Herr Minister, ist die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes an der FDP oder an der Regierungskrise gescheitert, oder hätte es nicht längst verabschiedet werden können, wenn die Verabschiedung nicht von Ihrem jetzigen Koalitionspartner laufend verzögert worden wäre?
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege, ich habe mich — um höflich zu sein — offenbar nicht klar ausgedrückt. Ich habe darauf hingewiesen, daß nach der Zeitplanung die Umschaltung etwa Mitte November erfolgen sollte und daß wir durch die Regierungskrise, die von Ihnen ausgelöst worden ist, in einen Zeitverzug geraten sind. Ich glaube, das ist die Wahrheit, und dies muß im Interesse der Wahrhaftigkeit hier einmal gesagt werden.
Ich sprach von dem Gleichgewicht zwischen Vollbeschäftigung — —
— Nein, ich möchte jetzt gern zu Ende kommen.
— Herr Kollege Mertes, wenn Sie so freundlich sind, sich einmal die Geschäftsordnung anzusehen, werden Sie feststellen, daß Sie, wenn Ihnen keine Antwort gegeben wird, das zur Kenntnis nehmen müssen und das nicht etwa kritisieren dürfen; sonst kann das Institut der Zwischenfragen nicht funktionieren.
Dieses Gleichgewicht, meine Damen und Herren, wird niemals starr sein; darum ist es ganz natürlich — —
— Herr Mertes, Sie können doch gleich zum Pult gehen. Danach komme ich gern zurück, wenn Sie eine Auffassung vertreten, von der ich glaube, daß sie nicht richtig ist. Es besteht doch gar kein Grund zur Aufregung.
Ich stelle die Dinge so dar, wie ich sie gesehen habe. Vielleicht irre ich mich in dem einen oder anderen, aber so, wie Herr Starke es dargestellt hat, kann es nicht unwidersprochen bleiben.
Das Gleichgewicht wird niemals starr sein. Darum ist es ganz natürlich, daß temporär mal der einen, mal der anderen Forderung der Vorrang gegeben werden muß. Als das Wachstum übertrieben wurde, mußten wir im Interesse der Stabilität bremsen. Heute müssen wir uns im Sinne der Normalisierung und des Bemühens um das Gleichgewicht um die Belebung des Wachstums kümmern.
Das inflationsfreie Wachstum, das wir wollen, kann aber nur gesichert werden, wenn die verhältnismäßig leicht auszulösende Belebung von einem entschiedenen Kampf gegen Kostenerhöhungen begleitet wird. Mit Recht hat darum der Herr Bundeskanzler die Erklärung der Baugewerkschaft begrüßt. Mit Recht bemüht sich aber auch die Bundesregierung um die Senkung der Zinskosten. Auch wenn die Zinskosten weniger als 10 % der Lohnkosten betragen, sind sie doch von ausschlaggebender Wichtigkeit. Ich hoffe nicht, daß wir zu einer Expansion kommen müssen, ohne daß die Kostendämpfung gelungen ist. Alle an der Wirtschaft Beteiligten sind angesprochen, und niemand darf beiseite stehen. Es ist auch weiterhin nicht erlaubt, der Aufforderung zum Mittun mit dem dummen Satz zu entgegnen: Hannemann, geh du voran! Die Gleichzeitigkeit ist nach unserer gemeinsamen Auffassung, so hoffe ich doch, ein wesentlicher Bestandteil für das Gelingen der Aktion.
Es soll auch von vornherein Klarheit darüber herrschen, daß, so mißlich die Haushaltslage des Bundes auch sein mag, unsolide Operationen nicht in Frage kommen. Die Kraft dazu wird diese Regierung — und ich bin sicher, auch der Deutsche Bundestag über die Reihen der Koalitionsfraktionen hinaus — aufbringen. Allerdings bedarf es der größten wirtschaftspolitischen Kraftanstrengung, die seit der Währungsreform je gemacht worden ist — eine Anstrengung, die im ersten Anlauf nicht funktioniert hat und in einer Regierungskrise endete.
Meine Bitte ist, sich heute nicht in grundsätzlichen Erörterungen auseinanderzureden. Programmatische Unterschiede sind selbstverständlich vorhanden. Die Unterschiede sind noch zahlreicher als die Zahl der Parteien im Hause. Aber in der tatsächlichen Aufgabe, die vor uns steht, in der Art ihrer Bewältigung gibt es einen Weg, den wir gemeinsam gehen können. Danach wird gefragt, und darauf müssen wir antworten — weniger global, viel mehr im Einzelfall.
In diesem Augenblick kommt es darauf an, das Gleichgewicht von Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und Stabilität dadurch wiederherzustellen, daß wir dem Wachstum neue Impulse geben, gleichzeitig aber die Kosten senken, damit die Stabilität erhalten bleibt. Wenn das geschieht, werden wir die Vollbeschäftigung sichern können und unseren hohen außenwirtschaftlichen Rang weiterhin wie in den Schwierigkeiten der letzten Jahre bewahren und noch steigern können.
Wir sind uns klar darüber, daß die Solidität unserer Wirtschaft die Voraussetzung für jedwede andere Politik ist. Aber sie wird uns nicht umsonst gegeben. Sie erfordert viel Aufmerksamkeit und sehr viel Sorge. Sorgenfrei werden wir nie sein — weder um Vollbeschäftigung, noch um Wachstum,
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3761
Bundesminister Schmücker
noch um Stabilität. Nur wer sich sorgt, wer sich Mühe gibt, kann Erfolg haben.
Die Aufgaben sind klar vorgezeichnet. Der Zeitplan aber, meine Herren, ist nicht beliebig dehnbar. Der nach dem Boom wiedergewonnene Blick für das rechte Maß sollte uns nicht wieder verlorengehen, denn nur dann werden wir erreichen, was wir uns alle wünschen: Stabilität in einer vollbeschäftigten wachsenden Wirtschaft.