Rede von
Dr.
Ernst
Müller-Hermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister danken für die beruhigende Interpretierung, die er zu gewissen Teilen der Regierungserklärung beim Thema Wirtschaftspolitik abgegeben hat, und auch für seinen sehr präzisen Bericht über die heutigen Gespräche in Frankfurt.
Wir sind uns sicherlich in diesem Hohen Hause darin einig, daß der Weg der neuen Bundesregierung zwischen den beiden Polen Stabilität und Wachstum noch eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten in der Regierung und auch in diesem Hohen Hause auslösen wird. Wir haben davon — ich glaube, das darf man mit allem Freimut sagen — auch heute während dieser Debatte einige Kostproben bekommen. Als ich hörte, was Herr Kollege Arndt heute in der apodiktischen Form ausführte: wir müßten praktisch sehr schnell entscheidende Konjunkturspritzen geben, da lag mir der Ausruf auf der Zunge: „God bless Blessing!"
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es bei der neuen Phase des Wachstums entscheidend auf das richtige Timing, auf die Auswahl des richtigen Zeitpunkts und auf das gegebene Maß ankommt. Es war für mich erfreulich, zu hören, daß — offensichtlich in Übereinstimmung mit der Bundesbank — dieser Eintritt in eine neue Wachstumsphase die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes und möglichst auch die Verabschiedung eines ausgeglichenen Bundeshaushalts 1967 zur Voraussetzung haben müsse.
In der Regierungserklärung wird ein besonderes Programm angekündigt, nämlich Sozialinvestitionen in einer Größenordnung bis zu 2,5 Milliarden DM vorzunehmen. Wir freuen uns darüber, daß die Bedeutung der Sozialinvestitionen für ein langfristiges Wachstum von der Bundesregierung in der richtigen Weise eingeschätzt wird; ich ganz besonders, der ich mich wohl als einer der entschiedensten Vorkämpfer für die volkswirtschaftliche Bedeutung einer modernen Infrastruktur im umfassendsten Sinne des Begriffs — bezeichnen darf. Trotzdem besteht auch in diesem Punkt die offene Frage, wie sich die Bundesregierung die Finanzierung dieses Investitionsprogramms denkt. Der erste Eindruck könnte der sein, daß die Bundesregierung daran denkt, dieses Programm praktisch auf dem Wege der Kreditschöpfung zu finanzieren. Es ist auch möglich, daß sie an die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes, d. h. an eine vorausgegangene Ersparnisbildung gedacht hat. Aber der Kapitalmarkt soll doch wohl, wenn er wieder gesund ist, vornehmlich für die Investitionen der privaten Wirtschaft zur Verfügung stehen. Unsere Vorstellungen haben sich daher bisher in der Richtung bewegt, daß dieses sicherlich notwendige Investitionsprogramm durch entsprechende Einsparungen beim Sozialkonsum finanziert werden soll. Diese Frage wird uns sicherlich noch in Zukunft beschäftigen.
Wir stimmen wohl darin überein, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß der Eintritt in die neue Wachstumsphase auf jeden Fall nicht den notwendigen Konsolidierungsprozeß in unserer Wirtschaft behindern und auch nicht dazu beitragen soll, etwa falsche Strukturen zu konservieren. Ich habe den Eindruck — er ist allerdings durch die letzten Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers etwas korrigiert worden —, daß in der Regierungserklärung die Fragen der Strukturpolitik und der Strukturverbesserung zu kurz gekommen sind. Wir sind uns sicherlich darin einig, daß die Strukturpolitik eine Komponente zur Konjunkturpolitik darstellt. Während die Konjunkturpolitik praktisch auf die Quantität des Wirtschaftsprozesses Einfluß zu nehmen versucht, muß sich die Strukturpolitik auf
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3791
Dr. Müller-Hermann
die Qualität des Wirtschaftsprozesses konzentrieren. Wenn wir ein gesamtwirtschaftliches Optimum eireichen wollen, bedingt das den sinnvollen Einsatz von Kapital und Arbeit. Dafür ist Voraussetzung eine sehr gezielte und ausgewogene sektorale und regionale Strukturverbesserung, im Zusammenhang damit auch der Ausbau der Infrastruktur.
In der Regierungserklärung wird zum Thema Strukturpolitik eigentlich nur auf den Anpassungsprozeß im Steinkohlenrevier hingewiesen. Ich halte es aber für nötig, daß wir schon heute betonen, wie wichtig Strukturverbesserungsprogramme für verschiedene Bereiche der Wirtschaft und auch für verschiedene Regionen der Bundesrepublik sind.
Wir im norddeutschen Raum z. B. beobachten mit einer gewissen Bewunderung die klugen Strukturverbesserungsprogramme, die im bayerischen Raum und auch in Baden-Württemberg auf die Beine gestellt worden sind, während andere Regionen der Bundesrepublik in ihrer wirtschaftlichen Struktur zweifellos noch vor vielen ungelösten Problemen stehen. Ich denke dabei an den norddeutschen Raum, ich denke an den Raum Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, ich denke speziell auch an die Zonenrandgebiete.
Jedenfalls müssen wir uns, wenn wir ein langfristiges Wachstum vor Augen haben, darüber klar sein, daß wir eine ständige Anpassung der Wirtschaftsstruktur an die veränderten Daten, an die veränderte technische Entwicklung, aber ebenso eine rechtzeitige, systematische Ausschöpfung der vorhandenen regionalen Reserven betreiben müssen; denn nur auf diese Weise werden wir eine Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität und ein gesamtwirtschaftliches Optimum sicherstellen können. Diesen Problemen ihr besonderes Augenmerk zuzuwenden, ist meine Bitte an diese Bundesregierung.