Rede von
Heinrich
Gewandt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Erklärung der Bundesregierung ist heute zum Teil sehr ausführlich gewürdigt worden. Ich möchte mir deshalb erlauben, nur einige Bemerkungen zu machen.
Es ist, wie bereits wiederholt festgestellt wurde, eine neue Situation, an die wir uns gewöhnen müssen. Wir haben eine Regierung, die zu fünfzig Prozent aus Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei besteht, und es ist deshalb nicht verwunderlich, es ist natürlich, daß beispielsweise in dem Teil der Regierungserklärung über die Wirtschaftspolitik sehr viele Begriffe aus dem Vokabular des Kollegen Schiller auftauchen. Ich halte das in keiner Weise für bedenklich, weil wir wissen, daß Professor Schiller ein Anhänger der Marktwirtschaft ist. Ich glaube aber, es gibt in der Regierungserklärung eine Reihe von Begriffen, die von der Regierung näher interpretiert werden sollten.
Es wird in der Regierungserklärung von globaler Steuerung gesprochen. Es ist möglich, in diesen Begriff sehr vieles hineinzuinterpretieren. Globale Steuerung könnte — könnte! — auch zu einem unerwünschten Dirigismus führen.
Es ist von der Regierungsbank aus von einem Eventualhaushalt gesprochen worden; auch eine sehr gefährliche Vokabel, wenn nicht eine zufriedenstellende Interpretation erfolgt.
Daß eine gewisse Verwirrung eingetreten ist, mag vielleicht die Tatsache unterstreichen, daß ein Vorstoß des Herrn Wirtschaftsministers bei der Bundesbank in Frankfurt nach Meldungen, die durch
3782 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Gewandt
die Nachrichtenagenturen gegangen sind, zunächst noch nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben.
Ich glaube, das Primäre ist, daß die von der vorigen Regierung eingeleiteten Stabilisierungsmaßnahmen konsequent durchgeführt werden. Ich halte nichts von den Hiobsbotschaften, die hier ausgesprochen werden.
Wir haben uns immer nach einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, nach mehr Mobilität gesehnt und sie erstrebt. Wir haben festgestellt, daß die Stabilisierungsmaßnahmen auch ihre Früchte zeitigen, nämlich eine bessere Entwicklung der Preise. Sie haben auch Voraussetzungen für eine Verminderung des Kostendrucks geschaffen.
Ich glaube also, hier gilt es fortzusetzen und nicht zur Unzeit anzukurbeln, weil man falsche Voraussetzungen konstruiert.
Die Bundesregierung und der Bundestag haben im Rahmen der Haushaltspolitik ihren Beitrag zu leisten. Aber damit darf es nicht sein Bewenden haben. Die Bundesregierung sollte ihr Augenmerk auch auf das Verhalten der Tarifpartner richten. Eines aber muß man unter allen Umständen verhindern: daß wir wegen partieller Schwierigkeiten zu einer Politik des „go and stop" kommen, wie es in England der Fall war.
Wir alle sind für Wachstum. Aber das Entscheiende ist doch inflationsfreies Wachstum. Natürlich sind die Versuchungen sehr groß, Wachstum anzukurbeln, insbesondere dann, wenn die Staatskasse nicht mehr so gefüllt ist wie in der Vergangenheit. Ich bin sicher, der Herr Bundesfinanzminister wird dieser Versuchung widerstehen. Aber wir müssen dies klarmachen, damit falsche Interpretationen nicht möglich sind.
Ich glaube, die Bundesregierung muß auch noch zu einigen anderen Fragen Stellung nehmen. Sie hat in ihrer Regierungserklärung hervorgehoben, daß sie alles tun werde, um den Kapitalmarkt zu normalisieren. Sehr richtig! Aber sie muß gleichzeitig erklären, daß sie nicht daran denkt, an diesen Kapitalmarkt in ungebührlicher Weise heranzutreten, und daß sie alle ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten ausschöpfen wird, um auch andere Gebietskörperschaften davon abzuhalten, an diesen noch nicht wiederhergestellten Kapitalmarkt heranzutreten.
Im übrigen habe ich den Eindruck, daß Wachstum mit der Aufbringung der nötigen Staatsausgaben in eine etwas zu nahe Verbindung gebracht worden ist.
Da kein Zweifel darüber bestehen kann, daß die wesentlichsten wirtschaftlichen Probleme, denen wir uns gegenübersehen, struktureller Art sind, meine ich, daß man auch zur Strukturpolitik der Regierung etwas mehr hören muß. Wir wissen, daß im Schoße der vergangenen Regierung ein Programm der regionalen und sektoralen Strukturpolitik entwickelt worden ist. Dieses Programm sollte weiterdiskutiert werden. Ich glaube, die Bewältigung des Strukturwandels ist eine der wesentlichsten Aufgaben, vor denen wir in der Wirtschaftspolitik der nächsten Zeit stehen werden. Ich bin der Meinung, wir müssen sehr viele rechtliche Bestimmungen und traditionelle Gepflogenheiten überprüfen, um eine wirtschaftlich sinnvolle Anpassung zu ermöglichen; aber wir müssen alle finanziellen Hilfen dort abbauen, wo sie im Widerspruch zu den Grundsätzen einer sinnvollen Strukturpolitik stehen. Die vielfältigen Möglichkeiten, die sich durch eine gute Strukturpolitik bieten, sind im allgemeinen mehr vorbeugender Art. Ich glaube, hier sollten wir das von der vergangenen Regierung konzipierte Programm fortsetzen. Ich meine, alle Maßnahmen der strukturellen Anpassung müssen verhindern, daß überholte Strukturen künstlich erhalten werden.
Ich möchte aber — es ist vereinbart worden, daß jetzt nur noch fünf Minuten lang gesprochen werden soll — auch noch eine Bemerkung zu der Ankündigung der Bundesregierung in bezug ,auf die Kuponsteuer machen. Ich möchte davor warnen, die Bedeutung der Aufhebung der Kuponsteuer für den Kapitalmarkt zu überschätzen. Im übrigen ist es so, daß in allen vergleichbaren Industrienationen die Quellensteuer für Wertpapiere existiert, und wenn wir die europäische Harmonisierung in Betracht ziehen, dann würden wir im Falle der Abschaffung vor der Aufgabe stehen, nötigenfalls im Zusammenhang mit der Harmonisierung wieder eine Änderung vorzunehmen. Es muß aber mit aller Deutlichkeit klargestellt werden, daß nicht darin gedacht ist, bestimmte Finanzprobleme durch die Hereinnahme von Geldern aus dem Ausland lösen zu wollen. Ich meine, daß im augenblicklichen Zeitpunkt die Beseitigung der Kuponsteuer ein Fehler wäre.
Ich möchte abschließend nur eins sagen: Wir sollten uns davor hüten, daß der Eindruck entstehen kann, wir wollten die Staatsfinanzen durch eine Politik des leichten Geldes wieder flottmachen. Das will niemand. Aber das muß hier auch klar erklärt werden, damit keine falschen Eindrücke entstehen können; denn das wäre verhängnisvoll für die psychologische Situation in der Wirtschaft. Ich glaube, man sollte auch dieses Bremsen und dann Wiederankurbeln verhindern.
Wir brauchen eine kontinuierliche Entwicklung eines inflationsfreien Wachstums. Hier ist die Regierungserklärung etwas zurückhaltender gewesen, als mir lieb ist. Wir sollten erkennen, daß alle wirtschaftspolitischen Probleme nach den bewährten Grundsätzen ,der sozialen Marktwirtschaft gelöst werden müssen.
Ein Wort zum Kollegen Arndt. Er hat mit Recht darauf hingewiesen, welche politischen Gefahren beispielsweise in einer Zeit der Deflation eintreten könnten. Unterschätzen Sie aber nicht die politischen Gefahren, die erwachsen, wenn die monetäre Stabilität nicht mehr gewährleistet ist! Ich glaube also, daß Wachstum nicht an erster Stelle steht. An erster Stelle steht die Stabilität. Das Wachstum kommt erst an zweiter Stelle.
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Wir sollten uns um die Früchte der Stabilisierungspolitik nicht durch vorschnelles und übereiltes Ankurbeln betrügen lassen. Auch für diese Regierung muß Stabilität an erster Stelle stehen; auch für diese Regierung muß es ein Gebot sein, die Probleme nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu lösen und keinerlei andersgeartete Experimente zuzulassen.