Rede von
Peter
Petersen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorgänge, die dem diesem Hohen Hause am 11. Mai unterbreiteten Bericht zugrunde liegen, liegen jetzt fast ein Jahr zurück. Dadurch hat dieser Bericht und haben die damit zusammenhängenden Vorgänge lediglich noch für die Historiker eine Bedeutung als zeitgeschichtlich interessante und wichtige Episode. Die aktuelle politische Bedeutung besteht heute nicht mehr. Deshalb möchte ich versuchen, einige Fragen zu untersuchen, die im Zusammenhang mit den zahlreichen Sitzungen und den sehr ausführlichen und sorgfältigen Beratungen des Verteidigungsausschusses im letzten Herbst in der deutschen Öffentlichkeit laut geworden sind.
Sie erinnern .sich an die Aufregung, die zunächst in der Öffentlichkeit herrschte, als im August letzten Jahres bekanntwurde, daß der Generalinspekteur Trettner seinen Rücktritt erklärt hatte und der Inspekteur der Luftwaffe in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden war. Man stellte damals in den Zeitungen die Frage, ob etwa wieder ein „Aufstand der Generäle" stattgefunden habe, ob ein „Staat im Staate" im Entstehen sei. Ich glaube, man kann jetzt eindeutig sagen, daß von einem „Aufstand der Generäle" in keiner Weise gesprochen werden kann; denn ein General, der einen Aufstand machen will, wird sich ja nicht dadurch seiner Macht begeben, daß er seine Uniform auszieht. Der Vorgang als solcher ist in einer Demokratie völlig normal und legitim, daß nämlich ein hoher Offizier, der, aus welchen Gründen auch immer, mit der politischen Führung nicht übereinstimmt, seinen Rock auszieht, um dann, wie General Trettner das im Ausschuß auch dargelegt hat, in der Öffentlichkeit als Zivilist, als Bürger in diesem Staat, seine unterschiedliche Meinung zu vertreten.
Wir alle erinnern uns z. B. an zwei dramatische Vorgänge in den Vereinigten Staaten, einer alten, bewährten Demokratie, wo im Jahre 1951 der populärste General, den es damals gab, nämlich General MacArthur, über Nacht vom damaligen Präsidenten Truman entlassen wurde. Es gab damals auch Hearings im zuständigen Ausschuß des Senats, die drei Tage und fast drei Nächte dauerten und deren Protokolle ein außerordentlich interessantes zeitgeschichtliches Dokument darstellen. MacArthur selber wurde dann — auch das ist sicher noch bekannt —
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aufgefordert, vor beiden Häusern des amerikanischen Kongresses zu sprechen. Er sprach dann zum Schluß das berühmte Wort: „Old soldiers never die, they just fade away", alte Soldaten sterben niemals, sie sind dann einfach nicht mehr da.
Für uns Deutsche vielleicht noch wichtiger war ein ähnlicher Vorgang im Zusammenhang mit dem Rücktritt des Vorsitzenden der gemeinsamen Generalstäbe der Vereinigten Staaten, General Taylor, Ende der 50er Jahre, als er nämlich der Ansicht war, daß die Grundkonzeption der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik des amerikanischen Präsidenten den
Anforderungen seiner Zeit nicht mehr entsprach. Damals trat Taylor zurück, nachdem er sich intern nicht hatte durchsetzen können, ein in einer Demokratie — ich wiederhole das — völlig normaler, legitimer Vorgang. Er schrieb damals ein erregendes Buch ,,,The Uncertain Trumpet", in dem er seine Konzeption darlegte, die er dann im Auftrag des Nachfolgers von Präsident Eisenhower, nämlich Präsident Kennedy, gemeinsam mit dem neu ernannten Verteidigungsminister McNamara in die Wirklichkeit umsetzte.
Meine Damen und Herren, ich will damit sagen, daß der Rücktritt eines Generals in einer Demokratie keineswegs eine Krise des Staates oder eine Krise eben dieser Demokratie darstellt.
Die Krise wäre dann gegeben, wenn dieser General versuchte, als General gegen die politische Führung zu meutern. Die Krise wäre auch gegeben, wenn — und das wirft man ja gerade den Generälen des Dritten Reiches vor — die Generäle zwar nicht einverstanden wären, aber doch weiter mitmachten. Insofern, glaube ich, ist es nicht angezeigt, an den Motiven dieser beiden Generäle in irgendeiner Weise zu zweifeln oder ihnen hinsichtlich ihrer Motive mit Mißtrauen zu begegnen.
Eine zweite Frage, die damals auftauchte, war, ob nicht in der Bundeswehr eine Krise herrsche. Sie erinnern sich an die Schlagzeile: „Krise in der Bundeswehr" . Auch diese Frage können wir heute aus einem gewissen Abstand sehr viel ruhiger und sehr viel genauer beantworten. Der Rücktritt wurde von dem amtierenden Minister sofort damit beantwortet, daß zwei hervorragend geeignete und völlig unumstrittene Offiziere an die Stelle des zurückgetretenen Generalinspekteurs und des Inspekteurs der Luftwaffe traten. Der Vorgang als solcher, der damals in der Öffentlichkeit erhebliches Aufsehen erregte, der uns aus der Sommerpause zurückholte und der in der ganzen Weltpresse große Aufmerksamkeit fand, ist von der Bundeswehr selber ohne große Aufregung überstanden worden. Es kann wirklich nicht nachgewiesen werden, daß sich etwa in den Rängen der Bundeswehr eine Unruhe und eine Unsicherheit verbreitet hätten. Sicher haben sich die Soldaten und die Offiziere und hat sich vor allen Dingen die Generalität gefragt, was da eigentlich los sei. Es kamen ja Diskussionen in Gang, die wir in diesem Haus dadurch aufgefangen haben, daß wir als Verteidigungsausschuß uns eingeschaltet und den beiden Generälen, die inzwischen Zivil
angezogen hatten, die Möglichkeit gegeben haben, in aller Breite ihren Standpunkt darzulegen. Das geschah im Interesse der Sache, deshalb nämlich, weil wir als Parlament dafür zuständig und dafür verantwortlich sind, dann, wenn tatsächlich Mängel sichtbar werden, mit dem Gewicht dieses Hauses und mit dem Gewicht des Verteidigungsausschusses das Ministerium zu veranlassen, diese Mängel abzustellen.
Die dritte Frage, die damals laute wurde, ist die Frage nach den Gründen für die Rücktritte. In beiden Fällen bestand ein konkreter Anlaß, der dann — wenn Sie mir diesen etwas saloppen Ausdruck verzeihen — das Faß zum Überlaufen brachte. Es wurden dabei einige Grundfragen deutlich, die sowohl von uns als Parlament zu behandeln sind, als auch für die Bundesregierung und insbesondere das Verteidigungsministerium immer aktuell bleiben werden, nämlich vor allem die Grundfrage nach dem Verhältnis zwischen Soldaten und Zivilisten. Das war eigentlich — jedenfalls für mich — der interessanteste Teil bei den Stunden und Tage dauernden Sitzungen: die Auseinandersetzungen darüber, welche Stellung eigentlich 'ein Beamter dem Soldaten, ein Angestellter dem Offizier gegenüber hat, ob der eine den anderen kontrolliert, ob Mißtrauen die heutige Verfassungswirklichkeit mitbestimmt hat oder ob es in einer Demokratie ein normaler Vorgang ist, daß die eine Institution die andere kontrolliert. Die Engländer nennen so etwas „checks and balances", also ein System, in dem die verschiedenen soziologischen Größen sich gegenseitig gewichtsmäßig ausgleichen und dafür sorgen, daß nicht eine das Übergewicht bekommt. Das fängt ja beim Parlament bereits an: Wir haben den Auftrag, die Bundesregierung zu kontrollieren. Wir beide, Parlament und Bundesregierung, werden vom Bundesverfassungsgericht kontrolliert. Die Teilung der Gewalten ist ein Verfassungsprinzip. Das geht hinunter in die Behörden und 'selbstverständlich auch in die Bundeswehr. Jede große Behörde, jeder große Apparat muß kontrolliert werden; das gehört zum Wesen der Demokratie.
In diesem Zusammenhang darf ich ein kritisches Wort sagen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß unter Generälen eine zu große Empfindlichkeit gegenüber Kritik besteht. Jedes Parlament, jede Gewerkschaft, jede Universität, alles, was in diesem Staat eine irgendwie geartete Gemeinschaft oder soziologische Größe darstellt, hat sich der Kritik zu stellen. Ein kritischer Zeitungsartikel über irgendein Bataillon oder einen General ist kein Unglück, sondern ein normaler Vorgang.
Etwas mehr Gelassenheit scheint mir auch von seiten der Bundeswehr in dieser Richtung angezeigt zu sein.
Aber die Frage geht eigentlich noch tiefer. Die Frage geht nämlich darauf hinaus — das wurde in den zum Teil sehr unerfreulichen Auseinandersetzungen vor dem Ausschuß deutlich —, daß ein so großer Apparat, wie ihn die Bundeswehr mit ihren Hunderttausenden von Soldaten und Hunderttau-
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senden von Zivilisten darstellt, nur funktionieren kann, wenn den führenden Leuten in jeder Ebene klar ist, daß sie einer Sache dienen, die größer ist als sie selbst,
die auch größer ist als der wichtigste Mann in diesem Bereich. Wenn wir es verlernen, uns selber hinter die Sache zurückzustellen, dann wird nicht nur die Bundeswehr, dann wird auch unsere Demokratie unglaubwürdig.
Als Abgeordneter möchte ich ein kritisches Wort dazu sagen, das ich nicht nur auf die Bundeswehr angewendet wissen will, sondern auch auf uns, auf jeden, der in der Öffentlichkeit den Mund aufzumachen wagt. Ich muß Ihnen ganz offen sagen, daß ich mich manchmal in meinem Wahlkreis gar nicht wohlfühle, wenn ich daran denke — ich spreche jetzt nur einmal für unsere Partei, aber das gilt sinngemäß für die anderen auch —, mit welchen großen Worten wir einen Wahlkampf führen. Da steht an jedem Baum unter dem Bild von mir: „Es geht um Deutschland" . Die Frage, die sich mir stellt, hier in Bonn, wenn ich hierherkomme, ist: Geht es uns wirklich um Deutschland, oder geht es uns um uns selbst? Wenn wir als Parlament diese Frage nicht vernünftig beantworten, dann verlieren wir die Glaubwürdigkeit draußen im Volk und die innere Vollmacht in dem fruchtbaren Gespräch, in der ständigen geistigen Auseinandersetzung mit den Soldaten, die diesen freiheitlichen Raum zu sichern haben. Viel wichtiger als die Einzelfragen, um die es in dem Ihnen vorliegenden Bericht geht, sind diese Grundfragen, auf die wir im Ausschuß gestoßen sind und auf die wir uns auch als einzelne Abgeordnete dieses Hohen Hauses stoßen lassen sollten.
Eine weitere Frage, die mich bewegt und die ich immer wieder an das Bundesverteidigungsministeriuni stellen möchte — wahrscheinlich gilt sie nicht nur für das Verteidigungsministerium, sondern für jeden großen Apparat —, ist, ob es eigentlich ein Minister dulden darf, daß die unmittelbar unter ihm sich befindlichen Spitzenleute nicht miteinander reden bzw. daß ihre persönlichen Beziehungen enorm gespannt sind, ob es nicht erforderlich gewesen wäre, an irgendeinem Punkt dieser Entwicklung Halt zu sagen und zu sagen: Entweder, Kameraden, vertragt ihr euch, oder ich muß euch ersetzen; denn es geht um mehr als um das Schicksal des einen Zivilisten oder des anderen Generals. Ich glaube, das ist eine Lehre, die jeder Chef einer großen Behörde aus dieser Angelegenheit zu ziehen hat. Die Beamten der Bundeswehr haben eine dienende Funktion. Das ist völlig eindeutig klargestellt worden. Aber alle Soldaten — ich sage: alle Soldaten — haben ebenfalls eine dienende Funktion, und die Sache, der sie dienen — das sagte ich vorhin schon —, ist wichtiger und größer als der Größte unter ihnen.
Einige andere Schlußfolgerungen nur als Stichworte! Besonders in den Gesprächen mit dem General Panitzki ist deutlich geworden, daß es für einen verantwortlichen General kaum zu ertragen ist, wenn er für einen Bereich verantwortlich gemacht wird, der größer als der Bereich seiner Befehlsbefugnis ist.
Das ist sehr leicht auszusprechen, das ist aber in einer so hochtechnisierten Armee ungeheuer schwierig durchzuführen. Ich erlaube mir deshalb die Empfehlung an das Verteidigungsministerium, immer wieder zu prüfen, ob der Mann, der für einen Bereich verantwortlich ist, auch die Befugnisse hat, in diesem Bereich Anordnungen zu geben. Wenn das nämlich nicht der Fall ist, dann ist es unfair, diesen Mann über seinen Bereich hinaus verantwortlich zu machen.
Der Verteidigungsauschuß hat sich in diesen Sitzungen sehr gründlich bis in die Einzelheiten hinein mit den Vorgängen in der Bundeswehrspitze beschäftigt. Ich glaube, wir haben etwa 700 Fragen gestellt. Ich halte das für gut und für wichtig und bin persönlich für diesen Anschauungsunterricht, den wir dadurch bekommen haben, dankbar.
Wenn diese Sitzungen dazu geführt haben, unser Ohr zu schärfen, unsere Beziehungen zu den Soldaten zu intensivieren und das Vertrauen der Soldaten zum Parlament zu untermauern und zu verstärken, dann hat die für uns alle schmerzhafte Sache einen Sinn gehabt.