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    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 1. Dezember 1965 Inhalt: Glückwunsch zum Geburtstag des Bundesministers Dr. Krone 231 A Begrüßung des Gouverneurs des Staates Oregon 253 A Fragestunde (Drucksache V/38) 267 D Frage des Abg. Tönjes: Einnahmeverluste der DB durch Erhöhung der LKW-Kontingente und Senkung der Beförderungsteuer für den Werkfernverkehr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 267 D Frage des Abg. Haar (Stuttgart) : Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für das Straßenwesen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 268 A Haar (Stuttgart) (SPD) 268 B Frage des Abg. Haar (Stuttgart) : Kosten für die Verbeserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 268 C Haar (Stuttgart) (SPD) 268 D Fragen des Abg. Faller: Kapitaldienst der Deutschen Bundesbahn Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 269 A Faller (SPD) 269 B Frage des Abg. Seibert: Mehrbelastung der Kraftfahrer durch Erhöhung der Mineralölsteuer in Verbindung mit angeblich hoffnungsloser Verschuldung der DB Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 270 C Frage des Abg. Seibert: Fehlbeträge in den Jahresabschlüssen der DB infolge der Auswirkungen nicht kostendeckender Tarife Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 270 D Seibert (SPD) 270 D Fragen des Abg. Wendt: Berufs-, Schüler- und Sozialverkehr der DB Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 271 B Wendt (SPD) . . . . . . . . 271 D Cramer (SPD) 271 D Seibert (SPD) 272 B Brück (Köln) (CDU/CSU) . . . 272 D Frage des Abg. Dr. Tamblé: Aufhebung von Bahnsteigsperren Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 272 D Dr. Tamblé (SPD) 273 A Strohmayr (SPD) 273 B Fellermaier (SPD) 273 C Felder (SPD) . . . . . . . . 273 D II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1965 Frage des Abg. Ramms: Parkscheiben — Parkuhren — Erhöhung der Parkzeit-Gebühren Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 274 A Ollesch (FDP) 274 B Flämig (SPD) 274 C Jacobi (Köln) (SPD) 274 D Frage des Abg. Rawe: Aufwendungen des Bundes für Ausbau und Unterhaltung der Binnenwasserstraßen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 275 A Wendt (SPD) 275 B Fragen des Abg. Rawe: Sicherung des Investitionsprogramms der DB Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 275 C Seibert (SPD) 276 A Schoettle, Vizepräsident 276 B Frage des Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal) : Erhebung von Autobahngebühren von Ausländern beim Grenzübertritt Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 276 D Frage des Abg. Dr. Müller (München) : Abwanderung leitender Techniker und Wissenschaftler der Deutschen Forschungsanstalt für Luftfahrt in Braunschweig Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 277 B Dr. Müller (München) (SPD) . . . . 277 C Berkhan (SPD) ........277 D Fragen des Abg. Ramms: Spikes-Winterreifen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 278 B Haage (München) (SPD) . . . . . 278 C Frage des Abg. Felder: Brücke bei der Raststätte Feucht Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 279 A Felder (SPD) 279 A Fragen des Abg. Flämig: Vorrichtung zur Beseitigung schädlicher Abgase an Kraftfahrzeugen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 279 B Flämig (SPD) 279 D Dr. Schmidt (Offenbach) (SPD) . . 280 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Haushaltsausgleichs (Haushaltssicherungsgesetz) (Drucksache V/58). Erste Beratung — Dr. Emde (FDP) . . . . . . . . 231 A Dr. Gradl, Bundesminister . . . . 234 D Dr. Schiller (SPD) 237 C Schmücker, Bundesminister . . . 247 B Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 252 A Dr. Luda (CDU/CSU) . . . . . . 254 B Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . . . 262 B Schmitt-Vockenhausen (SPD), Erklärung nach § 36 GO 267 A Picard (CDU/CSU), Erklärung nach § 36 GO 280 C Benda (CDU/CSU) . . . . . . 281 A Busse (Herford) (FDP) . . . . . 290 B Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler 291 D Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 295 A Dr. Stoltenberg, Bundesminister . . 302 A Dr. Martin (CDU/CSU) 304 C Moersch (FDP) 307 B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 310 A Illerhaus (CDU/CSU) 310 A Dr. Schellenberg (SPD) 313 A Katzer, Bundesminister 318 A Osswald, Minister des Landes Hessen 324 D Vizepräsident Dr. Schmid . . . . 328 D Seifriz (SPD), Erklärung nach § 36 GO 333 B Dr. Luda (CDU/CSU), Erklärung nach § 36 GO 333 C Dr. Mommer (SPD) 334 A Dr. Barzel (CDU/CSU), Erklärung nach § 36 GO 334 B Erler (SPD) zur GO 334 B Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . 334 C Nächste Sitzung 334 D Anlagen 335 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1965 231 9. Sitzung Bonn, den 1. Dezember 1965 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1965 335 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Arndt (Berlin/Köln) 2.12. Frau Berger-Heise 18.2. 1966 Dr. Birrenbach 2. 12. Blachstein 2. 12. Borm 2. 12. Damm 2. 12. Dr. h. c. Güde 2. 12. Hilbert 2. 12. Jaschke 2. 12. Dr. Kliesing (Honnef) 1. 12. Koenen (Lippstadt) 31. 12. Kriedemann 31. 12. Kubitza 2. 12. Lemmrich 2. 12. Marquardt 2. 12. Rawe 8. 12. Frau Schanzenbach 31. 12. Frau Schimschok 31. 12. Schmidt (Würgendorf) 2. 12. Dr. Schmidt-Burgk 2.12. Schultz 2. 12. Seuffert 2. 12. Spillecke 2. 12. Spitzmüller 2. 12. Wahl* 3.12. Wienand 2. 12. Dr. Wörner 3. 12. Wolf 10. 12. Zerbe 2. 12. *Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Europarats Anlage 2 Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Dr. Wuermeling zur Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung. Gestatten Sie mir als einem der Mitglieder dieses Hauses, das „von Anlang an", also seit 1949, „dabei war", einige Worte jenseits aller parteipolitischen Erwägungen. Es ist mir ein echtes Anliegen, hier einmal einige grundsätzliche Bemerkungen zu machen, die von der Sorge um die Erhaltung des Vertrauens in unsere parlamentarische Demokratie bestimmt sind. Ich bitte, sie weder als Polemik nach der einen noch als solche nach der anderen Seite dieses Hauses aufzufassen, weil es um ein Anliegen geht, das uns allen gemeinsam ist. Es ist mir ausschließlich darum zu tun, daß wir alle uns einmal selbst fragen, ob das Gesetzgebungsjahr 1965 des Deutschen Bundestages das Vertrauen in unsere Anlagen zum Stenographischen Bericht parlamentarische Demokratie zu stärken oder zu gefährden geeignet ist. Die gesetzgebenden Körperschaften haben in der ersten Hälfte dieses Jahres als Träger der höchsten staatlichen Souveränität zahlreiche Gesetze beschlossen, die vom Herrn Bundespräsidenten im Bundesgesetzblatt verkündet worden sind. Durch diese Gesetze sind Rechtsverpflichtungen des Bundes übernommen worden, deren Übernahme wir als Gesetzgeber in Ausübung unseres Mandats als gewählte Vertreter unseres Volkes - sehr oft einmütig — sachlich für geboten hielten. Sehen wir jetzt einmal, ohne dieses oder jenes Gesetz als einzelnes oder die dadurch Begünstigten im Auge zu haben, nur die grundsätzliche Tatsache, daß die höchsten Träger unserer staatlichen Souveränität alle diese Verpflichtungen in der feierlichsten Form, nämlich der des Gesetzes, im Namen von Volk und Staat übernommen haben. Unsere Staatsbürger vertrauen selbstverständlich auf die Einhaltung dieser Rechtsverpflichtungen, weil unser Staat sie in gesetzlicher — also höchstverbindlicher - Form übernommen hat. Nun ergeben sich wenige Monate nach Erlaß dieser Gesetze, ohne daß etwa eine plötzliche Wende in unserer wirtschaftlichen Entwicklung eingetreten wäre, Schwierigkeiten bei der Bereitstellung der Haushaltsmittel, die zur Einhaltung der in feierlicher Gesetzesform übernommenen Verpflichtungen erforderlich sind. Von jedem Staatsbürger verlangen wir ganz selbstverständlich, daß er, wenn er durch übernommene Verpflichtungen in Bedrängnis kommt, alle, aber auch alle seine Existenz nicht bedrohenden Anstrengungen macht, um seine Verpflichtungen zu erfüllen. Wir verlangen von ihm insbesondere, daß er erforderlichenfalls durch Einschränkungen in seiner Lebenshaltung oder durch andere eigene wirtschaftliche Opfer die Erfüllung seiner Verpflichtungen ermöglicht, auch wenn es ihm schwer fällt. Wir verlangen das als ein Gebot der Rechtssicherheit und auch der Honorigkeit und der Fairneß und erzwingen das sogar notfalls durch unsere Gerichte. Mich bewegt schon seit langen Wochen immer wieder die Frage, ob - und gegebenenfalls warum — hier für den Staat andere Maßstäbe gelten oder gelten dürfen. Gewiß, der Staat ist Träger der Souveränität und kann, soweit er nicht direkt gegen das Grundgesetz verstößt, gerichtlich nicht gezwungen werden, seine Gesetze aufrechtzuerhalten. Aber gelten für ihn hier deshalb grundsätzlich andere Regeln? Ist Rechtssicherheit, Fairneß, Honorigkeit und Vertrauenswürdigkeit aller staatlichen Organe nicht etwas, mit dem der Staat seinen Bürgern ein Beispiel geben soll und muß? Unter diesem Aspekt sollten wir nicht zuletzt die im Haushaltssicherungsgesetz für die verschiedensten Bereiche geplanten Maßnahmen sehen, nicht die Einzelmaßnahme oder das jeweils gegebene Gruppeninteresse, sondern nur die Tatsache, daß hier vor wenigen Monaten feierlich in Gesetzesform übernommene Rechtsverpflichtungen des Staates, 336 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1965 sei es durch Abstriche, sei es durch Hinausschiebung, nicht eingehalten werden sollen. Ich gebe ohne weiteres zu: Wenn jetzt plötzlich eine unerwartete Änderung der Verhältnisse — etwa eine Wirtschaftskrise — eingetreten wäre und einen nicht voraussehbaren Notstand ausgelöst hätte, dann könnte der Staat — etwa wie seine Bürger in einem Vergleichsverfahren — nach Ausschöpfung aller anderen Mittel zu solchen Maßnahmen greifen. Aber doch erst nach Ausschöpfung aller ohne Gefährdung seiner Existenz möglichen anderen Mittel, ehe er zur Kürzung eben übernommener Rechtsverpflichtungen schreitet. Sind hier nun wirklich alle anderen ohne Gefährdung unserer staatlichen Existenz möglichen Mittel ausgeschöpft? Oder will man hier nur unseren Bürgern — denn sie sind ja der Staat — etwa leicht mögliche Einschränkungen nicht zumuten? Oder würde die Erfüllung dieser Rechtsverpflichtungen etwa die Existenz des Staates und damit aller Bürger gefährden? Letzteres wäre sicher der Fall, wenn die Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen 'bedenkliche Auswirkungen auf die Kaufkraft unserer Währung hätte. In diesem Falle besteht gewiß ein so hohes Gemeininteresse, nämlich die Erhaltung der Kaufkraft der Währung für alle Bürger, daß auch radikale Maßnahmen gerechtfertigt wären und auch verstanden würden. Aber müssen nicht erst einmal alle währungs- und wirtschaftsneutralen Anstrengungen gemacht werden, um zu den übernommenen Verpflichtungen zu stehen? Und gibt es solche? Es gibt sie, wenn man sich dazu zu entschließen bereit ist. Wenn keine zusätzliche Kaufkraft geschaffen wird, kann von Gefährdung der Währung keine Rede sein. Kaufkraftverlagerung z. B. ist währungsneutral. Nun haben wir im letzten Jahr — ich nehme die niedrigste, von der Opposition genannte Zahl — eine reale Einkommenserhöhung um jedenfalls rund 5 % gehabt. Ist es wirklich unvertretbar, daß man, wenn andere Wege nicht möglich sind, davon einen kleinen Bruchteil in Form von Genußmittelsteuern zusätzlich erhebt, um die gesetzlich geschaffenen Rechtsverpflichtungen zu erfüllen? Muß der Staat, d. h. die Gesamtheit seiner Bürger, nicht wirklich alle, aber auch alle zumutbaren Anstrengungen machen, um nicht als wortbrüchig — und zwar wortbrüchig in den Handlungen der höchsten staatlichen Organe — zu erscheinen? Es geht hier jetzt nicht darum, die sachliche Angemessenheit der beschlossenen Gesetze zu diskutieren. Diese steht mindestens dann nicht zur Diskussion, wenn dieselbe Mehrheit, die sie beschlossen, und dieselbe Regierung, die sie dem Herrn Bundespräsidenten zur Verkündung vorgelegt hat, heute weiter regiert. Die sachliche Angemessenheit stünde aber auch dann jetzt nicht zur Diskussion, wenn etwa die Opposition, die den Gesetzen zugestimmt und durch ihren „Schattenfinanzminister" für die 5. Wahlperiode noch viel höhere Mehrausgaben, nämlich 76 Milliarden DM, angekündigt hat, heute die Regierung stellte, Denn weder Koalition noch Opposition können heute plötzlich sachlich anderer Meinung sein, als vor wenigen Monaten, wenn sich keine neuen sachlichen Argumente eingestellt haben. Mir sind solche neuen sachlichen Argumente gegen den Inhalt der vor einigen Monaten beschlossenen Gesetze in keinem Falle bekanntgeworden. Nur die Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen macht einige Schwierigkeiten. Aber können sie nicht ohne Gefährdung des Gemeinwohls behoben werden? Dürfen wir uns bei solcher Sachlage der Erfüllung unserer Verpflichtungen entziehen, weil etwa eine leichte Erhöhung etwa auch der Tabaksteuer keine sehr populäre Maßnahme ist? Steht nicht wirklich etwas mehr auf dem Spiel als der Unwille der — sicher nicht der meisten — Raucher, von denen doch nicht einer ernsten Schaden leiden kann, wenn z. B. mit einem zusätzlichen Pfennig auf die Zigarette über 900 Millionen DM zur Erfüllung feierlich übernommener Rechtsverpflichtungen unseres Staates aufgebracht werden? Solche innere Kaufkraftverlagerung ist doch wohl durchaus „währungsneutral". Ich habe diese Forderung in meinen Wahlversammlungen häufig vertreten und erinnere mich nicht, hier auch nur 'einmal auf echten Widerspruch gestoßen zu sein. Unsere Bürger haben schon ein Gefühl für Treu und Glauben auch im öffentlichen Leben und wünschen sich in der großen Mehrheit einen Staat, auf dessen Umgangsformen sie stolz sein können. Dürfen wir diese unsere staatsbewußten Bürger enttäuschen, indem wir ihnen etwas vormachen, was wir schärfstens beanstanden müßten, wenn sie es als einzelne täten? Wir alle hören jetzt im Lande draußen Formulierungen, die uns früher nur aus dem Munde von Gegnern unseres demokratischen Staates zu Ohren kamen: „Die machen da oben ja doch, was sie wollen" oder noch hiel härtere Worte, die ich hier nicht wiederholen möchte. Ist es nicht unser aller Aufgabe, solche Formulierungen Lügen zu strafen, und nicht dazu Anstoß zu geben? Darüber sollten wir bei der Beratung des Haushaltssicherungsgesetzes sehr gründlich nachdenken. Ich möchte meine persönliche Meinung hier klar dahin zum Ausdruck bringen dürfen, daß der kleine Ärger über eine gar nicht erhebliche Erhöhung von Genußmittelsteuern, mit der die Bundesregierung ja schon einen — allerdings sehr schüchternen — Ansatz gemacht hat, eine Kleinigkeit ist gegenüber dem Verlust an Vertrauen in unsere parlamentarisch-demokratische Ordnung, den ein Bruch feierlich übernommener gesetzlicher Verpflichtungen zur Folge haben müßte und nachweislich als Versuch schon hat. Mir lag daran, alle Mitglieder dieses Hauses zu bitten, diese Erwägungen einmal sehr gründlich zu überdenken und sich in aller Ruhe die Frage zu beantworten, ob unsere junge Demokratie solchen Vertrauensverlust überhaupt wieder aufholen kann. Es geht hier im letzten nicht um Gruppeninteressen dieses oder jenes von den Gesetzen betroffenen Bereiches, es geht erst recht nicht um Parteipolitik, es geht hier um etwas ganz Grundsätzliches und Entscheidendes, ohne das weder Koalition noch Opposition auf die Dauer unsere demokratische Ordnung werden erhalten können: um das Vertrauen des Bürgers, vor allem unserer jungen Generation, in ihren und unseren Staat. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1965 337 Anlage 3 Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Stein (Honrath) zur Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung. Ich darf ein Problem behandeln, das mir und meiner Fraktion besonders am Herzen liegt, das ist der Arbeitsmarkt, sozusagen die Südtangente im magischen Dreieck der Vollbeschäftigung, Preisstabilität und Zahlungsbilanz. Ich warne vor der Illusion, daß durch Rationalisierung und Automation der Arbeitskräftemangel in den nächsten Jahren abnimmt. Er wird selbst dann bestehenbleiben, wenn keine Restriktionspolitik die Rationalisierungsmöglichkeiten hemmen würde. Hier ist der entscheidende Engpaß, der die Produktionskraft der Wirtschaft spürbar einschränkt. Was ist zu tun? Der innerdeutsche Arbeitsmarkt ist fast ausgeschöpft. Das gilt nicht nur für die Männer-, sondern auch für die Frauenarbeit. Der Anteil der Frauenbeschäftigung ist mit 35% heute in der Bundesrepublik höher als in jedem anderen europäischen Land. Vielleicht stecken noch kleine Reserven in der Halbtagsarbeit. Vielleicht sind auch noch einige in der Landwirtschaft vorhanden. Im ganzen ist keine Erleichterung zu erwarten. Das Statistische Bundesamt schätzt bis 1972 noch eine weitere Abnahme von Erwerbstätigen um 600 000. Vielleicht kann noch manches getan werden, um den Anreiz für Arbeiter, Angestellte und Beamte, die über das Pensionsalter hinaus noch arbeiten wollen, zu erhöhen. Aber sie kennen die Probleme, die hier aus der Differenz zwischen Gehalt und Pension, aus der Besteuerung und aus wielen Einzelheiten, nicht zuletzt aus der Generationsfrage an sich entstehen. Die steuerliche Schonung von Überstunden gehört ebenfalls in diesen Bereich. Man muß ganz deutlich sehen, daß hier überall Grenzen gesetzt sind. Wir können es uns nicht erlauben, auf diese Mangelerscheinungen in fatalistischer Abstinenz zu blicken — wie das Kaninchen auf die Schlange — und im Nichtstun zu verharren. Dazu gibt uns am wenigsten die Tatsache Veranlassung, daß es besonders schlecht um die Beschäftigung des Bedarfs an Nachwuchskräften bei uns bestellt ist. Die offenen Lehrstellen dieses Jahres konnten bekanntlich nur bis zu 40 % besetzt werden. Wer weiß, daß es uns gerade an ausgebildeten Kräften fehlt, daß alle Automation den qualifizierten Fachmann nicht ersetzen kann, der muß gerade diese Zahl mit Bestürzung registrieren. Sie ragt über den Parteienstreit hinaus und ist sozusagen eine interfraktionelle Zahl. Wir müssen nicht nur mit Ländern konkurrieren, die eine größere Kapitalkraft ins Treffen führen, sondern auch mit Ländern konkurrieren, in denen länger und härter als bei uns gearbeitet wird, wie Japan. Es ist nicht mit dem Schlagwort Niedrigpreisland getan, sondern nur mit der Erkenntnis, wo die Gründe der zutage tretenden Wettbewerbsverzerrungen liegen. Das Beunruhigende der Zahlungsbilanzsituation ist doch, daß sie deutlich macht, daß auch unsere europäischen Nachbarn uns zu überrunden beginnen. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes der letzten 10 Jahre zeigt uns deutlich, daß wir hier in einer echten Strukturkrise stehen, die wir bewältigen müssen. Diese Strukturkrise wird sichtbar an der Beschäftigung unserer ausländischen Arbeitskräfte und den damit auftretenden Problemen. Diese Gastarbeiter sind im Rahmen unserer Wirtschaftsentwicklung mehr als ein Konjunkturpuffer. Wir hatten in der jüngsten Spanne unserer innerdeutschen Wirtschaftsgeschichte mehrfach Konjunkturpausen. Die Stetigkeit des Anwachsens unserer ausländischen Gastarbeiter zeigt eben die strukturelle Grundlage dieses Bedarfs. Mitte 1954 waren es 73 000, am 30. 9. 1965 waren es 1 217 000. Das ist eine siebzehnfache Steigerung am Laufe von 11 Jahren. Natürlich muß man auch hier die Proportionen sehen. Gewiß, die ausländischen Arbeiter füllen gerade jene Lücke, deren Offenbleiben auch die derzeitige Produktion unmöglich gemacht hätte. Aber wir dürfen uns trösten, daß bei uns ihr Anteil an der Beschäftigtenzahl nur 5,5% beträgt. In der Schweiz sind es 30%, in Frankreich 8-10%, und auch in Belgien und Holland liegt der Anteil höher. Das strukturelle Angespanntsein wird dadurch erschwert, daß die Fluktuation der Ausländer sehr groß ist. Gerade wenn der Anteil der ausländischen Arbeiter an der Gesamtzahl der Beschäftigten noch erträglich gering ist, erfordert dies unser Eingreifen zur richtigen Zeit, d. h. sofort. Wirtschaft und Verwaltung stehen hier in einer gemeinsamen Verantwortung. Beide brauchen die gut ausgebildeten und eingewöhnten ausländischen Arbeitskräfte. Die Wirtschaft bemüht sich bereits heute um eine Vorschuleng künftiger Gastarbeiter in ihren Heimatländern. In Spanien und Italien werden z. B. entsprechende Lehrwerkstätten von der deutschen Industrie auch durch die Entsendung von Meistern und Fachkräften unterstützt. Die Zusammenarbeit mit den Behörden des In- und Auslandes funktioniert im allgemeinen gut. Ich möchte an dieser Stelle vor allem der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung unser aller Dank und Anerkennung aussprechen. So ist auch vorbehaltlos anzuerkennen, daß sich in Deutschland Organisationen und Verbände um die Betreuung der Gastarbeiter bemühen, und es muß auch erwähnt werden, daß öffentliche Mittel zur Überwindung der Sprach- und der Unterkunftsschwierigkeiten beitragen. Allerdings wäre besonders für den Wohnungsbau ein stärkeres Arrangement wünschenswert. Ein naheliegendes Problem, das wir lösen müssen, ist nämlich die regelrechte Einwanderung ganzer Familien. Gerade jene Gastarbeiter, die ihre Familie nachkommen lassen wollen, suchen die dauerhafte Beschäftigung in unserem Land. Sie stellen eine wertvolle Anreicherung des deutschen Arbeitskraftpotentials dar. Für sie müssen Wohnungen bereitgestellt werden. Auch die Frage der Beschäftigung der Frauen am gleichen Ort ist zu beantworten. Daß dies möglich und für alle Beteiligten vorteilhaft ist, hat sich besonders in Südwestdeutschland bereits deutlich gezeigt. Das führt uns schließlich noch zu weitergehenden Überlegungen. Manchmal erinnert der heutige Zustrom der Gastarbeiter an die großen Einwanderungswellen des vorigen Jahrhunderts nach Ame- 338 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1965 rika. Was damals auf gut Glück und unter großen Härten vor sich ging, können wir in der Gegenwart steuern. Wir müssen uns in dieser Legislaturperiode darüber Gedanken machen, solange die Dinge noch zu übersehen sind. Die volle Integration jener Familien, die dies anstreben, sollte erleichtert werden. Reale Gründe, die eine weitsichtige Politik berücksichtigen muß, gibt es genug, vom Produktionserfordernis über den Bedarf der Dienstleistungsgesellschaft bis zur Vermeidung eines Vakuums gegenüber dem Osten. Reale Gründe, die dagegen sprechen, gibt es nicht, auch nicht im soziologischen Bereich. Untersuchungen haben ergeben, daß von der gelegentlich behaupteten höheren Kriminalität keine Rede sein kann. Die volkswirtschaftlichen Kosten schließlich werden, nimmt man alles in allem, bei der Einbürgerung geringer sein als bei der Fluktuation. Wenn wir der strukturellen Teuerung, die sich aus den erhöhten Ansprüchen bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel ergibt, wirksam entgegentreten wollen, müssen wir nicht nur in der Haushaltspolitik, sondern auch auf diesem Gebiet neue Wege beschreiten. Wir haben das Beispiel aus Übersee, wir erleben es auch in unserem eigenen Lande. Die Entwicklung des Ruhrgebietes vollzog sich unter maßgeblicher Beteiligung ausländischer Arbeitskräfte. Sie sind längst integriert, und die Träger ihrer Namen stellen nicht nur prominente Stars der Fußballmannschaften, sondern in allen Bereichen hochqualifizierte Arbeiter, Angestellte und Beamte. Die Einfügung von Ausländern in die deutsche Industriegesellschaft bringt auch staatsrechtliche Probleme mit sich. Italien ist schon heute bereit, einen Teil seiner Auswanderungswilligen nach Deutschland zu lenken, das sind Einwanderer zu uns. Das soll kein Hindernis, sondern Ansporn sein. Wir müssen jetzt Überlegungen zur Herabsetzung der Einbürgerungszeit anstellen, die noch 10 Jahre beträgt. Wir brauchen eben nicht nur Fremde, die höchstens 2-3 Jahre bleiben, unsere Zahlungsbilanz verschlechtern und sich dann mit dem verdienten Geld und den erworbenen Kenntnissen daheim selbständig machen. Diese werden ohnehin immer die Mehrheit der ausländischen Arbeitskräfte bilden. Wir brauchen gerade jene Minderheit, die entschlossen ist, durch ihre Leistung ein Teil unseres Volkes zu werden. Sie ist uns willkommen und sie ist uns wertvoll. Sie bedeutet eine der großen Strukturbereinigungen, vor die uns die Industriegesellschaft stellt. Wir sollten daher alles tun, um diesen Menschen bei uns eine neue Heimat zu geben. Wir sollten es bald tun, sofort damit beginnen. In Entlohnung, Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen und jedem Detail des Arbeitsrechts sind sie den Deutschen ohnehin fast völlig gleichgestellt. Sie müssen auch im staatsrechtlichen und gesellschaftlichen Rahmen die selbstverständliche Gleichberechtigung finden. Damit werden wir einen wichtigen Beitrag zu jener Stabilisierung leisten, die uns zur Zeit so sehr beschäftigt. Gesundes Wachstum auf stabiler Grundlage ist keine Utopie. Man muß allerdings etwas dafür tun, heute und morgen und vorausschauend auf lange Frist.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Schiller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ja.


Rede von Dr. Max Schulze-Vorberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Professor Schiller, darf ich dann fragen, ob die SPD, nachdem ihre Vertreter hier im Bundestag diese „planification" ausdrücklich immer als ein mögliches Modell empfohlen haben,

(Widerspruch bei der SPD — Zurufe von der SPD: Das ist nicht wahr! — Sie haben geschlafen!)

inzwischen auch in diesem Punkt die Politik der Bundesregierung übernommen hat.

(Lebhafte Zurufe von der SPD.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Schiller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege, ich habe Ihnen schon einmal gesagt: es ist zu unterscheiden die „planification globale" — Gesamtrechnung, Globalsteuerung und alles, was dazugehört — und die „planification en détail", die sich auf den einzelnen Betrieb bezieht. Das zweite hat die SPD immer abgelehnt.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Haase [Kassel] : Immer? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Gegenrufe von der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Muß eine sehr junge Partei sein, die SPD!)

    — Jetzt kommen Sie auf den Wirtschaftsrat. Das ist die Flucht nicht in die Gemütlichkeit, sondern in die Prähistorie, in die Vorgeschichte.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich darf noch ein kurzes Wort über die Aufgaben hinzufügen, die uns erwarten. Ich habe mit Erstaunen vernommen, daß Herr Burgbacher meinte, in meinen Vorstellungen seien noch planwirtschaftliche Reste vorhanden. Umgekehrt hat Herr Schmücker in seiner Rede gesagt, ich sei bei der marktwirtschaftlichen These und Thematik und Diskussion dabei, andere Marktwirtschaftler zu überrunden."

    (Zuruf von der CDU/CSU: Kein Widerspruch!)

    Wie Sie beide, Herr Schmücker und Herr Burgbacher, das nun miteinander „formieren" wollen, das überlasse ich Ihnen.

    (Heiterkeit bei der SPD.) Ich will das nur erwähnen.

    Wir sollten uns aber doch, meine Damen und Herren, auf die Regierungserklärung hin für die
    246 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1965
    Dr. Schiller
    kommende Zeit folgende Aufgaben ins Gedächtnis zurückrufen: Wir brauchen in der Zukunft die Marktwirtschaft, das ist ganz selbstverständlich — um das klar und deutlich zu sagen —; aber mit der Marktwirtschaft allein geht es nicht. Auch Ihr Bestreben, da so irgend etwas zu finden, was über das Aktionsschema von 1948 oder 1949 hinausgeht, ist doch ein Beweis dafür, daß es mit der Marktwirtschaft allein nicht mehr geht. Ich möchte es ganz deutlich sagen: die Aktions- und Denkschablonen der Jahre 1948/49 genügen in der vor uns liegenden politischen und ökonomischen Phase nicht mehr.

    (Beifall bei der SPD.)

    Deswegen muß zur Marktwirtschaft etwas dazukommen. Ich persönlich bin der Meinung— wir haben in Karlsruhe sehr ausführlich dazu gesprochen —: Marktwirtschaft muß ergänzt werden durch globale Steuerung. Ohne das geht's nicht. Das heißt: Gesamtrechnung, mittelfristige Haushaltsplanung und ähnliches. Das muß dazukommen.
    Weiter gehört dazu das, was wir Wohlfahrtspolitik im weitesten Sinne nennen. Das ist nicht nur Sozialpolitik, sondern auch Strukturpolitik in dem Sinne, wie Herr Schmücker es jetzt versucht aufzugreifen, nämlich Hilfe für schrumpfende Wirtschaftszweige bei der Überleitung, beim Übergang. Auch das gehört dazu. Dazu gehört ferner der Umgang mit den großen Gruppen, der Umgang mit den Verbänden, gehört das, was der Herr Bundeskanzler mit seiner „formierten Gesellschaft" nach meiner Ansicht durch eine Definition aus der Welt zu schaffen versucht.
    Ich möchte es auf die Formel bringen: Bei der ersten Regierungserklärung des Bundeskanzlers Erhard im Jahre 1963 hatten wir alle den Eindruck, daß politisch — wirtschaftspolitisch, finanzpolitisch, gesellschaftspolitisch — die deutsche EisenhowerÄra zu Ende gehe, daß etwas Neues anfange. Und jetzt, nach der Regierungserklärung vom 10. November, Herr Bundeskanzler, muß ich sagen: Sie sind von diesen großen Vorsätzen herunter, wir befinden uns nach der Erklärung und in der Realität mitten drin in einer zweiten deutschen EisenhowerÄra, einer Ära —

    (Abg. Haase [Kassel]: Was haben Sie gegen Eisenhower?)

    — Ich nehme einen Typ; ich weiche insofern aus, als ich keinen deutschen Namen nenne, faute de mieux.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Eine Nach-Eisenhower-Ära in gesellschaftspolitischer, in wirtschaftspolitischer Hinsicht sollte sich dadurch auszeichnen, daß von der Regierung globale Ziele gesetzt werden — was bisher nicht geschehen ist, ich habe das vorgestern gesagt —, daß von der Regierung quantitative Maßstäbe gesetzt werden, daß von der Regierung mit den großen Gruppen klar, bestimmt, dezidiert umgegangen wird, — kurz und gut, daß klar auf mittlere Sicht Politik betrieben und durchgesetzt wird. Das gehört zu einer Nach-Eisenhower-Ära, und das vermissen wir. Wir vermissen eine moderne Politik, die das
    Verhalten der Menschen im wirtschaftlichen Alltag, wie das in Amerika geschieht, durch moderne Mittel der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf sanfte Weise. verändert. Wir stellen auch ganz deutlich feist, Herr Bundeskanzler, daß die deutschen Menschen zur Zeit überaus beunruhigt sind, z. B. über die Preisbewegung. Woher kommt das? Weil sie in ihren wirtschaftlichen und sozialen Verhaltensweisen von der Regierung keine klaren Orientierungspunkte, keine Maßstäbe für die kommenden Jahre gesetzt bekommen haben. Das ist der Stil einer Eisenhower-Ära.
    Der Herr Bundeskanzler fährt demnächst nach Amerika, ich weiß nicht, ob mit vollen oder leeren Händen auf dem Gebiet der Außenpolitik und der Verteidigungspolitik oder sogar mit geballten Händen. Auf jeden Fall würde ich ihm empfehlen, sich dort auch einmal umzutun. Wir wollen kein Modell übernehmen; aber was da in der Nach-EisenhowerÄra geleistet worden ist, wie man dort mit der heutigen Gesellschaft fertig wird, das ist schon etwas, wovon wir lernen können: fünf Jahre Prosperität in diesem Lande der schwierigen strukturellen Probleme, fünf Jahre ungebrochene Prosperität, eingeleitet und durchgeführt durch eine Politik der Rahmenplanung — jawohl! —, in der quantitative Ziele gesetzt sind, und eine Politik, die die Verbände anerkennt, Herr Bundeskanzler, die aber mit Gewicht und Nachdruck — wenn nötig — den geballten Interessengruppen mit Erfolg entgegentritt. Da war am Anfang die Sache mit den Stahlpreisen und jetzt zum Schluß die Sache mit den Aluminiumpreisen. Ich bitte Sie, sich einmal anzusehen, wie man das in einer modernen Gesellschaft und mit modernen Instrumenten macht.
    Wir haben in der Regierungserklärung kein Aktionsprogramm vorgelegt bekommen. Ich möchte Ihnen vorschlagen: Stellen Sie nach der Debatte, am Ende der Woche, wenn Sie in Ihrem Kabinett zur Manöverkritik zusammenkommen, drei Pläne auf, drei Programme. Nicht für die CDU und für die FDP und dann für Herrn Illerhaus, so habe ich das nicht gemeint,

    (Heiterkeit bei der SPD) sondern drei Pläne folgender Art:

    Erstens ein kurzfristiges Programm. Herr Bundeskanzler, die Bevölkerung wartet darauf: „Wie wird es mit den Preisen?" Wir haben hier tagelang diskutiert, von Montag an. Die Bevölkerung fragt doch: „Was machen die in Bonn mit den Preisen?"

    (Beifall bei der SPD.)

    Das fragt sie doch. Und so schlage ich der Bundesregierung vor: Machen Sie ein kurzfristiges Aktionsprogramm über die Stabilisierung des deutschen Preisniveaus. Wir haben versucht, Ihnen da acht Beiträge zu liefern. Sie sehen, wir sind gar nicht so.
    Zweitens: Machen Sie ein mittelfristiges Programm im Sinne der Gesamtrechnung, der Vorausschau von 1966 bis 1969, im Sinne dessen, was alles hier gesagt worden ist, damit der weitere Auf-
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. Dezember 1965 247
    Dr. Schiller
    schwung, Expansion und Preisstabilität endlich miteinander vereint werden können.