Ich komme gleich auf die verantwortungsbewußte Politik der Gewerkschaften an Hand des Beispiels der Industriegewerkschaft Bau zurück. Meine Ausführungen werden darin enden, daß ich genau das unterstütze, was die Regierung gesagt hat: schafft Orientierungshilfen. Das ist das, was ich meine, nichts weiter.
Meine Damen und Herren, entsprechende Appelle und Beschwörungen haben bisher nichts gefruchtet. Wir dürfen der Aufgabe des Staates, für das Wohl seiner Bürger zu sorgen, jetzt nicht ausweichen, und deshalb — und das ist mein Punkt — müssen wir den Tarifpartnern Orientierungshilfen mit entsprechendem Nachdruck an die Hand geben. Ich wiederhole, was ich eben auf die Frage des Herrn Kollegen Matthöfer bereits gesagt habe. Ein lobenswertes Beispiel bildet gerade die sehr verantwortungsbewußte Führung der Industriegewerkschaft Bau, die soeben auf der Basis 4,3 % abgeschlossen hat. Das entspricht ungefähr dem realen Zuwachs des Bruttosozialprodukts, und das ist ein richtiger Maßstab. Wir müssen also den Tarifpartnern Orientierungshilfen an die Hand geben. Die Erfahrung zeigt übrigens, daß der deutschen Bevölkerung die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze wichtiger ist als die Ausstellung gefährlicher Wechsel auf eine ungewisse Zukunft.
Erreichen wir die Einordnung sowohl der Staatsausgaben als auch der Masseneinkommen in den Rahmen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dann, meine Damen und Herren, sind die schwierigen Probleme der Zukunft gelöst. Wir werden damit sowohl inflationäre als auch deflationäre Entwicklungen vermeiden und die Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards kontinuierlich und ohne unerwünschte Begleiterscheinungen sicherstellen können.
Für diese großen Ziele müssen wir klare Entscheidungen treffen. Wollen wir Stabilität unserer Währung unter möglichster, gleichzeitiger Förderung des Wirtschaftswachstums, dabei aber jede neue Überhitzung und hastige Reaktionen vermeiden, müssen wir in den künftigen Haushalten des Bundes, der Länder und Gemeinden den Gemeinschaftsinvestitionen klaren Vorrang vor Konsum- und Subventionsausgaben geben. In der Theorie sind sich alle in diesem Punkte einig. Die harte Praxis sieht bekanntlich — und jede Fraktion weiß ein Lied davon zu singen — meist etwas anders aus. Ohne den Ausbau dessen, was man Infrastruktur nennt, wird das notwendige wirtschaftliche Wachstum gehemmt werden. Schulen, Krankenhäuser, Straßen, vieles andere dient dem einzelnen Bürger, dient aber auch dem Wohlergehen der Gesellschaft von morgen.
Nun haben wir davon Kenntnis genommen, daß der Herr Bundeskanzler über ein Gesamtvolumen von 2,5 Milliarden DM Überlegungen über einen Eventualhaushalt — das bedeutet: Kapitalmarkt — oder eine entsprechende Anwendung des Stabilitätsgesetzes — das bedeutet Konjunkturausgleichsrücklage — angestellt hat. Der Herr Kollege Möller hat soeben auch davon gesprochen. In beiden Fällen soll eine strenge Zweckbindung der Mittel sichergestellt sein. Ich will mich zur zweiten Möglichkeit — Konjunkturausgleichsrücklage — nicht äußern. Was aber die erste anlangt, so ist es mir höchst zweifelhaft, ob der Kreditmarkt bereits kurze Zeit nach Aufhebung von Restriktionen in der Lage sein wird, derartige Anforderungen zu erfüllen, auch im Hinblick auf die Kreditaufnahme in Höhe von 1,5 Milliarden DM für das Offset-Abkommen.
Die Bundesregierung drückt sich über den Zeitpunkt denn auch vorsichtiger aus, wenn sie sagt: Das machen wir, „wenn es erforderlich ist".
Das Stabilitätsgesetz wurde zur Bekämpfung der Überhitzung und Geldwertverschlechterung sowie zur Koordinierung der Ansprüche der öffentlichen Hände an den Kapitalmarkt eingebracht. Die Regierungserklärung erweckt den Anschein, als solle es jetzt als Instrument zusätzlicher Expansion benutzt werden. Damit steht, meine Damen und Herren, die alte Streitfrage zur Diskussion, ob bereits jetzt und heute der Zeitpunkt für die Einleitung einer neuen Expansion gekommen ist, eine Frage, die mein verehrter Kollege Möller bejaht, die ich für meine Person aber verneine.
Die Wirkung einer zusätzlichen Verschuldung des Bundes auf den Geldwert hängt davon ab, wie die Mittel aufgebracht werden, mit anderen Worten: davon, ob eine neue Geldschöpfung erfolgt oder erfolgen soll oder nicht.
Natürlich erkennen wir an, daß Gemeinschaftsinvestitionen eine doppelte Aufgabe erfüllen. Die Bauwirtschaft kann z. B. zum Unterschied von anderen Branchen nicht auf Vorrat arbeiten. Sie ist von der öffentlichen Hand, die über die Hälfte aller Aufträge erteilt, abhängig. Ihr Schicksal entscheidet nicht nur über die 1,3 Millionen Beschäftigten in der Bauwirtschaft, sondern auch über zahlreiche Zulieferer in anderen Branchen.
3750 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Dr. Pohle
Würde der Markt für die Zukunft weniger Bauleistungen verlangen, müßte man sich damit eben abfinden. Davon aber kann keine Rede sein; denn die Bauerfordernisse der Zukunft sind ungeheuer groß, von der Forschung bis zur Städtesanierung und Raumordnung. Wir müßten, wenn wir heute Kapazitätsvernichtungen größeren Ausmaßes zuließen, diese Kapazitäten in relativ kurzer Zeit wiederbeschaffen, dann aber bekanntlich erheblich teurer. Der Widersinn einer solchen Entwicklung liegt auf der Hand.
Aber für den Fall, daß die Belebung entscheidend über den Kapitalmarkt finanziert werden soll, stehen wir sofort wieder vor dem Problem, nachteilige Auswirkungen auf die Stabilität wie auf den Kapitalmarkt selbst zu vermeiden, den Kapitalmarkt, den wir gerade schonen wollen, um ihn nach Inkrafttreten des Stabilitätsgesetzes in geordneten Prioritäten in Anspruch zu nehmen. Wir können meines Erachtens nur Schritt für Schritt vorgehen und müssen zunächst einmal die Gesundung des Kapitalmarkts durch Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes, Schaffung von Prioritäten und Setzung von Akzenten herbeiführen, um uns dann vorsichtig und dosiert wieder dem Kapitalmarkt zuzuwenden.
Meine Damen und Herren, die Sorge um das Wachstum beruht entscheidend mit auf der Tatsache, daß wir nach der augenblicklichen Konstellation im Jahre 1967 das .Jahr des geringsten Wachstums seit Bestehen der Bundesrepublik haben, ja, daß in vielen Branchen eine gewisse Tendenz zum allgemeinen Abschwung vorhanden ist.
Es ist deshalb auch meine feste Überzeugung, daß der Herr Bundeskanzler recht hat, wenn er von einer Gratwanderung sprach. Jeder Grat ist schmal, meine Damen und Herren, und jeder Grat hat bekanntlich zwei Seiten. Man kann auf der Seite der Überhitzung dorthin hinunterfallen, woher man gekommen ist. Man kann aber auch auf die Seite der Stagnation absinken. Sorgen wir zunächst, daß wir auf dem Grat weitergehen!
Ich will gleich noch einige Bemerkungen darüber machen, warum ich die Nichtbeachtung der Stabilität und eine gewisse Akzentverschiebung in Richtung auf Wachstum für verhängnisvoll halten würde. Man muß beachten, daß die mangelnde Investitionsneigung heute nicht mehr so sehr auf die noch bestehenden Kreditrestriktionen zurückzuführen ist, sondern auf zwei weitere Momente, die ich bereits genannt habe, nämlich erstens auf den Rückgang der Aufträge der öffentlichen Hand für produktive Zwecke auf Grund der Kapitalmarkt- und Haushaltslage, zweitens auf die Furcht der Unternehmer vor weiteren übertriebenen Lohnforderungen, sei es von gewerkschaftlicher, sei es von nichtgewerkschaftlicher Seite — in Zeiten der Voll- und Überbeschäftigung ist das so —, in Verbindung mit einer etwaigen Ausuferung der Ideen über die Wachstumspolitik in der Richtung des leichten Geldes.
Hier müßte der Hebel angesetzt werden. Denn andererseits hat die Notenbank schon heute einiges zur Verflüssigung der Geldmittel für Investitionen getan. Sie hat keine Gegenmaßnahmen gegen die wachsende Liquidität betrieben, die sich aus der sich dem Ausgleich annähernden Zahlungsbilanz ergibt. Mit einem Exportüberschuß in der Handelsbilanz von 7 bis 8 Milliarden DM kann gerechnet werden. Auf Grund des letzten Zentralbankratsbeschlusses wird Auslandsgeld hereingenommen ohne Erhöhung der Mindestreserve. Die Notenbank hat außerdem die Lockerung der Mindestreserve um 10 % nicht nur für Ultimo angesetzt, sondern auf den Monat Januar ausgedehnt.
Meine Damen und Herren, wir erkennen durchaus an, daß die deutschen Betriebe vor schwierigen Aufgaben stehen, die seither der inflationistische Trend und das relative Abgekapseltsein des deutschen Marktes mehr oder weniger verdeckt haben. Wir befinden uns in einer Zeit stärkster technischer Revolutionen und struktureller Umschichtungen, deren Tempo durch die Weltkonkurrenz diktiert ist. Deshalb kann sich die Bundesrepublik Deutschland auch keine wettbewerbsgefährdenden Steuererhöhungen auf der Ertragsteuerseite leisten. Wenn der Staat durch überhöhte Ansprüche gezwungen wird, die Ausgaben zu Lasten der investiven Vorhaben und durch die die Wirtschaftstätigkeit drosselnden Steuererhöhungen zu decken, so besteht die Gefahr einer zusätzlichen Gefährdung der Arbeitsplätze. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist jedoch Verlust der sozialen Sicherheit. Dagegen ist ein Abbau überhöhter konsumtiver Leistungen im Interesse eines stetigen Wachstums kein Verlust der sozialen Sicherheit.
Nach alledem kann eine ausgewogene Verstärkung der expansiven Kräfte durchaus erforderlich werden. Es kommt dabei auf den richtigen Zeitpunkt an. Aber, meine Damen und Herren, alles in allem stellen wir den Ruf nach der Stabilität der Währung in den Vordergrund. Fragen wir nach den Folgen der Instabilität, so wird es uns deutlich: Schäden einer solchen Politik des Geldwertschwundes würden eintreten, und zwar beim Sparer und Bezieher fester, nicht dynamisierter Einkommen, verbunden mit einem ungeheuren Vertrauensschwund, und ohne die Wiederaufrichtung des Vertrauens des Sparers ist der Kapitalmarkt nicht wieder zu sanieren; er hängt ausschließlich vom Willen und Vertrauen des deutschen Sparers ab.
Bei Instabilität entsteht die Gefahr von Fehlinvestitionen wegen Orientierung an nominellen und damit an Scheinzuwachsraten für die Unternehmen wie auch für die öffentlichen Haushalte. Es entsteht die Gefahr der Orientierung der Einkommensübertragungen und der sozialen Leistungen am nominellen Wachstum, das nennen wir Gefälligkeitspolitik. Bei Instabilität ergäbe sich die Lohnpreisspirale mit der Folge der Erhöhung des Kostenniveaus und damit erst recht eine Beeinträchtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Und, meine Damen und Herren, Hand aufs Herz: Es gibt immer noch expansive Kräfte genug, die von selber wirken. Auf Grund der nun einmal gegebenen Rechtslage — ich denke an die Erhöhung der Renten und an die Kriegsopferversorgung —, auf Grund der außenwirtschaftlichen Situation mit einer
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Dr. Pohle
Exportsteigerung um 10 %, auf Grund des Wachstums des Bundeshaushalts eben wegen dieser Erhöhung der sozialen Leistungen um voraussichtlich 10 %, sind doch bereits starke Expansionskräfte vorhanden.
Die Kaufkraft auf dem Konsumgütersektor wird sich ab 1. Januar 1967 wegen dieser Daten, die ich eben genannt habe, um 3 Milliarden DM erhöhen. Dies ist mit von entscheidender Bedeutung bei der Beurteilung der Frage, ob durch zusätzliche Maßnahmen, z. B. durch den sogenannten Eventualhaushalt, noch weitere Wachstumsanstöße wirklich erforderlich sind, oder ob nicht dadurch eine Gefährdung der gerade im Augenblick mühsam erreichten Stabilität ausgelöst wird. Bei Einbringung des Eventualhaushalts würde nämlich ein weiterer Nachfragestoß — allerdings, ich gebe zu, in Richtung der Investitionsgüter — in Höhe von 1,45 bis 2,5 Milliarden DM erfolgen, je nachdem ob Verlagerungen aus dem Bundeshaushalt in den Eventualhaushalt stattfinden oder nicht.
Eine Gesamtbetrachtung aller Kräfte, die auf eine Vergrößerung der Nachfrage einwirken, ist daher auch heute noch bei allen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen erforderlich und den Kräften der Angebotserweiterung gegenüberzustellen. Eine Begrenzung der Betrachtung allein auf haushaltsmäßige Auswirkungen genügt dabei nicht.
Auch nach der Seite der Beschäftigung ist trotz struktureller Schwierigkeiten, streckenweiser Kurzarbeit und dem Damoklesschwert von Entlassungen in diesen und jenen Branchen noch keine völlige Entspannung eingetreten, wenngleich sich die Verhältnisse gebessert haben. Hatten wir Ende September 1966 rund 113 000 Arbeitslose und 536 000 offene Stellen, so betrugen die Zahlen Ende November 1966 216 000 Arbeitslose und die der offenen Stellen 319 000. Beide Ziffern haben sich also einander angenähert. Aus ihnen folgt aber dreierlei, nämlich erstens, daß wir von einer Massenarbeitslosigkeit, d. h. von einer Krise im Sinne dieses Wortes, weit entfernt sind und daß diese Zahlen durchaus alles andere als alarmierend sind, zweitens, daß der Rückgang der Überbeschäftigung eine nützliche und gewollte Folge der betriebenen Restriktionspolitik war,
und drittens, daß bei noch immer 1,3 Millionen Gastarbeitern und bei immer noch unausgeglichenem Verhältnis zwischen Arbeitsuchenden und offenen Stellen kein Grund zum überstürzten und abrupten Herumwerfen des wirtschaftspolitischen Ruders besteht.
Wir sind uns mit der Regierung völlig darüber einig, daß dieser Zeitpunkt irgendwannn einmal gekommen sein kann und wird und daß das Timing eine ganz entscheidende Frage ist.
Nach den aufgezeigten Ziffern ist nach meiner Überzeugung der Zeitpunkt heute und hier jedoch noch nicht gekommen.
Ich komme damit zum Schluß. Ich möchte auf die außenwirtschaftlichen Fragen nicht eingehen und auch nicht auf die Fragen der EWG. Es ist kein Widerspruch, meine Damen und Herren, zu unserem internationalen Engagement, wenn die Regierungserklärung darauf hinweist, daß wir bei künftigen Verpflichtungen Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit nehmen müssen. Selbstverständlich werden wir übernommene Verpflichtungen erfüllen. Sorgsames Rechnen in der Zukunft entspricht lediglich dem notwendigen verantwortungsvollen Verhalten. Ich glaube, das wird dem Ansehen Deutschlands mehr nützen als schaden. Auch im privaten Leben erfreut sich der größter Wertschätzung, der nicht zu großzügig Versprechungen abgibt, der aber sein einmal gegebenes Wort dann auch halten kann.
Meine Damen und Herren, einen Punkt habe ich mir für den Schluß aufgehoben. Ich teile voll und ganz die Aussage des Bundeskanzlers, daß Wissenschaft und Forschung fundamentaler Beachtung wert sind. Wer dies in einer Zeit des Geldmangels für paradox hält, möge sich im Ausland umsehen. Nur die Forschung und Entwicklung schaffen das Brot von morgen. Wir haben noch keinen .Anlaß zu fürchten, wir müßten auf diesem für die Zukunft entscheidenden Gebiet ohnhin ins Hintertreffen geraten. Einen Vorsprung, der nicht aufzuholen wäre, gibt es nahezu auf keinem Gebiet. Voraussetzung dafür ist freilich, daß wir jetzt entschlossen die erforderlichen Maßnahmen treffen. Das wird freilich nur dann möglich sein, wenn wir die lange geforderte Rangordnung endlich verwirklichen und die notwendigen Prioritäten schaffen.
Allen, die heute nach dem Kurs der neuen Koalition fragen, möchte ich als Quintessenz dieser Ausführungen zurufen: Die Wirtschaftspolitik wird weiterhin marktwirtschaftlich sein, und das gemeinsame Ziel heißt: Stabilität und Wachstum auf gesunder Grundlage. Die CDU/CSU-Fraktion wird diese beiden Grundpfeiler einer guten Zukunft mit aller Kraft bauen und stützen. Ich möchte aber nicht schließen, ohne mich dem anzuschließen, was Herr Möller vorhin ausgeführt hat. An gutem Willen zu gemeinsamer Zusammenarbeit, zur Stützung der Regierung und zur Erreichung dieser Ziele fehlt es auch nicht bei der CDU/CSU-Fraktion.