gegen den Bau von Parlamentsge-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, 28. Juni 1967 5803
Dr. Arndt
bäuden ist, die man braucht; sie sind die wichtigsten Gebäude im ganzen Land, weil dort die politischen Entscheidungen getroffen werden. Daran erkennt man heute Gegner der Demokratie.
Wenn meine Freunde und ich jetzt den Antrag eingebracht haben, die Paragraphen zu streichen, die eine Unterstützung der Parteien auf mittelbarem Wege durch steuerliche Begünstigung vorsehen, so glaube ich, daß ich es nicht nötig habe, auch nur den geringsten Argwohn abzuwehren, als ob wir uns in eine Parteigegnerschaft hinein begeben wollten. Wir wollen vielmehr nur vermeiden, daß wiederum Modalitäten der Unterstützung gewählt werden, die so nicht gehen, wie es nicht beim Haushaltsgesetz ging, wie es 1958 nicht beim Steueränderungsgesetz ging. Das wollen wir aus eigener Überzeugung vermeiden.
Nun muß ich doch einmal — ich bitte um Entschuldigung, aber es ist nicht viel — mit hoffentlich freundlicher Erlaubnis des Herrn Präsidenten die Sätze des Bundesverfassungsgerichts anführen, auf die es ankommt. Gott sei Dank begründet das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen nicht in einem Juristenchinesisch, sondern so, daß jeder Mensch das verstehen kann. Ich glaube, es wird einfach sein. Ich lese es auszugsweise; es ist kurz, aber verständlich:
Der Bürger,
— sagt das Gericht —
der einer politischen Partei Geld spendet, bekennt sich damit in der Regel zu den Zielen dieser Partei, ähnlich wie wenn er ihr seine Wahlstimme geben würde. Er macht von seinem Recht auf Teilhabe an der politischen Willensbildung Gebrauch. Dieses Recht äußert sich in der lebendigen Demokratie nicht nur in der Stimmabgabe bei den Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung. Aus diesem Grunde ist der Gleichheitssatz nicht nur im Bereich des Wahlrechts im engeren Sinne, sondern auch in diesem Vorfeld der politischen Willensbildung streng formal zu verstehen. Der Gesetzgeber braucht zwar nicht faktisch vorhandene, unterschiedliche Möglichkeiten der Einflußnahme auf diesen Prozeß auszugleichen. Wenn er aber gesetzliche Bestimmungen erläßt, die dem einzelnen besondere Möglichkeiten für eine solche Einflußnahme eröffnen, so darf dadurch nicht eine Differenzierung eintreten, die zu einer Privilegierung finanziell leistungsfähiger Bürger führt.
Quintessenz: Zunächst einmal ist gesagt worden, daß politische Spenden etwas ganz anderes sind als Beiträge zu Geflügelzüchtervereinen, Olympia-Klubs und Ähnliches mehr. Hier wird Politik gemacht durch die Hingabe von Geld. Das ist entsprechend der Wählerstimmgabe — das behalten Sie bitte im Gedächtnis! —, und das, sagt das Gericht, darf nicht so gemacht werden, daß es zu einer Privilegierung der finanziell Leistungsfähigeren wird.
Nach einer Auslassung, die nicht so wichtig ist, geht es weiter:
Die durch das Grundgesetz errichtete demokratische Ordnung trägt insoweit einen formalen Charakter, als sie unbeschadet der bestehenden sozialen Unterschiede im Bereich der politischen Willensbildung alle Staatsbürger grundsätzlich absolut gleich bewertet. ...
Der Grundsatz der progressiven Besteuerung
führt nun aber dazu, daß diejenigen Bürger, die durch Parteispenden von ihrem demokratischen Recht auf Teilhabe an der staatlichen Willensbildung Gebrauch machen, als Steuerzahler einen unterschiedlichen materiellen Vorteil erlangen. Da dem Geld bei den Wahlvorbereitungen eine bedeutende Rolle zukommt, und da eine Partei, die über große Geldmittel verfügt, unter Umständen eine wirksamere Propaganda entfalten kann als eine Partei mit geringeren finanziellen Mitteln, kann der Spender mit hohem Einkommen seiner politischen Meinung zu einer größeren Werbekraft verhelfen und damit seinem politischen Einfluß eine größere Wirkung verschaffen als der Spender mit kleinem Einkommen. Da bei Spenden an politische Parteien der Bezieher eines großen Einkommens einen absolut und relativ höheren Betrag an Steuern erspart als der Bezieher eines kleinen Einkommens, wird die politische Meinung des ersten sozusagen prämiiert. Eine solche, durch ein Gesetz gescharfene unterschiedliche steuerliche Behandlung der Einflußnahme auf die politische Willensbildung je nach der Höhe des Einkommens verträgt sich aber nicht mit dem Grundsatz der formalen Gleichheit, der die Ausübung politischer Rechte in der freien Demokratie beherrscht.
Das ist das Bundesverfassungsgericht, das sind seine Erwägungen, und daraus will ich jetzt noch einmal die Nutzanwendung ziehen, weil Sie da immer mit einem Einwand kommen, der nicht stimmt. Sie sagen, das seien hier so kleine Beträge, daß das keine Rolle spiele. Es ist richtig, das ist auf 600 DM begrenzt. Das ist ein großer Unterschied gegen damals. Jetzt ist es so, daß im Höchstfall von 600 DM Spende oder Beitrag das Finanzamt 53 % vergütet, also etwas über 300 DM, und im Mindestfall, also bei dem untersten Lohnsteuerzahler, die Vergütung etwa 120 DM ist. Man könnte sagen, die Differenz dazwischen sei nicht erheblich, obgleich das Bundesverfassungsgericht extrem auf der radikalen Gleichheit der Bürger in diesem Falle beharrt.
Aber Sie vergessen immer eines. Sie vergessen immer die Millionen Menschen, die keine Lohnsteuer zahlen, die nicht lohnsteuerpflichtig sind, weil sie mit ihrem Einkommen als Arbeitnehmer darunter liegen oder weil sie Hausfrauen sind oder weil sie noch in der Ausbildung sind oder weil sie Rentner sind. Sie müssen sich einmal klarmachen, was denn die steuerliche Vergünstigung heißt. Die steuerliche Vergünstigung bedeutet, daß das Finanzamt einen gewissen Prozentsatz dazugibt, bis zu 53 % vom Höchstbetrag von 600 DM. Es ist also
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Dr. Arndt
ein unsichtbarer Zuschuß aus Steuergeldern an den Bürger, der so viel verdient, daß er Lohn- oder Einkommensteuer zahlt. Das ist genau die Ungleichbehandlung, die das Bundesverfassungsgericht in diesem Vorfeld der politischen Willensbildung ausschließen will, weshalb es sagt, daß hier die absolute Gleichheit in formaler Hinsicht zwischen allen Bürgern herrscht.
Und nun einmal vom Juristischen weg zum Sozialen hin. Es ist doch auch eine Ungerechtigkeit, daß der, der ein höheres Einkommen erzielt, für seine 600-Mark-Spende 300 DM vom Finanzamt als stillen, unsichtbaren Zuschuß bekommt, so daß ihn seine Spende oder sein Beitrag in Wirklichkeit eben keine 600, sondern nur 300 Mark kosten, die Rentnerin aber, die mit viel Mühe, weil ihr an den Wahlen viel liegt, 20 DM aufbringt — für die Frau ein Vermögen! —, vom Finanzamt auch nicht einen roten Heller Zuschuß dazu bekommt. Hier wird im Kern die Gleichheit der Menschen angegriffen, die in diesem Bereich des politischen Vorfeldes nur so absolut sein kann, wie das Bundesverfassungsgericht es im Jahre 1958 mit einfachen, doch überzeugenden Worten dargetan hat.