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    Deutscher Bundestag 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 529 A Überweisung von Vorlagen . . . . . . 529 A Wahl der Schriftführer (Drucksache V/87) . 529 C Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Dreiunddreißigste, Fünfunddreißigste, Sechsunddreißigste, Achtunddreißigste und Neununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/15, V/44, V/45, V/22, V/23, V/177) . . 529 D Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Vierunddreißigste und Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/43, V/46, V/178) 530 A Fragestunde (Drucksache V/161) Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Zahlen über die Haushaltslage der Län- der 530 C Fragen des Abg. Dr. Wörner: Umstellung des Schuljahres Dr. Ernst, Staatssekretär . . . . . 530 D Dr. Wörner (CDU/CSU) . . . . . 530 D Fragen des Abg. Josten: Taubstumme schulpflichtige Kinder . . 531 A Frage des Abg. Dorn: Panorama-Sendung vom 13. 12. 1965 . 531 B Fragen des Abg. Bühling: Ausübung von Verwaltungsaufgaben durch Richter 531 B Frage des Abg. Haehser: Munitionslager der französischen Stationierungsstreitkräfte bei Hasborn Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 531 D Haehser (SPD) . . . . . . . . . 531 D Holkenbrink (CDU/CSU) . . . . . 532 A Frage des Abg. Genscher: Reichsabgabenordnung 532 C Fragen des Abg. Weigl: Kostenersatz für die Stadt Eschenbach (Oberpfalz) Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 532 C Frage des Abg. Dröscher: Finanzhilfe des Bundes in Katastrophenfallen Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 533 A Dröscher (SPD) 533 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 Frage des Abg. Felder: Bewertung von Trunkenheitsdelikten und Fahrerflucht bei Kraftfahrzeugunfällen Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 533 C Felder (SPD) . . . . . . . . . 533 D Fellermaier (SPD) . . . . . . 534 C Opitz (FDP) 534 D Dröscher (SPD) 535 A Frage des Abg. Sanger: Wettbewerbsverhältnisse bei Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 535 B Sänger (SPD) 535 C Frage des Abg. Haase (Kassel) : Schädigung der tabakverarbeitenden Industrie durch das Einfuhrverbot für rhodesische Tabake Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 535 D Frage des Abg. Haase (Kassel) : Exportverluste der deutschen Wirtschaft infolge Boykotts deutscher Waren durch Rhodesien Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 536 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 536 A Frage des Abg. Langebeck: Unterschiede bezüglich elektrotechnischer Sicherheit zwischen Stadt und Land Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 536 B Langebeck (SPD) 536 B Frage des Abg. Langebeck: Energiewirtschaftsgesetz Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 537 A Langebeck (SPD) . . . . . . . . 537 B Fragen des Abg. Opitz: Fortführung der Bauarbeiten im Winter Katzer, Bundesminister . . . . 537 C Opitz (FDP) 538 A Gerlach (SPD) 538 B Frage des Abg. Weigl: Versicherungspflichtgrenzen Katzer, Bundesminister 538 D Weigl (CDU/CSU) 539 A Frage des Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern) : Verteidigungsetat der Sowjetunion . . 539 A Frage des Abg. Dr. Tamblé: Heizungskostenzuschüsse 539 B Frage des Abg. Dr. Hamm (Kaiserslautern) : Gesunderhaltung und körperliche Ertüchtigung der Jugend Gumbel, Staatssekretär 539 B Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 539 C Frage des Abg. Felder: Warnleuchten für marschierende Bundeswehrtrupps bei Nacht Gumbel, Staatssekretär 539 D Felder (SPD) 540 A Frage des Abg. Felder: Strafsache des Luftwaffen-Oberleutnants Manfred Jurgan Gumbel, Staatssekretär 540 B Felder (SPD) 540 C Frage des Abg. Josten: Gesundheitsbefund der Musterungsuntersuchungen zur Bundeswehr . . . 540 D Fragen des Abg. Lemmrich: Militärflughafen Neuburg — Absiedlung in der Gemeinde Zell Gumbel, Staatssekretär 540 D Lemmrich (CDU/CSU) 541 C Frage des Abg. Dröscher: Gefahren bei Überfliegen der Grenzen des eigenen Landes und der NATO-Partner Gumbel, Staatssekretär 542 C Dröscher (SPD) . . . . . . . 542 D Fragen des Abg. Dr. Huys: Eisenbahnstrecke Wittingen—Rühen . . 543 B Frage des Abg. Ramms: Fest- und Margentarife für die Binnenschiffahrt im innerdeutschen Verkehr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 543 D Frage der Abg. Frau Funcke: Verkehrsunfallhilfe des ADAC Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 III Fragen der Abg. Eisenmann und Dröscher: Zwischenuntersuchungen durch KfzHandwerksstätten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Genscher (FDP) . . . . . . . 544 B Dröscher (SPD) 544 D Sammelübersicht 1 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die Zeit vom 17. 10. 1961 bis 17. 10. 1965 (Drucksache V/132) 545 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (SPD) (Drucksache V/170) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 C Entwurf eines Strafgesetzbuches (Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. h. c. Güde, Dr. Dehler, Dr. Wilhelmi u. Gen.) (Drucksache V/32) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 D Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 552 A Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . . 557 B Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . . . 563 D Schlee (CDU/CSU) . . . . . . . 569 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (SPD) (Drucksache V/102) — Erste Beratung — Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . . . 573 B Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 577 C Dr. Worner (CDU/CSU) . . . . . 583 B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 585 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes (Abg. Rollmann, Hauser [Bad Godesberg], Dr. Hammans, Dr. Klepsch u. Gen.) (Drucksache V/70) — Erste Beratung — 588 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal], Bading, Dr. Hamm [Kaiserslautern] u. Gen.) (Drucksache V/81) — Erste Beratung — Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . . 589 A Frau Dr. Hubert (SPD) 589 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. März 1964 mit der Republik der Philippinen über die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache V/140) — Erste Beratung — 589 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 1962 mit Regierung des Staates Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei der Gewerbesteuer (Drucksache V/142) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1962 über die Haftung der Gastwirte für die von ihren Gästen eingebrachten Sachen (Drucksache V/146) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten (Drucksache V/147) — Erste Beratung — 589 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Herwarth-von-Bittenfeld-Kaserne in Münster (Westfalen) an die Stadt Münster (Drucksache V/82) 590 A Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des Grundstücks in Berlin-Kreuzberg, Mehringdamm 20-30, Ecke Obentrautstraße 1-21, an das Land Berlin (Drucksache V/134) 590 A Einundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache V/139) . . . . . . . . . . 590 C Nächste Sitzung 590 C Anlage 591 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 529 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung Es ist zu lesen: 13. Sitzung Seite 512 A Zeile 3 von unten statt „des Ministerrats" : der Kommission Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Abelein 14. 1. Adorno 14. 1. Bading * 14. 1. Bauer (Wasserburg) 14. 1. Berger 14. 1. Frau Berger-Heise 18. 2. Berlin 19. 2. Dr. Birrenbach 14. 1. Burger 10. 4. Frau Blohm 14. 1. Dr. Dehler 14. 1. Dr. Effertz 13. 1. Eisenmann 14. 1. Erler 15. 2. Faller 14. 1. Frau Funcke 14. 1. Dr. Furler * 13. 1. Dr. Hesberg 13. 1. Hirsch 15. 1. Illerhaus * 13. 1. Dr. Jahn-Braunschweig 14. 1. Josten 19.2. Junghans '7. 2. Kaffka 14. 1. Kahn-Ackermann 13. 1. Kiep 20. 1. Krammig 15. 1. Frau Krappe 28. 2. Frau Dr. Krips 22. 1. Kuntscher 14. 1. Leber 14. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 15. 1. Majonica 22. 1. Mauk * 14. 1. Merten * 13. 1. Metzger * 14. 1. Michels 13. 1. Missbach 14. 1. Moersch 13. 1. Dr. Morgenstern 28. 1. Orgaß 14. 1. Frau Pitz-Savelsberg 21.1. Rasner 13. 1. Frau Schanzenbach 3. 2. Schlager 14. 1. Dr. Stecker 13. 1. Frau Strobel* 13. 1. Dr. Frhr. v. Vittinghoff-Schell 18. 1. * Für die Teilnahme an einer Ausschuß-Sitzung des Europäischen Parlaments
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    Rede von Albrecht Schlee


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neue Kodifizierung des Strafrechts ist in der Vergangenheit immer eine säkulare Aufgabe gewesen. Das geltende Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich trägt das Datum des 15. Mai 1871. Es war jedoch bereits am 1. Januar 1871 für den Norddeutschen Bund in Kraft getreten. Mit der Fassung vom 15. Mai 1871 wurde es nach der Gründung des Reichs als Reichsgesetz verkündet und vom 1. Januar 1872 an auch für die süddeutschen Staaten in Kraft gesetzt.
    Freilich hat es in diesen Jahrzehnten manche Änderungen, Ergänzungen und Modernisierungen erfahren. Aber in seinen Grundzügen gilt es nun doch seit 94 bzw. 95 Jahren, und das ist in der europäischen Strafgesetzgebung nichts ganz Außergewöhnliches.
    Dieses Strafgesetzbuch von 1871 war nicht das erste deutsche Reichsgesetz für das Strafrecht. Um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert war zunächst die partikuläre Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts sehr fruchtbar gewesen. Es gab ein Strafrecht oder eine Halsgerichtsordnung für Worms von 1498, für Tirol von 1499 und für Radolfzell von 1506. Als bestes Werk jener Zeit gilt noch heute die Halsgerichtsordnung für das Hochstift Bamberg von 1507, die der fränkische Ritter Johann von Schwarzenberg verfaßte. Dies war das Vorbild für das erste deutsche Reichsgesetz des Strafrechts, nämlich für die Peinliche Gerichtsordnung des Kaisers Karl des Fünften von 1532. Auch diesem Gesetz waren in den Jahren von 1521 bis 1530 vier Entwürfe vorhergegangen, ein Wormser Entwurf von 1521, ein Nürnberger Entwurf von 1524, ein Speyerer Entwurf von 1529 und ein Augsburger Entwurf von 1530. Wir sehen, daß man schon damals in ganz moderner Weise mit Entwürfen und wohl auch mit sachverständigen Gelehrten und mit Ministerialbürokratie arbeitete, erstaunlicherweise aber schneller als heutzutage.
    Wie es dann der Lockerung des Reichsgefüges und dem Übergang der Strafrechtspflege in die Gewalt der Reichsglieder entsprach, vollzog sich die Einführung der Aufklärung in das Strafrecht in der Gesetzgebung der Länder. Im Jahre 1813 schuf Anselm von Feuerbach das für die damalige Zeit moderne Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern. Preußen kodifizierte 1851 ein neues Strafrecht. Bayern glich im Jahre 1861 sein Strafrecht dem preußischen Recht an. Sachsen tat ähnliches noch im Jahre 1868. Die Rechtseinheit war also auf dem Gebiete des Strafrechts schon weitgehend hergestellt, als in jenen Jahren auch die politische Einheit zustande kam, und darum verwundert es uns nicht, daß der Entwurf für den Norddeutschen Bund, mit dem Bismarck im Juni 1868 den preußischen Justizminister Leonhardt beauftragte, bereits im Februar 1870 dem Norddeutschen Reichstag vorgelegt werden konnte. Die erste Lesung fand am 22. Februar 1870 statt; die zweite folgte bereits am 28. Februar; die dritte begann am 21. Mai und endete am 25. Mai 1870 mit der Verabschiedung des Gesetzes. Es ist eine heute keineswegs aktuelle, aber immerhin vielleicht interessante Reminiszenz, daß die zweite Lesung des Gesetzes damals zu einer heftigen Debatte über die Todesstrafe führte, weil Preußen diese Strafe noch hatte, Oldenburg und Sachsen dagegen sie damals bereits abgeschafft hatten.
    Schon etwa ein Jahrzehnt später begannen dann die Bestrebungen zur Reform des Strafgesetzbuches. Die Reichskriminalstatistik von 1882 machte ersichtlich, daß die Kriminalität besonders unter den Jugendlichen und unter den Vorbestraften angestiegen war. So wurde der Ruf nach einer zielbewußten Kriminalpolitik laut. Aber vor allem boten Naturwissenschaften, Soziologie und Kriminalbiologie neue Erkenntnisse und Anregungen an, die von der Strafrechtslehre aufgenommen wurden. Führender Kopf der Reform wurde der heute schon genannte Franz von Liszt, zuletzt Professor des Strafrechts in Berlin. Er hob den spezialpräventiven Zweck der Strafe hervor, d. h. die Bekämpfung des Verbrechens durch Einwirkung auf den Verbrecher. Das alte Strafrecht kannte nur Tat und Strafe. Jetzt kamen neue Vorschläge hervor: verminderte Strafe für verminderte Zurechnungsfähigkeit, bedingte Strafaussetzung, Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafe durch Geldstrafe, Einrichtung von Anstalten für unzurechnungsfähige und für gefährliche Täter. Diese Maßnahmen sind inzwischen zum festen Bestandteil unserer Strafrechtspflege geworden. Wir bezeichnen deshalb unser Strafrecht heute als zweispurig, weil es für die Tat nicht nur die Strafe, sondern auch die Maßregeln der Sicherung und Besserung oder — nach dem Entwurf — der Besserung und Sicherung vorsieht.
    Der Entwurf versucht, das, was im Laufe der Zeit in das alte Recht eingeflickt und eingeschoben wurde, systematisch einzuordnen, zu ergänzen und zu verbessern, und wir sind gern bereit, an einer weiteren Verbesserung dieser Maßnahmen der Besserung und Sicherung zusammen mit Ihnen, meine Herren von der Opposition, mitzuarbeiten. Aber Grundlage und Voraussetzung bleibt in jedem Falle auch weiterhin die rechtswidrige und tatbestandsmäßige Tat, wie das in rechtsstaatlicher Strafrechtspflege auch vorerst nicht anders sein kann.
    Meine Damen und Herren, ich möchte meinen, das Strafrecht ist das ernsteste Rechtsgebiet überhaupt; denn hier wird der Mensch mit seinem Körper, mit seiner Freiheit zum „Objekt" eines staatlichen Eingriffs, der dazu dient, Rechte und Interessen anderer, Interessen des Staates und der Gesellschaft zu wahren und aufrechtzuerhalten. Darum erhebt sich hier immer von neuem die Frage, wie dieser Eingriff beschaffen sein muß, wie er beschaffen sein darf, damit er dem Stande der Gesellschaft und der Verantwortlichkeit und der Würde des „Objekts", d. h. eben des Menschen, gerecht wird. Das Strafrecht ist deshalb diejenige juristische Disziplin, in der sich der Jurist am wenigsten abkaspeln darf gegen andere Wissenschaften, die zu dieser Frage auch etwas zu sagen haben. Das gleiche gilt für die Arbeit des Gesetzgebers, und bei der Entwicklung, die die Wissenschaften — die Naturwissenschaft, die Kri-



    Schlee
    minalbiologie, die Soziologie, die Psychiatrie — in den letzten Jahrzehnten genommen haben, kann es uns deshalb nicht wundernehmen, daß die Reform der Strafgesetzgebung allenthalben in der Welt im Gange ist.
    Auch nach dem Strafrecht des Entwurfs soll es für die Strafbarkeit der Tat in Zukunft drei Voraussetzungen geben: die Tat muß rechtswidrig, tatbestandsmäßig und, wenn sie bestraft werden soll, auch zurechenbar, d. h. schuldhaft, sein.
    Die Bedeutung des gesetzlichen Tatbestands für die Qualifizierung des Strafrechts als Recht im objektiven Sinne ist nicht immer und überall erkannt und gewürdigt worden. Es ist eben nicht Sache des Richters, das zu strafen, was e r für strafwürdig hält oder wofür eine mehr oder weniger große Allgemeinheit Strafe verlangt. Schon das Reichsgesetz von 1871 enthielt am Anfang den Satz, daß eine Tat nur dann bestraft werden darf, wenn die Strafe schon vor der Tat gesetzlich bestimmt war. Strafrecht ist daher im Rechtsstaat so gut wie, ausschließlich Gesetzesrecht. Dem Gesetzgeber ist es vorbehalten zu bestimmen, was strafbar sein soll. Er scheidet den Raum freien Handelns von dem Verbotenen, das er mit Strafe bedroht, und er tut das, indem er mit allgemeinen Merkmalen typenweise die Handlungen beschreibt, die strafbar sein sollen. Der Richter hat in seinem Urteil zu erkennen, ob der Sachverhalt der einzelnen konkreten Tat die Merkmale eines gesetzlichen Tatbestands erfüllt. Findet er diese Übereinstimmung nicht, so muß er den Angeklagten freisprechen, mag das, was geschehen ist, ihm oder der Öffentlichkeit noch so strafwürdig scheinen.
    Meine Damen und Herren, ein solches Strafrecht muß zwangsläufig lückenhaft sein. In den sich wandelnden Verhältnissen von Staat und Gesellschaft werden nicht nur immer wieder manche Tatbestände veralten, es werden sich auch immer wieder neue Handlungen zeigen, die Strafe verdienen, die Strafe verlangen, die aber noch nicht mit Strafe bedroht sind, weil in der Vergangenheit dieses Bedürfnis nicht hervorgetreten war. Aber diese Bindung des Richters an das Strafgesetz, das aus Tatbestand und Strafdrohung besteht, ist die unabdingbare Grundlage rechtsstaatlicher Strafjustiz.
    Im „Dritten Reich" gab es die Analogie, wo der Richter ermächtigt sein sollte, in nur analoger Anwendung eines Tatbestandes zu Strafe zu verurteilen. Diese Analogie war in der deutschen Justiz ein Fremdkörper, und sie hat wohl auch keine Bedeutung erlangt. Aber die Gerichte fanden nicht immer Verständnis dafür, daß Rückkehr zur rechtsstaatlichen Strafjustiz vor allem wieder unbedingte Bindung der Rechtsprechung an den gesetzlichen Tatbestand bedeutete.
    Nach Abschnitten und Titeln geordnet, bildet darum der Katalog der strafbaren Tatbestände auch den Besonderen Teil unseres neuen Entwurfs.
    Wir sind im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, daß der Entwurf als Ergebnis der Kommissionsarbeit eine gute Grundlage ist; denn er ist von einer Kommission erarbeitet worden, die aus führenden
    Köpfen unserer Rechtsprechung, unserer Strafrechtslehre und Referenten der Ministerien besteht. Der Strafrechtsausschuß wird sich nun der Aufgabe unterziehen müssen, diesen Katalog für die zweite Lesung dem Hohen Hause tunlichst so vollständig vorzulegen, daß er der Ordnung und den Strafbedürfnissen unserer Gesellschaft auf möglichst lange Zeit gerecht wird.
    Aber ein weiser Gesetzgeber wird sich gerade in der Strafgesetzgebung seiner Grenzen bewußt bleiben. Er wird nicht willkürlich Tatbestände schaffen, sondern nur solche Handlungen verbieten, die echte Rechtsgüter verletzen oder gefährden, und er wird in jedem Falle die Strafnotwendigkeit dreimal prüfen, ehe er sich dazu entschließt, sie anzuordnen.
    Dabei gibt es freilich Strafrecht, das wir als „statisch" bezeichnen können. Z. B. Angriffe auf das Leben, auf Leib und Ehre der Person, Diebstahl und Betrug, Notzucht sind seit eh und je für Unrecht gehalten worden und deshalb strafbar gewesen. Aber es gibt auch Gebiete der Strafgesetzgebung, wo die Berechtigung der Strafbarkeit oder doch die Grenze zwischen dem zu Erlaubenden und dem zu Verbietenden umstritten ist. Ich meine hier z. B. den Schutz der staatlichen Einrichtungen oder der Staatsgeheimnisse, manche Bereiche des Ehrenschutzes oder manche Bereiche der Sittlichkeit. Hier wird der positive Wille des Gesetzgebers als Grundlage des Gesetzes weit schärfer hervortreten. Hier vor allem werden ihm neben Lehre und Rechtsprechung auch andere Wissenschaften zur Hand zu gehen haben — Moraltheologie, Philosophie, Medizin, Psychiatrie, Soziologie, Kriminologie —, wenn er sich zwischen dem zu Verbietenden und dem zu Duldenden zu entscheiden hat.
    Nicht alles, meine Damen und Herren, was in dem Entwurf enthalten ist oder nicht enthalten ist, wird allgemeinen Beifall finden. Ich glaube, wie ich es schon angedeutet habe, der Gesetzgeber wird auch unter genauer Prüfung des Notwendigen den Mut zur Lückenhaftigkeit beweisen müssen.
    Was im einzelnen als problematisch hier auftauchen wird, ist ja bekannt und heute wiederholt genannt worden. Es wäre falsch, sich in einer ersten Lesung bereits nach der einen oder anderen Richtung festzulegen und die Entscheidungen, die erst auf Grund der Beratungen des Ausschusses getroffen werden sollen, vorwegzunehmen. Aber es wäre vielleicht gut — und solche Anregungen sind auch bei mir laut geworden —, wenn sich das Plenum dieses Hauses nach einiger Zeit nach einer gewissen Klärung einmal in einer Wiederholung dieser ersten Lesung, möchte ich sagen, über das klar würde, was es in den besonderen Gebieten des Sittenschutzes wie auch des Politischen aufnehmen will oder nicht. Ich meine, daß es nicht Aufgabe des Hohen Hauses sein wird, in der zweiten oder dritten Lesung den ganzen Komplex dieses Gesetzes einzeln durchzusprechen. Das ist eine Sache, die weitgehend den Sachverständigen der Kommission und dem Ausschuß zu überlassen war. Aber es gibt Gebiete und Entscheidungen, in denen dieses Hohe Haus sein Wort sprechen will und zu sprechen hat. Dazu sollten wir uns auch frühzeitig entschließen.



    Schlee
    Meine Damen und Herren, der Besondere Teil des Entwurfs unterscheidet sich allerdings zweifach in bemerkenswerter Weise von dem Besonderen Teil des geltenden Strafrechts.
    Erstens. Es ist heute bereits erwähnt worden, daß der Entwurf keine Übertretungen mehr enthält. Er kennt nur noch Verbrechen und Vergehen. Er entspricht damit einem alten Wunsche der Strafrechtslehre, indem er versucht, kriminelles und polizeiliches Unrecht zu scheiden. Das Strafgesetz soll sich nur noch mit dem kriminellen Unrecht befassen. Das polizeiliche Unrecht — meinetwegen auch das sogenannte Verwaltungsdelikt — soll einer besonderen Gesetzgebung überlassen werden.
    Aber ich glaube nicht, Herr Kollege MüllerEmmert, daß wir Ihnen zustimmen werden, wenn Sie meinen, wir sollten die Scheidung zwischen Verbrechen und Vergehen aus dem Gesetz entfernen. Es ist sicher nicht so, daß der Gesetzgeber immer nur nach dem horchen soll, was die Allgemeinheit will. Aber gerade auf dem Gebiete des Rechts und des Strafrechts soll er sich von den gesunden Anschauungen des Volkes nicht zu weit entfernen. Denn das, was er beschließt, muß sich ja auch im Volke verankern. Wenn wir hinaushorchen auf das, was das Volk denkt, stellen wir fest, daß die ganz überwiegende Mehrheit unseres Volkes heute noch verlangt, daß die schweren Verbrechen als solche hervorgehoben und auch strenger bestraft werden als andere.
    Zweitens. Neckischerweise ist der Meineid dahin gerutscht, wo früher die Übertretungen standen. Voran stehen jetzt die Angriffe gegen Leib und Leben der Person, gegen die Sittenordnung und gegen das Vermögen. Angriffe gegen die öffentliche Ordnung nehmen den Vierten Abschnitt ein, während der Staat und seine Einrichtungen sich mit dem Fünften und vorletzten Abschnitt begnügen müssen. Ob diese Einordnung bei der zunehmenden Verdichtung unserer Gesellschaft und bei der bleibenden Bedeutung des Staates für das allgemeine Wohl richtig ist, ob sie nicht vielmehr ein Relikt aus dem Schock des Jahres 1945 darstellt, sollte wohl noch einmal geprüft werden.
    Unser Strafrecht soll also auch in Zukunft darin bestehen, daß die Tat vor allem durch die nach Tat und Schuld des Täters bemessene Strafe geahndet wird. Im Vordergrund soll nach ,dem Entwurf weiterhin die Freiheitsstrafe stehen, je nach der Tat als Zuchthaus, Gefängnis oder Strafhaft.
    Ich bin auch der Meinung, daß man die kurzzeitige Freiheitsstrafe tunlichst durch eine Geldstrafe ersetzen soll. Ich glaube, man kann darüber reden, ob die Grenzen, die jetzt im Entwurf vorgesehen sind, nicht erweitert werden können. Aber einen völligen Verzicht auf die kurzzeitige Freiheitsstrafe könnte ich so von heute an nicht gutheißen, weil die Erfahrung doch immer wieder gezeigt hat, daß es Fälle gibt, in denen man auf diese kurzzeitige Strafe nicht verzichten kann und wo sie auch ihre heilsame, abschreckende Wirkung ausübt.
    Aber, meine Damen und Herren, über den Zweck der Strafe gibt es viele Meinungen. Jede kann ihre
    Gründe in Anspruch nehmen. Ich möchte jedoch meinen, daß noch immer die Abschreckung anderer den ersten, eigentlichen Zweck der Strafe an sich bildet. Wenn das Gesetz eine Tat mit Strafe bedroht und die Tat dennoch begangen wird, so ergibt sich natürlich die Möglichkeit, durch die Strafe und deren Vollstreckung hemmend, erziehend, bessernd auf den Täter einzuwirken. Ja, ich bin hier auch Ihrer Meinung, Herr Kollege Müller-Emmert, daß der Staat sogar die Pflicht hat, den Strafvollzug so zu gestalten, daß der Täter nicht, wie Herr Kollege Güde es heute morgen äußerte, schlechter aus dem Strafvollzug kommt, als er hineinkommt. Es ist die Verpflichtung, das beste für die Resozialisierung des Täters herauszuholen. Am wichtigsten scheint mir immer der Augenblick zu sein, in dem sich für den Verurteilten nach der Verbüßung der Strafe die Türen des Gefängnisses hinter ihm schließen und er mit dem Entlassungsschein in der Hand vor der Frage steht: Was fange ich nun an?
    Bisher haben sich meist freiwillige, karitative Einrichtungen dieser Frage angenommen. Auch das ist, meine ich, ein Problem, das in der Strafrechtspflege in Zukunft in besonderem Maße eine Rolle spielt.
    Aber die Tat selbst wird eben durch die Strafe nicht ungeschehen. Ich möchte es aber als das Ziel der Strafdrohung ansehen, die mit Strafe bedrohte Tat von vornherein zu unterbinden. Darum möchte ich es als den Zweck der Strafe formulieren, daß an dem Täter ein Exempel statuiert wird, das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht und allen zeigt, daß es mit der Strafdrohung ernst gemeint ist.
    Damit aber entsteht immer die Frage, ob dieser Mensch, der als Täter vor Gericht steht, dazu geeignet ist, daß man das Exempel an ihm statuiert. Welche geistig-sittlichen Beziehungen muß er zu seiner Tat haben, damit man das tun darf?
    Nach unserem geltenden Recht genügt es nicht, daß er die Umstände seiner Tat gekannt und somit vorsätzlich gehandelt hat oder daß er zur gebotenen Sorgfalt verpflichtet und imstande war und somit, wenn er sie nicht beobachtet hat, fahrlässig gehandelt hat. Über diese gewissermaßen natürlichen Voraussetzungen hinaus muß er, vor allein der vorsätzliche Täter, auch die Fähigkeit besessen haben, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
    Über die Vorstufe des Jugendgerichtsgesetzes von 1923 kam diese Fassung erst spät in unser Strafrecht. Das Strafgesetz von 1871 verlangte nur die freie Willensbestimmung. Wer in seiner Willensbestimmung nicht gestört war, war für sein Handeln verantwortlich. Bekannt ist der volkstümliche Satz, daß Unkenntnis des Gesetzes nicht vor Strafe schütze.
    Aber so barbarisch war wohl auch jenes Strafrecht nicht mehr. Es war wohl so, daß der Gesetzgeber von 1871 davon ausging, daß die Tatbestände seines Strafgesetzes in den sozialen Anschauungen des Volkes verankert waren. Daß man nicht töten, nicht stehlen, keinen Meineid schwören und kein



    Schlee
    falsches Geld herstellen durfte, das wußte grundsätzlich jeder, der in Deutschland aufgewachsen war. Jedenfalls ist aber nach unserer heutigen Überzeugung nur derjenige Täter zum Exempel der Strafe geeignet, der nicht nur die logische, sondern auch die kritische Vernunft besitzt, der also nicht nur die Kausalität seines Handels überblickt, sondern auch Böses von Gutem unterscheiden kann.
    Nach dem Entwurf soll es nun nicht mehr auf die Einsicht in das Unerlaubte, sondern auf die Einsicht in das Unrecht der Tat ankommen. Das könnte nur eine Wortklauberei sein; es kann aber auch etwas bedeutend Anderes oder Besseres sein. Der Ausschuß wird genau prüfen müssen, was er für diese zentrale Stelle unseres Strafrechts dem Hohen Hause vorschlagen wird. Beides klingt zunächst etwas mystisch. Es verlangt aber jedenfalls für unsere Arbeit und für unser Werk nach meiner Meinung dreierlei:
    Erstens. Es sollte uns gelingen, ein Strafgesetzbuch zu schaffen, das umfassend und modern genug angelegt ist, um auf lange Zeit als geschlossenes Werk ohne Änderungen bestehen zu können, und das daher mit seinen Tatbeständen in das Bewußtsein der Allgemeinheit eindringen kann.
    Zweitens. Aus dem gleichen Grunde müssen wir uns an unsere Grenzen halten und ein Strafgesetzbuch schaffen, dessen Tatbestände im Einklang stehen mit den Rechtsanschauungen und mit den sozialen Anschauungen des Volkes oder die auch von den Rechtsanschauungen des Volkes aufgenommen werden.
    Drittens. Wir sollten endlich danach streben, unsere Tatbestände möglichst klar und einfach zu fassen, so daß sie jeder verstehen kann. Wir sollten, soweit das irgend angängig ist, vermeiden, sogenannte normative Elemente in den Tatbeständen zu verwenden. Normative Elemente sind solche, die erst einer Beurteilung bedürfen, wenn man sie verstehen soll. Um einige einfache zu nennen: Was ist z. B. eine Urkunde? Was ist ein Beamter?
    Wir wissen sehr wohl, daß man vom Täter nicht verlangt, daß er vorher eine juristische Beurteilung seiner Tat vornimmt. Der Täter wird dem Richter, dem Juristen nicht gleichgestellt. Aber die Tatbestände sollten doch so gefaßt sein, daß der normale Täter Unrecht von Recht unterscheiden kann. Denn wie kann man das von ihm verlangen, wenn die Gerichte erst in Instanzen feststellen, ob nun eigentlich Unrecht geschehen ist?
    Damit, meine Damen und Herren, sind wir da angelangt, wo die Berechtigung unserer Strafgesetzgebung am meisten in Zweifel gezogen wird. Ein Strafgesetz, das aus Tatbestand und Strafdrohung besteht und für die Bestrafung die Fähigkeit des Täters verlangt, nach seiner Einsicht in das Unerlaubte oder in das Unrecht zu handeln, ein solches Strafgesetz setzt eben doch voraus, daß der Mensch durch Strafdrohungen entscheidend motivierbar ist und daß er sein Handeln auch nach seiner Einsicht bestimmen kann. Wir fassen einen Entschluß, indem in uns lustbetonte und unlustbetonte, hemmende und antreibende Vorstellungen einander gegenübertreten, bis diese oder jene das Übergewicht erhalten.
    Und manchmal überwältigen uns auch die antreibenden Vorstellungen und die hemmenden und überlegenden kommen nicht zum Zuge.
    Wem es nun bisher gelungen ist, sein Leben zielbewußt und gesetzmäßig zu führen, der wird geneigt sein, anzunehmen, daß der Mensch dieses Spiel in überlegender Selbstbestimmung zu entscheiden vermag. Aber vielleicht machen wir dabei schon den Fehler, daß wir Entschlüsse und Handlungen, die sich in der sozialen und gesetzlichen Ordnung vollziehen, gleichstellen mit solchen, die aus dieser Ordnung heraustreten, die also, von der sozialen Ordnung aus beurteilt, anomal sind. Vielleicht ist es in der Tat eine psychische Anomalie, wenn in diesem Denken, in diesem Entschluß und in diesem Vorgang des Entschlusses nicht die Werte, die die Gesellschaft achtet, sondern die Unwerte die Oberhand gewinnen. Jedenfalls gibt es auch die Meinung, daß der straffällige Mensch nicht Herr, sondern Opfer seines Entschlusses ist und daß sich in seinem Denken eine Kausalität vollzogen hat, für deren Ergebnis er jedenfalls nicht mit Strafe verantwortlich gemacht werden kann. Hier wird die Tat zum Symptom für die soziale Anomalität des Täters, und die öffentliche Gewalt hätte hier nicht mit der Strafe zu reagieren, sondern mit der Behandlung des Täters, die sich wiederum nicht nach der Tat, sondern nach der Behandlungsbedürftigkeit des Täters und nach dem Schutz der Gesellschaft zu richten hätte, die sich aber ohne den Makel der Strafe zu vollziehen hätte. Auf der Universität haben wir gelernt, daß der Bestand unseres Strafrechts vom Streit um Determinismus und Indeterminismus des Menschen nicht berührt wird. Strafrechtliche Schuld sei nicht Gewissensschuld, sondern Zurechnung einer Tat zu der nach der Erfahrung gegebenen Persönlichkeit; sie werde daher nicht berührt von der Frage, ob der Mensch im allgemeinen frei zu handeln imstande oder ob auch sein Handeln dem ehernen Zwang des Naturgesetzes unterworfen sei. Auf dieser Anschauung ruht auch der Entwurf, und ich distanziere mich davon nicht.
    Wer aber die zunehmende Bedeutung der medizinischen und psychiatrischen Sachverständigen in den Kriminalprozessen aus Erfahrung kennt, wer die Verbindung der Tat mit den sozialen Verhältnissen des Täters immer wieder beobachtet, der wird diese Theorie von der défense sociale jedenfalls nicht so ohne weiteres vom Tisch wischen. Ich weiß auch nicht, ob in den Ergebnissen der Kriminalstatistik, die Herr Kollege Güde heute morgen bekanntgegeben hat, nicht ein gewisser Hinweis auf die Berechtigung dieser Theorie enthalten sein könnte. Aber jedenfalls ist sie heute nicht die Grundlage unserer Anschauung. Man wird — dazu ist der Jurist, der aufgeschlossen sein soll, verpflichtet — auch insoweit die Wissenschaft mit Aufmerksamkeit verfolgen. Aber wie gesagt, dies ist heute nicht die Grundlage unseres Strafgesetzbuches. Wir stehen heute, wie in dieser Debatte eindeutig zum Ausdruck kommt, immer noch in der Überzeugung, daß es den gesunden Menschen gibt, der für sein vorsätzliches und fahrlässiges Handeln mit der Strafe zur Verantwortung gezogen werden kann.



    Schlee
    Herr Kollege Müller-Emmert, Sie haben den Entwurf als nicht zukunftweisend bezeichnet. Das ist ein relativer Begriff. Vielleicht ist er als nicht zukunftweisend in Ihrem Sinne zu bezeichnen. Aber er ist doch immerhin das Ergebnis der Arbeit einer Kommission, die, wie ich schon gesagt habe, aus den besten Kräften unserer heutigen Strafrechtslehre, Strafrechtspraxis und der Rechtsprechung in Strafsachen zusammengesetzt war.
    Sie sagen, die Schuld, die dieser Strafrechtsentwurf zugrunde lege, sei geprägt von sittlichen Anschauungen, die nicht mehr zugrunde gelegt werden dürften; Schuld sei der Verstoß gegen die allgemeine Rechtsordnung, die bei uns gilt. Das ist richtig. Aber eben diese Rechtsordnung und damit auch der Begriff der Schuld, der für uns maßgebend sein sollte, wird doch wieder getragen von dem, was unser Volk in seiner überwiegenden Mehrheit für Recht und Unrecht, für richtig und falsch hält, auch in der Strafrechtspflege. Ich glaube daher, daß der Entwurf diesem Rechtsempfinden, wie es in unserem Volke ganz überwiegend lebendig ist und wie es hier herrscht, in der richtigen Weise Rechnung getragen hat.
    Darum meine ich, wir sollten jetzt aus dem Material dieses. Entwurfs einen neuen Guß unseres Strafrechts herstellen und sollten es der Zukunft überlassen, ob dieser neue Guß gegenüber künftigen Reformbestrebungen Bestand hat oder ob sich auf Grund der Fortentwicklung unserer Wissenschaften der Gesetzgeber vielleicht schon in zwei oder drei Jahrzehnten zu einer neuen Reform entschließen wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Weitere Wortmeldungen zu Punkt 4 a der Tagesordnung liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache hierzu abgeschlossen.
Es ist vorgeschlagen, den Entwurf Drucksache V/32 an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es is so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 4 b der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD auf Drucksache V/102 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches. Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Heinemann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gustav W. Heinemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Gesetzentwurf Drucksache V/102 zielt auf eine Reform des politischen Strafrechts ab. Dieses politische Strafrecht ist sehr jungen Datums, nämlich von 1951. Selten hat aber eine Materie so schnell ein so intensives und allgemeines Unbehagen ausgelöst wie dieses politische Strafrecht von 1951. Dieses Unbehagen rührt nicht daher, daß es überhaupt einen strafrechtlichen Staats- und Freiheitsschutz gibt. Der ist in gutem Rahmen notwendig und wird jederzeit auch unsere positive Mitarbeit finden. Das Unbehagen an dem Strafrecht, so wie es 1951 formuliert worden ist, liegt begründet in den Übertreibungen, in den ungenauen Formulierungen und auch in der Handhabung. Man hat darüber gestritten, ob der Gesetzgeber oder die Justiz mehr schuldig sei an dem Unbehagen, das wir alle bei dieser Materie empfinden. Nun, ich bin der Meinung, daß überwiegend wohl der Gesetzgeber derjenige ist, der hier, wenn es um Verantwortung gehen soll, anzusprechen wäre.
    Unbestreitbar ist doch z. B. die Übertreibung des § 94, die als zu Lasten des Gesetzgebers gehend angesehen werden muß. Durch diesen § 94 werden die Strafrahmen einer Vielzahl von allgemeinen Delikten einfach erhöht, wenn diese Delikte aus verfassungsfeindlicher Absicht begangen worden sind. Infolgedessen rechnen zu den mit Zuchthaus bedrohten Verbrechen nun auch leichte Körperverletzungen oder eine Sachbeschädigung wie etwa unerlaubtes Plakatieren, wenn eine verfassungsfeindliche Absicht darin zum Ausdruck kommt. Das hat zur Folge, daß auch wegen Geringfügigkeit nicht eingestellt werden kann und daß die Voraussetzungen für den Haftbefehl erleichtert sind.
    Unbestreitbar kommt die Übertreibung des § 100 d Abs. 2 zu Lasten des Gesetzgebers. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, verehrte Damen und Herren, kann jeder Angehörige der SED oder einer anderen politischen Organisation in der DDR schon wegen seiner Mitgliedschaft strafbar werden, wenn er hier in der Bundesrepublik auftaucht; er braucht sich hier überhaupt nicht zu betätigen. Mit anderen Worten, jeder Rentner, der hier auf Besuch kommt, aber drüben Mitglied der SED ist, wäre nach dem Wortlaut des § 100 d Abs. 2 strafbar, wenn hier nicht die Justiz, nämlich der Bundesgerichtshof, schon korrigierend eingegriffen hätte, indem er gegen den Wortlaut des Gesetzes gesagt hat, daß das doch eigentlich wohl nicht gewollt sein konnte.
    Zu Lasten des Gesetzgebers geht auch der § 93, in dem von den staatsgefährdenden Schriften die Rede ist. Er kollidiert weithin mit der Informationsfreiheit, also mit einem Grundrecht. Wir erinnern uns daran, daß der einmal diskutierte Zeitungsaustausch sich in den Maschen dieses § 93 verfing und daß Dokumentationen auf strafrechtliche Schwierigkeiten stoßen. Als der amtierende verehrte Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier den 4. Bundestag 1961 eröffnete, erinnerte er daran, daß zur gleichen Zeit ein Parteitag der russischen Kommunistischen Partei im Kreml tagte, und er meinte, wir sollten doch beobachten und zur Kenntnis nehmen, was auf jenem Parteitag in Moskau herauskommen würde; er empfahl das Studium dessen, was dort produziert würde. Nun, verehrte Damen und Herren, als ein Düsseldorfer Verlag alsbald darauf das neue sowjetisch-kommunistische Parteiprogramm und die offiziellen Reden Chruschtschows, die auf diesem Parteitag gehalten worden waren, in Drucksache zur Verfügung stellte, verfing sich dieser Verlag in den Maschen des § 93, er kriegte ein Strafverfahren an den Hals, Haussuchungen fanden statt. Hier muß also doch offenbar sauberer abgegrenzt werden.



    Dr. Dr. Heinemann
    Zu Lasten des Gesetzgebers geht auch der § 92, in dem von dem verfassungsfeindlichen Nachrichtendienst die Rede ist. Die hier in Bonn von Korrespondenten offen ausgeübte journalistische Tätigkeit für Zeitungen im Osten, sei es Ost-Berlin, sei es Warschau, sei es Moskau, kann mit dem § 92 als verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst attackiert werden. Nun, es ist klar, welchen Gegenmaßnahmen wir uns damit aussetzen würden.
    Zu Lasten des Gesetzgebers gingen auch die Übertreibungen in § 90 a und in § 129, die das Bundesverfassungsgericht mittlerweile korrigieren mußte. Nach § 90 a Abs. 3 war es so, daß ein früheres Mitglied der Kommunistischen Partei für eine normale Betätigung in dieser Partei, die bis zum Verbot stattgefunden hatte, nach dem Verbot, also rückwirkend bestraft werden konnte. Das hat das Bundesverfassungsgericht im März 1961 für unzulässig erklärt.
    Oder: Der § 129, der in neuer Fassung 1951 ins Gesetz kam, will die kriminellen Untergrundorganisationen treffen, die altberühmten oder -berüchtigten Berliner Ringvereine „Immertreu" und wie sie alle so schön hießen. Aber nach dem Wortlaut des § 129 ist auch die gesamte Mitgliedschaft der ehemaligen KPD strafbar, auch ohne kriminelle Betätigung des einzelnen, nur weil man der Organisation, also der Partei, irgendwelche strafbaren Handlungen wie z. B. politische Beleidigungen anlasten konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat im Oktober 1963 daraufhin entschieden, daß politische Parteien nicht unter den § 129 gerechnet werden dürfen.
    Das sind einige Beispiele dafür, daß der Gesetzgeber 1951 eine schlechte Grundlage schuf. Aber nun hat natürlich auch die Justiz noch manches Unvernünftige hinzugefügt, immerhin allerdings auf der Grundlage des Gesetzes. Was ist nicht alles als Ersatzorganisation der KPD angesprochen worden! In einer Anklageschrift einer Staatsanwaltschaft steht schmucklos und einfach zu lesen, daß der Deutschland-Sender in Ostberlin Ersatzorganisation der KPD sei.
    Oder was ist nicht alles als verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst betrachtet worden! Wenn ein Funktionär aus Ostberlin in den Westen herüberkommt, um jemand zu besuchen — einen Gewerkschaftler, ein Betriebsratsmitglied, einen Politiker —, und nach Hause zurückmelden soll, ob er empfangen worden ist, dann ist das verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst. Oder wenn ein Brief hier abgegeben und nach drüben zurückberichtet werden soll, ob der Brief angenommen worden ist, dann ist das verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst. Denken Sie an den Vorgang beim Kongreß des DGB, wo man diesen Briefträger im übrigen freundlich zur Tür hinauskomplimentierte, ehe er den Brief abgab; aber er wurde deswegen belangt. Oder verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst sollte auch die Bekanntgabe der Personalien von Kindern sein, die in einem Transport im Sonderzug der Bundesbahn in die DDR in ein Ferienlager hinüberfuhren. — Auch die Justiz hat also manches an Übertreibungen hinzugefügt.
    Verehrte Damen und Herren, ich denke, daß diese wenigen Hinweise genügen, um die Reformbedürftigkeit des politischen Strafrechts zu begründen. Die Praktiker aller Sparten, die mit diesem politischen Strafrecht zu tun haben, haben schon früh und vielfältig ihre kritische Stimme dagegen erhoben.
    Aus dem Bereich der Staatsanwaltschaft nenne ich Herrn Dr. Güde, der überhaupt einer der ersten war, die dieses politische Strafrecht attackierten, und der 1957 in einer Broschüre über die „Probleme des politischen Strafrechts" einiges aufhellte, was immer noch lesenswert ist. Er beklagte insbesondere die riesige Variationsbreite vieler der Bestimmungen und sagte in seiner Broschüre von 1957 u. a. wörtlich: „Eine Durchführung aller Verfahren, die nach dem derzeitigen Recht möglich wären, würde die Staatsanwaltschaften und die Gerichte ersticken."
    Naheliegend ist, daß besonders viele Einwände aus der Rechtsanwaltschaft kamen. Ich nenne hier nur die eine Stimme des sehr erfahrenen Strafverteidigers Dr. Posser , der 1961 in einer genau belegten Darstellung die „Politische Strafjustiz aus der Sicht der Verteidiger" kritisierte und sie vieler Unklarheiten, Unhaltbarkeiten und Unmöglichkeiten überführte.
    Aus der Richterschaft nenne ich den Bundesrichter Wilms, der selber lange Zeit dem politischen 3. Strafsenat angehörte und 1962 eine Broschüre „Staatsschutz im Geiste der Verfassung" herausgab, die ebenfalls vielfältige Kritik an dieser Materie übt.
    Aber, verehrte Damen und Herren, all diese und viele andere Kritik brachte nichts in Bewegung. Es mußten erst noch einige besonders aufrüttelnde Fälle passieren, um die Kritik vollends laut werden zu lassen. Und hinterher ist dann bis jetzt immer noch nichts passiert. Dazu gehört vor allen Dingen der „Spiegel"-Fall von 1962, hier speziell unter dem Gesichtspunkt, ob die journalistische Erörterung militärischer Fragen Landesverrat werden kann. § 99 in der derzeitigen Fassung wirft bekanntlich alles in einen Topf, die Spionage zwecks Begünstigung einer fremden Macht mit der publizistischen Preisgabe von Staatsgeheimnissen aus Fahrlässigkeit.
    1963 passierte der aufregende Graßnick-Fall, der Fall des Chefredakteurs des Ostberliner Rundfunks Dr. Graßnick, der gelegentlich eines Aufenthalts hier in der Bundesrepublik verhaftet wurde. Ihm wurde vorgeworfen Fortsetzung der KPD, Geheimbündelei und staatsgefährdenden Nachrichtendienst betrieben zu haben und Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Vereinigung zu sein, alles das mit seinem Ostberliner Sender. Nun, die Bundesregierung sah sich damals in beträchtliche Bedrängnisse versetzt ob der Komplikationen, die über diesem Fall Graßnick heraufzogen und sich insbesondere an der Sektorengrenze in Berlin schon zu reichlich dramatischen Entwicklungen steigerten. Auf nichts war man so gespannt, auch hier bei der Regierung in Bonn, wie darauf, ob die Justiz diesen Mann noch gerade rechtzeitig freigeben werde, um all diese Repressalien abzuwenden, die sich damals abzeichneten. Man hat damals hinsichtlich des Falles Graßnick der Justiz viele Vorwürfe erhoben; es



    Dr. Dr. Heinemann
    sei unvernünftig gewesen, diesen Mann zu verhaften. Nun, ich habe damals schon gesagt: die Justiz ist nicht die richtige Adresse, an die Vorwürfe gerichtet werden könnten. Die richtige Adresse ist der Gesetzgeber; der muß endlich seine Gesetzgebung von 1951 bereinigen.
    1964 machte der Braunschweiger Fall Aufsehen. Da kamen einige Beauftragte aus Ostberlin hier herüber, um Einladungen zu einem Pfingsttreffen der FDJ zu überbringen und nach Hause zu melden, wie die Adressaten hier auf diese Einladungen reagiert hätten. Sie wurden wegen versuchten staatsgefährdenden Nachrichtendienstes verhaftet und angeklagt, und dann stellte das Braunschweiger Landgericht das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein. Damit blieb also völlig offen, ob jene Leute einreisen durften. Damit blieb völlig offen, ob die Grenzbeamten der Bundesrepublik ihre Pflicht verletzt hatten, als sie diese Leute einreisen ließen, die von vornherein beim Grenzübergang gesagt hatten, weshalb sie kamen, was sie in der Tasche hatten und wie sie hinwollten.
    Was soll also alles Gerede von innerdeutschen Beziehungen, wenn ein so simpler Vorgang wie der in Braunschweig im Ungewissen hängen bleibt, im Ungewissen, ob nun etwas Strafbares geschah oder nicht geschah? Verehrte Damen und Herren, die Ostberliner Machthaber können ja je nach Bedarf einen hohen Funktionär wie Graßnick oder kleine Marschierer von der FDJ jederzeit in die fragwürdigen Maschen unseres politischen Strafrechts hineinschicken. Solange sie sich dann hier darin verfangen und festgehalten werden, kann man drüben riesige Protestveranstaltungen machen. Kommt dann der Betreffende hier aus dem Gefängnis heraus, dann kann man das als einen Sieg der kommunistischen Solidarität, als eine Niederlage der Revanchisten in der Bundesrepublik deklarieren. So einfach machen wir das denen da drüben,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    indem wir hier mit Bestimmungen umgehen, die wir selber für fragwürdig halten. Wir machen der Justiz Vorwürfe, wenn sie sie anwendet, statt daran zu denken, daß wir als Gesetzgeber gerufen sind, hier endlich Ordnung zu schaffen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Auch die Bundesregierung kennt längst die Mängel dieses politischen Strafrechts. Nicht erst jetzt mit dem in diesem 5. Bundestag wieder produzierten Entwurf zum Strafrecht kommt das auf. Im 4. Bundestag kam es auf, und im 3. Bundestag kam es auf. In der Begründung der Regierung zu der ersten Fassung des Entwurfs eines neuen Strafgesetzbuches von 1960 lasen wir bereits, daß die Normen über die Staatsgefährdung auf Grund der Erfahrungen erheblich eingeschränkt werden müßten. Das war schon 1960 die Erkenntnis der Bundesregierung.
    Der Gesamtdeutsche Ausschuß dieses Parlaments hatte Anlaß, sich mit der Materie zu befassen, das Kuratorium Unteilbares Deutschland hat es getan, auf Akademien aller Art ist darüber geredet worden.
    Herr Kollege Jahn und ich haben namens der SPD- Fraktion im Sommer 1963 den damals amtierenden Bundesjustizminister, wenn ich so sagen darf, hoch offiziell aufgesucht auf der schönen Rosenburg. Herr Dr. Bucher regierte damals. Wir haben ihm namens der SPD vorgetragen, daß nun endlich etwas geschehen müßte. Der Ertrag war, daß aus dem Bundesjustizministerium im Mai eine sogenannte Formulierungshilfe mit Vorschlägen zur Lockerung des Verfolgungszwanges hervorkam, aber nichts an Vorschlägen für die Bereinigung des materiellen Rechts.
    Jetzt hat Dr. Jaeger als nunmehriger Bundesjustizminister in der Drucksache V/136 an die FDP geantwortet, die da gefragt hatte, wie es denn nun mit dem politischen Strafrecht werden solle:
    Die Bundesregierung beabsichtigt, so bald wie möglich einen Gesetzentwurf zur Erneuerung des Staatsschutzstrafrechts einzubringen. Dieser Entwurf wird auch Vorschläge zur Lockerung des Verfolgungszwanges bei gewissen Staatsschutzdelikten enthalten.
    Nun, was das letzte anlangt, so kennen wir die Handschrift. Man will wieder darauf hinaus, mit der Lockerung des Verfolgungszwanges die Dinge in Ordnung zu bringen. Aber die tröstliche Versicherung — jetzt im 5. Bundestag —, das Bundesjustizministerium oder die Bundesregierung „beabsichtigt, so bald wie möglich" einen Gesetzentwurf zur Änderung des politischen Strafrechts einzubringen, kann uns nicht beruhigen.
    Ich gebe zu, daß mit dem Vereinsgesetz von 1964 einige Verbesserungen am politischen Strafrecht geschaffen worden sind. Damals hat man vor allen Dingen den Umkreis der Organisationsdelikte besser geregelt. Das ist gut. Aber die Gesamtregelung ist bis auf den heutigen Tag ausgeblieben, und wir sollen immer noch auf eine Vorlage der Bundesregierung warten. Nein, verehrte Damen und Herren, jetzt ist eine Vorlage da, unsere Vorlage, — zurückgehend auf das, was ich als Mitglied der damaligen sogenannten Regierungsmannschaft der Sozialdemokratischen Partei schon im Juli vorigen Jahres vorgetragen habe und was in dem Text unserer Vorlage schon damals der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, auch den Behörden der Bundesregierung, den Strafrechtslehrern an den deutschen Universitäten usw. Eine Vorlage ist jetzt da, und über die wollen wir jetzt, so meine ich, miteinander umgehen, um endlich weiterzukommen.
    Zum Inhalt unserer Vorlage brauche ich gar nicht viel zu sagen. Aus der Kritik an dem alten Strafrecht, die ich vorgetragen habe, ergibt sich, daß wir etliches der 51 er-Normen gestrichen sehen wollen, daß wir andere Normen präziser gefaßt sehen wollen. Schöne Lobreden sind hier von meinen Vorrednern darüber gehalten worden, daß die Tatbestände des Strafrechts klar und eindeutig sein müßten, so daß jeder wissen könne, wessen er sich zu versehen hat, wenn er dies oder das tut. Es ist dringend notwendig, endlich nach diesen schönen Grundsätzen zu praktizieren. Beim Landesverrat geht es, jetzt ganz grob gesagt, um die Sonderung eines publizistischen Geheimnisverrats ohne Zusammenspiel mit einer fremden Macht von der Spionage.



    Dr. Dr. Heinemann
    Um mit dem letzten gleich anzufangen, weise ich darauf hin, daß wir auch schon äußerlich die Spionage und das, was wir den publizistischen Landesverrat zu nennen gewohnt sind, in zwei verschiedenen Paragraphen darstellen, in den §§ 99 und 100 unserer Vorlage. Wir haben uns Mühe gegeben, präziser zu definieren, was Staatsgeheimnis sein soll, und sagen:
    Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die für die Landesverteidigung oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht von Bedeutung sind und deren Kenntnis auf einen bestimmten Kreis von Kenntnisbefugten beschränkbar und durch Sicherungsmaßnahmen beschränkt ist und die vor dem Mitwissen einer fremden Macht zu schützen im öffentlichen Allgemeininteresse unerläßlich ist.
    Wer solche Staatsgeheimnisse verrät, und zwar zum Nachteil der Bundesrepublik und zur Begünstigung einer fremden Macht, der ist Landesverräter, der treibt Landesverrat mit der Konsequenz, daß er dann, wenn sich eine schwere Schädigung der Bundesrepublik ergibt, nach unseren Vorstellungen mit lebenslangem Zuchthaus bestraft werden kann.
    Verehrte Damen und Herren, wir wollen durch die detaillierte Bestimmung dessen, was Staatsgeheimnis ist, einmal erreichen, daß den Gerichten Maßstäbe für eine eigene Feststellung an die Hand gegeben werden können, ob etwas Staatsgeheimnis ist, damit sie unabhängiger werden von den sogenannten Sachverständigen. Wir lesen gerade heute in den Zeitungen, daß nun ein Sachverständiger für den Bundesgerichtshof in Karlsruhe attestiert haben soll — bitte sehr, ich sage: soll —, daß „Der Spiegel" 1962 mit einem bestimmten Artikel keinen Staatsgeheimnisverrat beging. Der Sachverständige hat also drei oder dreieinhalb Jahre lang daran gearbeitet. Der BGH selbst hat ja in dem, was bis heute im Strafgesetzbuch darüber steht, was ein Staatsgeheimnis sein soll, viel zuwenig Anknüpfungsmomente, viel zuwenig umgrenzende Maßstäbe. Wir also wollen sie mit diesem unserem Vorschlag verfügbar machen. Wir wollen zum zweiten durch diese Begriffsbestimmung auch zu einer klaren Scheidung zwischen Staatsgeheimnis einerseits und bloßem Regierungsgeheimnis andererseits beitragen. Was eine Regierung lediglich der Opposition oder der Bevölkerung gegenüber vertuschen will, das ist kein Staatsgeheimnis.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Staatsgeheimnis kann nur sein, was einer fremden Macht gegenüber aus — wie wir es ausgedrückt haben — öffentlichem Allgemeininteresse nicht Bekanntwerden darf.
    Als Geheimnispreisgabe, wenn Sie so wollen, also als fahrlässige publizistische Geheimnispreisgabe bleibt dann übrig, was wir in § 100 darzustellen uns bemüht haben, also die Aufdeckung eines Staatsgeheimnisses, ohne daß man eine fremde Macht begünstigen wollte oder will, wie das gerade beim journalistischen Handwerk passieren kann.
    Nun aber noch ein besonderes Wort zu Abs. 5 in dem von uns vorgeschlagenen Landesverratsparagraphen. Da sagen wir:
    Staatsgeheimnisse sind nicht Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die zur verfassungsmäßigen Ordnung des Bundes oder eines Landes in Widerspruch stehen.
    Was gegen die Verfassung verstößt, das kann, das darf nicht Staatsgeheimnis sein. Wir legen entscheidenden Wert darauf, daß das im Gesetz deutlich klargestellt wird.
    Verehrte Damen und Herren von den Regierungsparteien, Sie werben sonderlich um Vertrauen für Ihre Notstandsabsichten. Bitte, hier gilt es, einen praktischen Beitrag zu dem Vertrauen zu liefern, das in unserem Volk in bezug auf staatliche Ordnung und Verfassungsfragen bestehen soll. Nehmen Sie bitte nicht das Vertrauen des Volkes für verfassungswidrige Staatsgeheimnisse in Anspruch. Wir wollen keinen neuen Fall „Ossietzky" erleben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aus den alten Staatsgefährdungsbestimmungen von 1951 — wir wollen ja viele davon gestrichen sehen — präsentieren wir neue Formulierungen für die §§ 91 und 92, um eben damit die hier nun schon so oft angesprochene Garantiefunktion des objektiven Strafrechts wiederherzustellen. Insbesondere sollen wertneutrale Handlungen nur bei einer klaren Absicht der Untergrabung unserer Ordnung strafbar sein. Das ist ein dringendes Erfordernis aus der Situation der Spaltung unseres Volkes.
    Im ganzen wollen wir diesem Abschnitt eine andere Überschrift gegeben wissen. Bis jetzt lautet sie: Staatsgefährdung. Das ist gar nicht das Thema, sondern das Thema ist Gefährdung der freiheitlichen Ordnung. Der Staat geht nicht zugrunde über dem, was da unter der bisherigen alten Überschrift behandelt wird. Aber unsere freiheitliche Ordnung könnte zugrunde gehen, und deshalb ist die angemessene Bezeichnung für diesen Teilabschnitt des Strafgesetzbuchs „Gefährdung der freiheitlichen Ordnung". Damit wollen wir der Auslegung dieser Bestimmungen in der Justiz, in der Praxis und wo auch immer eine weisende Hilfe zuteil werden lassen.
    Das ist in großen Zügen der Inhalt unserer Vorlage, die viel Zustimmung bei denen gefunden hat, denen wir sie im vergangenen Halbjahr zugänglich gemacht haben, insbesondere auch bei Lehrern des Strafrechts an Hochschulen. Wir hoffen, daß wir diese Zustimmung auch bei Ihnen finden. Alles einzelne wird natürlich der Ausschuß gründlich unter die Lupe nehmen.
    Lassen Sie mich hier in aller Offenheit eins aussprechen: ich befürchte, daß ein grundsätzlicher Streit die Arbeit an dieser Materie erschweren könnte. Wie gesagt, schon 1964 zeigte das Bundesjustizministerium eine Neigung, dieser Sache durch Auflockerung oder Durchbrechung des Verfolgungszwangs beizukommen, und diese Handschrift kehrt in der Antwort wieder, die Herr Justizminister Dr. Jaeger der FDP in der Drucksache V/136 gibt. Verehrte Damen und Herren, wir wehren uns nach-



    Dr. Dr. Heinemann
    drücklich dagegen, daß mit einer Durchbrechung des Verfolgungszwangs der Staatsanwaltschaften hier sozusagen Luft geschaffen wird.

    (Abg. Jahn Die Bestrafung oder Nichtbestrafung kann nicht, soll nicht nach Maßstäben der politischen Zweckmäßigkeit erfolgen. Das paßt nicht in unsere Ordnung. Wenn die Vergehen gegen die Freiheitsordnung der Bundesrepublik kriminelles Unrecht sein sollen, dann müssen alle Vergehen verfolgt werden. So wie es keine Strafe ohne Gesetz geben darf, so darf es auch keine Straffreiheit bei Verstoß gegen das Gesetz geben. Das verlangt die Gleichheit aller vor dem Gesetz, das verlangt unsere Rechtsüberlieferung, das allein gibt der Exekutive klare Grundlagen. Die Exekutive muß doch handeln können, sie muß schnell handeln können. Sie muß wissen, was sie darf; sie muß wissen, was sie tun soll. Wenn das aber immer erst abhängig gemacht wird von Ermessensentscheidungen — ja nun, man kann sich vielerlei Personen denken, denen man das dann zuschanzen will —, so ist die Exekutive in ihrer Handlungsfähigkeit schwer beeinträchtigt. Wenn wir in einem Bereich von der überkommenen Auflage an die Anklagebehörden abweichen, jegliches Vergehen zu verfolgen, wissen wir nicht, wo das endet. Ich habe vorhin aus der Literatur zum politischen Strafrecht die Broschüre des Bundesrichters Willms unter dem Titel „Staatsschutz im Geiste der Verfassung" von 1962 zitiert und lese jetzt einen Satz daraus wörtlich vor: Nicht in der Aushöhlung der Legalität, — also des Verfolgungszwangs — sondern in der Zurückführung der strafrechtlichen Tatbestände auf jenes Maß, welches die Wahrung des Prinzips der Legalität nicht gefährdet, liegt die Lösung beschlossen, welche den vollen Einklang des Staatsschutzes mit dem Geist der Demokratie und des Rechtsstaates herstellt, Die sozialdemokratische Fraktion steht geschlossen gegen die Auflockerung des Verfolgungszwangs. Wir haben die Hoffnung, daß sich in den Reihen der Regierungsparteien genug Gleichgesinnte finden, um das Bundesjustizministerium wirklich an die Aufgabe heranzuzwingen, das materielle Strafrecht mit uns gemeinsam schnellstens zu verbessern und gar nicht lange darüber zu philosophieren, wie man durch Durchbrechung des Verfolgungszwangs an Fällen wie Graßnick oder ähnlichen künftig vorbeikommen könnte. Diese Arbeit der materiellen Bereinigung muß eingeleitet werden. Die Vorlage ist da. Wir hoffen, daß Sie sich alle beteiligen und nicht ablenken lassen durch Bemühungen in Richtung auf Durchbrechung des Verfolgungszwangs. Wir erwarten, daß der Sonderausschuß „Strafrecht" diese Materie sofort in Angriff nimmt. Sie kann nicht mehr zurückgestellt werden bis zu einem Abschluß der Gesamtreform. Wir wollen auch nicht gewartet wissen, bis das Bundesjustizministerium mit irgendeiner Vorlage demnächst nachkleckern wird. Wir wollen, daß diese Sache auf Grund der Vorlage, die wir hierfür bieten, jetzt angefaßt wird, und wir erwarten, daß der Sonderausschuß „Strafrecht" Sachkenner der Praxis und Lehrer des Strafrechtes anhören wird, um sich zu bestmöglichen Lösungen allseitig helfen zu lassen. Wir haben es hier nicht — und das lassen Sie mich als letztes sagen — mit einem Thema zu tun, das nur die Juristen anginge. Hier geht es um eine Thematik von hohem politischem Rang. Wir sollen und wollen Rechtsstaat sein. Alle unsere Bemühungen um eine staatliche Gemeinschaft unseres ganzen Volkes, um eine gerechte Friedensordnung sind auch Rechtskampf. Das erfordert die Vorbildlichkeit der Rechtsordnung unter uns selbst sowie im Verhältnis zu denen, die unsere freiheitliche Ordnung angreifen. Lassen Sie uns schnell und gründlich ans Werk gehen. Es ist hohe Zeit mittlerweile. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Recht des strafrechtlichen Staatsschutzes ist nach Errichtung der Bundesrepublik Deutschland durch das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 neu geregelt worden. Die Neugestaltung dieses Rechtsgebietes, das für den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung nach innen und außen gleichermaßen bedeutsam ist, fiel in eine politisch gefahrvolle Zeit, die im Zeichen der Korea-Krise stand. Vor dem Gesetzgeber lag eine äußerst schwierige Aufgabe. Neben der Neuregelung der Staatsschutzvorschriften mit langer Tradition, nämlich der Bestimmungen über Hochund Landesverrat, war ein ganz neues System von Rechtsvorschriften zu schaffen, das die modernen Methoden der organisierten Unterwühlung und des gewaltlosen Umsturzes treffen sollte, deren sich die Feinde einer freiheitlichen demokratischen Ordnung heute allenthalben bedienen und deren Gefährlichkeit die vorangegangenen und die damals gegenwärtigen geschichtlichen Ereignisse augenscheinlich gemacht hatten. Den vielfältigen praktischen Erscheinungsformen dieses permanenten, auf Unterwühlung der Verfassungstreue hinzielenden politischen Kampfes mußte durch völlig neuartige Bestimmungen strafrechtlich begegnet werden. Gleichzeitig war aber darauf zu achten, daß die Prinzipien der freiheitlichen Ordnung, um deren Schutz es ging, nicht durch zu starke Eingriffe des Gesetzgebers selbst verletzt würden. Vorbilder aus der Gesetzgebung des Auslandes entsprachen vielfach nicht dem bei uns heute besonders ausgeprägten Bedürfnis nach rechtsstaatlicher Bestimmtheit der Tatbestände. Das durch gemeinsames Bemühen der verfassungstreuen Parteien schließlich zustande gekommene Werk wurde mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit, von der sich lediglich die Kommunisten und die Rechtsradikalen ausschlossen, verabschiedet. Dieses gesetzgeberische Werk nachträglich abwertend als Experiment zu bezeichnen, wäre verfehlt. Bundesminister Dr. Jaeger Immerhin war damit strafrechtliches Neuland betreten worden, und eine Erprobung des Gesetzes in der Praxis mußte abgewartet werden. Wenn man diese Ausgangslage bedenkt, so kann man sagen, daß die Arbeit des Gesetzgebers von 1951 sich in weitem Umfang bewährt hat. Ich meine also, daß kein Anlaß besteht, auf dieses Werk im Zorn zurückzublicken. Daß es — mit allen seinen Einzelheiten! — für die Ewigkeit gemacht sei, hatte von vornherein kein Einsichtiger angenommen. Wie kaum ein anderes Gesetz, so mußte dieses der Bewährung im Rechtsleben ausgesetzt werden, um erkennen zu können, inwieweit es den praktischen Bedürfnissen entsprechen würde, wo Spannungen aufträten, wo es etwas zu ergänzen, wo etwas abzubauen gelte, um einerseits der Vielfalt der Erscheinungen, den wechselnden Methoden eines mit einem reichen Arsenal von Kampfmitteln arbeitenden Verfassungsfeindes gerecht zu werden, anderseits aber die vom Grundgesetz gewährleisteten Grundfreiheiten nicht weiter einzuschränken, als es um des Schutzes der Grundlagen dieser Freiheit unerläßlich ist. Nicht oder doch nicht voll vorauszusehen waren die von den Feinden unserer freiheitlichen Staatsordnung angewandten Methoden des politischen Kampfes und das Maß ihrer Beweglichkeit und Einfallsgabe. Nicht zu übersehen war, wie die Rechtsprechung die neuen Gesetzesbegriffe auslegen, zu welcher konkreten Gestalt sie das zunächst aus einem Gerüst abstrakter Begriffe bestehende neue Staatsschutzstrafrecht ausbilden würde. Dabei ist zu bedenken — ich meine, man muß dies besonders betonen —, daß die Teilung Deutschlands Probleme von einer Besonderheit und Schwierigkeit aufwarf, wie sie im Bereich des Rechts des strafrechtlichen Staatsschutzes dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung vorher noch nicht zu lösen aufgegeben waren. Noch etwas darf nicht unerwähnt bleiben. Die Normen des Staatsschutzstrafrechts haben ihren Sitz in einem besonders starken Spannungsfeld zwischen zwei Polen, nämlich auf der einen Seite dem Erfordernis, die Verfassung und ihre Grundlagen vor feindlichen Angriffen zu schützen, und auf der anderen Seite dem Ziel einer von staatlichem Eingriff möglichst ungestörten, freien Entfaltung der Grundrechte. Möglichkeiten und Grenzen eines wirkungsvollen Staatsschutzstrafrechts werden daher wesentlich mitbestimmt von den Normen der Verfassung. Das Grundgesetz war bei Erlaß des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes erst zwei Jahre alt, die Auslegung seiner Vorschriften noch weitgehend ungesichert. Das Bundesverfassungsgericht, von dessen Rechtsprechung fortschreitende Klärung zu erwarten war, sollte erst einen Monat nach Verkündung des Strafrechtsänderungsgesetzes eröffnet werden. Wer die Wechselwirkung zwischen dem Recht und den in steter Bewegung begriffenen Erscheinungen des politisch-gesellschaftlichen Lebens kennt und von der nicht minder lebendigen Wechselbeziehung von Gesetz und Rechtsprechung weiß, den nimmt es nicht wunder, daß im Laufe der Jahre Korrekturen durch den Gesetzgeber erforderlich wurden und auch heute wieder erforderlich sind. Das konnte, bei den Besonderheiten der Rechtsmaterie und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht ausbleiben. So hat insbesondere das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz 1953 den § 93 über Einfuhr verfassungsfeindlicher Schriften zu einer allgemeinen Vorschrift gegen verfassungsfeindliche Propaganda durch Schrift und Bild erweitert, hat das Vierte Strafrechtsänderungsgesetz 1957 gewisse Änderungen im Bereich der Staatsgefährdungsvorschriften gebracht und hat das Sechste Strafrechtsänderungsgesetz 1960 den § 130 über Volksverhetzung neu gefaßt, insbesondere mit dem Ziel, die antisemitische Hetze wirkungsvoller zu erfassen. Die bedeutsamste Änderung erfuhr das Staatsgefährdungsrecht 1964 durch das Vereinsgesetz, das — nach dem von der Großen Strafrechtskommission im Rahmen der Strafrechtsreform erarbeiteten Vorbild — das Recht der sogenannten Organisationsdelikte weitgehend neu geregelt hat. Darin liegt ein besonderes Verdienst des 4. Deutschen Bundestages. Trotz solcher weitreichender Anpassungen des Gesetzes an neu gewonnene Erfahrungen und Erkenntnisse ist die Kritik am geltenden Staatsschutzstrafrecht nicht verstummt. Es wird geltend gemacht, die Tatbestände seien nicht klar genug abgegrenzt und ließen daher die in der Voraussehbarkeit der strafrechtlichen Reaktion liegende Garantiefunktion des Strafgesetzes vermissen, die Rechtsprechung habe sich auf der Grundlage solcher Tatbestände zu einer gegenüber den Intentionen des Gesetzgebers zu stark ausdehnenden Auslegung entwickeln können. Es wird auf eine ungenügende Abgrenzung der Tatbestände zu den Grundrechten, insbesondere zu dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, hingewiesen; ja der Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts ist vereinzelt laut geworden. Schwierigkeiten bei der Durchführung eines Zeitungsaustausches — der vorübergehend einmal aktuell schien und gelegentlich wieder aktuell werden könnte — wurden und werden auf eine unangebrachte Ausweitung des materiellen Staatsschutzstrafrechts zurückgeführt; desgleichen manche Schwierigkeiten für Kontakte mit Publizisten, Sportlern und anderen Besuchern aus der Zone. Schließlich hat die Problematik des publizistischen Landesverrats dem Ruf nach Reform des geltenden Rechts zu besonderer Aktualität verholfen. Manches an dieser Kritik ist berechtigt, manches dagegen nicht. Sicherlich unberechtigt ist der Vorwurf, daß man in der Bundesrepublik ein Gesinnungsstrafrecht betreibe. Dies möchte ich mit allem Nachdruck betonen. Von einem Strafrecht, das eine bestimmte politische Meinung oder Gesinnung zum Ansatzpunkt und zur wesentlichen Grundlage dei Strafbarkeit macht, kann keine Rede sein. Ein solcher Vorwurf kann weder die Intentionen des Gesetzgebers noch die aus sich heraus verstandenen Straftatbestände noch schließlich die Rechtsprechung treffen. Der Vorwurf setzt bei der Staatsgefährdung an. Aber das Leitbild, nach dem gerade auch diese Vorschriften geschaffen sind, ist der aktive Angriff gegen die Verfassung, der sich bestimmter typisches Mittel bedient. Zwar möchte auch ich nicht behaupten, daß dieses Leitbild in idealer Weise verwirklicht sei. Daher hat auch die Große Strafrechtskommission und auf der Grundlage ihrer Arbeit die Bundesminister Dr. Jaeger Bundesregierung bei der Ausarbeitung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches 1962 sich darum bemüht, den Tatbeständen noch schärfere Kontur zu geben. Von Gesinnungsstrafrecht sollte man aber auch gegenüber dem geltenden Recht nicht sprechen. Der Entwurf 1962 sieht einen Titel über Hochverrat und Staatsgefährdung und einen Titel über Landesverrat vor. Mit den darin enthaltenen Vorschriften wurde in erster Linie das soeben erwähnte Ziel verfolgt, die Straftatbestände, soweit dies bei der Natur der Sache möglich ist, klarer abzugrenzen und dadurch die Garantiefunktion dieser Tatbestände zu verbessern. Es wurden darüber hinaus manche Tatbestände, zum Teil erheblich, eingeschränkt, auf der anderen Seite einzelne Lücken des geltenden Rechts geschlossen. Ich habe dem Hohen Hause in Beantwortung einer Kleinen Anfrage von Abgeordneten der Freien Demokratischen Partei bereits den Entschluß der Bundesregierung bekanntgegeben, so bald wie möglich einen eigenen Entwurf zur Erneuerung des Rechts des strafrechtlichen Staatsschutzes einzubringen, weil auch nach meiner Auffassung, die von der Bundesregierung geteilt wird, die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse manche Änderungen erheischen, die über die Vorschläge in dem Entwurf 1962 hinausgehen, der auf Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission zurückgeht, die immerhin schon vor mehr als sieben Jahren gefaßt wurden. Unter diesen Umständen kann ich es mir versagen, im einzelnen auf die einschlägigen Vorschriften des Entwurfs 1962 einzugehen. Ich möchte nur hervorheben, daß ein wesentlicher Punkt der darin vorgesehenen Reform, nämlich die konsequente Ausgestaltung der sogenannten Organisationstatbestände zu Ungehorsamsdelikten, die erst nach dem Verbot einer Partei oder einer Vereinigung begangen werden können, bereits durch das Vereinsgesetz vorweggenommen worden ist. Nicht unerwähnt möchte ich auch lassen, daß der Entwurf im Gegensatz zum geltenden Recht, das hier nur die Zuchthausstrafe kennt, für minder schwere Fälle von Landesverrat — zu denen der sogenannte publizistische Landesverrat in der Regel gehören dürfte — lediglich Gefängnisstrafe vorsah. Diese Problematik soll jetzt in dem in Angriff :genommenen Entwurf der Bundesregierung durch Ausformung differenzierender Tatbestände berücksichtigt werden. Meine Damen und Herren, zu dem vorliegenden Entwurf der SPD-Fraktion kann ich nach alledem zunächst sagen, daß ich die damit ergriffene Initiative durchaus begrüße. Es kann die Aussprache im Ausschuß nur befruchten, wenn dem Entwurf der Bundesregierung auch ein Entwurf der Opposition gegenübersteht. Dieser Entwurf enthält auch zweifellos manche wertvolle Anregung. Andererseits bestehen gegen einige seiner Vorschriften gravierende juristische Bedenken, über die im einzelnen im Ausschuß zu reden sein wird. In seinem Bemühen, das geltende Staatsschutzstrafrecht von allen Vorschriften zu befreien, die nicht unbedingt erforderlich sind, führt er zu Ergebnissen, die den Verfassern des Entwurfs vermutlich ferngelegen haben; so schießt er vielfach über das Ziel hinaus. Diesen Eindruck gewinnt man schon, wenn man sich die Zahl der Vorschriften des geltenden Rechts vor Augen hält, die — meist ersatzlos — gestrichen werden sollen. Dabei handelt es sich um § 90 über staatsgefährdende Sabotage, um § 92 über staatsgefährdenden Nachrichtendienst, § 93 über verfassungsfeindliche Propaganda, § 94 über Strafschärfung bei staatsgefährdender Absicht, § 100 d Abs. 3 über staatsgefährdende Lügenpropaganda, §.128 über Geheimbündelei, um den vorsätzlichen Landesverrat ohne Begünstigungsund Benachteiligungsabsicht, den § 100 c Abs. 2 über fahrlässige Bekanntgabe von Staatsgeheimnissen und um § 100 f über landesverräterische Untreue. Nun liegt es mir allerdings fern, den Entwurf mit der Elle gestrichener Paragraphen messen zu wollen. Aber auch eine weniger auf die Zahl als auf die Substanz der Änderungswünsche eingehende Betrachtung zeigt, daß die meisten Vorschläge zu weit gehen, weil sie einige für einen effektiven Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung und der äußeren Sicherheit wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigen. Ich möchte das an einigen Beispielen verdeutlichen. Von einer Streichung des § 93 StGB über die verfassungsfeindliche Propaganda verspricht sich der Entwurf der SPD die Freigabe des linksradikalen, also des kommunistischen Schrifttums. Der Entwurf übersieht dabei, daß das kommunistische Schrifttum weitgehend die illegale KPD unterstützt oder für sie wirbt und damit gegen den in der vergangenen Wahlperiode neu gefaßten § 90 a StGB verstößt, dem damals auch die SPD zugestimmt hat und den sie daher auch in ihrem Entwurf unangetastet läßt. Der angestrebte Erfolg, über den man natürlich schon politisch streiten kann, wird also praktisch nicht erreicht. Erreicht wird aber etwas anderes: nach einer Streichung des § 93 könnte das rechtsradikale Schrifttum, könnten neonazistische Schriften, Schallplatten und ähnliche Propagandamittel, die altes nationalsozialistisches Gedankengut wieder lebendig machen wollen, mit denen die parlamentarische Demokratie verhöhnt, das Führerprinzip verherrlicht und die tragenden Grundsätze unserer Verfassung angegriffen werden, strafrechtlich nicht mehr erfaßt werden. Damit wäre auch keine Möglichkeit mehr gegeben, solche Propagandamittel einzuziehen und ihrer Einfuhr aus dem Ausland einen Riegel vorzuschieben. Wir kennen alle aus der bisherigen Praxis gefährliche Machwerke dieser Art. Nach allem, was hinter uns liegt, halte ich es für unerträglich, wenn wir dem Ausbreiten einer neonazistischen Literatur untätig zusehen müßten. Das aber wäre die unvermeidliche Folge einer Streichung des § 93. (Abg. Jahn [Marburg] : Unvermeidliche, Herr Minister?)


    (Beifall bei der SPD.)