Rede von
Gustav
Stein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Worten des Herrn Außenministers über die Kulturpolitik und nach den einleitenden Worten des Herrn Berichterstatters Abelein werden Gedanken über die Kulturpolitik aus einer besonderen Sicht erlaubt sein. Ich bin der Ansicht, daß durch die Erklärungen — sowohl des Herrn Außenministers wie aus dem Mund des Berichterstatters — klargeworden ist, in welchem Umfange sich die Bundesregierung ihrer kulturellen Verpflichtung im Rahmen der auswärtigen Politik bewußt ist. Wenn ich heute hierzu das Wort ergreife, so aus meiner eigenen Erfahrung auf dem Gebiete der Kunst. Ich wende mich insbesondere diesem Teil der Kulturpolitik — der Kunst — zu.
Ich beginne mit der Feststellung, die notwendig ist: daß es nicht gut um die Kunst in Deutschland und — was mir im Rahmen der Etatberatung wichtig erscheint — nicht gut um die staatlichen Beziehungen zu ihr und um die Rolle der Kunst im internationalen Kulturaustausch bestellt ist.
Darüber darf manches Wirtschaftswunderliche aus der Vergangenheit nicht hinwegtäuschen.
Auktionspreise und das bisherige Volumen der Museumsetats im In- und Ausland sind kein Ausdruck wirklicher Beziehungen zur Kunst. Es fehlt nach meiner Erfahrung ganz einfach an unserem Engagement für die bildenden Künste. Das muß auch einmal in diesem Hause zum Ausdruck gebracht werden. Dem fehlenden Engagement des Staates entspricht das fehlende Engagement der Gesellschaft, der Kunsthändler, ja sogar aller Kunstbegeisterten, also des Kreises, der dazu berufen wäre, dieses Engagement wahrzunehmen.
Natürlich mag das im ersten Augenblick verwundern. Denn selten ist es doch, so sagen viele, den Künstlern in Deutschland, ja in Europa vergleichsweise so gut gegangen wie im Augenblick. Private Galerien, Museen, Veranstaltungen wie die verschiedenen Biennalen, die Documenta und andere bemühen sich um den Künstler und versuchen, sich bei Neuentdeckungen — bei tatsächlichen oder auch bei nur vermeintlichen — gegenseitig den Rang abzulaufen. Gekauft wird heute schließlich auch noch das „extremste Gebilde".
Gleichwohl hört man bei den Künstlern Klagen landauf, landab, Klagen, die sich — das ist aufschlußreich genug für das gestörte Verhältnis; ungeachtet aller Verkäufe — auf die mangelnde Rezeption der künstlerischen Objekte durch die Gesellschaft richten. Denn durch diese Ankäufe, so scheint mir, will sich die Gesellschaft oft gerade der Auseinandersetzung mit dem Künstler entziehen und gewissermaßen die geistigen Forderungen, die die Künstlerschaft an die Gesellschaft stellt, unterlaufen. Die fast endlosen Schlangen von Besuchern staatlicher Spitzenmuseen, vornehmlich im dollarkräftigen Ausland, sind ebensowenig ein Beweis für ein inneres Engagement für die künstlerische und ästhetische Auseinandersetzung, die Bild oder Relief oder Skulptur fordern. Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn ich feststelle, daß wir teilnahmslos und müde und ein recht trockener Boden geworden sind,
auch wenn mit großer Freude das geradezu explosionsartige Interesse an dem einen oder anderen Vorgang zu registrieren ist.
Meine Erachtens — erlauben Sie mir, daß ich das sage — sind beide Feststellungen, nämlich die einer unfruchtbaren Ruhe und die einer gelegentlich hektischen Einzelbegeisterung, kein Widerspruch. Sie bestätigen nur das, was ich sagen möchte, nämlich: unsere Beziehungen zur Kunst sind gestört, sie sind zumindest unsicher.
Und dem entspricht das staatliche, hier also das bundesstaatliche Tun auf diesem Gebiete. Ich sage das mit aller Deutlichkeit und auch mit allem Verantwortungsbewußtsein, weil ich glaube, daß wir uns in bestimmten Abständen darüber klarwerden müssen, daß es so ist.
Ich darf noch etwas deutlicher werden. Wenn ich sage, daß uns echtes Engagement an der Auseinandersetzung im Medium der Kunst fehlt, dann habe ich das Gefühl, daß wir irgendwie sitzengeblieben sind in einer geliebten Konservativität im Bereich der Kunst, daß wir glauben — und zwar völlig zu Unrecht —, vielleicht einmal eine Pause machen zu dürfen, auch, daß es genüge, wohlverpackten Besitz der Nation und der Gesellschaft zeigen zu können, während für die Kulturarbeit des Staates dieser Besitz zwar unentbehrlich, aber doch immer nur ein Hintergrund sein darf.
— Das hat insofern mit Außenpolitik etwas zu tun, Herr Kollege, als die auswärtige Kulturpolitik in hohem Maße von dem Kulturaustausch abhängig ist, und dieser Kulturaustausch ist von der künstlerischen Situation und davon abhängig, wie wir uns selbst in diesem Bereich engagieren.
— Die künstlerische Situation meinerseits ist von der inneren Einstellung abhängig, die ich zur künstlerischen Darstellung habe, und von dem Gefühl, daß ich meine Aufgabe in der menschlichen Gesell-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode 111. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Juni 1967 5325
Stein
schaft nicht erfüllen kann, wenn ich diese Auseinandersetzung nicht ständig und innerlich suche.
Unserer Industriegesellschaft ist nach meiner Ansicht das unmittelbare Verwobensein mit dem beunruhigenden Vorgang verlorengegangen, den die Kunst darstellt, und diese Verbindung muß — ich habe es eben auf den Zwischenruf hin gesagt — von innen kommen. Gewiß, sie kann nicht befohlen werden. Aber sie muß auch institutionell und personell gefördert werden, und die Triebkräfte, die überall da sind, müssen einen Boden, einen breiten Acker vorfinden. Die Gesellschaft muß wissen, daß die Künstler sie vor der geistigen Verarmung schützen, und sie muß bereit sein, sich schützen zu lassen. Das ist eine politische Frage. Die jetzige Erstarrung, die ihren klaren Ausdruck im Hang zur Kopie, in der fast industriellen Fertigung von Nachahmungen des Altbewährten, des sogenannten künstlerisch Ewigen findet, kann nur den Gutmütigen trösten. Sie ist in Wirklichkeit eine unwürdige, weil mit unseren Fähigkeiten des Geistes und der Seele unvereinbare Phase der Uninteressiertheit und des Phlegmas.
Unsere staatliche Kulturarbeit darf diesem Hang zum Nichtengagement — und hier ist die auswärtige Kulturpolitik in ihrem Nichtengagement mit angesprochen — nicht nachgeben. Sie muß sich gegen die Einschläferung, die in der Beschränkung der Programme liegt und vielleicht ein Resultat unserer gesellschaftlichen Sattheit ist, zur Wehr setzen. Sie muß offensiv und dynamisch werden. In der staatlichen Arbeit muß die Erkenntnis sichtbar gemacht werden, daß die Kunst den Weg bietet, in der Unübersichtlichkeit aller menschlichen Teilgebiete doch die Einheit von Mensch und Menschenwerk zu erleben und damit eine Synthese und ein einheitliches Kunst- und Kulturbewußtsein zu schaffen. Jedenfalls ist das die Auffassung meiner Fraktion und im besonderen meiner Freunde in der Kulturarbeit.
Nach unserer Ansicht aber muß auch das Verhältnis zum Künstler, vor allem zum bildenden Künstler, und zur Kunst ein zwar ästhetisch begründetes, aber ein dynamischeres, jedenfalls aktiveres werden. Wir sind gegen die Abstinenz der Künstler vom Staat und umgekehrt. Dabei kann die Arbeit nicht abhängig davon sein, was Gegenstand der zeitgenössischen oder historischen künstlerischen Auseinandersetzung ist.
Es wurde gefragt, ob die Verwaltung das zu bewältigen vermag. Herr Außenminister, diese Auseinandersetzung muß die Gesellschaft selbst vollziehen, insbesondere dann, wenn die Gesellschaft nach ihr verlangt. Sie muß diese Ventile haben, und sie muß vor dem Komplex der Sterilität bewahrt werden, den sie haben wird, wenn sie ihre Vorstellung von Kunst ausschließlich aus dem bisher Bewährten bezieht.
Diese Wünschelrutengänger der Qualität sind vorhanden. Sie gilt es aufzuspüren und zu mobilisieren. Hier geht es mir um die staatliche Seite des Vorgangs. Die wegwerfende Bemerkung, die wir alle aus noch so vielen Erfahrungen auch im staatlichen Bereich kennen, nämlich: „Was ich nicht verstehe, lehne ich ab, mit dem beschäftige ich mich nicht", und die noch viel schlimmere und überhebliche Einstellung „Was ich nicht verstehe, ist schlecht" muß aus den Amtsstuben der Kulturarbeit verbannt werden. Hier muß frischer Wind herein.
Natürlich ist ein Kriterium unverzichtbar, wenn ich hier dafür eintrete, daß der staatlichen Kulturarbeit im In- und Ausland ein neuer Mut gemacht werden soll, nämlich das Kriterium der künstlerischen Qualität.