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    Deutscher Bundestag 82. Sitzung Bonn, den 15. Dezember 1966 Inhalt: Abg. Weiland tritt in den Bundestag ein . 3699 A Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Mischnick (FDP) 3699 B Schoettle, Vizepräsident . . . . 3699 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 3706 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . 3713 B Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . 3725 C Dr. Dehler (FDP) 3730 A Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 3737 A Dr. Pohle (CDU/CSU) 3744 C Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 3751 D Schmücker, Bundesminister . . . 3758 C Stein (Honrath) (CDU/CSU) . . . 3761 A Dr. h. c. Strauß, Bundesminister . 3763 D Dr. Arndt (Berlin) (SPD) 3769 A Dr. h. c. Menne (Frankfurt) (FDP) 3771 C D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . . 3774 C, 3775 A, 3788 D, 3789 A Dr. Luda (CDU/CSU) 3774 D Gscheidle (SPD) 3778 C Gewandt (CDU/CSU) 3781 D Dr. Friderichs (FDP) 3783 A Dr. Schiller, Bundesminister . . 3784 B Rasner (CDU/CSU), zur GO . . . 3789 A Opitz (FDP) 3789 D Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 3790 B Schulhoff (CDU/CSU) 3791 B Dr. Schwörer (CDU/CSU) 3792 C Mertes (FDP) 3794 D Nächste Sitzung 3795 C Anlagen 3797 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3699 82. Sitzung Bonn, den 15. Dezember 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Achenbach* 19. 12. Dr. Aigner* 22. 12. Arendt (Wattenscheid) 16. 12. Dr. Arndt .(Berlin/Köln) 17. 12. Bading* 16. 12. Bauer (Würzburg)** 16. 12. Bazille 31. 12. Berkhan** 16. 12. Blachstein 15. 12. Blumenfeld** 16. 12. Brand 18. 12. Dr. Burgbacher 31. 12. Draeger** 16. 12. Dröscher* 16. 12. von Eckardt 16. 12. Dr. Eckhardt 31. 12. Eisenmann 31. 12. Frau Dr. Elsner* 16. 12. Erler 31. 12. Flämig** 16. 12. Dr. Furler* 16. 12. Frau Geisendörfer 18. 12. Gerlach* 16. 12. Hahn (Bielefeld)* 17. 12. Dr. Hellige** 16. 12. Frau Herklotz** 16. 12. Horten 15. 12. Hösl** 16. 12. Kahn-Ackermann** 16. 12. Frau Kalinke 31. 12. Dr. Kempfler** 16. 12. Frau Klee** 16. 12. Dr. Kliesing (Honnef)** 16. 12. Dr. Kopf** 16. 12. Frau Dr. Krips 31. 12. Freiherr von Kühlmann-Stumm 15. 12. Lemmrich** 16. 12. Lenz (Trossingen) 31. 12. Lenze (Attendorn)** 16. 12. Dr. Löhr 17. 12. Mauk* 22. 12. Frau Dr. Maxsein** 16. 12. Dr. von Merkatz** 16. 12. Metzger* 17. 12. Missbach 17. 12. Müller (Aachen-Land)* 16. 12. Müller (Berlin) 15. 1. 1967 Neumann (Berlin) 17. 12. Frau Pitz-Savelsberg 31. 12. Dr. Rinderspacher** 16. 12. Dr. Schmid (Frankfurt)** 16. 12. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Schulz (Berlin)** 16. 12. Seibert 15. 12. Dr. Serres** 16. 12. Seuffert* 19. 12. Struve 31. 12. Dr. Süsterhenn 17. 12. Dr. Freiherr von Vittinghoff-Schell** 17. 12. Weigl 1. 3. 1967 Dr. Wilhelmi 16. 12. Baron von Wrangel 17. 12. Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schmidhuber (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Im konjunkturpolitischen Maßnahmekatalog der Regierungserklärung nimmt die Anregung an die Adresse der Deutschen Bundesbank, den Diskontsatz fühlbar zu senken, die erste Stelle ein. Daraus kann wohl geschlossen werden, 'daß die Bundesregierung der Senkung des Zinsniveaus eine entscheidende Bedeutung bei der Überwindung der sich in unserer Wirtschaft abzeichnenden rezessiven Erscheinungen beimißt. Es würde den Rahmen eines kurzen Diskussionsbeitrages sprengen und auch die Zwecksetzung einer Debatte über die politischen Absichtsbekundungen einer Regierungserklärung überschreiten, sich über die Wirkungen einer Diskontsenkung im gegenwärtigen Zeitpunkt zu verbreiten. Mir scheinen aber einige Bemerkungen über die unterschiedliche Rolle von Bundesregierung und Bundesbank in der Wirtschaftpolitik angebracht. Wie sich aus § 3 des Bundesbankgesetzes ergibt, ist die Aufgabe der Bundesbank die Sicherung der Währung. Nur soweit dieses Ziel nicht gefährdet wird, ist sie gehalten, die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Der ihr vom Gesetzgeber erteilte Auftrag lautet daher STABILITÄT VOR WACHSTUM. Im Widerstreit der Ziele von Stabilität und Wachstum hat sie den Part der Stabilität zu ergreifen. Angesichts der Stimmen in der Öffentlichkeit vor allem aber wegen des Drängens gewisser gesellschaftspolitischer Gruppierungen auf eine Lockerung der Restriktionen soll dies von dieser Stelle aus einmal deutlich ausgesprochen werden. Die Bundesregierung hat neben der Stabilität der Währung noch andere Zielsetzungen zu berücksichtigen, nämlich Wachstum und Vollbeschäftigung. 3798 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 Wie sich schon einige Male 'in der Vergangenheit gezeigt hat, kann sie dadurch in Gegensatz zur Haltung der Notenbank geraten, in einen Gegensatz, der sozusagen institutionell bedingt ist. Ein solcher Konflikt deutet nicht auf tiefgreifende Meinungsunterschiede in wirtschaftspolitischen Grundauffassungen hin, sondern ist der Ausdruck des stets vorhandenen Spannungsverhältnisses zwischen Stabilität und Expansion. In der Finanz- und Haushaltspolitik steht der Bundesregierung ein Instrumentarium zur Verfügung, das unmittelbar zur konjunkturgerechten Steuerung der Gesamtnachfrage eingesetzt werden kann. Dieses Instrumentarium soll durch das Gesetz zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität in seiner Wirksamkeit auf die anderen öffentlichen Haushalte ausgedehnt, wesentlich verfeinert und dadurch effektiver gemacht werden. Wir sollten alles daran setzen, diesen Gesetzentwurf sobald als möglich zu verabschieden. Dann würde nämlich der Zwang wegfallen, Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, die ihre Ursachen im Bereich der öffentlichen Haushalte haben, auf dem Umweg einer primär auf dem privatwirtschaftlichen Sektor wirkenden Restriktionspolitik bekämpfen zu müssen. Andererseits wird man rezessiven Erscheinungen dann besser mit gezielten Maßnahmen, z. B. durch zusätzliche öffentliche Investitionen, begegnen können. Die Versuchung, konjunkturelle Schwierigkeiten mittels einer Politik des leichten Geldes auf eine spätere Phase zu verlagern, wird dann nicht mehr so stark sein. Auf einem Gebiet besteht allerdings keine direkte Einwirkungsmöglichkeit, nämlich auf dem Gebiet der Tarifpolitik. Daher ist ein enges Zusamenwirken zwischen der staatlichen Wirtschaftspolitik und der Tarifpolitik der Sozialpartner — wie es die Regierungserklärung fordert — unerläßlich. Ich verkenne dabei nicht, daß dies — vor allem für die Gewerkschaften — schwierige Fragen aufwirft. Sie sollten aber realistisch und nicht auf dem Hintergrund ideologischer Formeln gelöst werden. So verstanden kann das in der Regierungserklärung vorgelegte Konzept einer wirtschaftspolitischen Globalsteuerung zu einer optimalen Entfaltung der schöpferischen Kräfte der Marktwirtschaft führen. Von ihr ist unser Wohlergehen in der Zukunft abhängig. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Schiller vom 14. Dezember 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Kahn-Ackermann (Drucksache V/1182 Frage VIII/4) : Trifft es zu, daß Entwurf und Ausführung des Werbeplakats für den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Kanada einer amerikanischen Public-relation-Firma vergeben wurde? Diejenigen Plakate, die in Nordamerika selbst, d. h. in Kanada und USA, für den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal werben sollen, sind von einer amerikanischen Public-Relations-Firma entworfen und gedruckt worden. Hierfür sprachen sowohl Kostengründe wie die Überlegung, diese Werbemittel voll auf den amerikanischen Geschmack abzustellen. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. von Heppe vom 13. Dezember 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Kahn-Ackermann (Drucksache V/1215 Frage V) : Trifft es zu, daß die Bundesregierung für ihr Historisches Institut in Paris einen Neubau zu errichten beabsichtigt? Das Deutsche Historische Institut in Paris ist in zwei im Bundeseigentum stehenden Etagen im Hause 5, Rue du Havre, in Paris untergebracht. Zurzeit reichen die Räumlichkeiten aus. Mit dem Anwachsen .der Bibliothek wird, auch mit Rücksicht auf die statischen Verhältnisse, in einigen Jahren eine anderweitige Unterbringung erforderlich werden. Konkrete Pläne für einen Neubau bzw. einen Ankauf eines geeigneten Objektes liegen zurzeit nicht vor.
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    als stärkste Absicherung gegenüber einem möglichen Mißbrauch der Macht ein neues Wahlrecht gesetzlich verankern.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Keine Sorge, es kommt noch mehr dazu. Das bestehende Wahlrecht wird seit knapp 17 Jahren bei uns praktiziert. Es hat in der Bundesrepublik zu einer festen und stabilen Parteienstruktur geführt.
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3701
    Mischnick
    Dennoch oder gerade deswegen sollen offensichtlich im Kartelldenken der Macht die Mitbewerber der gegenwärtigen Regierungskoalition ausgeschaltet werden.

    (Abg. Dr. Barzel: Lesen Sie dazu mal Naumann nach!)

    Es ist notwendig, in dieser Stunde daran zu erinnern, daß die Freien Demokraten in der Vergangenheit entscheidenden Anteil an der Gestaltung unseres Staates hatten.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Ich denke nur an den Beschluß — den haben Sie wahrscheinlich nicht mitgemacht; ich weiß es nicht mehr so genau - des Frankfurter Wirtschaftsrates. Wir waren es, die damals die notwendige parlamentarische Unterstützung für den Wirtschaftsdirektor Erhard erbracht haben, weil viele Kollegen aus Ihren Reihen, aus den Reihen der CDU/CSU, gegen ,die Marktwirtschaft Bedenken hatten.

    (Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Erhard. — Abg. Raffert: mit Recht!)

    — „Mit Recht", sagen Sie heute. Sind Sie immer noch vor 20 Jahren stehengeblieben? Das tut mir leid.
    Im Parlamentarischen Rat sorgten Theodor Heuss, Thomas Dehler, Max Becker und andere liberale Politiker dafür, daß die Grundrechte — —

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, Sie haben leider zu schnell vergessen, wie das Ringen um die Grundrechte damals war. Deshalb sind Sie offensichtlich bereit, heute leichtfertiger damit umzugehen.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Dittrich: Was Sie so lange mitgemacht haben!)

    Wir haben damals mit dafür gesorgt, daß die Grundrechte unseres Grundgesetzes ihr freiheitliches Gepräge bekamen.
    Die erste Regierung Adenauer hat unter entscheidender Mitwirkung der Freien Demokraten von 1949 bis 1953 die Grundlagen für die Bundesrepublik Deutschland in einer Weise geschaffen, daß wir heute trotz punktueller Schwierigkeiten nach wie vor die zweitstärkste Industrienation der westlichen Welt sind.

    (Abg. Hilbert: Dank der FDP?!)

    — Dank der Mitwirkung der Freien Demokraten. Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, all das wäre nicht erreicht worden, wenn nicht liberale Politiker, Freie Demokraten, in entscheidenden Funktionen mitgewirkt hätten.
    Wollen Sie, meine Damen und Herren, den liberalen Kräften in unserem Volk durch eine Wahlrechtsänderung für die Zukunft die unmittelbare Mitwirkung nehmen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

    — Sie sagen „ja". Sie bestätigen damit, welche Furcht Sie nach diesem schwarz-roten Kartell vor einer Wahl haben.

    (Beifall bei der FDP. — Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Wollen Sie die mehr als 3 Millionen Wähler der Freien Demokraten zwingen, sich der Stimme zu enthalten, sie politisch entrechten? Wer noch einen Funken freiheitliches Gefühl hat, muß sich dieser Art der Machtkonsolidierung der jetzigen Regierung mit allen Mitteln erwehren.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das ist nicht nur für uns Freie Demokraten eine entscheidende Frage, das geht das ganze deutsche Volk an. Wie wollen Sie, Herr Bundeskanzler, diese Pläne eigentlich rechtfertigen? Wie wollen Sie politisch und rechtlich die Manipulation mit einem Übergangswahlrecht begründen? Wie wollen Sie all dies mit der Feststellung in Ihrer Regierungserklärung vereinbaren, in der Sie mit Blick auf das Ausland unterstreichen, daß auch bei den letzten Landtagswahlen die überwiegende Mehrheit der Wähler in Bayern und Hessen für die demokratischen Parteien votiert hat, für Parteien also, die während der letzten beiden Jahrzehnte den Aufbau eines demokratischen Staates und die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die europäische, die westliche Völkerfamilie vollzogen haben, deren Inhalt und deren politisches Ethos wir teilen?

    (Zuruf des Abg. Dr. Dittrich.)

    — Wenn Sie, Herr Kollege Dittrich, rufen: „Nicht die FDP!", dann lesen Sie die Prozentsätze nach, die Ihr Bundeskanzler angegeben hat. Sie sind mit der FDP und nicht ohne FDP.
    Herr Bundeskanzler, Ihre Regierungserklärung zeigt deutlicher, als Ihnen vielleicht angenehm sein kann: der staatspolitische Leitsatz dieser Koalition scheint offensichtlich die Forderung nach einer Änderung des Wahlrechts zu sein. Sie steht an der Spitze. Ihr wird alles unterstellt. Damit wollen Sie die gewachsene Parteienstruktur unter Mißachtung des Grundrechts der Chancengleichheit in das Ebenbild dieser, Ihrer Koalition umpressen.
    Wundern Sie sich eigentlich darüber, Herr Bundeskanzler, daß in der Öffentlichkeit die Befürchtung laut geworden ist, diese Koalition könnte am Ende auch zu einer Gefahr für die innere Freiheit unserer Demokratie werden?

    (Beifall bei der FDP. — Pfui!-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Sie dürfen sich nicht darüber wundern; denn mit Ihrer Regierungserklärung haben Sie diesen Befürchtungen Nahrung gegeben.
    Sie sprachen von der Respektierung der Rechte der oppositionellen Minderheit im Parlament, und gleichzeitig verkünden Sie als Programm Ihrer Regierung die Forderung, dem Volk die liberale Alternative durch eine Wahlrechtsmanipulierung nehmen zu wollen. Das ist doch ein Widerspruch in sich.

    (Beifall bei der FDP.)

    3702 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
    Mischnick
    Sie sprechen davon, daß die Einführung dieses neuen Wahlrechts so besonders nützlich sei, weil damit künftig keine Notwendigkeit zur Bildung von Koalitionen bestehe. Sie wollen also dieses Wahlrecht als institutionelle Abwehr von Koalitionsbildungen verstehen, so als ob Koalitionen in der parlamentarischen Demokratie án sich etwas Böses wären. Sie vergessen dabei ganz und gar, daß auf dem europäischen Kontinent die Koalitionsbildung fruchtbar praktiziert wird, wo die Völker das Glück einer freiheitlichen Demokratie haben.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Wo nehmen Sie eigentlich die Garantie her, daß bei einem sogenannten Mehrheitswahlrecht, das in Wahrheit ein Minderheitenwahlrecht ist, tatsächlich die gewünschten Mehrheiten herkommen? Die Beispiele in Kanada und England beweisen doch, daß es auch anders sein kann.
    Muß ich Sie, Herr Bundeskanzler, daran erinnern, daß die parlamentarische Demokratie von der parlamentarischen Auseinandersetzung lebt? Muß ich Sie daran erinnern, daß sich die politischen Kräfte in dieser Auseinandersetzung vor der Geschichte und vor dem Urteil der Wähler zu bewähren haben? Warum will man dann eine Gruppe unbedingt mit dem Wahlrecht ausschalten?
    Die Wahlrechtsänderung soll offensichtlich genau das schaffen, was die Wähler 1961 und 1965 Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, aus gutem Grund verweigert haben, nämlich die absolute Mehrheit.

    (Beifall bei der FDP. — Zurufe von der Mitte.)

    Wenn jetzt die Vorteile klarer Mehrheiten, wie es so schön heißt, angepriesen werden, dann sollte man sich daran erinnern, daß die dritte Legislaturperiode von 1957 bis 1961 mit der absoluten Mehrheit der CDU/CSU die politisch sterilste Zeit nach 1949 in diesem Bundestag überhaupt war.

    (Beifall bei der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die sozialdemokratische Opposition war damals in der Beurteilung mit den Freien Demokraten völlig einig.
    Heute geistert dieses Modewort von den „klaren Mehrheiten" durch die Lande. Wo sind denn diese klaren Mehrheiten bisher bei Ihnen in -der CDU/ CSU gewesen? Wo wollen Sie denn diese Mehrheit in der CDU/CSU herbekommen? Haben Sie vergessen, daß von 1957 bis 1961, um nur ein Beispiel zu nennen, die Unfallversicherungsreform nicht verabschiedet werden konnte, weil sich die CDU/CSU mit oder vielleicht wegen der absoluten Mehrheit nicht einig werden konnte? Das Märchen von der entscheidungsfreudigen, auf die klare Mehrheit 'gestützten Regierung glaubt doch nur der, der die damaligen vier Jahre in diesem Bundestag nicht mitgemacht hat.

    (Beifall bei der FDP.)

    Die neue Regierung wurde mit viel Vorschußlorbeeren bedacht. Man erwartete von ihr in jeder
    Beziehung ein neues Beginnen. Der gute Vorsatz, die Zahl der Minister einzuschränken, blieb praktisch schon vor der Tür des Bundeskanzleramtes auf der Strecke.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie bei Ihnen!)

    Es sind sogar zusätzlich parlamentarische Staatssekretäre oder Staatsminister — keiner weiß im Augenblick, was es geben wird — zu erwarten.
    Wir Freien Demokraten halten die Einrichtung von parlamentarischen Staatssekretären oder Staatsministern für eine durchaus gute Sache; allerdings sind wir davon ausgegangen, daß gleichzeitig die Zahl der Bundesminister erheblich herabgesetzt werden kann.

    (Beifall bei der FDP. — Zuruf des Abg. Leicht.)

    Offensichtlich hat jedoch bei Ihnen der bei vielen geheiligte Proporz wieder einmal mitgewirkt, nunmehr allerdings im Quadrat. Es ging nicht nur um die Balance innerhalb der CDU/CSU nach Konfessionen und Regionen, sondern nunmehr auch um die Balance mit der SPD. Es ist eben nicht der große Wurf gelungen, der laut Schlagzeilen erfolgen sollte. Dabei will ich jetzt völlig unerörtert lassen, inwieweit der Gedanke einer wirklich neuen Politik mit so vielen bekannten alten Gesichtern und deren Auffassungen tatsächlich betrieben werden kann.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir Freien Demokraten, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden in der Opposition konstruktiv mitarbeiten. Uns geht es nicht um Verneinung um jeden Preis.

    (Zuruf des Abg. Dr. Barzel.)

    Wir werden aber sorgfältig darüber wachen, ob Notwendiges offensichtlich nur deshalb nicht geschieht, weil sich die neue Koalition wegen ihrer inneren Gegensätze zu keiner Handlung aufraffen kann. Qualität konnte noch nie durch Quantität ersetzt werden.

    (Beifall bei der FDP und Zurufe von der CDU/CSU und SPD.)

    Sie haben, Herr Bundeskanzler, mit Recht darauf verwiesen, daß die Regierungserklärung keine automatische Zusammenstellung der Ressorts sein soll, daß sie nicht degradiert werden soll zu einem Wunschkatalog der Ressorts. Das entbindet Sie freilich nicht von der Pflicht, ergänzende Ausführungen zu wichtigen Bereichen zu machen, die Sie — aus welchen Gründen auch immer — ausgespart haben.
    Angesichts eines Innenministers z. B., der den Erfolg einer Regierung neuerdings offensichtlich nach der Zahl der erreichten Verfassungsänderungen zu messen scheint, stellt sich die Frage: Wie will Ihre Regierung das Verhältnis Bund—Länder gestalten? Was gehört nach Ihrer Auffassung zum Bund, was zu den Ländern? Ist Ihre Regierung bereit, dort zu handeln, wo sich das Signum des Mißtrauens der Siegermächte in der Gliederung unseres Staates zeigt, dort also, wo fremde Handschrift unsachgemäße Korrekturen an dem ange-
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3703
    Mischnick
    bracht hat, was unsere Freunde aus allen Fraktionen im Parlamentarischen Rat wollten?
    Werden Sie die Kraft haben, für eine Modernisierung und Stärkung unseres Staates innerhalb Ihrer Koalition auch die Teile der Unionsfraktion zu gewinnen, denen Sie in Ihrem Amt besonders verbunden sein müssen? Eben diese Kräfte waren es, die vor 17 Jahren den Weg zum wirklichen Bundestag nicht gehen wollten, sondern den Staatenbund als ein Modell der deutschen Möglichkeiten anpriesen.
    Der eigentliche Sinn des Föderalismus liegt in der zusätzlichen Kontrolle der Macht, in der Ausgewogenheit der Machtverhältnisse, was im übrigen auch eine Absage an alle Gleichschaltungsbestrebungen in den Ländern ist. Die falschen Interpreten des Föderalismus verstehen ihn als ein Mittel zur Schwächung des Bundes und damit zur Schwächung der Handlungsfähigkeit des Ganzen; allerdings nur, solange sie im Bund nicht an der Macht sind, wie sich jetzt manchmal schon zeigt. In unserer Zeit ist nach meiner Überzeugung kein Platz für Rheinbund-Vorstellungen napoleonischer Zeit.

    (Abg. Dr. Barzel: Wer hat die eigentlich?)

    — Alle diejenigen, die glauben, dem Bund das verwehren zu müssen, was der Bund heute braucht.
    Sie, Herr Bundeskanzler, haben es sich mit der Frage des Föderalismus in Ihrer Regierungserklärung sehr leicht gemacht. Sie sind darüber hinweggehuscht

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    mit dem Begriff des kooperativen Föderalismus. Gleichzeitig verweisen Sie aber auf die Regierungsmehrheit, die eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit bei weitem übersteigt. Dabei sollte freilich nicht unerwähnt bleiben, daß die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit bei Ihrer Wahl zum Bundeskanzler knapp erreicht wurde. Entscheidend ist, ob Sie, Herr Bundeskanzler, die Kraft haben, die erforderlichen Mehrheiten für die Lösungen in der Aufgabenverteilung von Bund und Ländern im Bund und in den Ländern wirklich zu schaffen.
    Bei den Hinweisen auf die Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern über den Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer wird davon gesprochen, daß eine vertikale Rangliste der Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden erarbeitet werden muß. Da von der formierten Gesellschaft in dieser Regierungserklärung nicht mehr die Rede ist, muß man annehmen, daß an ihre Stelle jetzt die vertikale Rangordnung treten soll.

    (Zuruf von der FDP: Uniformierte Gesellschaft!)

    Das in der Bundestagswahl 1965 mit viel Aufwand gepriesene Deutsche Gemeinschaftswerk ist ebenfalls fallengelassen worden. Wir haben es damals schon bekämpft

    (Lachen in der Mitte)

    und haben uns deswegen manchen Arger in der Koalition eingehandelt.

    (Abg. Haase [Kassel] : Alte Kämpfer!)

    Ist die formierte Gesellschaft nun in der neuen Zusammensetzung der Regierungsbank zu sehen, oder welchen Platz nimmt dieser Begriff in der zukünftigen Politik der Regierung ein?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ganz billig!)

    Hoffentlich tritt an die Stelle — und das ist mir
    sehr, sehr ernst — der formierten Gesellschaft nicht
    die wahlrechtsmanipulierte Gesellschaft.

    (Beifall bei der FDP. — Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    In der Regierungserklärung wird dargelegt, daß der finanzielle Handlungsspielraum wiedergewonnen werden müsse, wie es wörtlich heißt, denn sonst wären die zukünftigen Haushalte nur noch Zwangsvollstreckungen früherer Regierungsvorlagen und früherer Parlamentsbeschlüsse. Offensichtlich haben Sie, Herr Bundeskanzler, dabei an die Arbeit des ,,Kuchenausschusses" Ihrer Partei vor der Bundestagswahl 1957 gedacht, als der Julius-Turm großzügig verteilt wurde, allerdings nicht in Form von einmaligen Ausgaben, sondern von steigend wiederkehrenden Ausgaben, die mit zu dem schweren Erbe der letzten Regierungen gehörten.

    (Beifall bei der FDP. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Gerade die absolute Mehrheit Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, hat uns durch Ihre Beschlüsse dazu gebracht, daß wir heute aus der Zwangsvollstrekkung früherer Regierungsvorlagen und Parlamentsbeschlüsse herausfinden müssen. Sie bestätigen mit dieser Auffassung unsere Meinung, daß für die Zukunft ein erfolgversprechender Weg nur dann beschritten werden kann, wenn wir die Ausgaben kürzen, statt durch Einnahmesteigerungen zu mehr Ausgaben anreizen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Jetzt wird sich vor allen Dingen zeigen, ob die durch die damalige Koalition auch in den kritischen Tagen des Jahres 1950 zäh verteidigte soziale Marktwirtschaft erhalten bleiben wird. Manche Passagen der Regierungserklärung lassen hier Besorgnis aufkommen. Schon hört man in den Gängen dieses Hauses flüstern, eine einkalkulierte Inflationsrate sei das bequemste Mittel, um aus der schwierigen Haushaltssituation herauszukommen.

    (Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Wie können Sie nur so etwas sagen!)

    — Wenn Sie es noch nicht gehört haben, dann sind Ihre Informationen schlechter als unsere, was mich überrascht. •

    (Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Wer hat denn von der zweiten Währungsreform gesprochen?)

    Wir Freien Demokraten bekennen uns demgegenüber nach wie vor zu dem Grundsatz, daß die Zuwachsrate der Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden mit der Zuwachsrate des Sozialprodukts in Einklang gebracht werden muß.

    (Beifall bei der FDP.)

    3704 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
    Mischnick
    Ihr Amtsvorgänger, Herr Bundeskanzler, Professor Ludwig Erhard, hat diesen Grundsatz über Jahre gemeinsam mit den Freien Demokraten vertreten. Als er selbst von diesem Grundsatz abwich — offensichtlich auf Druck falscher Ratgeber aus den eigenen Reihen —, war der entscheidende Schritt zum Ende seiner Regierungszeit getan.
    Wir bekennen uns nach wie vor zu dem Gesetz zur Förderung der Stabilität, um eine konjunkturgerechte Haushaltsgesetzgebung von Bund, Ländern und Gemeinden zu erreichen und um damit für eine langfristige Stabilitätspolitik zu sorgen.

    (Zuruf des Abg. Leicht.)

    Wir vermissen in der Regierungserklärung die notwendige klare Rangordnung für die öffentlichen Ausgaben,

    (Abg. Leicht: Wo?)

    die bei allen haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungen beachtet werden muß.
    Wir begrüßen den Hinweis, daß die Sozialinvestitionen, die der Zukunftssicherung dienen, Vorrang haben sollen. Es muß aber deutlicher als bisher zum Ausdruck gebracht werden, was dann nachrangig sein soll. In dem Aufstellen von Vorrangigkeiten sind wir uns immer sehr schnell einig gewesen; wenn es um die Nachrangigkeit geht, geht ja meistens der Streit erst los.
    Die Passagen der Regierungserklärung, die sich mit der Gesellschaftspolitik im allgemeinen und der Sozialpolitik im besonderen befaßten, sind sehr global und haben zum großen Teil nur einen geringen Aussagewert. Mit besonderem Interesse haben wir allerdings den Hinweis vermerkt, daß, wie es wörtlich heißt, „am Prinzip der dynamischen Rente" festgehalten werden soll und daß dazu festgestellt wird — ich zitiere wieder wörtlich —: „Wir müssen aber sehr ernsthaft die Bemessung der jährlichen Zuwachsraten der Sozialleistungen und der Bundeszuschüsse prüfen und sie mit den Möglichkeiten und Grundsätzen einer guten Finanzpolitik in Einklang bringen". Wir werden die Bundesregierung bei diesem Bemühen kräftig unterstützen.
    Wer keine soziale Demontage will, und wir Freien Demokraten wollen keine soziale Demontage, muß den Mut haben, die sozialen Leistungen nicht nur unter den heutigen Möglichkeiten, sondern auch unter den künftigen Entwicklungen zu sehen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir verstehen die Regierungserklärung dahin gehend, daß die neue Bundesregierung offensichtlich die Automatik überprüfen will, die in. der Rentengesetzgebung enthalten ist. Uns Freien Demokraten geht es darum, nicht nur dem Rentner von heute, sondern auch dem Beitragszahler von heute die soziale Sicherung zu geben, die' wirtschaftlich möglich ist.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Befremden mußten wir allerdings feststellen, daß für den ganzen Bereich der Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen eine pauschale Feststellung getroffen wird, die zu mancherlei Befürchtung Anlaß gibt. Will die neue Bundesregierung hier einen Schlußstrich ziehen nach dem Motto, wer bis jetzt auf der Strecke geblieben ist, der soll auch in Zukunft auf der Strecke bleiben? Ist es mit der Verwirklichung des sozialen Rechtsstaats in Einklang zu bringen, daß wir weiterhin bei der Gewährung sozialer Leistungen mit zweierlei Maßstab messen? Der Zwang, sparsam zu wirtschaften, darf doch nicht bedeuten, daß die durch den Krieg und die Nachkriegszeit Betroffenen die Hauptleidtragenden, ja zum Teil die allein Leidtragenden bleiben sollen. Ist die gestrige kurze Debatte um die Kriegsopferversorgung schon ein Vorbote dieser neuen Einstellung gewesen?

    (Abg. Dr. Schellenberg: Na, die 880 Millionen?)

    — Ich habe nicht von dem Volumen, sondern von der
    Debatte gesprochen, Herr Kollege Schellenberg, und
    das scheint mir doch ein großer Unterschied zu sein.
    Richtig wird in der Regierungserklärung davon gesprochen, daß wir uns nicht mehr leisten können, öffentliche Mittel unterschiedslos nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen. Warum hat dann eigentlich die neue Koalition ihre eigene Regierung bei der Entscheidung über das sogenannte Pennälergehalt in der vorigen Woche bereits im Stich gelassen und das noch immer vorhandene Gießkannenprinzip in diesem speziellen Bereich nicht völlig beseitigt,

    (Beifall bei der FDP)

    um damit den Weg für gezielte Maßnahmen der Ausbildungsförderung frei zu machen?
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun ein paar kurze grundsätzliche Bemerkungen zur Deutschland- und zur Außenpolitik machen. Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß der Weg der Friedensnote der Bundesregierung vom März dieses Jahres mit dem Angebot der Gewaltverzichtserklärungen fortgesetzt werden soll. Wir halten es für richtig, daß die Bundesregierung betont, sie sei bereit, das ungelöste Problem der deutschen Teilung in dieses Angebot einzubeziehen.
    Wir sind mit der Bundesregierung der Meinung, daß wir uns nicht eine falsche und gefährliche Alternative der Wahl zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten aufreden lassen sollen. Wir hätten es allerdings für besser gehalten, Herr Bundeskanzler, wenn die historischen Reminiszenzen unterblieben wären. Es ist nicht unsere Sache, die Partnerschaft anderer Staaten untereinander zu werten. Wir hoffen, daß die neue Bundesregierung alle Möglichkeiten nutzt, um die Teilnahme Großbritanniens und anderer EFTA-Länder an der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verwirklichen.
    Die Deutschlandpolitik der neuen Bundesregierung wird ein entscheidender Prüfstein dafür sein, ob sich angeblich Bewährtes oder ob sich Neues durchgesetzt hat. Niemand bestreitet, daß es richtig ist, bewährte politische Grundsätze der Vergangenheit auch für die Zukunft anzuwenden. Nur scheint die Meinung darüber, was sich bewährt und was sich nicht bewährt hat, unter den neuen Koalitionspartnern sehr unterschiedlich zu sein.

    (Beifall bei der FDP.)

    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3705
    Mischnick
    Wir sind gespannt darauf, ob die Gedanken des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, Herbert Wehner, die er in seinem Interview mit Günter Gaus dargelegt hat, nunmehr in die Politik der neuen Bundesregierung Eingang finden. Sind die Überlegungen, die in seinem neuesten Interview im „Vorwärts" erschienen sind, Grundlagen seiner Politik und entsprechen sie den Richtlinien der Politik, die Sie, Herr Bundeskanzler, ausgeben? Wir finden darin vieles, was wir Freien Demokraten immer vertreten haben und wofür wir immer von unserem damaligen Koalitionspartner beschimpft worden sind.
    Meine Freunde und ich, Herr Bundeskanzler, hoffen auf einen neuen, besseren Weg. Ich erwarte nicht, daß die Möglichkeiten der künftigen Deutschlandpolitik hier und heute bis ins einzelne dargelegt werden. Manches, dessen sind wir uns bewußt, wird man im vertraulichen Gespräch — wie wir hoffen, nicht nur innerhalb der Regierung, sondern auch mit der Opposition — behandeln müssen. Wichtig ist für uns, zu wissen, ob neue Wege nur proklamiert werden oder ob der Wille und die Mehrheit dahinter stehen, diese neuen Wege auch gehen zu wollen. Wir können mit dafür sorgen, wenn es not tut, wenn Sie uns brauchen, Herr Bundesminister Wehner, die Mehrheiten dafür zu finden.

    (Beifall bei der FDP.)

    Herr Bundeskanzler, wir Freien Demokraten vermissen in der Regierungserklärung ein Wort zur Bundeswehr und ihrem Auftrag. Es ist ja noch nicht vergessen, daß im September die damalige Opposition mit einem Mißtrauensantrag gegen den damaligen Verteidigungsminister von Hassel mehr wollte als nur die Auswechselung eines Ministers. Es wäre wichtig, heute von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu hören, wie Sie den Auftrag der Bundeswehr für die Zukunft sehen.
    Wir hätten es begrüßt, wenn in der Frage der atomaren Bewaffnung klarere Aussagen erfolgt wären. Daß wir „keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen anstreben", ist nichts Neues. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß die Bundesrepublik keinerlei Mitbesitz an Atomwaffen anstreben sollte. Nur durch eine solche klare Aussage gewinnen wir den außenpolitischen Spielraum, den wir brauchen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Damit wir unserer Verantwortung für die Erhaltung der Substanz des ganzen deutschen Volkes gerecht werden können, braucht die Bundesrepublik Deutschland ein Vetorecht gegen den Einsatz atomarer Waffen auf deutschem Boden und gegen deutschen Boden. Als gleichberechtigtes Mitglied im NATO-Bündnis hat die Bundesrepublik nach unserer Auffassung auch Anspruch auf Mitwirkung bei der Krisenbewältigung. Es soll hier auf Einzelheiten nicht näher eingegangen werden; das wird eine Reihe meiner Kollegen in weiteren Beiträgen tun. Über eines sollte sich aber jeder in diesem Hause im klaren sein: der Weg der atomaren Illusion führt geradewegs in die politische Isolation.

    (Beifall bei der FDP.)

    Zu unserem Bedauern ist in der Regierungserklärung auch kein Wort zum künftigen Notstandsrecht enthalten. Wir haben volles Verständnis dafür, daß nicht alle Ressortfragen dargelegt worden sind. Die Gestaltung des Notstandsrechts gehört aber zu den Grundproblemen, die in dieser Legislaturperiode gelöst werden müssen. Oft genug ist ja die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit dafür betont worden und zum Teil wurde gerade die Notstandsgesetzgebung als Begründung angeführt, weshalb man eine Koalition mit so breiter Mehrheit brauche.
    Es läßt mißtrauisch werden, daß gerade über diese, die Öffentlichkeit stark bewegende Frage nichts gesagt wird. Bedeutet das, daß die Notstandsgesetzgebung für den einen Teil der neuen Regierung weniger dringlich geworden ist? Soll sie damit vertagt werden? Oder bedeutet es für den anderen Teil der Regierung, daß man öffentlich besser nicht darüber spricht, weil man nicht- weiß, wie man es seinen eigenen Freunden sagen soll, wie man es ihnen begreiflich machen soll? Wir hoffen, daß unsere Befürchtungen unbegründet sind. Ein klärendes Wort hierzu durch Sie, Herr Bundeskanzler, ist vonnöten.
    Was vor Jahren und erst wieder im Januar 1966 als Lieblingskind des früheren Bundeskanzlers Dr. Adenauer erschien, ist nunmehr Wirklichkeit geworden. Es gab schon immer Stimmen in der CDU/ CSU, die nach der schwarz-roten Koalition riefen, um entweder den Freien Demokraten zu drohen oder weil sie aus innerster Überzeugung diese bequemste Regierungsmöglichkeit als der Weisheit letzten Schluß ansahen.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Na, wenn es für Sie unbequem wird; das werden wir ja erleben.
    Manche meinen sogar, daß CDU/CSU und SPD bei einer gemeinsamen Regierung gezwungen seien, sich in allen Lebensfragen des deutschen Volkes zu verständigen, womit unnötiger Leerlauf und unnützes Gezänk vermieden würden.

    (Zurufe von der SPD.)

    Das ist eine Verkennung der Aufgaben in der parlamentarischen Demokratie.
    Worin liegen die größten Gefahren dieser breiten Mehrheit? Bei den notwendigen Grundgesetzänderungen für die Notstandsgesetzgebung sowie für die Finanzreform sollten jeweils die sinnvollsten und . für die gesamte Bevölkerung besten Lösungen erarbeitet werden, nicht aber etwa unter Abtausch von Zugeständnissen die am besten bei der eigenen Anhängerschaft verkaufbaren Kompromisse gefunden werden. Es sei daran erinnert, daß anläßlich der Verabschiedung einiger Landesverfassungen 1946 und 1947 Konfessionsschulen auf der einen und Sozialisierungsartikel auf der anderen Seite beliebte Tauschobjekte gewesen sind.

    (Beifall bei der FDP.)

    3706 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
    Mischnick
    Eine weitere Gefahr sehen wir in dem Bestreben, den Bundesrat über die Umbildung der Länderkoalitionen gleichschalten zu wollen. Hier scheint der Widerstand in der SPD mancherorts auszureichen, um diese generelle Gleichschaltung zu verhindern. An uns Freien Demokraten soll es nicht liegen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Hinzu kommt die Verlockung, die heute schon in zahlreichen Organen der öffentlichen Meinung vorhandene Proporzaufteilung zu benutzen, um den unbequemen Mahner Freie Demokraten aus dem öffentlichen Meinungsbild verschwinden zu lassen.

    (Abg. Leicht: Dafür sorgt ihr doch selbst!)

    Wir sind allerdings überzeugt, daß die Verantwortlichen bei Fernsehen, Rundfunk und Presse nicht der Versuchung erliegen werden, nur die Regierungsmeinung zu vertreten. Geschähe das, wären die innerpolitischen Folgen innerhalb kürzester Frist verheerend, die außenpolitischen ließen nicht lange auf sich warten.
    Jetzt ist die Stunde der Bewährung für alle die gekommen, die von sich behaupten, sie seien liberal, und die in anderen Parteien wirken. Auf sie wird es entscheidend mit ankommen, ob in Zukunft eine Abstimmungswalze alles platt drückt, oder ob das Parlament in seiner Funktion gegenüber der Regierung nicht nur in der Regierungserklärung angesprochen wird, sondern in der täglichen Arbeit auch wirksam werden kann.

    (Beifall bei der FDP.)

    Im Laufe der Debatte werden meine Fraktionskollegen für die verschiedenen Sachgebiete die Auffassung der Freien Demokraten ausführlicher darlegen und da, wo wir es für notwendig halten, Alternativen zu der Regierungserklärung verdeutlichen. Wir werden die Politik Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, kritisch verfolgen und ihr immer dann entgegentreten, wenn wir es aus unserer grundsätzlichen freiheitlichen Auffassung für notwendig halten.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Sie können und werden keine Vertrauenserklärung von uns für Ihre Regierung erwarten. Ich wünsche Ihnen trotz aller Meinungsverschiedenheiten und grundsätzlicher Bedenken im Interesse unseres Volkes eine glückliche Hand; Sie werden sie notwendig brauchen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP.)



Rede von Erwin Schoettle
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fünf große, im Volk lebendige Fragen hat die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, der wir zustimmen, aufgeworfen sowie zu deren Lösung den Weg und das Ziel gezeigt: Die Frage der Stärkung unserer Wirtschaftskraft, die Frage der großen Reformen, die Frage der Selbstbesinnung und der Selbstbestimmung der Deutschen, die Frage nach Europa und die Frage nach Bündnis und Frieden. Wir sind dankbar, daß — und auch wie —, Herr Bundsekanzler, es gelang, zur Zusammenschau der Dinge und der Probleme vorzustoßen. Durch Verzicht auf vieles wurde die Erklärung selbst viel.
    Bevor ich mich diesen fünf großen Fragen zuwende, möchte ich die Vorfrage beantworten: Warum und wozu wurde jetzt diese große Koalition gebildet? Der Herr Bundeskanzler selbst hat zutreffend dazu gesprochen. Wir als CDU/CSU halten dies aber für so wichtig, daß wir hier, und damit vor dem deutschen Volk, einiges festhalten wollen, an das uns jedermann soll jederzeit erinnern können.
    Erstens. Mit Respekt und Dank sprechen wir heute und weiterhin von Ihnen, Herr Bundeskanzler Professor Erhard, und von den Mitgliedern Ihrer beiden Regierungen.

    (Lachen bei der FDP.)

    — Meine Damen und Herren, ich komme zu Ihnen noch ausreichend genug.

    (Abg. Zoglmann: Etwas mehr Haltung! — Weitere Zurufe von der FDP.)

    Zweitens. Die frühere Koalition CDU/CSU und FDP ist beendet worden, indem die FDP ihre Minister zurückzog.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der FDP.)

    Es war unmöglich, diese Koalition zu erneuern. Es schien nicht nur so, sondern es war so, daß die FDP einen anderen Partner suchte.
    Drittens — und wir legen Wert darauf, auch dies festzuhalten —: Die Bundestagsfraktion der CDU/ CSU hätte sich nicht gescheut, die Rolle der Opposition zu übernehmen, falls es zur Koalition SPD/ FDP gekommen wäre. Es ist keineswegs so, wie vielfach behauptet, unterstellt und mißdeutet wird, als bräuchten wir für unser Selbstverständnis und Selbstbewußtsein immer die Rolle der Regierungspartei.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Viertens. Auch wir haben weder leichten Herzens noch leichtfertig den Entschluß zur großen Koalition gefaßt. Auch wir begreifen das Außerordentliche dieses Vorgangs, die Tiefe des Einschnitts in unsere historische, politische, parteipolitische und parlamentarische Entwicklung. Wir haben besorgte Stimmen aufmerksam beachtet, welche von Gefahren sprechen, von Gefahren des Proporzes aus Bequemlichkeit, der Erlahmung des Parlaments, des Auftriebs für Radikale und der Langeweile für die besonders Interessierten. Wir halten solche Gefahren weder für unausweichlich noch für zwingend. Wir halten sie für vermeidbar oder überwindbar. Indem wir aber selber, und an dieser Stelle, von solchen möglichen Fehlentwicklungen offen sprechen, bekunden wir den Vorsatz — und dies tun wir bewußt öffentlich —, diesen Dingen nicht zu erliegen. Diese große Koalition soll und wird zu-
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3707
    Dr. Barzel
    gleich Bewährtes bewahren, Erfolgreiches fortsetzen, Neues beginnen.

    (Zurufe von der FDP.)

    — Sie werden davon hören. Keiner der Partner geht durch ein kaudinisches Joch.
    Wir wollen diese Koalition auf Zeit. Der Zwang zum Ende muß auch durch ein Übergangswahlrecht für 1969 verstärkt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wollen diese Koalition nicht so sehr wegen der Lage, sondern wegen der Ziele. Unser Land braucht Reformen. Diese Reformen brauchen besondere Mehrheiten. Sie sind unmöglich ohne Änderungen des Grundgesetzes.
    Aber, meine Damen und Herren, Zusammenarbeit hier heißt nicht Eintopf.

    (Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Sehr richtig!)

    Es ist etwas anderes als eine langweilige Uniformität, — und Opposition ist etwas anderes als Lautstärke, meine Damen und Herren von der FDP!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Zusammenarbeit läßt jedem seinen eigenen Handlungsspielraum, — natürlich, hier im Hause, innerhalb des gemeinsam abgesteckten Rahmens, wie ihn die Regierungserklärung festgelegt hat. Ich glaube, schon die Schwierigkeit der Probleme, die vor uns stehen, und unser Vorsatz, den wir eben verkündeten, werden dafür sorgen, daß es hier im Hause lebendig bleibt.
    Wir begreifen diese Große Koalition als Notwendigkeit von heute, um die Probleme von heute zügig zu lösen und den künftigen Erfordernissen unseres Landes durch gemeinsame Arbeit zu entsprechen. Unser Interesse an dieser Zusammenarbeit ist überwiegend durch die großen Reformwerke begründet. Wir wollen jetzt zusammenarbeiten, um eine für die Zukunft erneuerte Basis miteinander zu finden und dann auf diesem Fundament, schon wegen des Wahlrechts, im offenen Wettstreit wieder miteinander und gegeneinander um den besten Weg zu ringen.
    Freilich: Nach dieser Großen Koalition werden wir alle nicht mehr sein wie vorher. Wir werden einander besser kennen.

    (Lachen bei der FDP.)

    Und es wird sich vielleicht — wir sagen: hoffentlich! — eine neue Art der demokratischen Auseinandersetzung entwickeln wie auch der Zwang zu Koalitionen überhaupt entfallen, meine Damen und Herren. Auch das ist ein Argument für die Koalition jetzt; denn es ist besser, Herr Kollege Mischnick, und für den Staatsbürger durchsichtiger, wenn sich keiner hinter Koalitionskompromissen verstecken kann,

    (Sehr gut! in der Mitte)

    wenn einer die Mehrheit hat, so wirklich regieren
    kann und schließlich die Wähler einen vermehrten
    Freiheits- und Einwirkungsraum haben, weil sie
    selbst und korrekt sagen können: „Die sollen weiterregieren!" oder: „Die sollen in die Opposition gehen!".

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eines ist ganz klar: daß ein Zusammenhang zwischen einem Wahlrecht, wie es die Regierung als Absicht verkündet hat, und den Bestimmungen des Parteiengesetzes besteht, das natürlich Luft, Mitwirkungsmöglichkeiten für alle Bürger geben muß, die sich an den Entscheidungen in den Parteien beteiligen wollen.

    (Zuruf von der FDP: Luftikus!)

    Meine Damen und Herren, CDU und CSU haben schon im Parlamentarischen Rat solche Vorstellungen vertreten. Damals schien es, wie jeder weiß, völlig ungewiß, wie die ersten Bundestagswahlen ausgehen könnten und würden. Es war und ist allein eine staatspolitische Erwägung, die uns seit damals leitet. So kann niemand unserer Fraktion vorwerfen, sie lasse sich in dieser Frage von irgendwelchen Ressentiments oder Aversionen leiten.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Es geht auch nicht darum, die Parteien, wie sie sind, zu zementieren. Das geht nämlich gar nicht, auch nicht durch das Wahlrecht. Denn, meine Damen und Herren, sehen Sie z. B. in die Parteiengeschichte Großbritanniens! Sie würden sehen, daß selbst das dortige klassische relative Mehrheitswahlrecht große Umstrukturierungen im parteipolitischen Leben zuläßt. Eben dies wird auch in unserem Lande der Fall sein.
    Weil wir eine Koalition auf Zeit gegründet haben, wird kein Partner dem anderen zumuten, daß er davon absieht, sein eigenes politisches Gesicht zu zeigen. Es ist ja nicht so, als wären unsere Leitbilder plötzlich kongruent geworden;

    (Zuruf von der FDP: Welche?)

    Sie bleiben Sozialisten, wir Christliche Demokraten. Es gibt grundsätzliche, grundlegende Verschiedenheiten, über die wir, und zwar wir selbst uns und auch andere, schon deshalb nicht hinwegtäuschen dürfen, weil sonst dem politischen Opportunismus Tür und Tor geöffnet wäre. Die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union geben ihre Grundsätze nicht preis; durch sie werden die Grenzen unserer Kompromißbereitschaft bestimmt; und wir respektieren es selbstverständlich, daß auch die Kompromißbereitschaft unseres Partners eben solche Grenzen kennt.
    Wenn wir an die Verhältnisse zurückdenken, unter denen 1949 das Grundgesetz geschaffen wurde, so kann es keinen Zweifel geben, daß wir insgesamt Bilanz zu machen haben und aus den Veränderungen, die eingetreten sind, Konsequenzen ziehen müssen. Die Fairneß gebietet es, festzuhalten, daß die früheren Bundesregierungen, und auch die letzte, unter Bedingungen tätig waren, deren Revisionsbedürftigkeit jetzt auch für die Bildung dieser Koalition mit entscheidend war.
    Zum Fünften. Meine Damen und Herren, wir wiederholen erneut, auch nach veränderter Koali-
    3708 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
    Dr. Barzel
    tion, was uns hier immer geleitet hat: Die Verantwortung eines jeden in diesem Hause ist unabhängig vom Grad seines Beteiligtseins an der Bundesregierung. Wir alle zusammen vertreten das Volk, das ganze deutsche Volk. Mit unseren sozialdemokratischen Kollegen tragen wir nun zum erstenmal gemeinsam eine Regierung. Das wird dazu führen, daß wir uns in einer anderen Weise als bisher aneinander zu gewöhnen haben. Ich bin ziemlich sicher — nicht weil wir dies so wollen, sondern weil dies die Erfahrung lehrt --, daß es auch in der neuen Koalition Mißverständnisse und Reibungen geben wird. Dies wird von uns nicht so gewollt sein; und wenn es sie gibt, dann wollen wir darüber miteinander sprechen, aber weniger übereinander reden. Wir wollen sichtbar miteinander Erfolg und Zusammenarbeit, und es gibt keinen Anlaß zu irgendeiner Heimlichkeit oder irgendeinem Versteckspiel.
    Unsere. Kollegen von der FDP sind nun in der Opposition. Auch dies verlangt wechselseitig ein neues Gewöhnen aneinander.

    (Zuruf des Abg. Mischnick.)

    — Wir haben — trotz Ihrer Rede, Herr Kollege Mischnick, hören Sie wohl zu — nicht die Absicht, den auf lange Strecken mit Ihnen gemeinsam gegangenen Weg zu vergessen oder gemeinsame Werke heute zu mißachten. Da wir einander gut kennen, werden wir besonders sorgsam zuhören, was Sie sachlich zu sagen haben. Allerdings war ich heute morgen ein bißchen enttäuscht. Dies war mehr eine polemische Einübung als Opposition.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich will nur zwei Dinge zu dem, was Sie sagten, anfügen. Herr Kollege Mischnick, das, was Sie über Haushaltsausgleich sagten, wäre glaubhafter, wenn Sie dem Finanzplanungsgesetz zugestimmt hätten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das, was Sie zur Koalitionsfrage in der Vergangenheit gesagt haben, wäre redlicher gewesen, wenn Sie mitgeteilt hätten, daß Sie der SPD ein Angebot gemacht hatten, bevor wir uns endgültig entschieden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich komme nun zu den fünf großen Fragen oder besser: zu den fünf großen gemeinsam erreichbaren Zielen.
    Zunächst: Stärkung unserer Wirtschaftskraft. Dies ist wohl, wenn wir es recht verstehen, Herr Bundeskanzler, der leitende Gedanke aller Aussagen und Absichten zur Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung. Wir begrüßen dankbar diesen uns wohlvertrauten Gedanken, diesen Leitgedanken, von dem aus die Einzelheiten zu sehen und von dem her sie zu ordnen sind.
    Meine Damen und Herren, es ist ja — und dies ist seit langem bekannt — nicht mehr möglich, etwa mit fröhlichem Feldgeschrei „hie Soziales" und „dort Ökonomisches", gegeneinander ins Feld zu ziehen oder Ressortstellungskrieg zwischen Haushalts- und Gesellschaftspolitik zu führen. Die Ordnung nach einem Leitgedanken, auch nach einem Gesamtprogramm ist nicht nur zwingend, um Übersichtlichkeit der Probleme und Durchsichtigkeit für den Staatsbürger zu bewirken, nicht nur, um Widersprüchliches, Einseitigkeit, Enge und Interessenten zu vermeiden, sondern vor allem auch deshalb: Einmal, weil allein die produktive Leistung des Ganzen ausschlaggebend für Fortschritt und politische Möglichkeiten ist und bleibt; und zum andern, weil dies wahr bleibt — wir legen Wert darauf, dies hier eingangs zu diesem Kapital zu sagen —: bei aller Differenzierung — und darin sind wir hier alle Meister — in den Steuerzahler, den Beitragszahler, den Verbraucher, den Sparer, den Sozialversicherten und so fort bleibt doch festzuhalten, daß am Schluß immer derselbe Mensch, immer derselbe Staatsbürger und dasselbe Volk steht wie auch die Notwendigkeit, eben doch irgendwann und irgendwie den Kosten entsprechend zu zahlen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Dies nimmt uns niemand ab, und dies tut kein anderer für uns. Dies müssen wir am Schluß eben selber tun. Und so begrüßen wir die Abrede der Koalition, nun nicht etwa munter drauf los umzuverteilen, sondern die Grenzen hierfür ebenso zu sehen wie für das finanziell Mögliche, das sozial Vernünftige wie für die Vermeidung eines etwaigen weiteren Kostendrucks auf unsere Volkswirtschaft. Und im übrigen halten wir, eben weil sich dies bewährt und uns zum Erfolg geführt hat, an Sozialer Marktwirtschaft und an Sozialer Partnerschaft fest.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Dies hat unserem Volk wohlgetan.

    Ich sagte eben, Stärkung der Wirtschaftskraft sei ein uns seit langem vertrauter Leitgedanke. Dies stimmt, denn, meine Damen und Herren— und das ist wichtig für diese Debatte —, wir gaben ja nicht aus Lust oder Laune der Stabilität den Vorrang, sondern aus politischer Notwendigkeit, aus ökonomischer und sozialer Einsicht und aus Sorge um unser gutes deutsches Geld und aus Verantwortung für eine gute Zukunft,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    für eine Zukunft mit Wachstum, mit Vollbeschäftigung, mit Geldwertstabilität und mit außenwirtschaftlichem Gleichgewicht. Uns war klar, daß dies nicht einfach war, daß dieser Prozeß, der notwendige Prozeß der Rationalisierung, der Stabilisierung, der Konsolidierung seinen Preis hatte und hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wenn wir nun heute einen Schritt zurücktreten und hier ohne die Details, die meine Kollegen ausbreiten werden, feststellen, daß bei den Preisen ebenso wie bei den außenwirtschaftlichen Ergebnissen und auf dem Arbeitsmarkt andere und bessere Situationen und Daten zu verzeichnen sind, so ist dies die Folge einer gewollten Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn wir heute mit der Bundesbank über Normalisierung und behutsame Kursänderung sprechen,
    wenn wir darüber sprechen können, ja darüber
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3709
    Dr. Barzel
    sprechen müssen, so ist auch dies eine bewußt herbeigeführte, seit einiger Zeit vorgesehene Situation. Wir wissen, daß der Zeitpunkt zur Normalisierung und rechtzeitigen Umschaltung der Konjunkturpolitik bevorsteht. Wir können nun den Beginn eines soliden Aufschwungs im nächsten Jahr erwarten, und dies fiel nicht vom Himmel. Aber einiges muß dafür noch getan werden, vor allem die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    — wir sind schließlich deswegen früher aus der Sommerpause gekommen — und eine Haushaltspolitik, die alles dies doch erst ermöglicht.
    Auch wir unterstützen — und dies tun wir lebhaft
    — die erneuerte Absicht der Bundesregierung, mit den Tarifpartnern in ein stetiges Gespräch zu kommen und ein Verhalten dieser gesamtwirtschaftlich so entscheidenden Mitgestalter unserer Entwicklung zu erwirken, das mithilft, die genannten Ziele zu erreichen, denn ohne konstruktive Mitarbeit der Tarifpartner wie auch ohne adäquates Handeln von Bund, Ländern und Gemeinden werden wir unsere Ziele, auch mit großer Mehrheit, nicht erreichen.
    Was hier zur Verbesserung des Kapitalmarkts gesagt ist, ist auch unsere Absicht. Wir fragen uns aber, ob eine etwa nicht mit der EWG harmonisierte Abschaffung der Kuponsteuer sinnvoll ist. Dies bleibt zu prüfen. Wir meinen auch, daß für geraume Zeit noch alle öffentlichen Hände sich auf dem Kapitalmarkt zurückhalten sollten. Natürlich bleiben wir gesprächsbereit für andere Auffassungen. Aber da muß man schon mit sehr guten Argumenten kommen.
    Meine Damen und Herren, auch wir wollen das Wachstum. Die Lage jetzt legt nahe, hierauf und auf den sicheren Arbeitsplatz besonders zu achten. Aber vernünftig und sozialgerecht werden Wachstum und Vollbeschäftigung am besten bei Stabilität und bei außenwirtschaftlichem Gleichgewicht sein. Wir wollen ein modernes Land bleiben, und das setzt Leistung, harte Arbeit und gute Politik voraus.
    Wir wollen die Augen nicht davor verschließen, daß wir auch wirtschaftliche Strukturprobleme haben, die wir lösen müssen, wenn es gut weitergehen soll. Das Handwerk hat nun eine gesündere Struktur. Die Landwirtschaft steigert ihre Produktivität und kommt zu neuen Strukturen. Im Handel sind Umstellungen jedermann sichtbar. Die Kohle ist gerade jetzt in einem auch schmerzhaften Prozeß der Rationalisierung. Die Stahlindustrie ist mitten in einer Veränderung. Gleiches gilt für die Bundesbahn.. Auch das Anwachsen der Dienstleistungen und ihr, auch für den öffentlichen Dienst, notwendig schritthaltender Preis gehören hierzu wie der hohe Rang unserer Bildungspolitik. Meine Damen und Herren, das alles vor uns, wird man sagen müssen: Leichte, scheinbar populäre Arbeit ist in der verantwortlichen Politik auf Jahre nicht zu finden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir legen auch Wert auf diese Feststellung: Unser gesellschaftspolitisches Leitbild ist bekannt.
    Wir halten daran fest. Familie und Eigentum, bäuerlicher Familienbetrieb, Handwerk, Mittelstand, Gesundheit, soziale Sicherheit mit unserer Rentenreform, menschlichere Umwelt auch in der industriellen Arbeitswelt, — dies bleiben für uns nicht nur Stichworte, sondern Programmpunkte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)