Verehrter Herr Kollege, das ist ein Werturteil, das schwer zu fällen ist; aber ich will es versuchen.
Ich fühle mich durch manches, was Günter Grass gesagt hat, persönlich ebenso getadelt, wie Sie sich dadurch getadelt gefühlt haben. Er hat nicht nur harte Dinge über die CDU gesagt; auch über die SPD hat er sie gesagt. Aber ich finde es eine gute Sache — und ich möchte gern, daß sie sich wiederholt —, daß sogenannte Literaten, Intellektuelle, Männer der Kunst, der Literatur sich nicht zu schade sind, auch in den politischen Kämpfen, im Parteienkampf Stellung zu beziehen.
Das ist das Symptomatische in dem Tun von Günter Grass und nicht so sehr, was er gesagt hat.
Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, die Ordnungen und Werte, in denen eine Nation sich integriert, selber zu produzieren; der Staat trifft sie an. Aber es stünde nicht gut um unsere Sache, wenn — begründet — der Eindruck entstehen könnte, jene, in denen unser Gemeinwesen sich am sichtbarsten darstellt, hätten dies nicht erkannt oder daraus nicht die rechten Folgerungen gezogen. Das wäre nicht nur schlimm um seiner selbst willen. Es wäre auch schlimm für die Reichweite unserer politischen Möglichkeiten. Es gab einmal eine Zeit, da die Deutschen wußten, daß Taten des Geistes, daß der Stand ihrer Volksbildung — wir standen einmal an der Spitze —, daß wissenschaftliche Leistungen, daß — es gab ihn einmal — der Mut der Deutschen zur Selbsterkenntnis nicht nur gut für diesen oder jenen Nutzen und das Prestige waren, sondern daß diese Tugenden — denn es sind echte Tugenden — den Rang ihrer Nation in der Ordnung der Völker darstellten und damit im letzten Grunde auch ein politisches Potential.
Wir sollten bei allem Wissen um das Anders-Sein der Größenordnungen wieder dahin kommen, — ohne freilich zu vernachlässigen, was uns dieses eiserne Zeitalter an Bewältigung der materiellen Welt abfordert. Aber auch deren Bewältigung kann im Guten nur vom Geiste her und auf den Geist hin geschehen. Das geht uns alle an, und hier gibt es — ich sage das im vollen Bewußtsein dessen, was ich sage — keine partikulären Abschrankungen im Volk, weder nach links, noch nach rechts, noch in der Mitte.
Nun sagt man aber häufig, Fragen des kulturellen Lebens gingen den Bund, die Bundesrepublik oder — drücken wir es einfacher aus — gingen Bonn nichts an; denn die kulturelle Hoheit sei Sache der Länder. Dazu will ich einiges sagen. Ich
will damit niemand engagieren. Ich sage meine Auffassung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Regierung eines Nationalstaates, wie wir einer sind — auch die Regierung eines föderalistisch sein wollenden Staatswesens — nicht als Vornehmstes die Pflicht hätte — nachdem für die Notdurft Sorge getragen ist —, um den Bildungsstand und die Bildungseinrichtungen ihres Volkes bemüht zu sein.
Ich sage: 'bemüht zu sein. Ich sage nicht: sie zu verwalten. Die kulturelle Hoheit liegt bei den Ländern, und das ist gut. Aber versteht es sich denn nicht von selbst, auch ohne ausdrückliches Verfassungsgebot, daß ein Regiment — und unter Regiment verstehe ich Regierung, Parlament, Bundesrat, alle diejenigen, die in den öffentlichen Dingen verbindlich zu sprechen und zu handeln haben — die Pflicht hat, in Verantwortung für die ganze Nation zu tun, was notwendig und geeignet ist, die geistigen Potenzen unseres Volkes entbinden und auf den rech ten Gebrauch hinlenken zu helfen, — zu helfen? Kann es dem Bund gleichgültig sein, ob die bisherigen Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten ausreichen oder nicht ausreichen, um die Herausforderungen dieses Jahrhunderts anzunehmen und zu bestehen? Wenn das Grundgesetz dem Bund die Kompetenz gibt, die wissenschaftliche Forschung zu fördern, hat dann der Bund nicht auch in Konsequenz davon die Pflicht, dafür zu sorgen, daß unser Bildungswesen die Gewähr dafür bietet, daß in unserem Lande für die wissenschaftliche Forschung von den Schulen genügend viele, genügend durchgebildete Menschen zur Verfügung 'stehen? Wo eine Kompetenz gegeben ist, muß logischerweise auch die Möglichkeit gegeben sein, die Voraussetzungen für die Verwirklichung dieser Kompetenz zu schaffen. Die Amerikaner nennen das „implied powers".
Man sagt — alle sagen es —, Bildung, Wissenschaft und Forschung seien das Schicksal der Nation, der ganzen Nation. Haben dann nicht jene, denen das Schicksal der ganzen Nation anvertraut ist, die Pflicht, dabei etwas zu tun, und sei es nur, Initiativen zu ergreifen? Unstreitig liegt die Kulturhoheit 'bei den Ländern; ich sagte es schon. Und ich sage jetzt: Das soll so bleiben, denn dies hat Vorteile, große Vorteile, auch für das Ganze der Nation. Der Föderalismus hat einen guten Sinn. Da geht es um mehr als nur um organisatorische Tricks, um administrative und fiskalische Geschichten. Der Föderalismus hat auch eine anthropologische Funktion, wenn er richtig begriffen wird, und deswegen bin ich Föderalist.
Ich sage, der Bund hat keine Schulen zu errichten; er hat keine Universitäten zu betreiben; er hat keine Kultverwaltung zu schaffen. Aber er hat auch auf dem Felde der Bildung und der wissenschaftlichen Forschung eine Führungsaufgabe. Er hat sich darum zu bemühen, daß — nun betone ich jedes Wort — im Wege freiwillig geschlossener Vereinbarungen, im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden, im Rahmen der jeweiligen legislativen und administrativen Zuständigkeiten ins Leben gerufen werden kann, was unser Volk 'braucht, um sich mit dem, was in ihm an geistigem
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Vermögen angelegt ist, in eigener geistiger Leistung voll entfalten zu können.
Wem nützt denn das Gefälle der Bildungseinrichtungen unter unseren elf Bundesländern? Nützt es den Ländern? Nützt es den Menschen in diesen Ländern? Es nützt gar niemandem, und eis schadet allen, und darum muß dagegen etwas getan werden. Es stünde der Bundesregierung, es stünde unserem Wissenschaftsminister wohl an, hier Initiativen zu ergreifen. Führung übernehmen heißt nicht kommandieren wollen; Führung übernehmen heißt, den Versuch zu machen, Wege anzuzeigen, auf die alle sich einigen können.
Es ist auf die Dauer nicht zu ertragen, daß wir — im Gegensatz zu allen anderen Nationen — für die Erziehung unserer Jugend noch keinen nationalen Bildungskanon — oder keinen mehr — haben, an dem unsere Kinder erkennen könnten, was es denn heißt und was einem abgefordert wird, wenn man zum Volk der Deutschen gehören will. Ich predige hier keine Gleichmacherei. In Hamburg soll man auf eigene Weise die Jugend lehren, welches der Ort der Deutschheit im Geflecht der Menschheit ist; in Bayern und anderswo auf andere Weise. Aber so oder so sollten doch unsere Kinder und sollten wir alle — denn wir haben es alle nötig — uns auf all unseren verschiedenen Wegen in dem, was uns als Deutsche ausmacht, an einem gemeinsam bestätig- ten Denkbild, das in einem gemeinsamen Bildungsgute wurzelt, orientieren können. Ein Volk, dem ein solches Bewußtsein seiner selbst gegeben ist, geht nicht zugrunde. Es übersteht die Wechselfälle der Geschichte. Es wird patriotisch sein und das Gift des Nationalismus von sich weisen, jenes Nationalismus, der nichts ist, denn andere herabwürdigende Überheblichkeit, die aus dem Gefühle stammt, weniger fest als andere in dem verwurzelt zu sein, was Wert und Sinn des menschlichen Daseins jenseits aller materiellen Zwecksetzungen ausmacht. Dieser schlechte Nationalismus ist ein Symptom für geistige und seelische Heimatlosigkeit.
Ich habe in der Regierungserplärung einige Sätze vermißt, in denen diese Führungspflicht des Bundes ausgesprochen worden wäre. In der Regierungserklärung von 1963 hieß es noch — ich zitiere —:
So gewiß die Bundesregierung bereit ist, die Zuständigkeit der Länder in der Kulturpolitik zu respektieren, so gewiß hat doch die Bundesregierung die Pflicht, vorausblickend die Lebensbedingungen eines modernen Staates zu garantieren.
— Offensichtlich auf dem Gebiet von Bildung, Wissenschaft und Forschung. Nun, diese Absicht hat die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren nicht in die Tat umzusetzen vermocht, und heute spricht man in der Regierungserklärung schon nicht mehr davon. Ich will nicht hoffen, daß wir dieses Schweigen als ein böses Symptom auffassen müßten. Aber ich will doch sagen, daß dort, wo die Bundesregierung eine unbestrittene Kompetenz hat — auf dem Gebiete der Förderung der Wissenschaft und Forschung nämlich — nicht all das getan worden ist, was die Forderung des Tages war. Gewiß, man hat Geld gegeben — aber längst nicht so viel, wie nötig gewesen wäre, um unserer Wissenschaft die volle Entfaltung zu ermöglichen. Man hat sparen zu müssen geglaubt, und man hat sich nicht gescheut, z. B. selbst der Max-Planck-Gesellschaft einen Zuschuß zu streichen, was ein aussichtsreiches Forschungsvorhaben unmöglich gemacht hat. Ich hoffe, daß man das in der Zwischenzeit wiedergutgemacht hat.
Gut, sehr schön! Aber es war notwendig, die Bundesregierung daran zu erinnern, daß man so nicht sparen kann und sparen darf. Jedermann spricht davon, daß die Wissenschaft unser Schicksal sei. In unserer verwissenschaftlichten Welt gilt dies. Wenn man dies aber einsieht, muß man auch bereit sein, die notwendigen Folgerungen daraus zu ziehen, muß man auch für Forschung und Wissenschaft so viel Mittel zur Verfügung stellen, daß sie den Wettbewerb mit anderen Nationen aufnehmen können; denn es geht dabei auch um unsere Unabhängigkeit!
Deswegen, meine ich, sollten wir den Ausgaben für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung — ich gehe weiter —, für alles, was den Sektor der Bildung anlangt, eine absolute Priorität geben.
Das setzt voraus, daß man unter Umständen andere Dinge, die auch gut und nützlich sind, nicht oder noch nicht in Angriff nehmen kann.
Es hat keinen Sinn, hier um die Dinge herumzusprechen. Sie fragen mich, welche. Nun, darüber werden wir uns — ich habe das gestern dem Herrn Kollegen Strauß gesagt — sehr eingehend unterhalten müssen. Mit Allgemeinheiten kommen wir hier nicht zum Ziel. Da braucht man das Gespräch von Mann zu Mann.
— Nun, Sie klatschen Beifall. Sie wollen damit offenbar ironisch sein
und sagen, ich hätte Allgemeinheiten gesagt. Das war gar nicht allgemein. Ich war gar nicht allgemein — um mit Bert Brecht zu sprechen. Ich war sehr konzis und konkret!
Noch etwas, an das man auch denken sollte. Denken wir doch an unsere Jugend! Unsere Jugend braucht doch ein Feld, auf dem sich auch heute in dieser, Gott sei Dank, unkriegerisch gewordenen Welt Ruhm erwerben läßt. Und wo läßt sich der erwerben, wenn nicht auf dem Feld der wissenschaftlichen Forschung! Es bedeutet doch etwas Schlimmes für unsere Jugend, daß wir ihrer Lust am Abenteuer der Wissenschaft nicht Genüge tun können. Jedes Jahr gehen 7 bis 8 % der akademisch voll ausgebildeten Natur-
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wissenschaftler ins Ausland — und das sind wahrscheinlich nicht die schlechtesten. Sie gehen nicht weg, weil sie hier zu wenig verdienten — sie sind Idealisten, wie es ihre Väter auch gewesen sind —, sie gehen weg, weil sie glauben, daß sie hier nicht die Arbeitsmöglichkeiten und Forschungsmöglichkeiten finden können, die sie brauchen, um ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen zu müssen. Das ist schlimmer, als es manchmal aussehen mag.
Ich halte es für eine nationale Pflicht ersten Ranges, alles zu tun, alles aufzuwenden, um hier Wandel zu schaffen. Wir müssen unserer Jugend die Forschungsmöglichkeiten anbieten, deren sie bedarf und nach denen sie dürstet. Sonst tritt ein Schaden ein, der über das hinausgehen wird, was der Wissenschaft als solcher an Schaden entstehen könnte.
Noch etwas! Wäre das, was ich hier empfehle, nicht ein probates Mittel, gerade die Begabtesten unserer Jugend enger an den Staat heranzuziehen? Bei ihnen das Bewußtsein zu wecken, daß Demokratie Freiheit ist, die etwas wagt und ihr Wagnis zu verantworten bereit ist und die Kraft dazu hat?
Das sehe ich als eine Gemeinschaftsaufgabe der Gemeinschaft an, die hier, in diesem Hause, beisammensitzt. Die Gemeinschaft Bund, Länder und Gemeinden habe ich gemeint, als ich von dieser Gemeinschaftsaufgabe gesprochen habe. Weder der Bund, noch die Länder, noch die Gemeinden können allein das Notwendige tun; nur alle drei Schichten unserer res publica zusammen können es, indem sie zusammengehen.
In der Regierungserklärung wurde gesagt, daß die wissenschaftliche Forschung nicht von Streichungen betroffen sein solle. Das ist ein gutes Wort. Ich bitte, mir in dieser Debatte, in der fast nur von Streichungen gesprochen wurde, nicht übelzunehmen, wenn ich sage, daß es nicht genügt, es bei dem zu belassen, was man bisher zur Verfügung zu stellen bereit ist. Es isst notwendig, mehr zur Verfügung zu stellen, als bisher zur Verfügung stand, denn das hat nicht genügt, um das, was notwendig war und ist, auch möglich zu machen. Es steht fest, daß ein Maximum wissenschaftlicher Forschung lebensnotwendig für unser Volk ist. Wenn man das glaubt — wohlan, dann tue man das Notwendige!
Wir müssen sparen, das ist richtig; aber am rechten Ort. Wir dürfen nicht an der falschen Stelle geiz en, denn Idas ist eine kostspielige Angelegenheit, letztlich eine böse Verschwendung von Chancen. Ich gebe dem Kollegen Strauß in seinen Ausführungen von gestern vollkommen recht: wenn wir das tun, ziehen wir die Fundamente weg, auf denen unsere Zukunft ruhen soll und die sie braucht. Mir kommt es manchmal so vor, wenn ich höre, auch da müsse man eben „streichen", daß man wie einer handelt, der auf den Tod krank ist und idem der Arzt einen Kuraufenthalt verschreibt, der aber einwendet: Das ist mir zu teuer, dann kann ich ja das Geld nicht verwenden, um meine Wohnung hübsch einzurichten ... — Gut, er richtet diese ein; aber ein anderer als er wird darin wohnen. Es ist wirklich so, wie in diesem Gleichnis angedeutet: wenn wir hier geizen,
dann werden wir morgen nichts mehr haben, über das wir uns so wie heute unterhalten können.
Wann werden wir endlich 'begreifen, daß Ausgaben für Bildung und Wissenschaft nicht Konsumausgaben, sondern rentierende Investitionen sind? Sollte es nicht möglich sein, wenn wir alle zusammen handeln, aus den vielen Töpfen unserer Subventionsmaschinerie die erforderlichen Millionen herauszusuchen? Sollte das nicht möglich sein, wenn man wirklich sparen will, wenn man wirklich im Unterholz aufräumen will?
Natürlich rede ich dem nicht das Wort, daß man von dem vorhandenen Steueraufkommen mehr abzweigen soll. Aber von dem Aufkommens zuwachs sollte man ein Großteil, vielleicht den größten Teil auf das Gebiet verlegen, von dem ich jetzt gesprochen habe.
Bei dem Verhältnis des Staates zur Welt des Geistes geht es aber nicht nur um Schule und Wissenschaft; es geht dabei auch um Literatur und Kunst, um jene, die Kunst und Literatur betreiben. Staat und Regierungen können weder Literatur noch Kunst erzeugen. Aber sie können sich zu beiden in ein Verhältnis setzen, das der Literatur und der Kunst Mut zum Staate macht. Sie können das nur tun, indem sie zeigen, daß sie beides ernst nehmen und nicht nur für Randverzierungen unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit halten. Der Künstler soll seine staatsbürgerliche Pflicht tun wie jeder andere, ohne Privileg und ohne Diskriminierung. Als Wähler sind wir alle gleich. Auch wenn wir in einer Versammlung diskutieren, sind wir alle gleichen Rechtes. Keiner hat ein Privileg.
Ich gehe weiter und sage: Kunst und Literatur sollen sich nicht als Ersatz für Politik gerieren; sie sollen, was im Staate und durch den Staat geschieht, mit ihrem Tun begleiten. Die Sachwalter der Ideen und des Wortes dürfen Staat und Gesellschaft nicht aus dem Bereich, dem sie sich hingeordnet fühlen, ausklammern. Sie müssen sich damit befassen. Sie sollen sagen, was ist, und sie sollen auch sagen, was nicht so ist, wie es sein müßte, und sie sollen auch sagen, wo man im Politischen unter dem Maß des Menschlichen bleibt. Das wird nicht immer bequem, nicht immer genüßlich sein für jene, die politisch handeln müssen. Der Künstler und der Schriftsteller
— sagen wir auch hier schlicht: die Intellektuellen
— müssen, wenn sie nicht Verrat an ihrer Berufung üben wollen, das Unbedingte suchen. Das ist ihre Aufgabe. Dabei gelangen sie im Bereich des Politischen gelegentlich ins Utopische und manchmal sogar ins Abstruse. Aber das nimmt ihnen nicht das Recht auf Achtung ihrer Motive und auf Beachtung ihrer Ausgangspunkte und ihrer Zielsetzungen.
Der Politiker aber — das Wort im weitesten Sinne gebraucht — muß immer statt mit der Welt des Absoluten mit der Welt des Bedingten umgehen, und er hat schon recht viel Erfolg, wenn er mit dem, was er vollbringt, wenigstens in die Nähe dessen kommt, was von seinen Grundansprüchen gefordert wird. Deswegen werden die Intellektuellen nur sel-
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ten mit dem zufrieden sein können, was die Politiker tun und erreichen. Das liegt am Geschäfte beider. — Ich nehme an, Sie sind mit mir einig, Herr Martin. — Die Intellektuellen werden oft schon mit den Fragestellungen von uns Politikern nicht zufrieden sein können. Sie werden finden, daß wir dabei oft nicht hoch genug greifen. Damit erweisen sie uns einen Dienst. Sie rufen uns zu den Prinzipien zurück, zu dem, was die Griechen die „Archä" nannten — das, was am Anfang steht als die Summe aller Keime, aus denen sich entwickelt, was mit der Zeit aus uns herausgehen wird. Oft ist schon etwas gewonnen, wenn uns nach einem solchen Zurückruf zu den Anfängen, zu den Prinzipien, das Gewissen schlägt. Wir sollten dankbar dafür sein, daß es Intellektuelle gibt, so oft sie uns auch stören und erbosen mögen.
Wir sind allzu leicht geneigt zu vergessen, daß unsere Werke, und oft auch schon unsere Vorhaben, nur relativ, bestenfalls bloße Annäherungen an das Gebotene sind. Wir sind allzu leicht geneigt, uns schon damit im Gewissen zu beruhigen; aber das Gewissen verlangt uns mehr ab als nur das, was uns gerade gelingt.
Darum ist es gut, daß es Leute gibt, die uns von Zeit zu Zeit zurufen, daß, was wir tun, bestenfalls ein Bruchteil dessen ist, was das Ideal postuliert, von dem wir behaupten, wir hätten uns ihm verschrieben. Damit leisten jene Menschen nicht nur einen notwendigen Dienst an der Wahrheit, die es in dieser Welt so schwer hat, sondern auch an uns selber, indem sie es uns schwermachen, uns in der
Bequemlichkeit anzusiedeln.
Es ist auch gut, daß es Radikale gibt, auch wenn sie selber nur selten imstande sind zu bauen. Oft sind sie das Salz des Geistes und das Salz der Erde. Freilich verstehe ich unter „radikal", daß sich einer bemüht, zu den Wurzeln vorzudringen, und nicht nur ein Zetern aus einem Überschuß an Magensäure.
Wir haben in Deutschland solche Menschen, Menschen unterschiedlichen geistigen Ranges. Aber auch die kleineren unter ihnen sollten wir nicht gering achten. Auch die Kärrner sind notwendig, wenn die Könige bauen sollen. Mancher unserer zeitgenössischen Schriftsteller und Künstler hat uns in diesen Jahren Ansehen in der Welt verschafft und uns selber bewußter gemacht, in welcher Welt wir leben und wie wir uns zu dieser Welt stellen. Einige der bedeutenderen unter diesen Menschen sind sogar durch Bundesdienststellen und angeschlossene Organisationen ins Ausland geschickt worden, um in Goethe-Instituten und an anderen Orten davon zu zeugen, daß trotz der geistigen und materiellen Verheerungen der bösen Jahre auch heute in Deutschland der Geist lebt.
Das ist gut so! Kein Staat kann heute auf die Dauer auf außenpolitisches Verständnis in der Weltöffentlichkeit rechnen — ich meine nicht die Staatskanzleien —, wenn nicht das Volk dieses Staates der Weltöffentlichkeit als Träger lebendigen Geistes auch in der jeweiligen Gegenwart erscheint.
Es ist aber eine schlechte Sache, wenn Schriftsteller gescholten werden, weil sie die Regierung, die Politiker und gewisse Praktiken kritisierten und manchmal auch mißdeuteten. Das ist allen Seiten dieses Hauses widerfahren. Wir haben uns offenbar noch nicht von einem schlimmen Hochmut trennen können — Herr Benda sprach von einer gewissen Gouvernantenhaftigkeit; ich will seinen Ausdruck aufnehmen —, im Kritiker nichts anderes sehen zu wollen als Dummheit und Unanständigkeit.
Es hat mir ein bißchen weh getan, als vorgestern der Herr Bundeskanzler in seiner Replik sagte, er habe die moralischen Maßstäbe der Opposition zurechtrücken müssen. Wollte er denn damit sagen, daß die Opposition keine gültigen moralischen Maßstäbe habe und, wenn sie kritisiere, nicht nach solchen Maßstäben handele?
Kehren wir zu den Intellektuellen zurück. Wenn diese Leute glauben, uns um der Wahrheit, um unseres Volkes willen kritisieren zu müssen, sollen sie es tun mit den Mitteln, die sie haben. Freilich müssen sie es sich gefallen lassen, daß wir ihnen mit Argumenten antworten oder auch — auch das kann notwendig und richtig sein — durch unser Schweigen zeigen, daß wir, was sie sagten, für wenig gewichtig halten. Auch das ist erlaubt. Was nicht erlaubt ist, ist, sie auszuschelten; denn das ist keine Antwort.
Herr Kollege Strauß, Sie haben gesagt, ein Schriftsteller, der politisch dummes Zeug sage, der müsse sich gefallen lassen, zurechtgewiesen zu werden wie der kleinste Mann aus dem Volke.
— Doch, das haben Sie sinngemäß gesagt.