Rede:
ID0501418600

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 65
    1. noch: 5
    2. ich: 3
    3. habe: 3
    4. 4: 3
    5. jetzt: 2
    6. einen: 2
    7. der: 2
    8. abgeschlossen: 2
    9. Herr: 2
    10. Sie: 2
    11. nicht: 2
    12. —: 2
    13. a): 2
    14. Meine: 1
    15. Damen: 1
    16. und: 1
    17. Herren,: 1
    18. Redner: 1
    19. auf: 1
    20. Liste.: 1
    21. Ich: 1
    22. frage: 1
    23. mich,: 1
    24. ob: 1
    25. damit: 1
    26. die: 1
    27. Diskussion: 1
    28. werden: 1
    29. soll.: 1
    30. Kollege: 1
    31. Heinemann,: 1
    32. eben: 1
    33. gehört,: 1
    34. daß: 1
    35. sprechen: 1
    36. wollen.: 1
    37. haben: 1
    38. sich: 1
    39. aber: 1
    40. gemeldet.\n: 1
    41. Ist: 1
    42. aufgerufen!: 1
    43. Also,: 1
    44. bei: 1
    45. Redner.: 1
    46. Damit: 1
    47. könnte: 1
    48. werden?\n: 1
    49. werden!)\n: 1
    50. Präsident: 1
    51. D.: 1
    52. Dr.: 1
    53. GerstenmaierDas: 1
    54. Wort: 1
    55. hat: 1
    56. Abgeordnete: 1
    57. Schlee.: 1
    58. Danach: 1
    59. fangen: 1
    60. wir: 1
    61. mit: 1
    62. dem: 1
    63. Tagesordnungspunkt: 1
    64. b): 1
    65. an.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 529 A Überweisung von Vorlagen . . . . . . 529 A Wahl der Schriftführer (Drucksache V/87) . 529 C Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Dreiunddreißigste, Fünfunddreißigste, Sechsunddreißigste, Achtunddreißigste und Neununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/15, V/44, V/45, V/22, V/23, V/177) . . 529 D Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Vierunddreißigste und Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/43, V/46, V/178) 530 A Fragestunde (Drucksache V/161) Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Zahlen über die Haushaltslage der Län- der 530 C Fragen des Abg. Dr. Wörner: Umstellung des Schuljahres Dr. Ernst, Staatssekretär . . . . . 530 D Dr. Wörner (CDU/CSU) . . . . . 530 D Fragen des Abg. Josten: Taubstumme schulpflichtige Kinder . . 531 A Frage des Abg. Dorn: Panorama-Sendung vom 13. 12. 1965 . 531 B Fragen des Abg. Bühling: Ausübung von Verwaltungsaufgaben durch Richter 531 B Frage des Abg. Haehser: Munitionslager der französischen Stationierungsstreitkräfte bei Hasborn Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 531 D Haehser (SPD) . . . . . . . . . 531 D Holkenbrink (CDU/CSU) . . . . . 532 A Frage des Abg. Genscher: Reichsabgabenordnung 532 C Fragen des Abg. Weigl: Kostenersatz für die Stadt Eschenbach (Oberpfalz) Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 532 C Frage des Abg. Dröscher: Finanzhilfe des Bundes in Katastrophenfallen Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 533 A Dröscher (SPD) 533 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 Frage des Abg. Felder: Bewertung von Trunkenheitsdelikten und Fahrerflucht bei Kraftfahrzeugunfällen Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 533 C Felder (SPD) . . . . . . . . . 533 D Fellermaier (SPD) . . . . . . 534 C Opitz (FDP) 534 D Dröscher (SPD) 535 A Frage des Abg. Sanger: Wettbewerbsverhältnisse bei Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 535 B Sänger (SPD) 535 C Frage des Abg. Haase (Kassel) : Schädigung der tabakverarbeitenden Industrie durch das Einfuhrverbot für rhodesische Tabake Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 535 D Frage des Abg. Haase (Kassel) : Exportverluste der deutschen Wirtschaft infolge Boykotts deutscher Waren durch Rhodesien Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 536 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 536 A Frage des Abg. Langebeck: Unterschiede bezüglich elektrotechnischer Sicherheit zwischen Stadt und Land Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 536 B Langebeck (SPD) 536 B Frage des Abg. Langebeck: Energiewirtschaftsgesetz Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 537 A Langebeck (SPD) . . . . . . . . 537 B Fragen des Abg. Opitz: Fortführung der Bauarbeiten im Winter Katzer, Bundesminister . . . . 537 C Opitz (FDP) 538 A Gerlach (SPD) 538 B Frage des Abg. Weigl: Versicherungspflichtgrenzen Katzer, Bundesminister 538 D Weigl (CDU/CSU) 539 A Frage des Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern) : Verteidigungsetat der Sowjetunion . . 539 A Frage des Abg. Dr. Tamblé: Heizungskostenzuschüsse 539 B Frage des Abg. Dr. Hamm (Kaiserslautern) : Gesunderhaltung und körperliche Ertüchtigung der Jugend Gumbel, Staatssekretär 539 B Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 539 C Frage des Abg. Felder: Warnleuchten für marschierende Bundeswehrtrupps bei Nacht Gumbel, Staatssekretär 539 D Felder (SPD) 540 A Frage des Abg. Felder: Strafsache des Luftwaffen-Oberleutnants Manfred Jurgan Gumbel, Staatssekretär 540 B Felder (SPD) 540 C Frage des Abg. Josten: Gesundheitsbefund der Musterungsuntersuchungen zur Bundeswehr . . . 540 D Fragen des Abg. Lemmrich: Militärflughafen Neuburg — Absiedlung in der Gemeinde Zell Gumbel, Staatssekretär 540 D Lemmrich (CDU/CSU) 541 C Frage des Abg. Dröscher: Gefahren bei Überfliegen der Grenzen des eigenen Landes und der NATO-Partner Gumbel, Staatssekretär 542 C Dröscher (SPD) . . . . . . . 542 D Fragen des Abg. Dr. Huys: Eisenbahnstrecke Wittingen—Rühen . . 543 B Frage des Abg. Ramms: Fest- und Margentarife für die Binnenschiffahrt im innerdeutschen Verkehr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 543 D Frage der Abg. Frau Funcke: Verkehrsunfallhilfe des ADAC Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 III Fragen der Abg. Eisenmann und Dröscher: Zwischenuntersuchungen durch KfzHandwerksstätten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Genscher (FDP) . . . . . . . 544 B Dröscher (SPD) 544 D Sammelübersicht 1 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die Zeit vom 17. 10. 1961 bis 17. 10. 1965 (Drucksache V/132) 545 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (SPD) (Drucksache V/170) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 C Entwurf eines Strafgesetzbuches (Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. h. c. Güde, Dr. Dehler, Dr. Wilhelmi u. Gen.) (Drucksache V/32) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 D Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 552 A Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . . 557 B Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . . . 563 D Schlee (CDU/CSU) . . . . . . . 569 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (SPD) (Drucksache V/102) — Erste Beratung — Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . . . 573 B Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 577 C Dr. Worner (CDU/CSU) . . . . . 583 B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 585 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes (Abg. Rollmann, Hauser [Bad Godesberg], Dr. Hammans, Dr. Klepsch u. Gen.) (Drucksache V/70) — Erste Beratung — 588 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal], Bading, Dr. Hamm [Kaiserslautern] u. Gen.) (Drucksache V/81) — Erste Beratung — Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . . 589 A Frau Dr. Hubert (SPD) 589 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. März 1964 mit der Republik der Philippinen über die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache V/140) — Erste Beratung — 589 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 1962 mit Regierung des Staates Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei der Gewerbesteuer (Drucksache V/142) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1962 über die Haftung der Gastwirte für die von ihren Gästen eingebrachten Sachen (Drucksache V/146) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten (Drucksache V/147) — Erste Beratung — 589 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Herwarth-von-Bittenfeld-Kaserne in Münster (Westfalen) an die Stadt Münster (Drucksache V/82) 590 A Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des Grundstücks in Berlin-Kreuzberg, Mehringdamm 20-30, Ecke Obentrautstraße 1-21, an das Land Berlin (Drucksache V/134) 590 A Einundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache V/139) . . . . . . . . . . 590 C Nächste Sitzung 590 C Anlage 591 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 529 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung Es ist zu lesen: 13. Sitzung Seite 512 A Zeile 3 von unten statt „des Ministerrats" : der Kommission Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Abelein 14. 1. Adorno 14. 1. Bading * 14. 1. Bauer (Wasserburg) 14. 1. Berger 14. 1. Frau Berger-Heise 18. 2. Berlin 19. 2. Dr. Birrenbach 14. 1. Burger 10. 4. Frau Blohm 14. 1. Dr. Dehler 14. 1. Dr. Effertz 13. 1. Eisenmann 14. 1. Erler 15. 2. Faller 14. 1. Frau Funcke 14. 1. Dr. Furler * 13. 1. Dr. Hesberg 13. 1. Hirsch 15. 1. Illerhaus * 13. 1. Dr. Jahn-Braunschweig 14. 1. Josten 19.2. Junghans '7. 2. Kaffka 14. 1. Kahn-Ackermann 13. 1. Kiep 20. 1. Krammig 15. 1. Frau Krappe 28. 2. Frau Dr. Krips 22. 1. Kuntscher 14. 1. Leber 14. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 15. 1. Majonica 22. 1. Mauk * 14. 1. Merten * 13. 1. Metzger * 14. 1. Michels 13. 1. Missbach 14. 1. Moersch 13. 1. Dr. Morgenstern 28. 1. Orgaß 14. 1. Frau Pitz-Savelsberg 21.1. Rasner 13. 1. Frau Schanzenbach 3. 2. Schlager 14. 1. Dr. Stecker 13. 1. Frau Strobel* 13. 1. Dr. Frhr. v. Vittinghoff-Schell 18. 1. * Für die Teilnahme an einer Ausschuß-Sitzung des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Adolf Müller-Emmert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus und den Herren Kollegen Dr. Güde, Dr. Dehler, Dr. Wilhelmi und Genossen eingebrachte Entwurf eines Strafgesetzbuchs entspricht unverändert dem Regierungsentwurf 1962, mit dem sich der vergangene Bundestag bereits beschäftigt hat. Dieser Entwurf ist, wie wohl allseits bekannt ist, in der Öffentlichkeit auf erhebliche Kritik gestoßen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat schon bei der Einbringung des Entwurfs im vorigen Bundestag im März 1963 klar ihre Meinung dargelegt. Nach unserer Meinung ist dieser Entwurf kein epochales Werk. Er hat nicht den Mut, zukunftweisendes strafrechtliches Neuland zu betreten, und verdient nicht — verzeihen Sie mir bitte dieses harte Wort — den Namen „Strafrechtsreform". Wir verkennen nicht, daß er einige Neuerungen enthält, die auch von uns unterstützt werden, so z. B. das neue, skandinavischem Vorbild entsprechende Geldstrafensystem der Tagesbuße und den Wegfall der Übertretungen aus dem Strafrecht und ihre Verweisung in das Recht der Ordnungswidrigkeiten. Insgesamt gesehen stellt aber der Entwurf lediglich eine redliche Bestandsaufnahme der derzeitigen



    Dr. Müller-Emmert
    Rechtsprechung und Rechtslehre dar, die — dieses Lob muß man den Verfassern allerdings zollen — sehr sorgfältig und gewissenhaft erarbeitet worden ist.
    Zwei Schwerpunkte unserer Kritik möchte ich ganz besonders erwähnen. Einmal geht der Entwurf kaum neue Wege im Strafensystem. Er 'beachtet nicht genügend die Erkenntnisse der modernen Strafrechtswissenschaft, die inzwischen ihren Niederschlag in neueren Strafgesetzbüchern verschiedener westeuropäischer Länder gefunden haben. Er behält die vom Vollzug her überholte Unterscheidung zwischen Zuchthaus und Gefängnis bei und lehnt die sogenannte Einheitsstrafe ab. Er beharrt außerdem auf der kriminalpolitisch völlig verfehlten kurzzeitigen Freiheitsstrafe.
    Der zweite Schwerpunkt ist, daß der Entwurf die Schuld des Täters nach sittlichen Maßstäben feststellt und sie nach den gleichen sittlichen Maßstäben einstuft. Auch nimmt er bei verschiedenen vorgesehenen Straftatbeständen die gleiche sittliche Wertung vor. Damit steht der Entwurf nicht auf dem Boden einer weltanschaulichen Neutralität, sondern begibt sich auf das unsichere Experimentierfeld der Auseinandersetzung darüber, was das Sittengesetz eigentlich beinhaltet. Da sittliche und moralische Normen nicht nur sehr umstritten sind, sondern auch ständigen Veränderungen unterliegen, führt eine Verweisung auf das Sittengesetz im Strafrecht mit Sicherheit zu ständigen rechtsstaatlichen Konflikten. Deshalb können wir auch aus klaren rechtsstaatlichen Erwägungen diese einseitige Grundtendenz des Entwurfs nicht billigen.
    Sie werden verstehen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß wir aus den genannten grundsätzlichen Feststellungen den von Ihnen neu eingebrachten Entwurf nicht unterschrieben haben und nicht unterschreiben konnten. Jeder Entwurf muß letztlich einen Gesetzesvater haben. Wenn Sie von uns verlangen, daß wir diesen Entwurf unbesehen vollständig unterschreiben, dann verlangen Sie von uns eine Festlegung im vorhinein, die nicht im Sinne der Sache liegt. Das soll nicht heißen, daß wir, von der rein formalen Seite her gesehen, es mit Ihnen nicht auch erfreulich fänden, daß wir nunmehr mit diesem neu eingebrachten Entwurf wieder eine Beratungsgrundlage für die Ausschußarbeiten haben.
    Was sind nun, meine Damen und Herren, unsere Leitgedanken für die Strafrechtsreform? Das Strafrecht hat dem Schutz der Rechtsgemeinschaft und aller von der Verfassung verbürgten Rechtsgüter zu dienen. Es muß ein Ausführungsgesetz zum Grundgesetz sein und muß die Würde des Menschen und alle Grundrechte achten und schützen, damit sich die Persönlichkeit in einem wahrhaft sozialen Rechtsstaat frei entfalten kann. Das Strafrecht muß daher gerecht sein und den Täter nach dem Grade seiner Verantwortung treffen. Die Verantwortlichkeit des Bürgers für sein Tun beruht auf der Anerkennung der Menschenwürde und der Freiheit des Menschen. Der Mensch hat für sein Tun einzustehen; er hat es zu verantworten. Je stärker er sich durch sein strafwürdiges Verhalten in Widerspruch zur Rechtsgemeinschaft gesetzt hat, um so nachhaltiger ist er von seinen Richtern zur Verantwortung zu ziehen.
    Dieser Schuldbegriff erfordert kein weltanschauliches Bekenntnis und ist nicht mit Sünde im metaphysischen oder religiösen Sinne gleichzusetzen. Schuld in diesem Sinne ist vielmehr ein sittlich völlig wertneutraler Begriff, der von der Verantwortung und der Entscheidungsfreiheit des einzelnen Menschen getragen wird. Schuld in diesem Sinne — die man wohl besser mit Verantwortung gleichsetzen könnte — beinhaltet hiernach einen bewußten und erkennbaren Verstoß gegen unsere Rechtsordnung, für den der Täter verantwortlich gemacht werden muß, da im Interesse unseres Zusammenlebens in der Gemeinschaft jeder für die von ihm begangene schuldhafte Verletzung eines als schutzwürdig anerkannten Rechtsgutes einzustehen hat.
    Mit einem so verstandenen Schuldstrafrecht — vielleicht sagt man besser ,;Verantwortungsstrafrecht" — ist die Freiheit des Geistes gewährleistet und kein Bürger im Bereich des Strafrechts auf eine bestimmte Weltanschauung verpflichtet.
    Meine Damen und Herren, die durch unsere Verfassung aufgegebene Anerkennung der Menschenwürde führt zwangsläufig zu einer weiteren Konsequenz. Das Strafrecht muß — darüber wurde heute auch schon viel geredet — sozial sein. Der einmal Gestrauchelte darf nicht zum Verbrecher aus verlorener Ehre werden. Unsere Gesellschaft muß dem Bürger, der sich strafbar gemacht hat, die Chance geben, sich wieder als vollwertiges Glied in die menschliche Gemeinschaft einzufügen. Zur Reform des Strafrechts gehört deshalb auch ganz klar eine weitere Verbesserung des Strafprozeßrechts, eine Reform des Strafregisterrechts, des Gnadenrechts und selbstverständlich auch des Strafvollzuges.
    Das Strafregisterrecht muß dahin gehend geändert werden, daß geringfügige Verurteilungen nicht ins Strafregister eingetragen oder möglichst frühzeitig getilgt werden. Darüber hinaus müssen alle Fristen, nach deren Ablauf nur noch beschränkt Auskunft erteilt werden darf oder Tilgung des Strafvermerks eintritt, in Richtung auf eine möglichste Kürzung überprüft werden.
    Der Strafvollzug darf nicht, wie es manchmal leider noch anzutreffen ist, die dunkle Schule des Verbrechens und Ansteckungsherd der Kriminalität sein. Vielmehr muß er zukünftig in viel größerem Maße als bisher der Erziehung der Verurteilten und ihrer Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft gewidmet sein. Das wohlverstandene Interesse der Gesellschaft verlangt gebieterisch, alle erdenklichen Einwirkungsmöglichkeiten zu schaffen, um den straffällig Gewordenen zu bessern; denn darüber kann es wohl kaum Streit geben, daß wir den entscheidendsten Schritt zur Verbrechensbekämpfung dann getan haben, wenn es uns gelingt, einen Großteil der Verurteilten im Strafvollzug zu bessern und zu resozialisieren.
    Diesem Ziele dienen unsere Vorschläge, den sozialen Status, die Ausbildung und die Leistungsfähigkeit der im Strafvollzug und in der Bewährungshilfe tätigen Menschen zu heben, umfangreiche erziehe-



    Dr. Müller-Emmert
    rische Maßnahmen einzuführen und die Gefangenenarbeit zu vergüten, damit der von dem Verurteilten angerichtete Schaden, soweit es möglich ist, wiedergutgemacht werden kann und die Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gemeinschaft erleichtert wird. Die Landesjustizminister und -senatoren haben sich kürzlich, und zwar im Oktober des vorigen Jahres, in Bremen in ihrer Mehrheit nicht dazu bereit finden können, die Vergütung der Gefangenenarbeit verbindlich einzuführen: Diese ihre Auffassung haben sie in der Hauptsache mit einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung begründet. Der Strafrechtsausschuß wird sich im Laufe seiner Beratungen mit Sicherheit mit diesem, wie ich allerdings zugebe, sehr schwierigen Problem noch befassen müssen.
    Zu bedauern ist in diesem Zusammenhang auch eine weitere Entschließung der eben erwähnten Justizministerkonferenz, die sich mit dem Problem der Errichtung eines zentralen Instituts zur Ausbildung und Fortbildung der Strafvollzugsbediensteten befaßt. Bekanntlich wurde im vorigen Bundestag ein gemeinschaftlicher Antrag aller Fraktionen einstimmig angenommen, durch den die Bundesregierung ersucht wurde, mit den Ländern ein Abkommen über die Errichtung, die Aufgaben und die Finanzierung eines solchen zentralen Instituts abzuschließen. Die Landesjustizminister halten, wie sich aus ihrer Bremer Entschließung ergibt, die Zeit für die Errichtung eines solchen Instituts noch nicht für reif. Ich darf hier, meine Damen und Herren, der Hoffnung Ausdruck geben, daß wir alle im Interesse eines im Sinne der Besserung erfolgreichen Strafvollzugs versuchen werden, ihre Auffassung zu ändern.
    Eng verknüpft mit dem Gedanken der Resozialisierung ist in unserem Strafrecht der weitere Grundsatz, daß dieses Strafrecht auch. wirksam sein muß. Einmal muß es insoweit wirksam sein, als durch den Strafvollzug der Gestrauchelte gebessert wird. Zum anderen muß aber auch das System der Strafen und Maßregeln dadurch Wirkung verbreiten, daß der einzelne durch die Strafe und ihre Höhe von der Begehung strafbarer Handlungen abgeschreckt wird oder sogar, wenn er, wie die von ihm begangenen strafbaren Handlungen bewiesen haben, eine besondere Gefahr für unsere Gesellschaft darstellt, sein Leben hinter Gittern zubringen muß. Es muß klar gesagt werden, daß wir alle im Interesse der Sicherheit und Ordnung in unserer Gesellschaft den Berufs-, Gewohnheits- und Kapitalverbrechern einen harten Kampf ansagen müssen und dabei auch vor harten, aber natürlich gerechten Strafen und Maßnahmen nicht zurückschrecken dürfen. Wenn aber auch im Einzelfalle harte Strafen verhängt werden müssen, so sollen sie nie entehrend sein. Sie müssen jedem Rechtsbrecher die Gelegenheit geben, wieder Fuß in der Gesellschaft zu fassen, seine Fehler zu erkennen und sich zukünftig wohlzuverhalten. Deshalb muß ein Strafensystem geschaffen werden, das dem Ziele dient, den Gestrauchelten endgültig zu bessern.
    Dazu gehört aber, daß die Zuchthausstrafe abgeschafft und die sogenannte Einheitsstrafe eingeführt wird, die die bisherigen Strafarten Zuchthaus und Gefängnis vereinigen soll. Es ist fraglos wahr, daß die Zuchthausstrafe die Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft erschwert. Sie versieht den Verurteilten mit dem Makel des Zuchthäuslers, was oft dazu führt, daß er nach seiner Entlassung den Keim künftiger Kriminalität in sich trägt. Eine Unterscheidung zwischen Zuchthaus und Gefängnis ist im Strafvollzug ohnehin nicht oder nur in ganz belanglosen Punkten möglich, da das Wesentliche beider Strafarten eben der Freiheitsentzug ist.
    Die Einheitsstrafe, die von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Strafrechtswissenschaftler und den Praktikern des Strafvollzuges gefordert wird und — worauf ich schon hingewiesen habe — neuerdings auch in mehreren westeuropäischen Ländern eingeführt worden ist, ermöglicht Differenzierungen nach der Höhe der Strafe und im Strafvollzug, wo eine Zusammenfassung verschiedener Tätergruppen erfolgt, so also z. B. der Gelegenheitstäter, der Hangtäter, der gefährlichen Täter, der Unbestraften und anderer Gruppen. Dadurch ist fraglos eine viel bessere Einwirkung auf jeden einzelnen Verurteilten möglich. Nur am Rande sei vermerkt — womit ich allerdings nicht sagen will, daß das unwichtig sei —, daß bei Einführung der sogenannten Einheitsstrafe nicht so viele Strafanstalten erforderlich sind wie bei der Beibehaltung des Unterschiedes zwischen Zuchthaus und Gefängnis.
    Lassen Sie mich noch einige Worte zu dem Problem der kurzzeitigen Freiheitsstrafe sagen. Eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität ist in ihrem unteren Bereich durch die kurzzeitige Freiheitsstrafe, deren Grenze man bis zu etwa sechs Monaten annehmen kann, nicht möglich. Jeder, der die Probleme des Strafvollzugs kennt, muß einräumen, daß Freiheitsstrafen unter sechs Monaten — über diese Grenze läßt sich allerdings streiten — die Anwendung wirksamer Erziehungsmittel nicht zulassen. Die kurzzeitige Freiheitsstrafe sollte deshalb abgeschafft werden. Ihre Anwendung hat zu einer Bestrafteninflation geführt, was die Tatsache erweist, daß von den rund 550 000 jährlich von den deutschen Gerichten ausgesprochenen Verurteilungen rund 150 000 Verurteilungen solche zu Freiheitsstrafen sind.
    Damit wird — ich glaube, darüber kann es keinen Streit geben — die Strafe entwertet. Außerdem werden durch die kurzzeitigen Freiheitsstrafen die Gerichte und der Strafvollzug über Gebühr belastet, so daß letztlich wirksame Einwirkungsmöglichkeiten auf Gefangene, die zu höheren Strafen verurteilt werden und die erziehungsfähig und erziehungsbedürftig sind, ausgeschlossen werden.
    Hinzu kommt, daß die kurzzeitige Freiheitsstrafe weit überwiegend nur solche Täter trifft, die wie man so sagt, an sich honorige Bürger sind und einer Resozialisierung wirklich nicht bedürfen. Denken wir in diesem Zusammenhang nur an die Vielzahl der Verurteilungen im Verkehrsstrafrecht.
    Anstelle der kurzzeitigen Freiheitsstrafe schlagen wir als Ersatz die Geldstrafe, die Geldbuße
    566 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn; Donnerstag, den 13. Januar 1966
    Dr. Müller-Emmert
    und einen selbständigen Katalog von Weisungen, Auflagen und Nebenstrafen vor.
    Da eingeräumt werden muß, daß eine Sanktion im Falle der schuldhaften Nichtzahlung der Geldstrafe und der schuldhaften Nichterfüllung der richterlichen Weisungen und Auflagen vorhanden sein muß, schlagen wir weiter vor, daß nach dem Vorbild des § 429 des, Entwurfs, der sich mit der Sicherungsaufsicht beschäftigt, für diese Fälle ein besonderer Straftatbestand geschaffen wird, der gröbliche und beharrliche Verstöße gegen richterliche Weisungen und Auflagen — worunter auch die Nichtzahlung der Geldstrafe fallen müßte — unter eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten stellt.
    In diesem Zusammenhang ist im Interesse einer Eindämmung der Bestraften-Inflation noch auf folgende Punkte hinzuweisen.
    Zukünftig muß nach unserer Meinung bei der Strafverfolgung dem Willen des Verletzten und dem Verhalten des Täters gegenüber dem Verletzten nach der Tat mehr Raum gegeben werden. Eine Erweiterung des Strafantragserfordernisses, der Ausbau strafbefreiender Wirkung der tätigen Reue und der Wiedergutmachung des Schadens oder auch der Verzeihung des Verletzten können ebenfalls die Vielstraferei eindämmen und damit wichtige kriminalpolitische Dienste leisten.
    Darüber hinaus wird eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität durch die Möglichkeiten der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung erreicht, von denen wir leider noch viel zu wenig Gebrauch machen. Wir müssen uns ständig — auch hier im Bundestag — neue Maßnahmen einfallen lassen, die eine Verbrechensausführung verhindern, indem wir die möglichen Opfer und Objekte schon im vorhinein schützen. Als Beispiele seien angeführt: ständige Aufklärung der Bevölkerung, Hinweis, daß viel mehr Schreck- und Alarmpistolen von Bürgern gekauft werden, Hinweis, daß besonders gefährdete Berufsgruppen — Geldbriefträger, Kassenboten und andere — ständig mit Waffen ausgerüstet sind, technische Sicherung von Geschäftsräumen und Banken, Sicherung von Kraftfahrzeugen, Taxis, Personenkraftwagen, polizeiliche Schutzmaßnahmen, beispielsweise Streifengänge in entlegene Gegenden oder in einsame Parkanlagen, Beobachtung der in Freiheit befindlichen Berufsverbrecher und auch der Prostitution. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Veränderung mancher Umstände, die erfahrungsgemäß zur Begehung von Verbrechen anreizen. Zu denken ist beispielsweise an eine Untersuchung der Probleme der Obdachlosigkeit, die auch heute noch bei uns, in unserem sogenannten Wirtschaftswunderstaat, ab und zu anzutreffen ist. Dazu gehört eine vermehrte Bekämpfung des Alkoholismus und der Rauschgiftsucht. Dazu gehören vermehrte Kontrollen der Kassenführung in Behörden und in der Wirtschaft, um möglichen Unterschlagungen oder Untreuefällen tunlichst vorzubeugen.
    Als weitere Grundsatzforderung ist anzuführen, daß die Straftatbestände auf das unbedingt Notwendige beschränkt werden müssen. Im Rahmen der Beratungen muß aus kriminalpolitischen Gründen sorgfältig geprüft werden, ob Tatbestände, die bisher strafbar sind, nach den heutigen Gegebenheiten zukünftig noch strafbar sein sollen. Wir begrüßen deshalb durchaus — ich habe schon darauf hingewiesen —, daß bloße Übertretungen, die kein strafwürdiges Unrecht enthalten, aus dem Strafrecht herausgenommen und zukünftig als Ordnungswidrigkeiten im Verwaltungswege erledigt werden sollen. Es dürfen aber auch keine neuen Strafvorschriften geschaffen werden, für die kein kriminalpolitisches Bedürfnis besteht. Grundsätzlich muß sich das Strafrecht auf Tatbestände beschränken, deren Unrechtsgehalt zweifelsfrei ist. Es darf keine Handlungen unter Strafe stellen, die zwar unter Umständen moralisch bedenklich sind, die aber kein kriminelles Unrecht enthalten. In unserer in ihren Meinungen und Auffassungen so vielfältigen Gesellschaft muß der Gesetzgeber gerade auf dem Gebiet des Strafrechts die Grenzen des Staates wahren. Das Strafrecht muß vom ganzen Volke getragen sein. Deshalb muß erreicht werden, die verschiedenen Auffassungen, wie sie in unserem Volke vertreten sind, im Rahmen des Strafrechts unter einen Hut zu bringen, ohne daß der unsere Verfassung beherrschende Grundsatz der Toleranz gefährdet oder verletzt wird.
    Unter diesen angeführten Gesichtspunkten muß eine größere Anzahl von Tatbeständen während der Beratungen des Ausschusses eingehend geprüft werden. Dazu gehören beispielsweise die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten, die Störung der Strafrechtspflege, die Gotteslästerung, die ethisch indizierte Schwangerschaftsunterbrechung, die freiwillige Sterilisation und Kastration, die künstliche Samenübertragung, der Ehebruch, die einfache Kuppelei, die einfache Unzucht zwischen Männern, Publikationen über Geburtenregelung und empfängnisverhütende Mittel und die sogenannte unzüchtige Schaustellung. Diese und weitere Probleme können nach unserer Meinung nur durch eine breite Diskussion unter Anteilnahme der Öffentlichkeit und nach Anhörung von Sachverständigen aller Wissenszweige gelöst werden. Wir freuen uns, daß offenbar der Herr Bundesjustizminister — so habe ich ihn jedenfalls verstanden — in dieser Frage mit uns übereinstimmt.
    In diesem Zusammenhang möchte ich eine kurze mehr haushalts- und finanzrechtliche Bemerkung einflechten. Die Notwendigkeit zu sparen, über die im Augenblick so viel geredet wird, sollte einmal zu einer Untersuchung darüber führen, was die kriminalpolitisch unerwünschte und gesellschaftspolitisch wirkungslose Ausdehnung des Strafrechts an unnötigen Kosten mit sich bringt, die nur wieder der einzelne Steuerzahler aufbringen muß. Auch im Strafrecht heißt es daher, meine Damen und Herren, maßzuhalten.
    Schließlich — um zu einem weiteren wichtigen Punkt zu kommen — muß unser Strafrecht zeitgemäß und modern sein. Es muß mit der Kriminalität des zwanzigsten Jahrhunderts fertig werden. Neue, durch die technische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung geschaffene Lebenssachverhalte müssen in die strafrechtliche Beurteilung mit einbe-



    Dr. Müller-Emmert
    zogen werden. Insbesondere müssen daher die Probleme, die sich aus unserem heutigen Wirtschaftsleben ergeben, wie z. B. der Werbeschwindel, die Kartelldelikte, die Verantwortlichkeit juristischer Personen, die Konkurs- und Vergleichsdelikte, berücksichtigt werden.
    Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß es auch Aufgabe des Gesetzgebers sein muß, der Rechtslehre und der Rechtsprechung genügend Raum für die Fortentwicklung des Strafrechts zu lassen und außerdem die Grundlagen für eine europäische Harmonisierung des Strafrechts, wie sie auf dem Gebiete des Verkehrsstrafrechts bereits erkennbar ist, zu schaffen. Schließlich ist nach unserer Meinung der Hinweis von erheblicher Bedeutung, daß wir uns im Rahmen der Beratungen, soweit dies erforderlich ist, noch darum bemühen müssen, die für das Strafrecht maßgebenden Rechtsgedanken statt in einer komplizierten und manchmal kaum noch von Juristen zu begreifenden Terminologie in einer lebendigen, jedermann verständlichen Gesetzessprache zu fassen.
    Zu den drängendsten parlamentarischen Aufgaben unserer Zeit gehört fraglos auch eine Reform des politischen Strafrechts. Wir haben hierzu einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, den mein Freund Dr. Gustav Heinemann begründen wird, so daß ich mir insoweit eigene Ausführungen ersparen kann.
    Meine Damen und Herren, die Aufgaben, die den Sonderausschuß „Strafrecht" und seine Mitglieder erwarten, sind langwierig, aber wohl auch lohnend und groß. Mit einer Unzahl von Problemen muß der Strafrechtsausschuß in den nächsten Jahren fertig werden. Viel wurde in den Beratungen des Ausschusses im vorigen Bundestag schon erreicht. Eine große Anzahl von Verbesserungen, die großenteils auch auf von uns gestellte Anträge zurückgehen, sind festzustellen, wie beispielsweise die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Strafaussetzung zur Bewährung, die Erhöhung der Tagessätze bei der Geldstrafe, die Einbeziehung der juristischen Personen in den Bereich der strafrechtlich Verantwortlichen, verschiedene Verbesserungen im Maßregelrecht, wie Vikariieren, Verhältnismäßigkeit und Einzelheiten der Sicherungsverwahrung, und schließlich auch die Privilegierung des Überzeugungstäters.
    Mit Sorge erfüllt uns aber, daß in den grundlegenden Fragen des Strafensystems, also hinsichtlich der sogenannten Einheitsstrafe und der kurzzeitigen Freiheitsstrafe keine Übereinstimmung erzielt werden konnte. Die dabei getroffenen Mehrheitsentscheidungen werden nach unserer Auffassung den modernen Aufgaben einer Strafrechtsreform nicht gerecht. Diese Beschlüsse können deshalb von uns nicht akzeptiert werden. Sie werden, wenn sie bestehenbleiben, das Gelingen der Gesamtreform in Frage stellen. Ein Strafgesetzbuch, das wie kein anderes Gesetz den Lebenskreis jedes einzelnen Bürgers berührt, ist ein denkbar ungeeignetes Objekt für knappe Mehrheitsbeschlüsse in grundsätzlichen Fragen.
    Diese Grundsatzfragen des Strafensystems bilden das Fundament der vorgesehenen Gesamtreform. Von ihrer Entscheidung hängt die Gestaltung der Einzelvorschriften des Besonderen Teils ab, aber auch genauso das noch zu schaffende Bundesstrafvollzugsgesetz, schließlich auch die Änderungen der Strafvorschriften in den rund 420 strafrechtlichen Nebengesetzen, die Reform der Strafprozeßordnung und die Formulierung von vielen weiteren Bestimmungen im Einführungsgesetz, im Strafregisterrecht, im Gnadenrecht und im Recht der Ordnungswidrigkeiten.
    Wenn es nicht gelingt, diese grundlegenden Entscheidungen so zu treffen, daß sie von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses anerkannt werden können, wenn diese Entscheidungen vielmehr unter dem Vorbehalt einer Nichtänderung der derzeitigen politischen Mehrheitsverhältnisse stehen, dann ist das Fundament der Strafrechtsreform brüchig, dann ist diese Reform auf Sand gebaut. Dies haben mit der Problematik näher vertraute Kollegen aus den anderen Fraktionen schon längst erkannt. Auch der Herr Bundesjustizminister hat heute vormittag auf diese Grundsatzprobleme in diesem Sinne hingewiesen. Wenn nicht die Gesamtreform in Frage gestellt werden soll, gilt es deshalb, in nächster Zukunft die gegensätzlichen Auffassungen durch sachgerechte Kompromißlösungen auszugleichen, so wie es beispielsweise jüngst in Österreich in den Kommissionsberatungen zur Strafrechtsreform gelungen ist. Wenn sich der Herr Bundesjustizminister heute vormittag an die Opposition gewendet und sie darum gebeten hat, zu tragbaren Lösungen zu kommen, dann richten wir das gleiche Angebot an die Koalitionsfraktionen.
    Dazu gehört — wie ein bekannter deutscher Strafrechtler kürzlich zu Recht gesagt hat —, daß auf überspitzte, für den politisch Andersdenkenden unannehmbare Forderungen verzichtet und um des Gelingens des Ganzen willen auch diese und jene liebgewordene Vorstellung, die eben doch nicht für große Teile des Volkes annehmbar ist, fallengelassen wird.
    Der unvergessene Gustav Radbruch hat in seinen Bemerkungen zum Entwurf des Strafgesetzbuches von 1922 in einem Schulenstreit zwischen Vertretern der Vergeltungsstrafe und der Zweckstrafe Worte geprägt, die bei unseren derzeitigen verschiedenen Auffassungen in diesen angesprochenen Grundsatzfragen ins Gedächtnis .gerufen werden sollten. Radbruch sagte:
    Heute ist dieser Schulenstreit beendet, nicht durch Sieg oder Niederlage, sondern durch Verständigung. Man ist sich darüber klargeworden, daß die praktischen Folgerungen weit näher aneinander liegen als ihre gedanklichen Ausgangspunkte. Man ist es unter dem Druck der Zeit müde geworden, sich noch länger durch theoretische Meinungsverschiedenheiten den Weg zu gemeinsamer praktischer Tat versperren zu lassen. Gesellschaftsschutz und Vergeltung, Besserung und Sicherung durch den Strafvollzug und Abschreckung durch die Strafdrohung verlangen in wohlausgewogenem Gleichgewicht gleichermaßen Einfluß auf ein Strafgesetzbuch, das nicht ein blutleeres Gedankenbild sein will, sondern lebendiger Ausdruck des Volksgeistes.



    Dr. Müller-Emmert
    So weit Gustav Radbruch, dessen Worte, wie ich
    wohl meine, wir uns alle zu Herzen nehmen sollten.
    Es ist möglich — wenn auch heute noch nicht ganz übersehbar —, daß im Rahmen der Ausschußberatungen gewisse in sich fertige und abgeschlossene Teilabschnitte gewissermaßen als reife Früchte der Beratungsarbeit anfallen. Zu denken ist dabei an das Geldstrafenrecht, die Ausscheidung der Übertretungen, die Angleichung des Nebenstrafrechts, ein neues Freiheitsstrafensystem einschließlich der Strafe der Einschließung und an den Abschnitt über die Maßregeln der Besserung und Sicherung. Nach unserer Meinung sollten wir alle den Mut haben, solche reifen Teilabschnitte vorweg im Plenum zu verabschieden, ohne die Gesamtreform abzuwarten.

    (Abg. Jahn [Marburg] : Sehr richtig!)

    Die Frage des Inkrafttretens dieser Teilabschnitte ist dabei nicht so wichtig. Darüber kann man von Fall zu Fall reden.
    Bei den Arbeiten an einem solchen großen Gesetzgebungswerk müssen manche technischen und organisatorischen Probleme beachtet werden. Nach unserer Meinung muß die wissenschaftliche und technische Vorbereitung und Durchführung der Ausschußsitzungen weiterhin durch qualifizierte Kräfte des parlamentarischen Hilfsdienstes, des Stenographischen Dienstes und durch sachverständige Experten gewährleistet sein. Auch wäre zu erwägen — worauf meine Freunde Dr. Gustav Heinemann und Fritz Sänger schon früher hingewiesen haben —, die Ausschußsitzungen öffentlich stattfinden zu lassen, damit ein ständiger Gedankenaustausch zwischen dem Ausschuß und der interessierten Öffentlichkeit möglich wird.
    Meine Damen und Herren, wir werden wie bisher im Geiste konstruktiver Mitarbeit an der großen Reform mitwirken. Dabei werden wir uns von den vorgetragenen Grundsätzen leiten lassen, die auf unserem Rechtspolitischen Kongreß in Heidelberg im März 1965 kurz zu folgenden Thesen zusammen-. gefaßt wurden. Zum Strafrecht:
    1. Im Sinne seiner aufs Ganze bezogenen Sozialfunktion hat das Strafrecht die Auffassung aller Gruppen entsprechend dem Grundgesetz zu achten.
    2. Das Strafrecht hat sich auf kriminelles Unrecht zu beschränken. Lediglich gemeinlästiges Verhalten bedarf keiner strafrechtlichen Ahndung.
    3. Die gesellschaftliche Wiedereingliederung straffällig gewordener Bürger erfordert einen differenzierten Strafvollzug unter Fortfall des Unterschiedes zwischen Zuchthaus und Gefängnis.
    4. Die kurzfristige Freiheitsstrafe hat grundsätzlich zu entfallen. Sie ist durch Maßnahmen, Maßregeln, Auflagen und ein System von Geldbußen und Geldstrafen und Wiedergutmachung zu ersetzen.
    5. Die Reform des Staatsschutzrechtes ist vordringlich.
    Zum Strafvollzug:
    1. Es ist beschleunigt ein Bundesstrafvollzugsgesetz zu schaffen.
    2. Es ist vordringliche Aufgabe der Länder, unverzüglich an die Reform des Strafvollzuges ohne Rücksicht auf den Stand der Strafrechtsreform heranzugehen. Entscheidende Reformmaßnahmen sind ohne vorheriges Gesetz möglich.
    3. Die Ausbildung der Strafvollzugsbediensteten ist zu verbessern. Ihre Zahl ist zu erhöhen.
    4. Die Errichtung einer ausreichenden Zahl von modernen Strafvollzugsanstalten ist ohne Zögern von den Ländern in Angriff zu nehmen.
    5. Innerhalb der Strafrechtspflege muß der Strafvollzug neben Gerichten und Staatsanwaltschaft Selbständigkeit erlangen.
    Die angeführten mannigfaltigen Probleme haben gezeigt, daß die Bewältigung der Gesamtreform den Gesetzgeber im besonderen Maße dazu zwingt, sich zu bescheiden. Wir sind der festen Überzeugung, daß wir nur dann zum Ziel kommen, wenn wir das Toleranzgebot beachten und die Grenzen des Staates in unserer so vielfältigen Gesellschafft wahren. Sinn des Strafrechtes kann, es nämlich nicht sein, einen Sittenkodex zu schaffen und bestimmte — ganz gleich wie geartete — Weltanschauungen oder Dogmen unter strafrechtlichen Schutz zu stellen. Die Aufgabe des Strafrechtes besteht vielmehr ausschließlich darin, das äußere Zusammenleben in unserer Gemeinschaft zu gewährleisten: elementare Rechtsgüter der Gemeinschaft und des einzelnen wirksam zu schützen und strafwürdiges Unrecht zu ahnden.
    Unser Ziel muß sein, ein gerechtes, soziales, wirksames, tolerantes, zeitgemäßes und auf das unbedingt Notwendige beschränktes Strafrecht zu schaffen. Wenn wir alle diese Grundsätze beachten, dann werden die Arbeiten an der Strafrechtsreform sicher sehr schnell vorangehen.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt noch einen Redner auf der Liste. Ich frage mich, ob damit die Diskussion abgeschlossen werden soll. Herr Kollege Heinemann, ich habe eben gehört, daß Sie noch sprechen wollen. Sie haben sich aber noch nicht gemeldet.

(Abg. Dr. Dr. Heinemann: Ich soll zur Begründung unserer Vorlage sprechen. Die ist ja noch gar nicht im Spiel! — .Abg. Jahn [Marburg] : 4 b) ist noch nicht aufgerufen!)

— Ist noch nicht aufgerufen! Also, bei 4 a) habe ich jetzt noch einen Redner. Damit könnte 4 a) abgeschlossen werden?

(Abg. Jahn [Marburg] : Dann sollte 4 a) abgeschlossen werden und mit 4 b) begonnen

werden!)



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlee. — Danach fangen wir mit dem Tagesordnungspunkt 4 b) an.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Albrecht Schlee


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neue Kodifizierung des Strafrechts ist in der Vergangenheit immer eine säkulare Aufgabe gewesen. Das geltende Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich trägt das Datum des 15. Mai 1871. Es war jedoch bereits am 1. Januar 1871 für den Norddeutschen Bund in Kraft getreten. Mit der Fassung vom 15. Mai 1871 wurde es nach der Gründung des Reichs als Reichsgesetz verkündet und vom 1. Januar 1872 an auch für die süddeutschen Staaten in Kraft gesetzt.
    Freilich hat es in diesen Jahrzehnten manche Änderungen, Ergänzungen und Modernisierungen erfahren. Aber in seinen Grundzügen gilt es nun doch seit 94 bzw. 95 Jahren, und das ist in der europäischen Strafgesetzgebung nichts ganz Außergewöhnliches.
    Dieses Strafgesetzbuch von 1871 war nicht das erste deutsche Reichsgesetz für das Strafrecht. Um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert war zunächst die partikuläre Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts sehr fruchtbar gewesen. Es gab ein Strafrecht oder eine Halsgerichtsordnung für Worms von 1498, für Tirol von 1499 und für Radolfzell von 1506. Als bestes Werk jener Zeit gilt noch heute die Halsgerichtsordnung für das Hochstift Bamberg von 1507, die der fränkische Ritter Johann von Schwarzenberg verfaßte. Dies war das Vorbild für das erste deutsche Reichsgesetz des Strafrechts, nämlich für die Peinliche Gerichtsordnung des Kaisers Karl des Fünften von 1532. Auch diesem Gesetz waren in den Jahren von 1521 bis 1530 vier Entwürfe vorhergegangen, ein Wormser Entwurf von 1521, ein Nürnberger Entwurf von 1524, ein Speyerer Entwurf von 1529 und ein Augsburger Entwurf von 1530. Wir sehen, daß man schon damals in ganz moderner Weise mit Entwürfen und wohl auch mit sachverständigen Gelehrten und mit Ministerialbürokratie arbeitete, erstaunlicherweise aber schneller als heutzutage.
    Wie es dann der Lockerung des Reichsgefüges und dem Übergang der Strafrechtspflege in die Gewalt der Reichsglieder entsprach, vollzog sich die Einführung der Aufklärung in das Strafrecht in der Gesetzgebung der Länder. Im Jahre 1813 schuf Anselm von Feuerbach das für die damalige Zeit moderne Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern. Preußen kodifizierte 1851 ein neues Strafrecht. Bayern glich im Jahre 1861 sein Strafrecht dem preußischen Recht an. Sachsen tat ähnliches noch im Jahre 1868. Die Rechtseinheit war also auf dem Gebiete des Strafrechts schon weitgehend hergestellt, als in jenen Jahren auch die politische Einheit zustande kam, und darum verwundert es uns nicht, daß der Entwurf für den Norddeutschen Bund, mit dem Bismarck im Juni 1868 den preußischen Justizminister Leonhardt beauftragte, bereits im Februar 1870 dem Norddeutschen Reichstag vorgelegt werden konnte. Die erste Lesung fand am 22. Februar 1870 statt; die zweite folgte bereits am 28. Februar; die dritte begann am 21. Mai und endete am 25. Mai 1870 mit der Verabschiedung des Gesetzes. Es ist eine heute keineswegs aktuelle, aber immerhin vielleicht interessante Reminiszenz, daß die zweite Lesung des Gesetzes damals zu einer heftigen Debatte über die Todesstrafe führte, weil Preußen diese Strafe noch hatte, Oldenburg und Sachsen dagegen sie damals bereits abgeschafft hatten.
    Schon etwa ein Jahrzehnt später begannen dann die Bestrebungen zur Reform des Strafgesetzbuches. Die Reichskriminalstatistik von 1882 machte ersichtlich, daß die Kriminalität besonders unter den Jugendlichen und unter den Vorbestraften angestiegen war. So wurde der Ruf nach einer zielbewußten Kriminalpolitik laut. Aber vor allem boten Naturwissenschaften, Soziologie und Kriminalbiologie neue Erkenntnisse und Anregungen an, die von der Strafrechtslehre aufgenommen wurden. Führender Kopf der Reform wurde der heute schon genannte Franz von Liszt, zuletzt Professor des Strafrechts in Berlin. Er hob den spezialpräventiven Zweck der Strafe hervor, d. h. die Bekämpfung des Verbrechens durch Einwirkung auf den Verbrecher. Das alte Strafrecht kannte nur Tat und Strafe. Jetzt kamen neue Vorschläge hervor: verminderte Strafe für verminderte Zurechnungsfähigkeit, bedingte Strafaussetzung, Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafe durch Geldstrafe, Einrichtung von Anstalten für unzurechnungsfähige und für gefährliche Täter. Diese Maßnahmen sind inzwischen zum festen Bestandteil unserer Strafrechtspflege geworden. Wir bezeichnen deshalb unser Strafrecht heute als zweispurig, weil es für die Tat nicht nur die Strafe, sondern auch die Maßregeln der Sicherung und Besserung oder — nach dem Entwurf — der Besserung und Sicherung vorsieht.
    Der Entwurf versucht, das, was im Laufe der Zeit in das alte Recht eingeflickt und eingeschoben wurde, systematisch einzuordnen, zu ergänzen und zu verbessern, und wir sind gern bereit, an einer weiteren Verbesserung dieser Maßnahmen der Besserung und Sicherung zusammen mit Ihnen, meine Herren von der Opposition, mitzuarbeiten. Aber Grundlage und Voraussetzung bleibt in jedem Falle auch weiterhin die rechtswidrige und tatbestandsmäßige Tat, wie das in rechtsstaatlicher Strafrechtspflege auch vorerst nicht anders sein kann.
    Meine Damen und Herren, ich möchte meinen, das Strafrecht ist das ernsteste Rechtsgebiet überhaupt; denn hier wird der Mensch mit seinem Körper, mit seiner Freiheit zum „Objekt" eines staatlichen Eingriffs, der dazu dient, Rechte und Interessen anderer, Interessen des Staates und der Gesellschaft zu wahren und aufrechtzuerhalten. Darum erhebt sich hier immer von neuem die Frage, wie dieser Eingriff beschaffen sein muß, wie er beschaffen sein darf, damit er dem Stande der Gesellschaft und der Verantwortlichkeit und der Würde des „Objekts", d. h. eben des Menschen, gerecht wird. Das Strafrecht ist deshalb diejenige juristische Disziplin, in der sich der Jurist am wenigsten abkaspeln darf gegen andere Wissenschaften, die zu dieser Frage auch etwas zu sagen haben. Das gleiche gilt für die Arbeit des Gesetzgebers, und bei der Entwicklung, die die Wissenschaften — die Naturwissenschaft, die Kri-



    Schlee
    minalbiologie, die Soziologie, die Psychiatrie — in den letzten Jahrzehnten genommen haben, kann es uns deshalb nicht wundernehmen, daß die Reform der Strafgesetzgebung allenthalben in der Welt im Gange ist.
    Auch nach dem Strafrecht des Entwurfs soll es für die Strafbarkeit der Tat in Zukunft drei Voraussetzungen geben: die Tat muß rechtswidrig, tatbestandsmäßig und, wenn sie bestraft werden soll, auch zurechenbar, d. h. schuldhaft, sein.
    Die Bedeutung des gesetzlichen Tatbestands für die Qualifizierung des Strafrechts als Recht im objektiven Sinne ist nicht immer und überall erkannt und gewürdigt worden. Es ist eben nicht Sache des Richters, das zu strafen, was e r für strafwürdig hält oder wofür eine mehr oder weniger große Allgemeinheit Strafe verlangt. Schon das Reichsgesetz von 1871 enthielt am Anfang den Satz, daß eine Tat nur dann bestraft werden darf, wenn die Strafe schon vor der Tat gesetzlich bestimmt war. Strafrecht ist daher im Rechtsstaat so gut wie, ausschließlich Gesetzesrecht. Dem Gesetzgeber ist es vorbehalten zu bestimmen, was strafbar sein soll. Er scheidet den Raum freien Handelns von dem Verbotenen, das er mit Strafe bedroht, und er tut das, indem er mit allgemeinen Merkmalen typenweise die Handlungen beschreibt, die strafbar sein sollen. Der Richter hat in seinem Urteil zu erkennen, ob der Sachverhalt der einzelnen konkreten Tat die Merkmale eines gesetzlichen Tatbestands erfüllt. Findet er diese Übereinstimmung nicht, so muß er den Angeklagten freisprechen, mag das, was geschehen ist, ihm oder der Öffentlichkeit noch so strafwürdig scheinen.
    Meine Damen und Herren, ein solches Strafrecht muß zwangsläufig lückenhaft sein. In den sich wandelnden Verhältnissen von Staat und Gesellschaft werden nicht nur immer wieder manche Tatbestände veralten, es werden sich auch immer wieder neue Handlungen zeigen, die Strafe verdienen, die Strafe verlangen, die aber noch nicht mit Strafe bedroht sind, weil in der Vergangenheit dieses Bedürfnis nicht hervorgetreten war. Aber diese Bindung des Richters an das Strafgesetz, das aus Tatbestand und Strafdrohung besteht, ist die unabdingbare Grundlage rechtsstaatlicher Strafjustiz.
    Im „Dritten Reich" gab es die Analogie, wo der Richter ermächtigt sein sollte, in nur analoger Anwendung eines Tatbestandes zu Strafe zu verurteilen. Diese Analogie war in der deutschen Justiz ein Fremdkörper, und sie hat wohl auch keine Bedeutung erlangt. Aber die Gerichte fanden nicht immer Verständnis dafür, daß Rückkehr zur rechtsstaatlichen Strafjustiz vor allem wieder unbedingte Bindung der Rechtsprechung an den gesetzlichen Tatbestand bedeutete.
    Nach Abschnitten und Titeln geordnet, bildet darum der Katalog der strafbaren Tatbestände auch den Besonderen Teil unseres neuen Entwurfs.
    Wir sind im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, daß der Entwurf als Ergebnis der Kommissionsarbeit eine gute Grundlage ist; denn er ist von einer Kommission erarbeitet worden, die aus führenden
    Köpfen unserer Rechtsprechung, unserer Strafrechtslehre und Referenten der Ministerien besteht. Der Strafrechtsausschuß wird sich nun der Aufgabe unterziehen müssen, diesen Katalog für die zweite Lesung dem Hohen Hause tunlichst so vollständig vorzulegen, daß er der Ordnung und den Strafbedürfnissen unserer Gesellschaft auf möglichst lange Zeit gerecht wird.
    Aber ein weiser Gesetzgeber wird sich gerade in der Strafgesetzgebung seiner Grenzen bewußt bleiben. Er wird nicht willkürlich Tatbestände schaffen, sondern nur solche Handlungen verbieten, die echte Rechtsgüter verletzen oder gefährden, und er wird in jedem Falle die Strafnotwendigkeit dreimal prüfen, ehe er sich dazu entschließt, sie anzuordnen.
    Dabei gibt es freilich Strafrecht, das wir als „statisch" bezeichnen können. Z. B. Angriffe auf das Leben, auf Leib und Ehre der Person, Diebstahl und Betrug, Notzucht sind seit eh und je für Unrecht gehalten worden und deshalb strafbar gewesen. Aber es gibt auch Gebiete der Strafgesetzgebung, wo die Berechtigung der Strafbarkeit oder doch die Grenze zwischen dem zu Erlaubenden und dem zu Verbietenden umstritten ist. Ich meine hier z. B. den Schutz der staatlichen Einrichtungen oder der Staatsgeheimnisse, manche Bereiche des Ehrenschutzes oder manche Bereiche der Sittlichkeit. Hier wird der positive Wille des Gesetzgebers als Grundlage des Gesetzes weit schärfer hervortreten. Hier vor allem werden ihm neben Lehre und Rechtsprechung auch andere Wissenschaften zur Hand zu gehen haben — Moraltheologie, Philosophie, Medizin, Psychiatrie, Soziologie, Kriminologie —, wenn er sich zwischen dem zu Verbietenden und dem zu Duldenden zu entscheiden hat.
    Nicht alles, meine Damen und Herren, was in dem Entwurf enthalten ist oder nicht enthalten ist, wird allgemeinen Beifall finden. Ich glaube, wie ich es schon angedeutet habe, der Gesetzgeber wird auch unter genauer Prüfung des Notwendigen den Mut zur Lückenhaftigkeit beweisen müssen.
    Was im einzelnen als problematisch hier auftauchen wird, ist ja bekannt und heute wiederholt genannt worden. Es wäre falsch, sich in einer ersten Lesung bereits nach der einen oder anderen Richtung festzulegen und die Entscheidungen, die erst auf Grund der Beratungen des Ausschusses getroffen werden sollen, vorwegzunehmen. Aber es wäre vielleicht gut — und solche Anregungen sind auch bei mir laut geworden —, wenn sich das Plenum dieses Hauses nach einiger Zeit nach einer gewissen Klärung einmal in einer Wiederholung dieser ersten Lesung, möchte ich sagen, über das klar würde, was es in den besonderen Gebieten des Sittenschutzes wie auch des Politischen aufnehmen will oder nicht. Ich meine, daß es nicht Aufgabe des Hohen Hauses sein wird, in der zweiten oder dritten Lesung den ganzen Komplex dieses Gesetzes einzeln durchzusprechen. Das ist eine Sache, die weitgehend den Sachverständigen der Kommission und dem Ausschuß zu überlassen war. Aber es gibt Gebiete und Entscheidungen, in denen dieses Hohe Haus sein Wort sprechen will und zu sprechen hat. Dazu sollten wir uns auch frühzeitig entschließen.



    Schlee
    Meine Damen und Herren, der Besondere Teil des Entwurfs unterscheidet sich allerdings zweifach in bemerkenswerter Weise von dem Besonderen Teil des geltenden Strafrechts.
    Erstens. Es ist heute bereits erwähnt worden, daß der Entwurf keine Übertretungen mehr enthält. Er kennt nur noch Verbrechen und Vergehen. Er entspricht damit einem alten Wunsche der Strafrechtslehre, indem er versucht, kriminelles und polizeiliches Unrecht zu scheiden. Das Strafgesetz soll sich nur noch mit dem kriminellen Unrecht befassen. Das polizeiliche Unrecht — meinetwegen auch das sogenannte Verwaltungsdelikt — soll einer besonderen Gesetzgebung überlassen werden.
    Aber ich glaube nicht, Herr Kollege MüllerEmmert, daß wir Ihnen zustimmen werden, wenn Sie meinen, wir sollten die Scheidung zwischen Verbrechen und Vergehen aus dem Gesetz entfernen. Es ist sicher nicht so, daß der Gesetzgeber immer nur nach dem horchen soll, was die Allgemeinheit will. Aber gerade auf dem Gebiete des Rechts und des Strafrechts soll er sich von den gesunden Anschauungen des Volkes nicht zu weit entfernen. Denn das, was er beschließt, muß sich ja auch im Volke verankern. Wenn wir hinaushorchen auf das, was das Volk denkt, stellen wir fest, daß die ganz überwiegende Mehrheit unseres Volkes heute noch verlangt, daß die schweren Verbrechen als solche hervorgehoben und auch strenger bestraft werden als andere.
    Zweitens. Neckischerweise ist der Meineid dahin gerutscht, wo früher die Übertretungen standen. Voran stehen jetzt die Angriffe gegen Leib und Leben der Person, gegen die Sittenordnung und gegen das Vermögen. Angriffe gegen die öffentliche Ordnung nehmen den Vierten Abschnitt ein, während der Staat und seine Einrichtungen sich mit dem Fünften und vorletzten Abschnitt begnügen müssen. Ob diese Einordnung bei der zunehmenden Verdichtung unserer Gesellschaft und bei der bleibenden Bedeutung des Staates für das allgemeine Wohl richtig ist, ob sie nicht vielmehr ein Relikt aus dem Schock des Jahres 1945 darstellt, sollte wohl noch einmal geprüft werden.
    Unser Strafrecht soll also auch in Zukunft darin bestehen, daß die Tat vor allem durch die nach Tat und Schuld des Täters bemessene Strafe geahndet wird. Im Vordergrund soll nach ,dem Entwurf weiterhin die Freiheitsstrafe stehen, je nach der Tat als Zuchthaus, Gefängnis oder Strafhaft.
    Ich bin auch der Meinung, daß man die kurzzeitige Freiheitsstrafe tunlichst durch eine Geldstrafe ersetzen soll. Ich glaube, man kann darüber reden, ob die Grenzen, die jetzt im Entwurf vorgesehen sind, nicht erweitert werden können. Aber einen völligen Verzicht auf die kurzzeitige Freiheitsstrafe könnte ich so von heute an nicht gutheißen, weil die Erfahrung doch immer wieder gezeigt hat, daß es Fälle gibt, in denen man auf diese kurzzeitige Strafe nicht verzichten kann und wo sie auch ihre heilsame, abschreckende Wirkung ausübt.
    Aber, meine Damen und Herren, über den Zweck der Strafe gibt es viele Meinungen. Jede kann ihre
    Gründe in Anspruch nehmen. Ich möchte jedoch meinen, daß noch immer die Abschreckung anderer den ersten, eigentlichen Zweck der Strafe an sich bildet. Wenn das Gesetz eine Tat mit Strafe bedroht und die Tat dennoch begangen wird, so ergibt sich natürlich die Möglichkeit, durch die Strafe und deren Vollstreckung hemmend, erziehend, bessernd auf den Täter einzuwirken. Ja, ich bin hier auch Ihrer Meinung, Herr Kollege Müller-Emmert, daß der Staat sogar die Pflicht hat, den Strafvollzug so zu gestalten, daß der Täter nicht, wie Herr Kollege Güde es heute morgen äußerte, schlechter aus dem Strafvollzug kommt, als er hineinkommt. Es ist die Verpflichtung, das beste für die Resozialisierung des Täters herauszuholen. Am wichtigsten scheint mir immer der Augenblick zu sein, in dem sich für den Verurteilten nach der Verbüßung der Strafe die Türen des Gefängnisses hinter ihm schließen und er mit dem Entlassungsschein in der Hand vor der Frage steht: Was fange ich nun an?
    Bisher haben sich meist freiwillige, karitative Einrichtungen dieser Frage angenommen. Auch das ist, meine ich, ein Problem, das in der Strafrechtspflege in Zukunft in besonderem Maße eine Rolle spielt.
    Aber die Tat selbst wird eben durch die Strafe nicht ungeschehen. Ich möchte es aber als das Ziel der Strafdrohung ansehen, die mit Strafe bedrohte Tat von vornherein zu unterbinden. Darum möchte ich es als den Zweck der Strafe formulieren, daß an dem Täter ein Exempel statuiert wird, das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht und allen zeigt, daß es mit der Strafdrohung ernst gemeint ist.
    Damit aber entsteht immer die Frage, ob dieser Mensch, der als Täter vor Gericht steht, dazu geeignet ist, daß man das Exempel an ihm statuiert. Welche geistig-sittlichen Beziehungen muß er zu seiner Tat haben, damit man das tun darf?
    Nach unserem geltenden Recht genügt es nicht, daß er die Umstände seiner Tat gekannt und somit vorsätzlich gehandelt hat oder daß er zur gebotenen Sorgfalt verpflichtet und imstande war und somit, wenn er sie nicht beobachtet hat, fahrlässig gehandelt hat. Über diese gewissermaßen natürlichen Voraussetzungen hinaus muß er, vor allein der vorsätzliche Täter, auch die Fähigkeit besessen haben, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
    Über die Vorstufe des Jugendgerichtsgesetzes von 1923 kam diese Fassung erst spät in unser Strafrecht. Das Strafgesetz von 1871 verlangte nur die freie Willensbestimmung. Wer in seiner Willensbestimmung nicht gestört war, war für sein Handeln verantwortlich. Bekannt ist der volkstümliche Satz, daß Unkenntnis des Gesetzes nicht vor Strafe schütze.
    Aber so barbarisch war wohl auch jenes Strafrecht nicht mehr. Es war wohl so, daß der Gesetzgeber von 1871 davon ausging, daß die Tatbestände seines Strafgesetzes in den sozialen Anschauungen des Volkes verankert waren. Daß man nicht töten, nicht stehlen, keinen Meineid schwören und kein



    Schlee
    falsches Geld herstellen durfte, das wußte grundsätzlich jeder, der in Deutschland aufgewachsen war. Jedenfalls ist aber nach unserer heutigen Überzeugung nur derjenige Täter zum Exempel der Strafe geeignet, der nicht nur die logische, sondern auch die kritische Vernunft besitzt, der also nicht nur die Kausalität seines Handels überblickt, sondern auch Böses von Gutem unterscheiden kann.
    Nach dem Entwurf soll es nun nicht mehr auf die Einsicht in das Unerlaubte, sondern auf die Einsicht in das Unrecht der Tat ankommen. Das könnte nur eine Wortklauberei sein; es kann aber auch etwas bedeutend Anderes oder Besseres sein. Der Ausschuß wird genau prüfen müssen, was er für diese zentrale Stelle unseres Strafrechts dem Hohen Hause vorschlagen wird. Beides klingt zunächst etwas mystisch. Es verlangt aber jedenfalls für unsere Arbeit und für unser Werk nach meiner Meinung dreierlei:
    Erstens. Es sollte uns gelingen, ein Strafgesetzbuch zu schaffen, das umfassend und modern genug angelegt ist, um auf lange Zeit als geschlossenes Werk ohne Änderungen bestehen zu können, und das daher mit seinen Tatbeständen in das Bewußtsein der Allgemeinheit eindringen kann.
    Zweitens. Aus dem gleichen Grunde müssen wir uns an unsere Grenzen halten und ein Strafgesetzbuch schaffen, dessen Tatbestände im Einklang stehen mit den Rechtsanschauungen und mit den sozialen Anschauungen des Volkes oder die auch von den Rechtsanschauungen des Volkes aufgenommen werden.
    Drittens. Wir sollten endlich danach streben, unsere Tatbestände möglichst klar und einfach zu fassen, so daß sie jeder verstehen kann. Wir sollten, soweit das irgend angängig ist, vermeiden, sogenannte normative Elemente in den Tatbeständen zu verwenden. Normative Elemente sind solche, die erst einer Beurteilung bedürfen, wenn man sie verstehen soll. Um einige einfache zu nennen: Was ist z. B. eine Urkunde? Was ist ein Beamter?
    Wir wissen sehr wohl, daß man vom Täter nicht verlangt, daß er vorher eine juristische Beurteilung seiner Tat vornimmt. Der Täter wird dem Richter, dem Juristen nicht gleichgestellt. Aber die Tatbestände sollten doch so gefaßt sein, daß der normale Täter Unrecht von Recht unterscheiden kann. Denn wie kann man das von ihm verlangen, wenn die Gerichte erst in Instanzen feststellen, ob nun eigentlich Unrecht geschehen ist?
    Damit, meine Damen und Herren, sind wir da angelangt, wo die Berechtigung unserer Strafgesetzgebung am meisten in Zweifel gezogen wird. Ein Strafgesetz, das aus Tatbestand und Strafdrohung besteht und für die Bestrafung die Fähigkeit des Täters verlangt, nach seiner Einsicht in das Unerlaubte oder in das Unrecht zu handeln, ein solches Strafgesetz setzt eben doch voraus, daß der Mensch durch Strafdrohungen entscheidend motivierbar ist und daß er sein Handeln auch nach seiner Einsicht bestimmen kann. Wir fassen einen Entschluß, indem in uns lustbetonte und unlustbetonte, hemmende und antreibende Vorstellungen einander gegenübertreten, bis diese oder jene das Übergewicht erhalten.
    Und manchmal überwältigen uns auch die antreibenden Vorstellungen und die hemmenden und überlegenden kommen nicht zum Zuge.
    Wem es nun bisher gelungen ist, sein Leben zielbewußt und gesetzmäßig zu führen, der wird geneigt sein, anzunehmen, daß der Mensch dieses Spiel in überlegender Selbstbestimmung zu entscheiden vermag. Aber vielleicht machen wir dabei schon den Fehler, daß wir Entschlüsse und Handlungen, die sich in der sozialen und gesetzlichen Ordnung vollziehen, gleichstellen mit solchen, die aus dieser Ordnung heraustreten, die also, von der sozialen Ordnung aus beurteilt, anomal sind. Vielleicht ist es in der Tat eine psychische Anomalie, wenn in diesem Denken, in diesem Entschluß und in diesem Vorgang des Entschlusses nicht die Werte, die die Gesellschaft achtet, sondern die Unwerte die Oberhand gewinnen. Jedenfalls gibt es auch die Meinung, daß der straffällige Mensch nicht Herr, sondern Opfer seines Entschlusses ist und daß sich in seinem Denken eine Kausalität vollzogen hat, für deren Ergebnis er jedenfalls nicht mit Strafe verantwortlich gemacht werden kann. Hier wird die Tat zum Symptom für die soziale Anomalität des Täters, und die öffentliche Gewalt hätte hier nicht mit der Strafe zu reagieren, sondern mit der Behandlung des Täters, die sich wiederum nicht nach der Tat, sondern nach der Behandlungsbedürftigkeit des Täters und nach dem Schutz der Gesellschaft zu richten hätte, die sich aber ohne den Makel der Strafe zu vollziehen hätte. Auf der Universität haben wir gelernt, daß der Bestand unseres Strafrechts vom Streit um Determinismus und Indeterminismus des Menschen nicht berührt wird. Strafrechtliche Schuld sei nicht Gewissensschuld, sondern Zurechnung einer Tat zu der nach der Erfahrung gegebenen Persönlichkeit; sie werde daher nicht berührt von der Frage, ob der Mensch im allgemeinen frei zu handeln imstande oder ob auch sein Handeln dem ehernen Zwang des Naturgesetzes unterworfen sei. Auf dieser Anschauung ruht auch der Entwurf, und ich distanziere mich davon nicht.
    Wer aber die zunehmende Bedeutung der medizinischen und psychiatrischen Sachverständigen in den Kriminalprozessen aus Erfahrung kennt, wer die Verbindung der Tat mit den sozialen Verhältnissen des Täters immer wieder beobachtet, der wird diese Theorie von der défense sociale jedenfalls nicht so ohne weiteres vom Tisch wischen. Ich weiß auch nicht, ob in den Ergebnissen der Kriminalstatistik, die Herr Kollege Güde heute morgen bekanntgegeben hat, nicht ein gewisser Hinweis auf die Berechtigung dieser Theorie enthalten sein könnte. Aber jedenfalls ist sie heute nicht die Grundlage unserer Anschauung. Man wird — dazu ist der Jurist, der aufgeschlossen sein soll, verpflichtet — auch insoweit die Wissenschaft mit Aufmerksamkeit verfolgen. Aber wie gesagt, dies ist heute nicht die Grundlage unseres Strafgesetzbuches. Wir stehen heute, wie in dieser Debatte eindeutig zum Ausdruck kommt, immer noch in der Überzeugung, daß es den gesunden Menschen gibt, der für sein vorsätzliches und fahrlässiges Handeln mit der Strafe zur Verantwortung gezogen werden kann.



    Schlee
    Herr Kollege Müller-Emmert, Sie haben den Entwurf als nicht zukunftweisend bezeichnet. Das ist ein relativer Begriff. Vielleicht ist er als nicht zukunftweisend in Ihrem Sinne zu bezeichnen. Aber er ist doch immerhin das Ergebnis der Arbeit einer Kommission, die, wie ich schon gesagt habe, aus den besten Kräften unserer heutigen Strafrechtslehre, Strafrechtspraxis und der Rechtsprechung in Strafsachen zusammengesetzt war.
    Sie sagen, die Schuld, die dieser Strafrechtsentwurf zugrunde lege, sei geprägt von sittlichen Anschauungen, die nicht mehr zugrunde gelegt werden dürften; Schuld sei der Verstoß gegen die allgemeine Rechtsordnung, die bei uns gilt. Das ist richtig. Aber eben diese Rechtsordnung und damit auch der Begriff der Schuld, der für uns maßgebend sein sollte, wird doch wieder getragen von dem, was unser Volk in seiner überwiegenden Mehrheit für Recht und Unrecht, für richtig und falsch hält, auch in der Strafrechtspflege. Ich glaube daher, daß der Entwurf diesem Rechtsempfinden, wie es in unserem Volke ganz überwiegend lebendig ist und wie es hier herrscht, in der richtigen Weise Rechnung getragen hat.
    Darum meine ich, wir sollten jetzt aus dem Material dieses. Entwurfs einen neuen Guß unseres Strafrechts herstellen und sollten es der Zukunft überlassen, ob dieser neue Guß gegenüber künftigen Reformbestrebungen Bestand hat oder ob sich auf Grund der Fortentwicklung unserer Wissenschaften der Gesetzgeber vielleicht schon in zwei oder drei Jahrzehnten zu einer neuen Reform entschließen wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)