Rede von
Dr.
Hans
Friderichs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Vor Beginn meiner Sachausführungen darf ich mit Bedauern feststellen, daß der neugewählte Herr Bundeskanzler entgegen der Gepflogenheit seiner beiden Herren Amtsvorgänger bei der Debatte über die Regierungserklärung nicht durchgehend anwesend ist. Ich .bedaure das; denn ich glaube, auch das gehört zu einem guten parlamentarischen Stil.
Ich möchte mich zunächst den Ausführungen zuwenden, die Herr Bundesschatzminister Schmücker von dieser Stelle aus gemacht hat, als er glaubte, die sogenannte Regierungskrise, das heißt das Auseinanderbrechen der Koalition, für die Verzögerung der Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes verantwortlich machen zu sollen. Er hat gesagt, die Verabschiedung sei dadurch um etwa einen Monat verzögert worden. Wenn wir bei der Wahrheit bleiben — und das sollten wir tun —, müssen wir feststellen, daß die Beratungen im Wirtschaftsausschuß sogar beschleunigt worden sind, weil nämlich Plenarsitzungen ausgefallen sind, was dazu geführt hat, daß der Wirtschaftsausschuß häufiger tagen und das Stabilitätsgesetz weiter beraten konnte.
Wir sollten uns an das erinnern, was Herr Kollege Arndt am 14. September an dieser Stelle zum Stabilitätsgesetz gesagt hat. Ich zitiere wörtlich:
Dieses Gesetz ist ein Torso, ohne Kopf und ohne Arme, oder ein Tisch auf zwei Beinen.
Vielleicht, Herr Kollege Arndt, hat es deswegen länger gedauert, weil Sie noch dabei sind, die zwei Beine zu bauen, oder weil sie versuchen, den Torso mit Kopf und Armen zu versehen. Ich weiß also nicht, ob es an der Regierungskrise lag.
Herr Kollege Arndt, Sie haben gesagt, die Notenbankpolitik habe nicht zu einer Preisstabilität, aber zu einer Stagnation oder gar mehr, zu einer quasi oder sogar echten Arbeitslosigkeit geführt. Ich glaube, wenn man diese Behauptung aufstellt, darf man das Verhalten der öffentlichen Hände, das Verhalten des Bundes, der Länder — die ich besonders erwähne — und der Gemeinden, nicht unberücksichtig lassen; denn es hat sich eben nicht um eine „konzertierte Aktion" gehandelt. Ich behaupte, daß das Verhalten der Bundesbank sehr wohl richtig war und daß sich die öffentlichen Hände dem Vorgehen der Bundesbank hätten anschließen sollen.
Man darf also hier nicht mit Teilbereichen arbeiten, sondern sollte das Ganze sehen.
Ich begrüße die dpa-Meldung von heute nachmittag — ich nehme an, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nachher dazu noch einiges sagen wird —, wonach die Bundesbank keine kreditpolitischen Beschlüsse gefaßt hat, wonach sie also der Aufforderung in der Regierungserklärung nicht nachgekommen ist, jetzt die Kreditrestriktionen zu Lokkern. Ich werte dieses Verhalten der Bundesbank als eine Aufforderung an die Bundesregierung, zuerst die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen, um dann ihre Bereitschaft nicht nur zu bekunden, sondern auch zu realisieren, nämlich ihre Maßnahmen entsprechend auszurichten.
Die Ausführungen des Herrn Kollegen Arndt, aber auch des Herrn Professor Stein, ja auch die der beiden letzten Redner haben mich manchmal fragen lassen, wo hier eigentlich die Opposition und wo die Regierungsfraktionen sitzen; aber ich nehme an, das wird sich im Laufe der Zeit noch etwas einspielen.
Herr Kollege Gscheidle, zu Ihren Ausführungen zur Einkommenspolitik und zur Mitbestimmung möchte ich wie folgt Stellung nehmen. Sie sind Koalitionspartner der Herren Pohle und Stein. Eine Klausurtagung scheint mir erforderlich zu sein,
ich meine eine gemeinsame.
Ein weiterer Punkt. Der Herr Bundesfinanzminister hat — und ich finde, wir sollten ihm dafür dankbar sein — einen sehr klaren und wie ich finde sehr wahren Satz ausgesprochen. Herr Bundesfinanzminister Strauß hat gesagt — und ich zitiere ihn, soweit ich das mitschreiben konnte —: Bei weniger als 4,5 0/o Wachstum bricht unser Sozialsystem zusammen. Dies ist ein Satz, der es verdient, festgehalten zu werden und über den man vielleicht noch ein wenig nachdenken sollte.
— Herr Kollege Barzel, ich übe keine Kritik daran, ich greife diesen Satz dankbar auf, weil ich ihn für goldrichtig halte.
— Ich hatte den Eindruck, daß er sich mit diesem Zitat sogar identifizierte, wofür ich volles Verständnis hatte. Sollte er es nicht getan haben, dann greife ich den Satz eben als Zitat auf. Das heißt doch nichts anderes, als daß für den Fall, daß ein reales Wachstum von 4,5 % aus einer gegebenen wirtschaftspolitischen Situation nun einmal nicht erreichbar ist — und diese Situation, Herr Kollege Barzel, ist sehr wohl denkbar, ohne daß man deswegen der Regierung Verschulden vorwerfen muß —, als letzte Alternative der Zusammenburch des Sozialsystems oder
3784 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Dr. Friderichs
Geldwertschwund steht. Darüber müssen wir uns klar sein: ob eine Sozialpolitik, ein Sozialsystem, das zu dieser Konsequenz führt, nicht letzten Endes ein falsches soziales Bild ist, ob also, um es klar zu sagen, die Beschlüsse des Jahres 1957, die hier maßgeblich sind, nicht zu der Politik führen mußten, die wir permanent beklagt haben, daß man nämlich ein nominelles Wachstum von 4,5 % anstreben muß, um den Zusammenbruch des Systems zu verhindern. Meine Damen und Herren, wir sollten den Mut haben, in dieser Legislaturperiode, und zwar sofort über diese Frage offen zu diskutieren. Die Regierung sollte nicht nur den Mut haben zu sagen, sie habe den Mut, Unpopuläres zu sagen; denn das zu sagen ist populär, wie wir alle wissen, sondern sie muß den Mut haben, Unpopuläres zu tun. Ich glaube, das sollte hier heute mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht werden.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt anschneiden. Es ist von mehreren Kollegen, von fast allen Rednern, die Frage des magischen Vierecks — wir haben es etwas erweitert, damit es noch ein bißchen komplizierter wird — angeschnitten worden. Ich habe mir das so vorgestellt, wenn ich es einmal bildlich darstelle, daß die Regierung sich in der Mitte des Vierecks befindet und den Versuch unternimmt, alle vier Ecken etwa gleichzeitig im Griff zu haben. Aber was ich in der Regierungserklärung so gelesen habe, an verschiedenen Stellen, wohl verteilt und zum Teil wohl formuliert und wohl dosiert, gibt mir eher ein anderes Bild auf, daß nämlich in der Mitte jemand steht, der den Namen vom Viereck hat, der wie ein Magier dort zu stehen hat — vielleicht der Herr Bundesfinanzminister —, und daß ein anderer da ist, der von einer Ecke in die andere saust und permanent eine Ecke verwirklichen will. Dabei kommt eine Drehbewegung zustande, die, auf den Geldwert übertragen, das beinhaltet, was ich an Hand der Regierungserklärung glaube befürchten zu müssen. Meine Damen und Herren, ich würde mich sehr freuen, und meine Fraktion wäre den Koalitionsfraktionen unterschiedlichster Prägung in ihren Einzelteilen dankbar, wenn diese Befürchtung von Ihnen heute, von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, nachhaltig zerstreut werden könnte.