Rede:
ID0504119700

insert_comment

Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 5041

  • date_rangeDatum: 17. Mai 1966

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:07 Uhr

  • fingerprintRedner ID: Nicht erkannt

  • perm_identityRednertyp: Präsident

  • short_textOriginal String: D. Dr. Gerstenmaier (der mit Bundeskanzler Dr. Erhard an dessen Platz gesprochen hat) : info_outline

  • record_voice_overUnterbrechungen/Zurufe: 0

  • subjectLänge: 0 Wörter
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 0
    1. tocInhaltsverzeichnis
      Deutscher Bundestag 41. Sitzung Bonn, den 17. Mai 1966 Inhalt: Telegrammwechsel zwischen den Präsidenten des Deutschen Bundestages und des Schwedischen Reichstages zu dessen 100. Geburtstag 1777 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der. Abg. Mauk, Dr. Ils und Hahn (Bielefeld) 1777 B Abg. Dr. Hamm (Kaiserslautern) legt sein Mandat nieder 1777 B Abg. Jung tritt in den Bundestag ein . 1777 B Überweisung des Entwurfs einer Patentanwaltsordnung an den Haushaltsausschuß gem. § 96 GO 1777 C Fragestunde (Drucksache V/614) Frage des Abg. Müller (Mülheim) : Haftpflichtversicherungszwang für Motorboothalter Dr. Jaeger, Bundesminister . . . 1778 A Müller (Mülheim) (SPD) 1778 B Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Änderung des § 61 Konkursordnung 1778 D Frage des Abg. Fritsch (Deggendorf) : Verbesserung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes 1779 A Fragen des Abg. Dr. Lohmar: „Tele-Kolleg" Dr. Ernst, Staatssekretär . . . . . 1779 B Dr. Lohmar (SPD) . . . . . . . 1779 C Fragen des Abg. Kulawig: Anrechnung von Aufwandsentschädigungen auf Versorgungs- und Ruhegehaltsbezüge Dr. Ernst, Staatssekretär . . . . . 1779 D Frage der Abg. Frau Freyh: Auskunftserteilung betreffend Erklärung der Stadt Frankfurt zum weißen Kreis Dr. Bucher, Bundesminister . . . . 1780 B Frau Freyh (SPD) . . . . . . . 1780 C Frau Berger-Heise (SPD) . . . . . 1780 D Frau Meermann (SPD) . . . . . 1781 A Hauffe (SPD) . . . . . . . . 1781 B Bartsch (SPD) 1781 D Müller (Mülheim) (SPD) 1781 D Fragen des Abg. Lautenschlager: Fehlbedarf an Wohnungen für Bundesbedienstete Dr. Bucher, Bundesminister . . . . 1782 B Lautenschlager (SPD) . . . . . . 1782 B Fritsch (Deggendorf) (SPD) . . . . 1782 D Strohmayr (SPD) . . . . . . . 1783 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Mai 1966 Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Absetzbarkeit von Werbungskosten . 1783 B Fragen des Abg. Dr. Martin: Diskriminierung der Examina an deutschen medizinischen Fakultäten durch die Nigerianische Ärztekammer Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1783 C Dr. Martin (CDU/CSU) . . . . . 1783 D Kahn-Ackermann (SPD) . . . . 1784 A Moersch (FDP) 1784 A Fragen des Abg. Matthöfer: Stellungnahme des DGB gegen die Aufnahme Franco-Spaniens in die EWG Dr. Schröder, Bundesminister . . 1784 B Matthöfer (SPD) 1784 C Strohmayr (SPD) 1785 A Fragen des Abg. Schmidt (Braunschweig) : Wettbewerbsbenachteiligungen für den inländischen grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 1785 D Schmidt (Braunschweig) (SPD) . . . 1786 A Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 1786 C Frage des Abg. Jahn (Marburg) : Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1786 D Jahn (Marburg) (SPD) 1787 A Frage des Abg. Lautenschlager: Verkehrs- und Abfertigungsverhältnisse beim Zollamt Lindau-Ziegelhaus Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1787 C Lautenschlager (SPD) 1787 D Fragen des Abg. Strohmayr: Finanzierung der Olympischen Spiele 1972 in München — Gedenkmünze Dr. Dahlgrün, Bundesminister . 1788 B Strohmayr (SPD) 1788 C Dr. Rinderspacher (SPD) . . . . 1788 D Fragen des Abg. Reichmann: Förderung und Entwicklung der Orthopädie-Technik Katzer, Bundesminister . . . . 1789 A Reichmann (FDP) 1789 B Mick (CDU/CSU) 1790 A Frage des Abg. Josten: Erledigung der Anträge auf Anerkennung als Kriegsopfer Katzer, Bundesminister . . . . 1790 C Josten (CDU/CSU) 1790 C Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der EWG (Drucksache V/527); Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses (Drucksache V/607) — Zweite und dritte Beratung — 1791 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1966 (Haushaltsgesetz 1966) (Drucksache V/250) — Zweite Beratung — Leicht (CDU/CSU) 1791 B Hermsdorf (SPD) 1796 C Dr. Emde (FDP) 1799 D Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksache V/573) in Verbindung mit Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksache V/574) Erler (SPD) 1804 A D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . 1811 D Dr. Schmid, Vizepräsident . . . 1812 A Dr. Erhard, Bundeskanzler . . . 1812 B Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1817 B Strauß (CDU/CSU) . . . . . . 1818 C Mischnick (FDP) 1827 D. Dr. Mende, Bundesminister . . . 1832 A Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . 1835 A Dr. Schröder, Bundesminister . . 1837 C Moersch (FDP) 1841 B Dr. Martin (CDU/CSU) 1843 A Frau Geisendörfer (CDU/CSU) . 1843 D Kahn-Ackermann (SPD) . 1844 A, 1846 D Dr. Conring (CDU/CSU) . 1845 C, 1847 A, 1854 A Sänger (SPD) . . . . . . . . . 1847 B Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 1848 C Wischnewski (SPD) . . . . . . 1853 A Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksache V/570) . . 1855 C Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksache V/571) Dr. Götz (CDU/CSU) . . . . . . 1855 C Dorn (FDP) . . . . . . . 1858 B Frehsee (SPD) 1863 D Brese (CDU/CSU) . . . . . . 1868 D D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . 1872 C Dr. Abelein (CDU/CSU) 1874 C Genscher (FDP) 1877 A Ruf (CDU/CSU) . . . . . . . 1878 C Nächste Sitzung . 1879 C Anlagen 1881 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Mai 1966 1777 41. Sitzung Bonn, den 17. Mai 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
    2. folderAnlagen
      Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Mai 1966 1881 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Aigner * 17.5. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 18.5. Dr. Artzinger 17. 5. Bading* 18. 5. Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke 13.5. Prinz von Bayern 21. 5. Berger 18.5. Blachstein 17.5. Borm 18.5. Buchstaller 28.5. Dr. Burgbacher 17.5. Burgemeister 18. 5. Diekmann 18.5. Frieler 2. 7. Dr. Furler 29. 5. Geldner 18.5. Dr. Hammans 18.5. Illerhaus 17.5. Dr. Jungmann 30.6. Frau Kalinke 18. 5. Klinker * 18.5. Kriedemann * 17.5. Lemmer 17.5. Lücker (München) * 17.5. Mauk * 18.5. Dr. von Merkatz 31. 5. Metzger * 18.5. Michels 17. 5. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 30. 6. Dr. Morgenstern 30. 6. Müller (Aachen-Land) * 18.5. Dr. Müller (München) 18. 5. Richarts * 17.5. Schwabe 22.5. Stahlberg 31.6. Frau Strobel * 17.5. Teriete 2. 7. Tobaben 18.5. Dr. Toussaint 17. 5. Unertl 18.5. Zerbe 27. 5. b) Urlaubsanträge Dr. Barzel 31. 5. Brünen 23.5. Gibbert 27. 5. Frau Jacobi (Marl) 27. 5. Dr. h. c. Jaksch 13. 6. Hahn (Bielefeld) 27.5. Seither 31. 5. Seuffert 28.5. *) Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Umdruck 37 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1966, hier: Einzelplan 04 - Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen V/250 Anlage, V/573). Der Bundestag wolle beschließen: Zu Kap. 04 03 — Presse- und Informationsamt der Bundesregierung - 1. Im Tit. 300 - Zur Verfügung des Bundeskanzlers für Förderung des Informationswesens -(Drucksache V/250 Anlage S. 28) - wird der Ansatz von 12 500 000 DM um 4 500 000 DM auf 8 000 000 DM gesenkt. Der Haushaltsvermerk erhält folgende Fassung: „Die Jahresrechnung über die Einnahmen und Ausgaben dieses Titels unterliegt nur der Prüfung eines Unterausschusses des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages und des Präsidenten des Bundesrechnungshofes. Die Erklärungen des Unterausschusses und des Präsidenten des Bundesrechnungshofes bilden die Grundlage für die Entlastung der Bundesregierung." 2. Tit. 314 - Aufklärung und Unterrichtung der Bevölkerung auf den Gebieten der Sozialinvestitionen — 2 500 000 DM (Drucksache V/573 S. 4) wird gestrichen. Bonn, den 16. Mai 1966 Erler und Fraktion Anlage 3 Umdruck 36 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1966, hier: Einzelplan 05 - Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts (Drucksachen V/250 Anlage, V/574). Der Bundestag wolle beschließen: In Kap. 05 02 — Allgemeine Bewilligungen — wird in Tit. 964 — Ausrüstungshilfe - (Drucksache V/574 S. 4) der Ansatz um 27 000 000 auf 60 000 000 DM gekürzt. Bonn, den 16. Mai 1966 Erler und Fraktion 1882 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Mai 1966 Anlage 4 Umdruck 48 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1966 hier: Einzelplan 05 — Auswärtiges Amt (Drucksachen V/250 Anlage, V/574). Der Bundestag wolle beschließen: In Kap. 05 02 — Allgemeine Bewilligungen — Tit. 676 — Förderung der UNESCO-Arbeit in der Bundesrepublik b) Zuschuß an das UNESCO-Institut für Pädagogik in Hamburg — (Drucksache V/250 Anlage S. 43) wird in den Erläuterungen Absatz 2 gestrichen. Bonn, den 17. Mai 1966 Erler und Fraktion Anlage 5 Umdruck 38 Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1966 1. hier: Einzelplan 02 — Deutscher Bundestag (Drucksachen V/250 Anlage, .V/571). Der Bundestag wolle beschließen: In Kap. 02 01 wird der Tit. 710 — Errichtung eines Bürohauses des Deutschen Bundestages (Arbeitszimmer für Abgeordnete und Sitzungsräume für Ausschüsse) — mit einem Ansatz von 3 000 000 DM gestrichen. 2. hier: Einzelplan 06 — Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern (Drucksachen V/250 Anlage, V/575) . Dementsprechend wird in Kap. 06 02 Tit. 610 — Für zentrale Maßnahmen auf dem Gebiet des Sports und der Leibesübungen — der Ansatz von 6 180 000 DM um 3 000 000 DM auf 9 180 000 DM erhöht. In den Erläuterungen zu Kap. 06 02 Tit. 610 wird der Nummer 1 folgender Buchstabe c angefügt: „c) Zuschüsse zur Ausrichtung der Olympiade 1972 in München 3 000 000 DM". Bonn, den 16. Mai 1966 Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion Anlage 6 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Seiermann vom 6. Mai 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Cramer (Drucksache V/561 Frage IX/11): Ist die Bundesregierung bereit, die Deutsche Bundesbahn zu veranlassen, für den Transport von Muschelkalk einen dem früheren G-Tarif ähnlichen Sondertarif einzuführen, um der drohenden Existenzvernichtung deutscher Muschelkalkwerke zu begegnen? Nach den Bestimmungen der Verkehrsänderungsgesetze vom 1. August 1961 kann der Bundesminister für Verkehr die Deutsche Bundesbahn nur aus Gründen des allgemeinen Wohls zur Einführung einer Tarifmaßnahme veranlassen. Solche schwerwiegenden Gründe dürften im vorliegenden Falle nicht gegeben sein. Im übrigen würde es sich dabei um einen Unterstützungstarif handeln, der nach dem EWG-Vertrag ohne Genehmigung der Kornmission unzulässig ist. Bei der Genehmigung solcher Maßnahmen legt die Kommission einen sehr strengen Maßstab an. Sie verlangt grundsätzlich zunächst Hilfe durch unmittelbare Unterstützung, wenn diese unerläßlich und mit den Bestimmungen des EWG-Vertrages vereinbar ist. Ihrer Entscheidung über einen Unterstützungstarif muß sie ein multilaterales Konsultationsverfahren vorschalten.
    • insert_commentVorherige Rede als Kontext
      Rede von Fritz Erler


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

      Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundestagswahl liegt acht Monate zurück. Die Erklärung der neugebildeten Regierung haben wir vor sechs Monaten gehört. Die Haushaltsdebatte, zumal über den Haushalt des Bundeskanzlers, sollte uns Veranlassung geben, zu prüfen, was inzwischen in Ausführung der Regierungserklärung geschehen ist, wie sich die Ankündigungen der Erklärung vergleichen lassen mit den Handlungen und den inzwischen eingebrachten Vorlagen.
      Die Bilanz ist mehr denn dürftig. Aus den großen Debatten, die in diesem Hause zu den Grundfragen unserer inneren Ordnung stattgefunden haben, wurden keine Lehren gezogen.
      Die Preise steigen weiter. Dabei wollte die Regierung schneller bremsen als der Sachverständigenrat, der eine bestimmtes allmähliches Dämpfen des Preisauftriebs vorgeschlagen hatte. Ich darf die Entwicklung des Preisniveaus in Erinnerung rufen: in der ersten Legislaturperiode von 1949 bis 1953 um insgesamt um 1,2 %, in der zweiten bis 1957 um 5,2%, in der dritten bis 1961 um 7,2%, in der vierten bis 1964 um 11,9%. Inzwischen hat sich das Tempo verstärkt, nicht etwa vermindert. Im letzten Jahresbericht der Deutschen Bundesbank ist zu lesen: „Seit der Korea-Krise im Jahre 1951 war der Preisindex für die Lebenshaltung in keinem Jahr so stark gestiegen wie 1965." Die Regierung steht dieser Entwicklung hilflos gegenüber; ich muß leider mehr sagen: in gewissem Umfange mitschuldig. Denn große Brocken in den Lebenshaltungskosten, die zu dem Preisauftrieb ganz entscheidend beigetragen haben, stellen sich doch dar etwa in der Entwicklung der Mieten, in der Entwicklung der Ernährungskosten, in der Entwicklung des Kapitalzinses als wichtigen Kostenfaktors für die gesamte gewerbliche Wirtschaft.
      Alle drei Faktoren wurden sehr wesentlich beeinflußt durch politische Entscheidungen der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheitsparteien, von der Mietgesetzgebung, über die von der Bundesregierung in den europäischen Gemeinschaften betriebene Politik bis hin zu der unseligen Angelegenheit der Kuponsteuer. Unsere Zahlungsbilanz ist rückläufig. Die Krise des Kohlenbergbaus hat sich trotz der Zusagen in bezug auf Abhilfe verschärft. Da, Herr Bundeskanzler, nimmt sich im Ruhrrevier die Forderung nach nunmehr der zweiten deutschen Überstunde angesichts der Feierschichten und einsetzen der Kurzarbeit in der Stahlindustrie wie schierer Hohn aus.

      (Beifall bei der SPD.)

      Natürlich kennen auch wir die volkswirtschaftlichen Grenzen der Arbeitszeitverkürzung. Die Verhältnisse sind von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig verschieden. Deshalb passen Globalformeln nicht. Aber immerhin werden seit 50 Jahren gegen die Verkürzung der Arbeitszeit aus dem gleichen Lager
      immer dieselben Argumente wie heute vorgebracht; schon als es noch den 12-Stunden-Tag und die Kinderarbeit gab, war das gleiche zu hören.

      (Beifall bei der SPD.)

      Jetzt ist Wirtschafts p o l i t i k nötig und eine Regierung, die führt. Treibenlassen genügt nicht, und markige Reden genügen auch nicht.

      (Beifall bei der SPD.)

      Die Ratschläge des volkswirtschaftlichen Sachverständigenrats wurden in den Wind geschlagen. Aber auch andere Maßnahmen wurden nicht ergriffen. Einer der Sachverständigen, der der CDU angehörende Dr. Binder, hat dem Kabinett vor wenigen Wochen bescheinigt, daß es im Kampf gegen die Geldentwertung eine Schlacht verloren habe, und er meinte, es bedürfte des Willens der Bundesregierung, wirklich zu regieren. Also von einem Freunde wurde ihr bescheinigt, daß es an diesem Willen fehle.
      Ich möchte nur einige Beispiele für den Unterschied zwischen Ankündigungen und Taten geben. Bei genauer Durchsicht der Regierungserklärung ließen sich diese Beispiele noch beliebig vermehren.
      So hieß es in der Regierungserklärung zum Thema „Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden" wörtlich:
      Gestützt auf die von der sogenannten Enquetekommission ausgesprochenen Empfehlungen hat die Bundesregierung die Initiative ergriffen, um in enger Zusammenarbeit mit den Ländern rasche und wirksame Hilfe zu leisten.

      (Abg. Wehner: Hört! Hört!)

      Wo ist diese Hilfe sichtbar? Es hieß „rasch", und es hieß „wirksam".
      Ein anderes Beispiel: Zonenrandgebiet. In der Regierungserklärung hieß es:
      Der politischen Bedeutung und der wirtschaftlichen Situation des Zonenrandgebiets wird dis Bundesregierung weiterhin Rechnung tragen.
      Nicht einmal bei den Plänen der Bundesbahn auf Streckenstillegungen wurde dieser Grundsatz berücksichtigt.
      Oder zu den Sozialinvestitionen. Da hat die Regierung angekündigt, daß Prioritäten, Rangfolgen und Schwerpunkte der einzelnen Maßnahmen festgelegt werden müßten. Ich zitiere wörtlich: „Die Bundesregierung wird dem Bundestag entsprechende Vorschläge machen". Seit der Regierungserklärung ist ein halbes Jahr vergangen. Von den Vorschlägen ist nichts zu sehen.

      (Abg. Wehner: Die Regierung „macht" immer noch!)

      Die damaligen Ankündigungen waren verbunden mit den vagen Ideen über das Deutsche Gemeinschaftswerk; auch in diesem Rahmen war ja von mehrjährigen Investitionsprogrammen die Rede. Es hieß, die Vorschläge würden „alsbald" nach Abschluß der Arbeiten der Sachverständigenkommission für die Finanzreform mit den Ländern abgestimmt und vorgelegt werden. Wie ist es, Herr



      Erler
      Bundeskanzler: Wie weit ist man gekommen? Ist überhaupt etwas geschehen? Ist die Abstimmung mit den Ländern eingeleitet worden? Es wäre gut, darüber etwas zu hören.

      (Sehr gut; bei der SPD.)

      Die Regierungserklärung kündigte eine Reform des Haushaltsrechts an. Wie weit ist die Vorlage gediehen? Die Regierungserklärung bekannte sich auch zu einer langfristigen Haushaltsplanung. Welch schreckliches Wort! Früher hat man sich darüber lustig gemacht. Ein Mann auf der Regierungsbank hat einmal verkündet, ein bißchen Planung gäbe es nicht, genausowenig wie ein bißchen Schwangerschaft. Heute sieht das alles ganz anders aus. Die bessere Einsicht hat sich durchgesetzt. Aber wo bleibt die praktische Verwirklichung?
      Zu dieser Einsicht schrieb die „Neue Zürcher Zeitung", ein der Bundesregierung im allgemeinen wohlgesonnenes Blatt, der Kanzler habe sich eines „volkswirtschaftlichen Vokabulars bedient, das zu einem beachtlichen Teil aus dem sozialdemokratischen Wahlprogramm vom Sommer 1965 bekannt war und das er in früheren Jahren mit Sicherheit noch kategorisch von sich gewiesen hätte".

      (Beifall bei der SPD.)

      Interessant! So die „Neue Zürcher Zeitung". Die Übernahme von Gedanken aus dem sozialdemokratischen Wahlprogramm, wie wir sie ja früher bei dem ganzen Thema der Gemeinschaftsaufgaben am laufenden Bande erlebt haben, war ja auch bitter nötig, nachdem man die eigenen Wahlgeschenke als Attrappen behandelt und nach der Wahl wieder aus dem Fenster genommen hat,

      (Beifall bei der SPD)

      obwohl sie vor der Wahl mit dem Schild „Sofort lieferbar" versehen worden waren.

      (Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD.) In der Regierungserklärung hieß es:

      Im Rahmen eines längerfristigen Programms muß das Subventionsvolumen systematisch abgebaut werden.
      Vorhin hat es darüber ja schon einen kleinen Gedankenaustausch gegeben. In der Finanzdebatte hat die Opposition die Bereitschaft zur Mitwirkung an einer solchen Revision der Subventionspolitik ausdrücklich erklärt. Das wurde nicht honoriert. Aber die Bundesregierung hat ja selber gar nicht konkretisiert, wo und in welchem Ausmaß man mit diesem Vorhaben beginnen wolle, obwohl die Entwicklung der Haushalte dieses Vorhaben mehr denn dringend macht. Oder sind mit den Subventionen etwa nur die Sozialleistungen gemeint, hinter denen sich nach der Regierungserklärung — ich zitiere wörtlich — „zum Teil lediglich Zahlungen und Subventionen verbergen, die unsere Leistungsfähigkeit schwächen" ? So sieht man dort die Verbindung von Subventionen, die man beschneiden kann, und Sozialleistungen.
      In der Sozialpolitik bietet die Regierungskoalition ein widerspruchsvolles Bild. Soweit es ihre gesetzgeberischen Handlungen angeht, gab es zunächst
      keinen neuen Start auf dem Wege nach vorn, sondern Rückschritte hinter sozialpolitische Positionen zurück, die bereits in der letzten Legislaturperiode des Parlaments erreicht waren. Die Kürzungen im sogenannten Haushaltssicherungsgesetz, mit denen Wahlzusagen abgebaut wurden, spiegeln das deutlich wider. In jenem Haushaltssicherungsgesetz schlagen die sozialpolitischen Abstriche mit 1,6 Milliarden DM nachhaltig zu Buche. Sie machen mehr als die Hälfte aller Kürzungen aus. Krankenversicherung, Rentenversicherung und Leistungsförderung wurden besonders davon betroffen.
      In der Debatte zur Regierungserklärung hat Bundesarbeitsminister Katzer erklärt, daß zunächst eine „Denkpause" in .der Sozialpolitik eingelegt werden solle. Mit diesem Wunsch Katzers lassen sich allerdings die Handlungen und Ankündigungen des Bundesfinanzministers und von Abgeordneten der Regierungskoalition nicht vereinbaren. Sie wollen anscheinend die Denkpause dazu benutzen, zunächst in die Finanzgrundlagen und dann in das Leistungsrecht der sozialen Sicherung einzugreifen. Sie schlugen nämlich vor, die Bundeszuschüsse zur sozialen Rentenversicherung zu kürzen. In den letzten Jahren hat die Bundesregierung ohnehin in immer stärkerem Maße der Rentenversicherung ihre gesetzlich vorgeschriebenen Bundeszuschüsse nicht in bar bezahlt, sondern in Form von Schuldbuchforderungen zugeteilt. Diese Zwangsanleihen haben im Laufe der Jahre einen Betrag von 41/2 Milliarden DM erreicht. Sie sind die größte Einzelposition in der Anlagebilanz der Rentenversicherung geworden. Bisher hatte die Bundesregierung diese Zwangsanleihen als finanzpolitische Notlösungen bezeichnet, zu denen sie nur ausnahmsweise Zuflucht nehme. Die Ankündigungen des Finanzministers verstärken aber den Verdacht, daß hinter dieser Politik ,die Absicht steht, die finanziellen Beziehungen des Bundes zu den Trägern der Rentenversicherung .grundlegend zu verändern. Eine solche Kürzung der Bundesverpflichtungen gegenüber der Rentenversicherung wäre ein folgenschwerer Eingriff in die soziale Alterssicherung. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, daß die Bundesleistungen kein Gnadenerweis,

      (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

      sondern notwendig sind angesichts der Aufzehrung des Vermögens der Versicherten, das sich bei den Sozialversicherungsanstalten zur Deckung ihrer späteren Versicherungsleistungen angehäuft hatte, durch die Kriegsfinanzierung in einer vergangenen Zeit. Hier handelt es sich um ein Stück Lastenausgleich, dem sich der Bund nicht entziehen kann.

      (Beifall bei der SPD.)

      Die Kürzung der Zuschüsse hätte eine Beitragserhöhung zur Folge, was übrigens einer Steuererhöhung, die man ja sonst angeblich nicht will, gleichkäme.
      Auf dieser Linie liegt es auch, daß Kreise der Regierungskoalition darauf drängen, den Grundsatz der Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung aufzugeben und zu anderen Maßstäben überzugehen. Diese Unsicherheit über die Zukunft des



      Erler
      Bundeszuschusses und der Lohndynamik in der Rentenversicherung verlangt vom Bundeskanzler ein klärendes Wort, damit man weiß, woran man sich zu halten hat.
      Im übrigen wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion darüber wachen, daß die Bundesregierung ihre Zusage vom Mai 1965 zur Fortentwicklung der Kriegsopferversorgung, die der Bundeskanzler in abgeschwächter Form in der Regierungserklärung wiederholt hat, auch einhält.
      An dieser Stelle will ich auch mit Nachdruck die Erwartung meiner Fraktion aussprechen, daß die Sozialprobleme der Bergarbeiter unverzüglich im Parlament behandelt werden.

      (Beifall bei der SPD.)

      Die Behandlung des Sozialplans für die Bergarbeiter, der sich in den Vorlagen der SPD zu diesem Thema ausdrückt, darf nicht hinter den Strukturveränderungen im Bergbau einherhinken.
      Der Auftrag des Grundgesetzes, den sozialen Bundesstaat zu verwirklichen, läßt sich nur mit den Arbeitnehmern und ihren Organisationen durchführen, weder ohne noch gegen sie. Der Bundeskanzler hat leider nichts dazu getan, zwischen der Regierung und den Arbeitnehmerorganisationen Vertrauen wachsen zu lassen.

      (Zuruf von der SPD: Das kann man wohl sagen!)

      Er spricht landauf, landab geringschätzig von „Bossen" und „Funktionären". Die Sprachregelung von der Spitze ist geeignet, nachhaltig auch drunten im Lande die Form der Diskussion negativ zu beeinflussen.

      (Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: So ist es auch gemeint!)

      Dabei handelt es sich bei diesen Organisationen, bei ihren Mitgliedern und ihren gewählten Vertrauensleuten um ein Stück wirklichen Engagements für die Demokratie. Gleichgültigkeit ist der Tod der Demokratie,

      (Abg. Wehner: Auch die Überheblichkeit!) nicht die lebendige Anteilnahme der Bürger. (Beifall bei der SPD.)

      In der Stunde der Not muß die Demokratie die Macht der Arbeitnehmerorganisationen und ihrer Mitglieder auf ihrer Seite wissen. Deshalb dürfen diese Organisationen nicht zum bevorzugten ständigen innen- und parteipolitischen Prügelknaben werden.

      (Sehr gut! bei der SPD.)

      Übrigens ist die Regierung auch sehr widersprüchlich. Der Kanzler spricht geringschätzig von „Bossen" und „Funktionären". Aber der Arbeitsminister schrieb am 1. Mai im „Deutschland-UnionDienst" der Christlich-Demokratischen Union folgendes:
      Durch eine ebenso verantwortungsbewußte wie
      wirksame Tarifpolitik haben die Gewerkschaften wesentlich mit die Voraussetzungen für die
      persönliche Entfaltung des einzelnen und damit für den kulturellen Stand unseres Volkes verbessert.
      Ein anerkennendes Wort. Der Arbeitsminister meint auch, die bessere Übereinstimmung der gesellschaftspolitischen Tatbestände mit den gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen sei nicht möglich ohne — ich zitiere ihn wieder — „eine enge Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmerbewegung und ihren Organisationen, die durch ihre Impulse und Initiativen unsere heutige Gesellschafts- und Staatsverfassung entscheidend mit beinflußt haben." Das hört sich anders an als des Kanzlers kraftvolles Schimpfen gegen die Verbände im allgemeinen und gegen die Gewerkschaften im besonderen,

      (Beifall bei der SPD — Abg. Wehner: Arbeitsteilung!)

      so zuletzt bei der Internationalen Handwerksmesse in München.
      Zur Liste der Unterlassungssünden beim Vergleich mit den Ankündigungen ließe sich noch viel hinzufügen. Die Bundesregierung hat gewissermaßen als Zusammenfassung verkündet, sie sei entschlossen, die Möglichkeiten ihres Handelns zu nutzen. An wenigen Beispielen habe ich gezeigt, daß sie das nicht getan hat. Das ist offenbar auch die Auffassung der Freunde des Bundeskanzlers. Deshalb forderte der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion, Dr. Barzel, am 24. Januar 1966 den Kanzler auf, mit starker Hand zu regieren und zu führen. Diese Aufforderung eines Freundes blieb leider vergeblich.
      Eines der Lieblingskinder des Herrn Bundeskanzler ist die informierte Gesellschaft als Vorform der formierten Gesellschaft. Dazu heißt es in der Regierungserklärung wörtlich:
      Über Handlungen und Absichten des Staates muß der Bürger rasch, korrekt und umfassend unterrichtet werden.
      Das ist ein löbliches Unterfangen. Leider bedeutet es in der Praxis Berieselung mit Propaganda.
      Musterfall dafür ist der Reptilienfonds, der parlamentarischer Kontrolle entzogen ist und der von 1950 bis 1966 von 450 000 DM auf 121/2 Millionen DM angewachsen ist,

      (Hört! Hört! -bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Maßhalten!)

      d. h. fast dreißigmal höher geworden ist.

      (Abg. Wehner: Man schämt sich fast!)

      Zu diesem Fonds hat der Bundeskanzler am 2. Dezember 1963 im Fernsehen gesagt — ich zitiere wörtlich —:
      Ich muß Ihnen sagen, ich bin willens, einen Teil
      dieses Reptilienfonds offenzulegen und der Kontrolle des Haushaltsausschusses zu unterwerfen.
      Hier sehen wir wieder einmal, wie Willenserklärungen des Kanzlers nicht imstande sind, sein eige-



      Erler
      nes Handeln oder gar das seiner Fraktion im geringsten zu beeinflussen.

      (Beifall bei der SPD.)

      Denn geschehen ist nichts. Dafür wurde der Fonds kräftig erhöht und ebenso kräftig mißbraucht.
      Solange der Opposition kein Einblick gegeben wird, muß der Verdacht bestehen, daß diese Mittel nicht nur den staatspolitischen Notwendigkeiten der Bundesrepublik Deutschland vor allem im Ausland dienen — dagegen hätte niemand etwas einzuwenden —, sondern den parteipolitischen Notwendigkeiten der Regierungsparteien im Inland. Sonst wäre die gleiche Kontrolle wie beim Bundesnachrichtendienst möglich; und das ist doch weiß Gott ein sehr delikater Gegenstand. Wenn Sie es anders meinen, wenn Sie den Fonds nicht mißbrauchen lassen wollen, dann müssen Sie unseren Anträgen zustimmen.
      Wie mit diesen Mitteln — es gibt ja deren sehr viele, auch an anderer Stelle im Bundeshaushalt — Mißbrauch getrieben wird, sehen Sie bei einem Titel, dessen Streichung wir beantragen, nämlich bei Tit. 314 im Haushalt des Bundeskanzleramts. Er heißt: „Aufklärung und Unterrichtung der Bevölkerung auf dem Gebiet der Sozialinvestitionen."

      (Lachen bei der SPD.)

      Behauptet wurde hier, das habe etwas mit der Information der kleinen Leute zu tun, die sich keinen Steuer- oder Wirtschaftsberater leisten könnten; sie sollten über die Möglichkeiten unterrichtet werden, welche ihnen die Gesetze über die Sozialinvestitionen, über die Eigentumsbildung usw. bieten. Nun, wie das in der Praxis aussieht, das sahen Sie in der Anzeigenserie vom Mai und Juni 1965 „Mitbürger fragen — der Kanzler antwortet". Da war überhaupt nichts von Aufklärung von kleinen Leuten zu sehen, wie sie praktisch die Sozialinvestitionen in Anspruch nehmen können, sondern das war nichts anderes als Wahlpropaganda für den Spitzenkandidaten der CDU mit einfachsten, simpelsten Wahlsprüchen ohne jeden Informationswert.

      (Beifall bei der SPD.)

      Hierher gehört überhaupt das dem Kanzler unterstehende Presse- und Informationsamt, das nach wiederholten Darlegungen in der Fragestunde seinen Auftrag nicht darin erblickt, die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Umwelt verständlich zu machen, sondern darin, die Politik der Regierungsparteien zu vertreten. Dieses Presse- und Informationsamt verwechselt allzu oft Unterrichtung mit Propaganda und verwendet dabei offene und geheime Mittel bunt gemischt.
      Daher ist es verständlich, daß wir die folgenden Anträge gestellt haben:
      1. Im Tit. 300 — Zur Verfügung des Bundeskanzlers für Förderung des Informationswesens — den Ansatz von 121/2 Millionen DM um 41/2 Millionen DM auf 8 Millionen DM herabzusetzen,
      2. dem Haushaltsvermerk die folgende Fassung zu geben:
      Die Jahresrechnung über die Einnahmen und
      Ausgaben dieses Titels unterliegt nur der Prüfung eines Unterausschusses des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages und des Präsidenten des Bundesrechnungshofes. Die Erklärungen des Unterausschusses und des Präsidenten des Bundesrechnungshofes bilden die Grundlage für die Entlastung der Bundesregierung.
      Wir haben Verständnis dafür, daß die Verwendung eines solchen Titels nicht auf offenem Markt erörtert werden darf und kann, aber der Mißbrauch zu innenpolitischen Zwecken muß ausgeschlossen werden.

      (Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: Etwas Fett ablassen!)

      Außerdem beantragen wir, den Tit. 314, dessen famose Verwendung ich Ihnen ja eben geschildert habe und der da heißt „Aufklärung und Unterrichtung der Bevölkerung auf den Gebieten der Sozialinvestitionen", der mit 21/2 Millionen DM dotiert werden soll, ersatzlos zu streichen. Ich hoffe, daß der Sparwille der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP uns bei diesem Vorhaben unterstützt und wir Zustimmung zu diesen Anträgen finden.
      Meine Damen und Herren, bei der Erörterung des Kanzlerhaushalts können wir natürlich nicht an den äußeren Problemen vorbeigehen, denen sich die Bundesrepublik Deutschland heute gegenübergestellt sieht. Die NATO, das westliche Bündnis überhaupt ist in einer ernste Krise geraten. Schönfärberei hilft darüber nicht hinweg. Einer der Partner will die Organisation verlassen, aber er will im Bündnis bleiben. Er will gewissermaßen den Schutz des Bündnisses genießen, ohne zu den Leistungen des Bündnisses in Friedenszeiten beizutragen. Um hier ein Auseinanderbrechen zu vermeiden, um auch diesen Partner so in der Gemeinschaft zu halten, daß dennoch ein gewisses Maß an gemeinsamen Anstrengungen für die Verteidigung gesichert werden kann, ist eine geschlossene Haltung der anderen 14 Partner unbedingt erforderlich. Ähnlich hat ja die geschlossene Haltung der fünf Partner in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dazu beigetragen, den sechsten Partner dazu zu veranlassen, den von ihm längere Zeit leer gelassenen Stuhl am Tisch der Gemeinschaften wiedereinzunehmen. Ich gestehe allerdings offen zu: Das wird diesmal viel schwieriger. Es stehen erheblich andere Grundsätze der sehr hochgehaltenen Souveränität unseres französischen Nachbarn auf dem Spiele. Außerdem ging es innerhalb der europäischen Gemeinschaften um sehr handfeste materielle Interessen, die ohne Wiedereinnahme des Stuhles nicht durchsetzbar gewesen wären, während es bei der NATO sogar darum geht, sich unter Umständen in Friedenszeiten an Kosten der Infrastruktur und anderen Maßnahmen finanziell zu beteiligen. Das finanzielle Interesse liegt also genau andersherum. Das macht die Sache noch schwieriger.
      Wir sollten uns darum bemühen, für unseren französischen Nachbarn immer den Platz im Bündnis und in der gemeinsamen Verteidigung offenzuhalten. Wenn leider zusätzliche Entfremdung eintreten sollte, muß klar sein, daß sie nicht auf die deutsche Politik, nicht auf die Politik irgendeines



      Erler
      der 14 zurückzuführen ist, sondern allein von demjenigen zu verantworten ist, der leider von sich aus angefangen hat, den Weg aus der Gemeinschaft hinaus zu beschreiten.

      (Beifall bei der SPD.)

      In diesem Zusammenhang stellt sich für uns das Problem der Anwesenheit französischer Truppen auf deutschem Boden. Ihre weitere Anwesenheit — das ist, glaube ich, unsere übereinstimmende Meinung — ist erwünscht, erwünscht für unsere Sicherheit, erwünscht für das allgemeine politische Klima, erwünscht nicht nur für die deutsche Sicherheit, sondern für die europäische Sicherheit schlechthin. Aber wenn das so ist, muß es eine klare Festlegung der Mission geben, welche die französischen Truppen auf deutschem Boden genauso wie die Truppen anderer Länder auf deutschem Boden erfüllen. Es ist seltsam, daß diese an die französische Regierung gerichtete Aufforderung, mitzuwirken an einer klaren Umschreibung des Auftrages der französischen Truppen auf deutschem Boden, im Regierungslager bei manchem bereits als zu hart empfunden worden ist. Will man dann diese Truppen um jeden Preis haben? Das heißt doch, auch unter Freunden, geradezu den Preis für die Anwesenheit in unerträglicher Weise hochtreiben.

      (Beifall bei der SPD.)

      Das heißt doch, daß gerade diejenigen, die früher sehr laut gesagt haben, es dürfe keine Rückkehr zu Besatzungsvorstellungen geben, durch eine Politik des Behaltens um jeden Preis statt auf einer vernünftigen Grundlage die Gefahr der Rückkehr zu Besatzungsvorstellungen geradezu heraufbeschwören.

      (Beifall bei der SPD.)

      Die Truppen unserer Freunde, einschließlich unserer französischen Freunde, stehen auf deutschem Boden zu Zwecken der gemeinsamen Verteidigung, unserer und der anderen, und sind hier nicht Instrument einer, rein nationalen Politik des Entsendestaates.

      (Beifall bei der SPD.)

      Anders geht es nicht. In Deutschland wird auch Frankreich verteidigt, die Sicherheit Europas ist auch die französische Sicherheit, und das deutschfranzösische Verhältnis, die Aussöhnung der beiden Völker dient beiden Völkern, nicht nur dem einen Volk.
      In diesem Sinne möchte ich auch eine Anmerkung zu der bevorstehenden Reise des französischen Staatspräsidenten nach Moskau machen. Ich glaube, wir begrüßen jeden Versuch, die weltpolitischen Verhältnisse zu entkrampfen, zu einer Entspannung auch im West-Ost-Verhältnis beizutragen, weil es ohne eine solche Entspannung keine Lösung unserer nationalen Hauptfrage, nämlich der Wiedervereinigung der Deutschen, geben kann. Das wissen wir ganz genau, und ich freue mich darüber, daß die französische Politik, die früheren Entspannungsbemühungen anderer außerordentlich feindselig gegenüberstand, sich jetzt auch zu dieser Politik der Entspannung bekannt hat. Es kann infolgedessen nicht Aufgabe der deutschen Politik sein, dabei hinderlich im Wege zu stehen. Wohl aber sollten wir mit allen unseren Freunden, auch den französischen, freimütig und offen darüber sprechen, daß eine solche Politik nur dann aussichtsreich ist, wenn die westlichen Bemühungen in dieser Richtung aufeinander abgestimmt werden, wenn wir der Sowjetunion keine Chance einräumen, die Partner der Allianz, die sich anläßlich eigenwilliger Sondergänge in Moskau einfinden, gegeneinander auszuspielen. Koordinierung ist also das Gebot der Stunde, mit allem, auch mit der französischen Ostpolitik.

      (Beifall bei der SPD.)

      Ich vertraue darauf, daß der französische Staatspräsident bei diesem Unternehmen die Sache des Selbstbestimmungsrechtes des deutschen Volkes vertreten wird. Er weiß, was eine Nation ist, und weiß infolgedessen, wie sehr die Deutschen von ihrem Problem der nationalen Zusammengehörigkeit beseelt sind. Außerdem schätzt er, glaube ich, die französischen Interessen sehr richtig ein. Er weiß, die Realität der Nation ist so beschaffen, daß es auf jeden Fall e i n Deutschland geben wird; und wenn es kein freies Deutschland geben wird, dann besteht die Gefahr, daß es ein kommunistisches Deutschland wird, und daran hat auch die französische Politik kein Interesse.
      Deshalb führt auch nüchterne Einschätzung der eigenen französischen Interessen dazu, daß wir, glaube ich, zuversichtlich davon überzeugt sein können, daß unser französischer Freund in dieser Sache auch das deutsche Hauptinteresse nachdrücklich wahren wird.
      Allerdings, angesichts gewisser sehr eigenwilliger Züge der Politik des derzeitigen französischen Präsidenten besteht die Gefahr, daß bei einem solchen Besuch oder auch aus anderem Anlaß eine Reihe von Fragen zu Lasten der Bundesrepublik erörtert und verbal zu ihnen in einem Sinne Stellung genommen wird, die eigentlich zur Friedensregelung für ganz Deutschland gehören und nicht der Bundesrepublik im Zustande der Spaltung angelastet werden dürften. Unter diesen Umständen wäre eine gründlichere Vorbereitung unserer Freunde auf das zu erwartende Gespräch besser als lediglich ein Brief gewesen, Herr Bundeskanzler.
      Dabei ist übrigens auch klar, daß unsere französischen Freunde in einer Reihe von Fragen für uns kein Ersatz für den amerikanischen Partner sein können. So dürfen wir das Problem gar nicht erst stellen lassen. Weder bei der Sicherheit noch als Gewicht am Verhandlungstisch beim Aushandeln der deutschen Frage können wir auf die solidarische Unterstützung der einzigen mit der Sowjetunion vergleichbaren Weltmacht, der Vereinigten Staaten von Amerika, verzichten. Deshalb bedaure ich, daß neue Erklärungen des früheren Regierungschefs das deutsch-amerikanische Verhältnis erneut belastet haben. Natürlich muß die deutsche Politik auch auf Freunde einwirken, auf unsere amerikanischen wie auf unsere französischen Freunde, aber auf der Basis des Vertrauens. Globalbeschuldigungen dienen einem solchen Vertrauen nicht. Deshalb wäre ein klärendes Wort des Kanzlers auch zu den kürzlichen



      Erler
      Meinungsäußerungen seines Vorgängers hier und
      heute für die deutsche Politik eine nützliche Sache.

      (Beifall bei der SPD.)

      Hinzufügen möchte ich, daß die Bundesregierung zusammen mit dem ganzen Bundestag — anläßlich von Haushaltsberatungen soll man das offen aussprechen — immer Verständnis gehabt hat für die Zahlungsbilanzschwierigkeiten derjenigen unserer Freunde, deren Zahlungsbilanz durch die Stationierung ihrer eigenen Truppen auf deutschem Boden zusätzlichen Belastungen unterworfen ist. Aber wir, die wir das in der Vergangenheit bis zur Stunde immer bewiesen haben, müssen auch Verständnis von unseren Freunden für die Probleme der eigenen Zahlungsbilanz und des eigenen Haushalts erwarten. Dennoch sollte man nicht leichtfertig mit dem Gedanken des Truppenabzugs spielen, schon gar nicht im Zusammenhang mit lediglich finanziellen Erwägungen. Ich erinnere an geradezu hektische Reaktionen in unserem Lande bei Umgruppierungen recht bescheidener Art oder erst recht, als einmal das Thema erörtert wurde, ob man auf Gegenseitigkeit die Truppenpräsenz auf deutschem Boden etwas verringern könnte, so daß also auch die sowjetische Macht auf deutschem Boden reduziert würde. Damals gab es einen entrüsteten Aufschrei. Jetzt besteht die Gefahr der Verringerung westlicher Präsenz bei voller Beibehaltung der gesamten sowjetischen Macht. Ich erwähne das nur, um zu zeigen, wie behutsam wir mit diesem Thema umgehen sollten.
      Herr Bundeskanzler, in diesen wie in den von mir
      B) genannten Bereichen müssen Sie Ihre Richtlinienkompetenz ausüben. Sie dürfen dabei keine 'Scheu haben. Offenbar gibt es aber eine gewisse Scheu, sonst wären die Pläne für die Umgestaltung des Ministeriums Krone — um das Stichwort einmal zu nennen — nahezu unverständlich. Natürlich ist eine Koordinierung der Landesverteidigung nötig, natürlich brauchen wir den Bundesverteidigungsrat, natürlich brauchen wir auch ein Instrument, das personell und materiell so ausgestaltet ist, daß demjenigen, der an der Spitze steht, die sehr schwierige Arbeit auf diesem Gebiet erleichtert wird. Der Bundesverteidigungsrat ist die wichtigste Schaltstelle für die großen, miteinander zusammenhängenden Fragen der Außenpolitik, der Verteidigung, der Sicherheit schlechthin. Deshalb gehört diese Schaltstelle in die Hand des Kanzlers. Sie einem anderen Minister in die Hand zu geben, ist teilweise Abdankung, meine Damen und Herren.

      (Beifall bei der SPD.)

      Ich frage mich: Hat der Herr Bundeskanzler keine Neigung für diesen besonderen Aspekt seiner Führungsaufgaben, oder fühlt er sich für dieses schwierige Gebiet nicht geeignet? Ich weiß es nicht. Jedenfalls zeugt der beabsichtigte Ausbau des Krone-Ministeriums von der Flucht des Kanzlers vor seiner ureigensten Verantwortung auf einem lebenswichtigen Gebiet deutscher Politik.

      (Beifall bei der SPD.)

      Dabei geht es doch auch um ein Stück Deutschlandpolitik. Sie spiegelt sich auch wider in den großen
      Fragen der Verteidigungspolitik, in den großen Fragen, wie wir uns den Abrüstungsbemühungen gegenüber verhalten. Hier sind immer zwei Seiten der Medaille zu bedenken, nicht nur die militärische, sondern auch die politische.
      Aber gerade in der Deutschlandpolitik haben wir im Regierungslager ein heilloses Durcheinander zu verzeichnen. Ich will hier nicht ohne Not eigene Gedankenarbeit vortragen. Ich mache es mir etwas einfach und trage Ihnen — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — an Stelle vieler Zitate nur ein einziges vor, ein Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 1. Mai. Dort hieß es wörtlich:
      Was aber machen wir aus unserem Alleinvertretungsanspruch? Wie steht es mit der „Einmütigkeit", die das Ergebnis der Bestandsaufnahme beim Bundeskanzler Erhard gewesen sein soll? Wenn man sich die Bekundungen zur Deutschlandpolitik allein aus den Reihen der Regierungsparteien in diesen Tagen vor Augen führt, könnte einem Angst werden. Der eine schreibt die staatliche Vereinigung ab, der andere hält Auftragsverhandlungen im Namen der vier Mächte für aktuell. Der eine empfiehlt Redneraustausch, der andere schießt quer. Die FDP will den Verfolgungszwang für politische Delikte lockern, Gerstenmaier möchte Ulbricht auf bundesrepublikanischem Boden verhaften lassen (obwohl die Staatsanwaltschaft in den letzten 20 Jahren noch nicht einmal eine Voruntersuchung eingeleitet hat). Zugleich stellt die Unions-Fraktion fest: „Die Verantwortung für den Schießbefehl trägt die Sowjetunion." Doch Adenauer glaubt, ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt eine „Sinnesänderung" der Moskauer Politik erkennen zu können — während Strauß feststellt, Moskau wäre zur Zeit nicht einmal von einem kommunistisch regierten Gesamtdeutschland begeistert.
      Eine schöne Bestandsaufnahme! Das ist keine gerade Linie, sondern wildes, von Emotionen bestimmtes Zickzack.

      (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

      — Diesen Beifall habe ich gar nicht verdient; ich werde ihn an die Redaktion der „Süddeutschen Zeitung" weiterleiten.

      (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) Damit ist das Zitat beendet.

      Meine Damen und Herren! In der Präambel des Grundgesetzes heißt es ganz schlicht, daß wir uns einiges vorgenommen haben — ich zitiere — „von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit" — die des deutschen Volkes — „zu wahren". Dieser Wille ist unentbehrlich. Er muß drängen, pulsieren, sich zeigen. Wenn dieser Wille nicht sichtbar ist oder gar überhaupt erlahmt, dann ist überhaupt keine Deutschlandpolitik mehr möglich. Das ist das Gefährliche an Kaminträumereien, die sich für realistisch halten, aber in der Umwelt den Eindruck erwecken, die Deutschen hätten den Willen zur Einheit aufgegeben.

      (Beifall bei der SPD.)




      Erler
      Die Regierungserklärung sagt dazu klar und deutlich:
      Die Wiedervereinigung Deutschlands wird nicht zuletzt von unserer Fähigkeit abhängen, die uns freundschaftlich verbundenen und die uns vorerst indifferent begegnenden, ja gegnerischen Mächte an dieser Wiedervereinigung politisch und wirtschaftlich zu interessieren.
      Ein guter Satz. Daraus muß man Konzequenzen ziehen. Die Behauptung und Wiederholung von sachlich richtigen Rechtsstandpunkten allein ist doch noch kein Ersatz für Politik. Man muß nicht nur recht haben, man muß auch recht bekommen. Und in der Politik gibt es kein Gericht, das uns zur Durchsetzung unserer Rechtsansprüche verhülfe. Das kann nur die Aufgabe unserer Politik sein.
      Was ist aus den Deutschland-Initiativen der Bundesregierung geworden? Die Regierung wurde von den Ereignissen überrollt. Sie drängt und formt nicht, sie wird gestoßen. Die Friedensnote war ein anerkennenswerter Schritt in der notwendigen Richtung. Aber selbst sie war ja mehr durch erwartete Aktionen anderer ausgelöst. Seit 1960 haben wir Sozialdemokraten das gefordert, was unter dem Stichwort „Bestandsaufnahme" geht. Andere haben andere Namen dafür; darauf kommt es gar nicht an. Es kommt auf eine Analyse der Tatsachen und der Probleme an, damit die deutsche Politik agieren und nicht nur reagieren kann. Wir haben diesen unseren Wunsch unentwegt wiederholt, und wir sind sehr froh, daß endlich das Deutschlandgespräch eingeleitet worden ist. Allerdings sei mit Freimut gesagt,
      daß wir uns gefreut hätten, wenn die Regierung zu diesem Gespräch Vorarbeiten auf den Tisch gelegt hätte, denn sie hat sich ja mit der Einberufung zur ersten Zusammenkunft wahrhaftig monatelang Zeit gelassen. Das war leider nicht der Fall; es gab keine Vorarbeiten, keine Texte. Wir hoffen, daß das Gespräch bald fortgesetzt wird, und zwar auf der Grundlage jenes Fragenkatalogs, über den im wesentlichen unter den Teilnehmern Einigkeit bestand. Es kommt darauf an, erst die Tatsachen festzustellen, damit sie außer Streit sind, um dann auf Grund der Tatsachen zu versuchen, zu gemeinsamen Schlußfolgerungen zu kommen. Zuviel Zeit ist dabei draufgegangen für aktuelle Tagesfragen. Das war bedingt durch die schwankende Haltung der Regierung und der Regierungsparteien zum offenen und öffentlichen Austausch von Argumenten in beiden Teilen Deutschlands.
      In München hat der Kanzler jede Vorstellung hart abgelehnt — ich zitiere ihn wörtlich —, „als ob es Brücken gäbe von hüben nach drüben". Herr Bundeskanzler, diese Brücken gibt es millionenfach zwischen den Deutschen, nicht zum kommunistischen Regime und nicht wegen des kommunistischen Regimes, sondern trotz dieses Regimes. Aber diese Brücken müssen wir erhalten und bewahren und festigen,

      (lebhafter Beifall bei der SPD — Beifall bei Abgeordneten der FDP)

      Nun kommt das politische Problem. Das Lesen, Sehen und Hören der Wahrheit und der Stimme der Freiheit drüben an Ort und Stelle, das ist doch Stärkung und Hilfe für unsere mitteldeutschen Landsleute. Dies allein ist schon ein Stück Änderung ihrer Lage, wenn auch ein bescheidenes, sehr bescheidenes; aber es lohnt sich. Wie es sich lohnt, das haben wir an dem Druck gesehen, unter den das kommunistische Regime drüben von seiner eigenen Bevölkerung her geraten ist. Es ist eine große Debatte entbrannt. Natürlich wissen wir, daß die deutsche Einheit auf diese Weise nicht zustande gebracht wird. Sie bleibt ein weltpolitisches Problem. Aber für die unter der Teilung leidenden Menschen gibt schon ein Stück freier Argumentation, das sie hören und in geeigneter Weise verwenden können, ein Stückchen mehr Atemluft.
      Das Echo des Vorhabens in beiden Teilen Deutschlands und in der Welt ist doch geradezu unbezahlbar. Es hat gezeigt, daß die deutsche Frage nicht gelöst ist, daß die Deutschen unter der Teilung leiden, daß uns die Teilung brennt, daß das Volk unter ihr leidet. Dies ist der Widerlegung aller Legenden, die Deutschen hätten sich mit der Teilung und gar die Mitteldeutschen mit ihrem Regime abgefunden.

      (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

      Deshalb darf diese Offensive nicht steckenbleiben; deshalb muß sie fortgesetzt werden.
      Wir gehen zur Stunde davon aus, daß Sie, meine Damen und Herren, diesen freien Austausch wollen, auch davon, Herr Bundeskanzler, daß Sie ihn wollen. Es wäre nach dem mißverständlichen Hin und Her der letzten Wochen gut, dies hier dem Hohen Hause klar und ohne Wenn und Aber zu sagen.

      (Beifall bei der SPD.)

      Natürlich geht es uns Sozialdemokraten dabei nicht um eine kommunistische „Einbahnstraße". Wir wehren uns gegen jeden Versuch der Kommunisten, mit Hilfe von gestellten Kulissen und gestellten Teilnehmern ihre Argumente in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten und hier hineinzuwirken, aber gleichzeitig idie Bevölkerung der Zone sorgsam von jedem freien Wort abzuschirmen. Darauf lassen wir uns nicht ein. Wir haben uns sehr klar gegen die uns bekannte Methode der Subversion zur Wehr gesetzt und halten diesen Kurs. Wenn es also keine kommunistische „Einbahnstraße" geben kann, dann muß uns doch aber auch klar sein, daß wir keine West-Ost-„Einbahnstraße" durchsetzen können. Wenn wir freier Männer Rede drüben jedermann sickt- und hörbar machen wollen, dann müssen jene anderen unter gleichen Bedingungen auch hier aus solchem Anlaß — und nur aus diesem — ungehindert auftreten können. Das ist doch keine Vorleistung; denn zunächst würde ja die erste Veranstaltung, wenn sie zustande käme, drüben in Chemnitz stattfinden, Das ist erst einmal die Leistung, die es zu erreichen gilt.

      (Beifall bei der SPD.)

      Ich halte auch jenen Vergleich für unsinnig, der da sagt, die Moskaureise sei wichtiger als dies. Man



      Erler
      kann doch nicht sagen, Essen sei nötiger als Trinken. Beides ist unentbehrlich und dient gleichen Zwecken. Und schlafen muß man .gelegentlich auch; man sollte nur nicht immer schlafen, Herr Bundeskanzler.

      (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

      Wer die Konsequenz dieser offensiven Konfrontation nicht wünscht und nicht will, der soll das sagen. Alber dann gibt es auch keine Chance für das originale freie Wort drüben. Wer dieses freie Wort hingegen nach wie vor ermöglichen will, der muß auch die Konsequenzen zu ziehen bereit sein.
      Noch hoffe ich, daß es gelingt, dies auch rechtlich so einwandfrei zu tun, daß niemand an dem Willen zu einer ungehinderten Konfrontation zweifeln kann. Wir ,brauchen doch diese Konfrontation nicht zu fürchten. Die Freiheit hat die besseren Argumente. Es geht weder um eine Sonderregelung noch gar um Straffreiheit, sondern darum, den Kommunisten heute und künftig die Konfrontation mit der Freiheit nicht zu ersparen.

      (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

      Nun, Herr Bundeskanzler, zum Schluß noch eine Bitte. Wieder stehen in einem großen Lande Wahlen vor der Tür. Es ist angekündigt worden, daß Sie in diesen Wahlkampf sehr nachdrücklich eingreifen würden. Das ist Ihr gutes Recht. Ich erinnere an die Regierungserklärung vom Oktober 1963. Damals haben Sie davon gesprochen, es werde
      zu einem besseren Verhältnis zwischen den staatstragenden Kräften-kommen und die böse Verketzerung der Andersdenkenden werde der Vergangenheit angehören. Draußen im Lande reden Sie leider anders. Da meinten Sie — so erst kürzlich in Hamburg —, die SPD halbe nie einen einzigen Gedanken zum Wiederaufbau Deutschlands vorgetragen.

      (Hört! Hört! bei der SPD.)

      Da wird ein kräftiges Schimpfwörterbuch benutzt zur Abqualifizierung aller Andersdenkenden. Ich will das hier nicht wiederholen, weil es nicht meine Aufgabe ist, mich auch noch zum Geräuschverstärker für derartige Dinge, die man eigentlich als besonnener Mensch nicht aussprechen sollte, in diesem Hause zu machen.

      (Beifall bei der SPD.)

      Dabei haben wir doch wohl alle — auch Sie, unbestritten — einen großen Beitrag zum Wiederaufbau unseres Landes geleistet. Ich will von den Sozialdemokraten hier nur ein paar kleine Punkte in ,die Erinnerung rufen. Heute wird von der Regierung der Bildungspolitik ein hoher Rang eingeräumt. Waren es nicht die Sozialdemokraten, die nach 1945 landauf landab von der Lehr- und Lernmittelfreiheit über das 9. Schuljahr bis zur ländlichen Mittelpunktschule hin jeden Fortschritt mühsam haben erkämpfen müssen, bis Sie sich dazu entschlossen haben?

      (Beifall bei der SPD.)

      Heute wird allgemein von den Gemeinschaftsaufgaben gesprochen. Wurden wir nicht verhöhnt, als
      wir diesen Begriff benutzten, um darauf hinzuweisen, daß es außer dem individuellen Wohlstand auch die dem einzelnen und der Sicherung seiner und seiner Kinder Zukunft dienenden Aufgaben der Gemeinschaft geben _müsse?! Wurde das nicht jahrelang als Kollektivismus geradezu gebrandmarkt?!
      Ich freue mich, in wie vielen Punkten man auf beiden Seiten zugelernt hat. Sie haben in diesen Fragen zugelernt, wir auf anderen Gebieten. Das bestreite ich gar nicht. Aber Geschichtsklitterung sollte keine Waffe im Parteienkampf sein und erst recht nicht eine Waffe der verantwortlichsten politischen Figur im deutschen Land.
      Vor allen Dingen sollte man nicht dem politisch Andersdenkenden die Gesinnung absprechen. Hier muß ich an das böse Wort des Bundeskanzlers erinnern, die SPD sei eine Partei ohne Gesinnung. Dies wird einer Partei gesagt, die seit hundert Jahren für Freiheit und Recht, für Menschenwürde und Frieden wirkt, einer Partei, der trotz jahrzehntelanger Unterdrückung noch unzählige Menschen in Mitteldeutschland die Treue halten, auch wenn sie sich nicht offen zu ihr bekennen können.

      (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Ich sage das vorbeugend.


      (Abg. Jahn [Marburg]: Er hört ja nicht zu! — Weitere Zurufe von der SPD. — Gegenruf des Abg. Rasner: Sie haben doch keine Zensuren zu erteilen! — Abg. Wehner: Er kann doch nichts dafür, wenn der Präsident des Hauses sich so benimmt! — Präsident Erlauben Sie mir ein Wort! — Anhaltende Zurufe von der SPD.)

    • insert_commentNächste Rede als Kontext
      Rede von Dr. Thomas Dehler


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

      Darf ich einen Augenblick um Gehör für den Herrn Präsidenten bitten.