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    Deutscher Bundestag 8. Sitzung Bonn, den 30. November 1965 Inhalt: Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 139 A Abwicklung der Fragestunde 174 B Fragestunde (Drucksache V/38) Fragen des Abg. Logemann: Trinkmilch für Schulkinder Höcherl, Bundesminister . . . . . 174 C Frage des Abg. Prochazka: Preisentwicklung bei Grundnahrungsmitteln Höcherl, Bundesminister . . . . . 174 D Fragen des Abg. Schmidt (Kempten) : Arbeiterrentenversicherung Katzer, Bundesminister . 175 B, 175 C Schmidt (Kempten) (FDP) . 175 B, 175 D Frage des Abg. Fritsch (Deggendorf) : Vermeidung von Nachteilen für Bezieher von Ausgleichs- und Elternrenten nach dem BVG Katzer, Bundesminister . . . . . 176 A Fritsch (Deggendorf) (SPD) . . . . 176 B Frage des Abg. Genscher: Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung 176 C Frage des Abg. Prochazka: Höhe der derzeitigen versicherungsrechtlichen Ansprüche der Gastarbeiter Katzer, Bundesminister 176 D Frage des Abg. Prochazka: Vorlage eines dritten Änderungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung Katzer, Bundesminister . . . . . 176 D Fragen des Abg. Geiger: Maßnahmen auf dem ehemaligen Flugplatzgelände Malmsheim . . . . . . 177 A Frage des Abg. Felder: Dienstvorschriften der Bundeswehr für die Teilnahme an Gottesdiensten Gumbel, Staatssekretär . . . . . 177 C Frage des Abg. Fritsch (Deggendorf) : Finanzierungshilfen zum Bau von Hallenbädern Gumbel, Staatssekretär 177 C Fritsch (Deggendorf) (SPD) . . . 177 D Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 178 A Dröscher (SPD) 178 B Dr. Müller (München) (SPD) . . . 17.8 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 178 D Dr. Rinderspacher (SPD) . . . . 179 A Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . 179 B Dr. Huys (CDU/CSU) . . . . . 179 B Moersch (FDP) 179 C Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 179 D Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 179 D II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. November 1965 Frage des Abg. Ollesch: Einstellung aller Flüge mit Maschinen vom Typ „Starfighter" Gumbel, Staatssekretär 180 A Ollesch (FDP) 180 B Cramer (SPD) . . . . . . . . 180 C Dr. Müller (München) (SPD) . . . 180 D Moersch (FDP) 181 A Wächter (FDP) . . . . . . . 181 C Frage des Abg. Schultz (Gau-Bischofsheim) : Schaffung einer zentralen Kantinenorganisation Gumbel, Staatssekretär 181 C Mertes (FDP) 181 D Dr. Huys (CDU/CSU) 182 A Opitz (FDP) 182 B Frage des Abg. Felder: Einbau von Abgasfiltern in Pkw und Lkw Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 182 D Felder (SPD) 183 A Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 183 C Frage des Abg. Lemper: Ausbau des Reststückes B 55, Ortsdurchfahrt Bergheim (Erft) Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 183 D Frage des Abg. Lemper: Einrichtung einer Haltestelle in Kaster (Bahnstrecke Düren–Neuß) Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 184 A Frage des Abg. Dr. Kempfler: Erhöhte Belastung des Straßenverkehrs der B 12 und der B 20 durch die Großraffinerie „Marathon" Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 184 B Dr. Kempfler (CDU/CSU) 184 C Fragen des Abg. Wiefel: Erhöhung von Verkehrstarifen im Güter- und Personenverkehr und deren Folgen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 184 D Wiefel (SPD) 185 A Fragen des Abg. Wiefel: Attraktivere Gestaltung der öffentlichen Massenverkehrsmittel Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 185 B Wiefel (SPD) . . . . . . . . 185 C Seibert (SPD) 185 D Frage des Abg. Schonhofen: Fahrwegaufwendungen der Deutschen Bundesbahn Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 186 A Schonhofen (SPD) 186 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 186 C Frage des Abg. Schonhofen: Höhe des Regierungszuschusses an die französischen Staatsbahnen zu ihren Wegekosten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 186 D Frage des Abg. Schonhofen: Mittelanforderung der DB im Rahmen ihrer Forderung nach „Normalisierung der Konten" Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 187 A Schonhofen (SPD) 187 C Seibert (SPD) . . . . . . . . 187 D Frage des Abg. Tönjes: Höhe der jährlich durch Straßenverkehrsunfälle entstehenden Kosten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 187 D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Haushaltsausgleichs (Haushaltssicherungsgesetz) (Drucksache V/58) — Erste Beratung — Schmücker, Bundesminister . . . . 139 C Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . . 150 C Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . . 159 C Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) . 167 C Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 188 A Strauß (CDU/CSU) 195 B Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 210 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 210 C Dr. Barzel (CDU/CSU) 221 C Erler (SPD) 222 C Dr. Pohle (CDU/CSU) 222 D Horten (CDU/CSU) 227 C Nächste Sitzung 228 C Anlage 229 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. November 1965 139 8. Sitzung Bonn, den 30. November 1965 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Aigner 30. 11. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 2. 12. Bading * 30. 11. Dr. Birrenbach 2. 12. Blachstein 30. 11. Dr. h. c. Güde 2. 12. Baron zu Guttenberg 30. 11. Hilbert 2. 12. Hörmann (Freiburg) 30. 11. Jaschke 2. ,12. Dr. Kliesing (Honnef) 30. 11. Klinker * 30. 11. Koenen (Lippstadt) 31. 12. Kriedemann 31. 12. Kubitza 2. 12. Lücker (München) * 30. 11. Marquardt 2. 12. Mauk * 30. 11. Memmel 30. 11. * Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Europäischen Parlaments Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Michels 30. 11. Dr. Müthling 30. 11. Neumann (Stelle) 30. 11. Rawe 8. 12. Richarts * 30. 11. Röhner 30. 11. Frau Schanzenbach 31. 12. Frau Schimschock 31. 12. Schmidt (Würgendorf) 2. 12. Schultz 2. 12. Schwabe 30. 11. Seuffert * 30. 11. Dr. Siemer 30. 11. Spillecke 2.12. Spitzmüller 2. 12. Wahl ** 3. 12. Dr. Wilhelmi 30. 11. Dr. Wörner 3. 12. Zerbe 2. 12. b) Urlaubsanträge Frau Berger-Heise 18. 2. 1966 ** Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Europarats
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    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Kollege Erler, ich kenne das Zitat wörtlich nicht; trotzdem will ich Ihre Frage beantworten. Ich kenne aber Ludwig Erhard seit dem Jahre 1948, wo er sich für die Verwaltung eines Zwangswirtschaftsministeriums nicht als der beste Kandidat erwiesen hat. Da hätten Sie Bessere dafür gehabt!

    (Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)

    Ich kenne ihn also seit 1948, und ich halte es bei seiner liberalen, toleranten Grundhaltung

    (Sehr gut! rechts)

    für schlechthin ausgeschlossen, daß er alles, was von
    Vertretern des Geisteslebens — im weitesten Sinne
    des Wortes — kommt, als „dummes Zeug" betrachtet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber was von Rudolf Hochhuth, dem unglückseligen Autor des Stücks „Der Stellvertreter", geschrieben worden ist, das können ja auch Sie nicht akzeptieren, auch wir nicht, das können wir gemeinsam in diesem Hause nicht annehmen.

    (Zurufe von der SPD. — Abg. Haase [Kassel]: Doch, dahinten können sie das! Hören Sie es!)

    Wenn Sie wissen wollen, welches Eigentor hier in dem Plädoyer für eine Regierung Brandt Herr Hochhuth geschossen hat, so darf ich Sie bloß an das Schicksal der hessischen Hütten- und Bergwerks-AG erinnern. In Hessen hat man beschlossen — das war ein gemeinsamer Beschluß von CDU und SPD; ich will es in der richtigen Reihenfolge sagen: SPD und CDU; aber niemand ist in diesem Leben vor Unzulänglichkeiten sicher —,

    (Heiterkeit in der Mitte)

    die Grundstoffindustrie zu sozialisieren. Das ganze Unternehmen hat sich als ein völliger Fehlschlag erwiesen. Das ganze Unternehmen wurde dann rückgängig gemacht. Eines der letzten Unternehmen war diese Hütten- und Bergwerksgesellschaft. Jetzt hat die hessische Regierung unter einer absoluten Mehrheit der CDU — nein, die kommt erst —,

    (erneute Heiterkeit in der Mitte)

    unter einer absoluten Mehrheit der SPD und vertreten durch den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Zinn das damals sozialisierte Unternehmen dem ehemaligen Eigentümer und Unternehmer wieder zum Kauf angeboten, um es vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahren, und das hat Herr Hochhuth in seinem Plädoyer für eine SPD-Regierung als ein bemerkenswertes Zeichen der verfehlten wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik dargestellt.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Deshalb hat dieser Bundeskanzler soeben das Wort vom „dummen Zeug" — —

    (Abg. Wehner: „Deshalb" wollten sie sagen?!)

    — Auch deshalb. Ich werde Ihnen den Gefallen nicht tun, ich werde ihn uns und auch mir nicht tun, mich hier im einzelnen mit Günter Grass auseinanderzusetzen.

    (Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)

    Den können Sie für den Wahlkampf 1969 behalten!

    (Erneute Heiterheit und anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe nur einen Wunsch. Herr Kollege Erler, ich habe sowohl im „Dritten Reich" als auch in der Zeit hernach einiges an politischen und persönlichen Schicksalen miterlebt — das gilt für den Krieg und auch für die Zeit danach — und ich muß sagen: nach den Maßstäben, mit denen Herr Günter Grass sich in der Wahlnacht wegen dieses Unfugs vor seinem Hause als verfolgt bezeichnet hat, müßte ich ungefähr 100 000 Häuser haben, die man anzünden könnte, um der Proportion Rechnung zu tragen, mit der ich in Deutschland, auch von Ihnen und Ihnen nahestehenden Organisationen, diffamiert worden bin.

    (Starker Beifall in der Mitte.)

    Und wenn die großen Helden, die Vorkämpfer für die Demokratie wegen eines solchen dummen Faschingsscherzes, für den ihn im übrigen die Schöneberger Polizei hält — —

    (Zurufe von der SPD.)

    — Fragen Sie Ihre eigene Polizei in Berlin unter der Verwaltung von Willy Brandt, was sie davon hält! Eines können Sie mir auch glauben. Ich habe als Bub die Weimarer Republik miterlebt, den Untergang der Weimarer Republik und den Übergang zu Hitler. Sie könnten sich wirklich auf mich als Parlamentarier in jeder Funktion verlassen, daß ich, wenn sich Ähnliches wiederholen sollte, dafür wäre, daß alle Machtmittel des Staates eingesetzt werden, um eine Wiederholung der kriminellen Vorgänge von damals zu verhindern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Wollen wir es nicht so tragisch ausdrücken!




    Strauß
    Herr Kollege Erler, Sie haben ja auch Pech mit dem Geist, nicht nur der Bundeskanzler. Als ich Sie gestern hörte, ist in Flammenschrift, in dem Fall auf der rosaroten Nebelwand für mich die Abkürzung SDS — Sozialistischer Deutscher Studentenbund — erschienen, Ihre Kampforganisation gegen unsere Politik. Mußten Sie sich nicht selbst von dieser Organisation wegen ihrer, wie Sie selber sagten, pro-kommunistischen Tendenzen distanzieren?

    (Abg. Dr. Schmid wir auch gemacht!)

    — Das haben Sie gemacht, und dann haben Sie den Sozialdemokratischen Hochschulbund gegründet und haben erleben müssen, daß in den Zwiespältigkeiten Ihrer Politik und den Schwierigkeiten Ihrer inneren Meinungsumbildung die Vorsitzenden der gleichen Organisation den SHB verlassen und Sie selber, Ihre Politik wegen faschistoider Züge angeprangert haben. Das ist doch im Sommer dieses Jahres erfolgt. Ich sage das nur — uns passiert nämlich das gleiche, auch Herrn Mende passiert das gleiche mit dem liberalen Studentenbund —, damit hier nicht etwa der Eindruck entsteht: Hier steht eine Opposition, die mit dem selbsternannten Geiste Arm in Arm marschiert, und dort der Bundeskanzler, der diesen Geist zurückgewiesen, beleidigt, zertrampelt und schnöde von sich gewiesen hat.
    Ich möchte eines sagen: wir sollen uns nicht eine Haltung anmaßen, daß wir etwa den Vertretern des Geisteslebens — mag sich jeder dazu zählen, wer auch immer will — einen Maulkorb anhängen oder I ihnen Vorschriften erteilen. Sie sollen ihre Meinung sagen, was sie denken, was sie meinen, was sie wünschen. Es ist dann an uns, ihre Meinung so wichtig oder so wenig wichtig zu nehmen, wie es ihnen zukommt. Dann haben wir die richtige Mittellinie eingenommen, die ihnen zukommt und die auch uns zukommt.
    Aber da ich über die kommunistische Propaganda gegen die Bundesrepublik gesprochen habe, auch über gewisse Vorgänge im Inneren unseres Landes, darf ich eine Sache, die ich heute früh in der Zeitung gelesen habe, aufgreifen und sie gleich der Bundesregierung zur wohlwollenden Würdigung überweisen. Wenn es möglich ist, die nächste Sommerolympiade in Deutschland, d. h. in München und in Bayern, abzuhalten, Herr Bundeskanzler, dann bitte, tun Sie alles, dieses Vorhaben zu unterstützen, zu fördern und durchzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben die Wahrheit über die Bundesrepublik nicht zu fürchten. Wir würden uns freuen, wenn das große, weltweite, völkerversöhnende Unternehmen der Olympiade in Deutschland, in dieser Bundesrepublik stattfinden würde, damit Russen und Chinesen und Polen und Tschechen, Amerikaner und Kanadier und Skandinavier und Lateinamerikaner, Afroasiaten und Australier die Wahrheit über Deutschland kennenlernen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Bundeskanzler — nicht als Wiedergutmachung gegenüber Herrn Erler, aber als allgemeinen Wunsch —, vielleicht könnte man mit dieser Olympiade der sportlichen Rekorde auch einen künstlerischen Wettkampf verbinden, den sich die Bundesrepublik trotz ihrer Haushaltssituation wahrlich leisten kann. Wir haben den innigen Wunsch, daß die Welt das deutsche Volk wirklich kennenlernt und daß es nicht von einer gewissen, zum Teil verzerrten Selbstpräsentation in Rundfunk und Fernsehen abhängt, wie es leider weitgehend geschieht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das deutsche Volk will mit seiner Vergangenheit fertig werden. Es muß mit ihr fertig werden, wenn es seine Aufgabe in der neuen Welt erfüllen soll. Aber das deutsche Volk hat nach den letzten 20 Jahren der Arbeit, des Opfers und der in seinem unfreien Teil bestandenen Leiden einen Anspruch darauf, wieder als normale Nation anerkannt zu werden, nicht als Nation, an deren Wesen die Welt genesen kann, aber auch nicht als Nation, die minderwertig oder potentiell gefährlich ist oder gar dauernd als kriminell diskriminiert wird.
    Die Bundesrepublik Deutschland muß auch auf ihrem Recht bestehen, die einzige Vertretung der gesamten deutschen Nation zu sein, die nach den in der Geschichte der Demokratie üblichen Maßstäben dazu legitimiert ist. Sie kann bestimmt auf eines nicht verzichten und wird nicht darauf verzichten, nämlich, das Recht der Selbstbestimmung für ganz Deutschland in Anspruch zu nehmen

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und dieses Recht zur Grundlage ihrer gesamten Politik zu machen. Man kann über alles verhandeln und sich einigen, wie Herr Kollege Barzel, unser Fraktionsvorsitzender, gestern ausgeführt hat: Über die Wiedergutmachung für die von uns angerichteten Schäden, über Sicherheitsgarantien, die auf Gegenseitigkeit beruhen müssen, über die Einordnung des deutschen Staates in eine europäische Gemeinschaft, d. h. in eine europäische Architektur, innerhalb der das Problem eines wiedervereinigten Deutschlands von den Nachbarn leichter bewältigt werden kann als sonst. Wir können uns über die endgültige Regelung der deutschen Ostgrenzen nach Vorliegen der Voraussetzungen unterhalten. Aber das Selbstbestimmungsrecht Deutschlands, ausgedrückt und auszudrücken durch freie Wahlen, kann nicht zum Gegenstand von Verhandlungen oder zum Preis von West-Ost-Einigungen gemacht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Weil Sie gestern, Herr Kollege Erler — ich weiß nicht, worauf Sie Bezug genommen haben, aber Sie haben sich sicherlich dabei einen bestimmten Vorgang vor Augen gehalten —, gesagt haben, daß wir ausländische Staaten schmähten, die vorbildlich seien, — ich nehme an, Sie haben damit skandinavische Staaten gemeinat —,

    (Abg. Erler: Unter anderem!)

    so möchte ich gerade hier sagen, daß der dänische Außenminister Haekkerup bei seinem Besuch in Polen im Sommer dieses Jahres auf die Frage seiner Gastgeber, seiner einladenden Wirte, wie man die



    Strauß
    deutsche Frage lösen könne, geantwortet hat: durch freie Wahlen. Das sollte für uns verbindlich sein, und wir sollten dieses Wort mit weniger Scheu aussprechen, als es allmählich Usus geworden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP.)

    Wenn der Außenminister Dänemarks,

    (Zuruf von der SPD: Wem sagen Sie das? — Gegenruf von der CDU/CSU: Ihnen!)

    ein sozialdemokratischer Parteigänger — ich finde im Augenblick nicht den passenden Ausdruck —, ein Mitglied der sozialdemokratischen Partei Dänemarks, aus seiner Überzeugung als Vertreter einer Nation, die im letzten Krieg unter uns gelitten hat, die das Jahr 1864 ja wohl allmählich vergessen hat, die aber im letzten Krieg unter uns gelitten hat, sagt: Es gibt nur eine Lösung der deutschen Frage, nämlich freie Wahlen, dann sollte jeder, der aus der Bundesrepublik nach dem Osten reist, sich diese Formel zu eigen machen,

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    gleichgültig, ob von dieser oder jener Partei, gleichgültig, ob von dieser oder jener Organisation. Es stehen sich — ich weiß es — harte Fronten gegenüber. Harte Fronten werden nicht in Tageskompromissen beseitigt. Hier stehen sich historische Gegensätze, hier stehen sich geschichtliche Zielsetzungen gegenüber. Niemand kann heute billig prophezeien, was herauskommt. Aber eines können wir
    sagen: das Recht steht auf unserer Seite. Deshalb haben wir die Hoffnung, daß mit geschichtlichen Entwicklungen auch das Recht die Entscheidung zu unseren Gunsten herbeiführen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP.)

    In dieser Frage sollten wir alle, sollte ganz Deutschland zusammenstehen. Hier darf es keinen Prozeß der Gewöhnung an die faktischen Gegebenheiten, keine dumpfe Hinnahme dieser Gegebenheiten geben, keine allmähliche Änderung der Grundposition, keine Politik des — in Anführungszeichen — Realismus, wie es so häufig heißt. Hier handelt die Bundesregierung aber auch nicht in egoistischer Weise für sich selber, um ein rein nationales Ziel zu vertreten und durchzusetzen, hier handelt die Bundesrepublik auch für ein freies Europa und für den wirklichen Frieden in der Welt.
    Darum muß es die Aufgabe der deutschen Politik sein und bleiben, 1. die nationale Einheit Deutschlands zu erreichen, 2. Sicherheit und Freiheit der Bundesrepublik zu erhalten, 3. die deutsche Politik zu einem Werkzeug für die Einigung Europas zu machen, 4. das atlantische Bündnis in neuen Formen zu stärken, 5. mit seinen östlichen Nachbarn und der Großmacht Sowjetunion zu einer dauerhaften Regelung der guten Nachbarschaft zu gelangen, 6. für den Frieden der Welt zu arbeiten.
    Die Leistung unseres Volkes und die Richtigkeit der Politik seiner Führung haben im Laufe der letzten 17 Jahre wirtschaftliche Stärke, persönlichen
    Wohlstand und ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit geschaffen.
    Herr Kollege Schiller, Sie halben geistern eine mich sehr interessierende Rede gehalten, der man manches entnehmen kann, was einem Manne, der nicht ein so langes akademisches Studium und eine so lange Berufserfahrung auf dem Gebiete der Wirtschaftswissenschaften aufzuweisen hat wie Sie, diskutabel und überlegenswert ist. Ich freue mich, daß Sie sich im Grundsatz und in der Praxis zur Politik der Marktwirtschaft bekannt haben. Ich kenne Ihren Laudator, Herrn Ehrenberg — seinem Buch nach sicherlich ein sympathischer und beschlagener Mann —, der das Buch von der „Erhard-Saga" geschrieben hat. Ich bin auch nicht der Meinung, daß jeder Exportüberschuß ein unmittelbares persönliches Verdienst des Bundeskanzlers ist. Aber ich bin sehr wohl auch der Meinung — weil ich die Tage im Wirtschaftsrat in den Jahren 1948/1949 miterlebt halbe —, daß der Durchbruch zur Marktwirtschaft — und bei allem, was sonst gesagt werden mag, werde ich mich nie scheuen, sondern es als eine Ehrenpflicht betrachten, das zu erklären —, damals auch gegen uns Zweifler, die wir lange geprüft haben, bevor wir ja gesagt haben, unter der Initiative des heutigen Bundeskanzlers .erfolgt ist. Darüber gibt es keinen Zweifel.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich spreche heute in diesem Hause wahrlich nicht zum erstenmal, und ich habe auch im Wirtschaftsrat als parlamentarischer Anfänger zu jenen Fragen oft gesprochen. Ich weiß, wie sich damals die Fronten verhärtet hatten, wie schroff sie sich gegenüberstanden. Ich kann aber 'heute die Rede des Kollegen Erler, vor der manche soviel Angst gehabt haben, die aber gar nicht so schlimm war, Herr Kollege Erler,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    die ein Beitrag war zur Bewältigung der Gegenwart — der Vergangenheit, aber vor allen Dingen der Gegenwart —, nur als einen Beitrag empfinden im Rahmen einer gemeinsam gewordenen Gesamtkonzeption, zu der Sie sich spät, aber noch rechtzeitig entschlossen haben, als einen Beitrag zu einer Gesamtkonzeption, die überhaupt als die Grundlage für unser staatliches Wirken und für unsere zukünftigen politsichen Zielsetzungen anzusehen ist. Darin, glaube ich, sollten wir übereinstimmen.
    Natürlich darf diese gemeinsame Leistung nicht zur Selbstzufriedenheit und Maßlosigkeit führen. Wir müssen von der Erkenntnis ausgehen, daß wir erst am Beginn der Ausgestaltung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung stehen. Man kann mit Recht sagen, daß die erste große Phase der deutschen Nachkriegspolitik zu Ende ist und daß wir in eine zweite Phase eingetreten sind, die durch besondere Umstände und neue Elemente geprägt ist. Das gilt sowohl für die Vorgänge innerhalb unseres Landes, als auch für die Vorgänge außerhalb unserer Grenzen im fernen und im nahen Bereich. Ich sage: besondere Umstände, neue Vorgänge, denn, Herr Kollege Erler, ich habe eines hier vermißt: daß Sie



    Strauß
    in Ihrer Rede ein schlüssiges Gesamtsystem einer abgewogenen, mit Prioritäten und Schwerpunkten ausgestatteten Politik geboten hätten. Ich weiß, wie schwer das ist. Ich darf 'ehrlich bekennen, ich habe bei der Vorbereitung meiner Rede auch daran gedacht und habe mir gesagt: das muß man der Regierung überlassen. Auch Sie haben es der Regierung überlassen.

    (Heiterkeit. — Abg. Erler: Ich habe zu dem Punkt etwas mehr geboten als die Regierung!)

    — Ich bin hier nicht zur Stilkritik oder zur Schulaufsatzzensur berufen. Aber ich glaube, es war Ihr eigener Eindruck, es war der Eindruck des ganzen Hauses — nicht nur meiner Fraktion —, daß auch Sie nicht in der Lage waren oder — bitte fassen Sie das nicht als persönlichen Angriff auf; ich habe sehr viel Verständnis dafür — auch nicht den Mut aufgebracht haben, wegen der Rücksichten, die Sie zu nehmen haben, für ganz klare, eindeutige Prioritäten und Rangfolgen einzutreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das macht die Diskussion in diesem Hause sehr schwierig. Es macht sie auch sehr schwierig — und das ist kein Angriff gegen einen Mann, dem ich auch hier persönlich Respekt dafür bezeugen möchte, wie er sich im Wahlkampf geschlagen hat —, daß Willy Brandt hier nicht zu fassen ist, daß er hier nun nicht mit der im Wahlkampf angedeuteten Konzeption einer zukünftigen SPD-Regierung als Sprecher der Opposition antritt, damit wir uns mit greifbaren Fronten auseinandersetzen können. Das macht die Dinge bei Ihnen und bei uns so schwierig. Ich weiß, wie groß der Ärger bei Ihnen ist, fast größer als bei uns.

    (Heiterkeit.)

    Darum will ich nicht weiter darauf herumreiten.
    Ich möchte nicht diese Diskussion, die gestern abend von Ihnen ausgelöst und dann von Herrn Althammer fortgesetzt wurde, hier ausdehnen: Wahlgeschenke — Fragezeichen. Wo haben Sie widersprochen? Wo haben Sie Änderungen vorgeschlagen? Wo haben Sie Kürzungen vorgeschlagen? Welche Vorstellungen und Prioritäten haben Sie vertreten? Aber ich glaube, wir müssen uns alle — und der Vorwurf trifft die Bundesregierung und das gesamte Parlament — einmal dazu durchringen, in der Öffentlichkeit zu bekennen, daß wir unserem deutschen Volke nicht alles auf einmal in vollendeter Perfektion bieten oder versprechen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Unsere Kraft reicht dafür nicht aus.

    Herr Kollege Erler, Sie haben gestern so oft den „Bayern-Kurier" zitiert. Was täten Sie überhaupt ohne ihn und den Grafen Huyn? Ihre Rede wäre um einen ganz wertvollen Teil ärmer gewesen.

    (Heiterkeit.)

    Aber wenn ich jetzt einmal frage, wo denn die Schuld liegt, dann kann man nicht sagen: Sie liegt bei der Regierung, sie liegt bei der Koalition. Man kann sicherlich nicht sagen: Sie liegt
    bei der Opposition — ausschließlich — oder bei den Verbänden, den Gewerkschaften, den Unternehmern usw. Nein, sie liegt in der Gesamtheit des Inhalts und Stils einer Politik, bei der auch Sie durch Ihre Forderungen, durch Ihre Anträge, Ihre Wünsche und Ihre Versprechungen die gutwillige, zum Besten bereite Bundesregierung vor der Öffentlichkeit unter einen gewissen Druck gesetzt haben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Und damit müssen wir jetzt intra muros et extra muros Schluß machen. Sonst kommt der deutsche Staat in Gefahr.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das war bestimmt keine Giftspritze, Herr Kollege Wehner, Wie Sie es gestern zu Anfang der Ausführungen des Kollegen Althammer bei der Erwähnung des Namens Brandt gesagt haben. Aber es gilt, Gleichgewicht und Wachstum unserer Gesamtwirtschaft, Stabilität der Währung, Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer produzierenden Wirtschaft zu erhalten, den Export zu steigern, die Grundlagen zu erhalten und auszubauen, auf denen unsere Gesellschaftsordnung, auf denen ihre zukünftigen Ziele, auf denen unsere Gesamtpolitik, nicht zuletzt unsere außenpolitischen Wirkensfähigkeit beruhen.
    Es besteht auch kein Anlaß — bei aller Begründung der Selbstkritik —, in eine Panikstimmung zu verfallen, die Dinge schwarz in schwarz zu malen. Ich will nicht auf die permanente Wirtschaftskrise im kommunistischen Bereich verweisen. Aber in allen Ländern der westlichen Welt, gerade in den großen Siegerländern, hat es in den letzten Jahren Schwierigkeiten, Störungen und Rückschläge gegeben. Ich brauche hier nur auf die Arbeitsmarktsituation und die Zahlungsbilanz der USA und Großbritanniens hinzuweisen, auf die Verhältnisse in Frankreich und in Italien und — was Sie nicht bestreiten können — auf den größten Verfall der Stabilität der Währung, wie er in den skandinavischen Staaten — unter ganz anderen wirtschaftlichsozialen Verhältnissen, wie ich zugeben muß und gern zugebe — zu verzeichnen ist. Alle diese Länder mußten im Laufe der letzten Jahre mit gewissen Problemen fertigwerden.
    Wir können immer noch sagen, daß wir uns in einer guten Ausgangslage befinden, wenn wir uns entschließen, die notwendigen Korrekturen vorzunehmen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Diese Aufgabe trifft nicht nur die Bundesregierung, sie trifft nicht nur die Koalition, sie trifft nicht nur das Parlament; es ist eine echte Gemeinschaftsaufgabe.
    Hier kommt der Funktion der Opposition eine besondere Bedeutung zu. Wenn sie — nach den Erkenntnissen von heute — statt 54mal ausnahmsweise ja zu sagen, 54mal nein gesagt hätte, hätte sie die Wahlen auch nicht anders verloren, als sie sie verloren hat.

    (Heiterkeit in der Mitte.)




    Strauß
    Aber sie hätte heute ein anderes moralisches Recht, hier aufzutreten und der Regierung die Leviten zu lesen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Dabei habe ich mich gefreut, Herr Kollege Schiller
    — ich sage bewußt „Herr Kollege" —, daß Sie gestern beim 55. Mal nicht ja, sondern am Ende nein gesagt haben.

    (Abg. Dr. Schiller: Mit Bert Brecht!)

    — Mit Bert Brecht.

    (Abg. Erler: Offenbar ist die Meinung in der Koalition darüber geteilt, ob man ja oder nein sagen soll!)

    — Das stimmt, Herr Kollege Erler. Aber wenn Sie eine Koalition mit der FDP hätten, ginge es Ihnen bestimmt nicht besser.

    (Große Heiterkeit.)

    Dabei hätten Sie uns eines voraus: daß Sie innerhalb Ihrer Reihen trotz größerer Gegensätze, als sie bei uns bestehen, nach außen hin die Dinge leichter als einheitlich vorstellen können. Das ist Ihr unbestreitbarer Vorzug, weil Sie ein geschultes Funktionärskorps — —

    (Zurufe von der SPD: Oho!) — Wollen Sie das bestreiten?


    (Abg. Haase ihrer Funktionäre!)

    Ja, ich rechne Herrn Zinn — mit der Hessen-Klage — nicht zu den Funktionären. — Ich fahre fort: weil Sie auf Grund Ihrer ganzen Kampfstellung — ich sage: mit Recht — gegen eine bestimmte nationalistische Politik und gegen eine ganz bestimmte einseitige Gesellschaftsordnung eine ganz andere Wählerstruktur haben, als sie bürgerliche Parteien schlechthin aufzuweisen haben.
    Aber Sie haben recht, sich über Professor Erhard zu ärgern. Er weicht mit den Erfolgen seiner Politik auch Ihre Struktur auf.

    (Heiterkeit in der Mitte.)

    Auf lange Sicht kommen bei Ihnen dieselben Schwierigkeiten wie bei uns.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Aufgabe trifft auch die großen Verbände, diese Aufgabe trifft die meinungsbildenden Organe. Sie trifft kurzum alle Institutionen einer freiheitlichen, demokratischen und — horribile dictu — pluralistischen Gesellschaftsordnung, wobei ich dieses Wort nicht nur in der Annahme ausspreche, daß andere es verstehen, sondern mich ständig bemühe, es selber zu verstehen.

    (Zuruf von der SPD: Ist schwer!)

    — Ja, es ist schwer, aber ich schaff's allmählich. — Dabei sind Einsicht, Überzeugung, Disziplin notwendige Ergänzungselemente zu den staatlich-politischen Entscheidungen. Diese Entscheidung trifft schließlich jeden einzelnen, der verantwortlich mitdenken und mithandeln muß.
    Kollege Starke hat ein goldenes Wort gesagt: Zwingen, ohne Zwang auszuüben. Das ist die Situation, in der sich die Bundesregierung mit nicht adäquaten Instrumenten und Mitteln befindet.
    Es ist müßig zu fragen, ob die Politik oder die Wirtschaft unser Schicksal ist — Rathenau und andere —; beide stehen in engster Wechselwirkung. Ohne wirtschaftliche Stärke gibt es keine politische Kraft, ohne politische Stabilität gibt es keine wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit. Der Bundeskanzler hat mit Recht ausgeführt, daß sich wirtschaftliche Kraft in politische Stärke ummünzt. Ich möchte diese Aussage weder ergänzen noch ihre Richtigkeit bestreiten, aber eines dazu vermerken: Es geht nicht nur um die gegenwärtige wirtschaftliche Stärke, es geht darum, daß die Voraussetzungen für zukünftige wirtschaftliche Stärke geschaffen, gepflegt, erhalten und ausgebaut werden. Das ist das Kapitel Wissenschaft, Forschung, technische Entwicklung.
    Nehmen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es mir bitte nicht übel, oder werten Sie es nicht als einen gezielten Angriff gegen den Kollegen Lohmar, wenn ich ihm hier sage, daß seine Ausführungen über die Bedeutung der Weltraumfahrttechnik völlig verfehlt sind. Selbstverständlich sind wir Kleinstaaten, muß man sagen, bei der Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht in der Lage, mit den Giganten USA und Sowjetunion zu wetteifern. Aber wir sollten auch hier nicht mit einer, ich darf sagen, kleinkarierten Einstellung, die auf den Nutzen des nächsten Jahres abstellt, an diese Frage herangehen. Was Wernher von Braun — ich habe es heute einer großen deutschen Tageszeitung entnommen — über die industrielle, wirtschaftliche Bedeutung der Beherrschung der Weltraumfahrttechnik gesagt hat, scheint mir mit meinem laienhaften Verstand in jeder Hinsicht und in vollkommener Weise begründet zu sein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer diese Technik beherrscht — und wir beherrschen sie nur theoretisch in Umrissen —, wird morgen wirtschaftlich konkurrenzfähig oder überlegen sein. Das geht an von der Metallurgie und der Technologie — metallische und nichtmetallische Stoffe, Eisen und Nichteisenmetalle —, das reicht hinein in den Bereich der Kybernetik, der Elektronik, das reicht hinein in Bereiche, die wir, ich muß das zugeben, mit unserer geisteswissenschaftlichen Ausbildung vom humanistischen Gymnasium und Studium der Geschichte und Philologie kaum zu ahnen vermögen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Na, na!)

    — Sie ja, Herr Kollege Schmid; aber ich — —

    (Heiterkeit.)

    Aber es kommt nicht darauf an, daß wir als Spezialisten auftreten; es kommt darauf an, daß wir die
    richtige Nase für notwendige Entwicklungen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Deshalb ist hier eine Priorität bei Wissenschaft, Forschung und technischer Entwicklung, die wir ruhig



    Strauß
    unter den Begriff der Sozialinvestitionen einreihen können,

    (Beifall bei den Regierungsparteien —Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Jawohl!)

    in Klarheit darüber, daß Leistungen für Sozialinvestitionen und Leistungen für Sozialkonsum der Gegenwart in einem Konkurrenzverhältnis stehen und daß es sehr schwierig ist, vor der Öffentlichkeit Verzichte für die Gegenwart zugunsten dieser Bewältigung der Zukunft glaubhaft, überzeugungsfähig durchzusetzen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Aber man muß es tun!)

    - Man muß es tun; ich gebe Ihnen völlig recht. -
    Deshalb glaube ich auch, daß es für uns in der Bundesrepublik — das darf ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, und der Bundesregierung sagen — nicht allein damit getan wäre — meine Behauptung enthält keinen Vorwurf —, etwa internationale Programme wie ELDO und ESRO schlechthin nur zu unterstützen. Wir brauchen auch eine nationale Wissenschafts-, Forschungs- und Entwicklungspolitik,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    die sich einerseits ihrer Grenzen bewußt ist, die aber andererseits auch wegen des nationalen Standards eine höhere Wirksamkeit im internationalen Bereich entfalten kann.

    (Zuruf von der SPD: Warum haben wir sie denn nicht? — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Was tun wir dafür, um es möglich zu machen?)

    — „Warum haben wir sie nicht?" Vielleicht hat der Bundeskanzler, vielleicht hat die Bundesregierung sich zuviel auf Herrn Lohmar verlassen.

    (Oh-Rufe von der SPD.)

    — Ich meine das nicht wörtlich. — Sie fragen: „Warum haben wir sie nicht?"

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das war unterhalb Ihrer Möglichkeiten!)

    — Ja, sicher, Sie haben recht, Kollege Schmid. Ich diskutiere ja hier als Parlamentarier und behaupte nicht, daß alles den obersten Gesetzen der Stilpflege entspricht.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Es sollten auch nicht die des Haberfeldtreibens sein!)

    Daß wir sie nicht haben, hängt damit zusammen, daß wir alle in Europa und gerade wir in Deutschland nach dem schrecklichen Mißbrauch der Technik auch für militärische, und zwar für verbrecherische militärische Zwecke irgendwie einen inneren Horror haben, daß wir glauben, uns sei es nicht mehr erlaubt, in diese Bereiche hineinzustoßen. Und davon hängt unser Leben ab, davon hängt unsere Wettbewerbsfähigkeit ab, davon hängt die Steigerung unserer Lebensverhältnisse ab. Davon hängt noch mehr ab : davon hängt unsere internationale Geltung ab. Man kann sehr wohl sagen, daß heute wirtschaftliche Stärke und das Maß der Selbstverteidigungsfähigkeit ein Nenner für internationale Geltung sind. Aber da heute keine Großmacht mehr im Gegensatz zu früher, um politische Ziele zu erreichen, das militärische Mittel wählen wird — darin sind wir uns alle einig: bewußt bestimmt nicht mehr —, kommt heute ein dritter Faktor hinzu. Das ist die Tatsache, daß aus den quantitativen Veränderungen der letzten Jahrzehnte qualitative Mutationen hervorgegangen sind und daß diese qualitativen Mutationen heute ein echtes Merkmal der Weltgeltung einer Nation sind.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das ist bester Karl Marx, was Sie gesagt haben! — Heiterkeit.)

    Die wirtschaftliche Kraft muß natürlich erhalten und ausgebaut werden. Sie wird aber nur ausgebaut werden, wenn wir auf diesem Gebiet der Zukunft den Vorrang vor dem Konsum der Gegenwart trotz aller Unpopularität zu geben bereit sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wirtschaftliche Kraft münzt sich nur dann in politische Stärke um, wenn eine entschlossene Politik wirtschaftliche Kraft und politische Stärke so kombiniert, daß das eine dem andern entspricht.
    Ich möchte hier nicht um das Urheberrecht streiten, darum, wer es zuerst gesagt hat. Ich zitiere Willy Brandt und behaupte, ich habe es noch vor ihm gesagt; aber es ist völlig gleichgültig. Man kann sich auf die Dauer nicht als wirtschaftlichen Riesen in Anspruch nehmen und als politischen Zwerg behandeln lassen. Das hängt aber auch mit der internationalen Propaganda über und gegen die Bundesrepublik zusammen.
    Die wirtschaftliche Lage: Abschwächung der Konjunktur, hohes Zinsniveau, aber trotzdem eine anhaltende Rekordhöhe der Sparleistungen und dabei unzulänglich funktionierender Kapitalmarkt, defizitäre Zahlungsbilanz. Um die jetzt allmählich kühler werdende Temperatur unserer Konjunktur unter Kontrolle zu halten und Preissteigerungen möglichst zu verhindern, hat die Bundesbank im vorigen Jahr eine Reihe restriktiver Maßnahmen eingeleitet und sie in diesem Jahr weiter verschärft.
    Diese Maßnahmen sind in der Auswirkung dadurch verschärft worden, daß der Wirtschaft und den Banken über die passiv gewordene Zahlungsbilanz in beträchtlichem Umfang weiterhin flüssige Mittel entzogen wurden. Wir hatten im Restriktionsjahr 1960 einen Devisenzufluß von rund 8 Milliarden DM. Die Zahlungsbilanz dieses Jahres wird voraussichtlich mit mindestens 2 Milliarden DM Defizit abschließen. Ich möchte mit dieser Zahl auch den Äußerungen entgegentreten, die an die Grenze der 5, 6 und 7 Milliarden gehen. Denn wir wollen einmal das Jahresergebnis abwarten und uns nicht durch Zwischenergebnisse und Schätzungen in eine Panikstimmung treiben lassen.
    Ich glaube auch, daß die Bundesbank — ich habe es selbst einmal kritisiert, weil ihre Maßnahmen die private Wirtschaft treffen, aber kaum Auswirkungen auf die öffentliche Hand haben — vorerst bei diesen Restriktionsmaßnahmen bleiben muß. Denn eine Zu-



    Strauß
    rücknahme der Restriktionsmaßnahmen würde den falschen Eindruck hervorrufen, als ob die Dinge wieder stabilisiert, im Gleichgewicht und normal seien. Darum kann man heute bei aller kritischen Würdigung der Maßnahmen der Bundesbank nicht empfehlen, diese Maßnahmen zurückzunehmen, bevor ihre Zurücknahme dem Eindruck und der Tatsache nach berechtigt ist.
    Ich möchte hier nicht weiter über wirtschaftliche Einzelheiten reden. Aber ich darf vielleicht doch darauf hinweisen, daß man heute allgemein den Fehler begeht, von der deutschen Wirtschaft schlechthin zu reden. Sie haben gestern, Herr Kollege Erler, es mit Recht unternommen, zu sagen: Die Dinge sind branchenmäßig, sektorenmäßig ganz verschieden; man kann die Verhältnisse im Bergbau und in der Stahlindustrie nicht mit den Verhältnissen etwa bei der Großchemie, dem Fahrzeugbau oder der Elektrotechnik vergleichen. Man kann nicht sagen, der deutschen Wirtschaft schlechthin gehe es heute miserabel. Man sollte sich auch hier vor übertreibenden Epitheta ornantia hüten und nicht von Katastrophen reden, von der Wirtschaftskatastrophe, der Zahlungsbilanzkatastrophe, der Bildungskatastrophe usw. Wir, diese Generation, der ich angehöre, der Sie, Herr Kollege Erler, angehören, wir haben in unserem Dasein erlebt, welche Vorgänge den Namen „Katastrophe" in vollem Umfang rechtfertigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sollten uns deshalb hüten, durch Anwendung einer falschen Terminologie psychologische Reaktionen hervorrufen, die einfach mit den Tatsachen in Dimension und Proportion nicht übereinstimmen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte beinahe sagen, daß es ein Anzeichen einer Degenerationserscheinung wäre, große geschichtliche Terminologien für kleine Vorgänge anzuwenden. Denn das würde bedeuten, daß wir die Maßstäbe nicht mehr unterscheiden können und daß bei uns der Prozeß der geistigen Provinzialisierung so weit fortgeschritten ist, daß wir für einen Vorgang nicht mehr die richtige Bezeichnung finden können.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat auch keinen Sinn, zu sagen: die importierte Inflation ist schuld wie früher, oder: die Unternehmen sind schuld, die Gewerkschaften sind schuld, die Verbraucher sind schuld, die Regierung ist schuld, die Opposition ist schuld. Nein, es stehen, wie ich heute schon ausgeführt habe, Inhalt und Stil einer Aufbaupolitik, die aber heute abgeschlossen ist, zur Diskussion. Für die neue Phase den richtigen Inhalt und den richtigen Stil zu finden, ist Aufgabe der Regierung, aber auch Aufgabe der Opposition. Beide müssen zusammenwirken, um den neuen Aufgaben gerecht zu werden.
    Dazu gehört auch, Herr Kollege Erler, daß Sie, der Kollege Schmidt und andere gestern dem Bundeskanzler usw. Wortbruch vorgeworfen haben; na ja. Dazu gehört auch, daß wir unserer Öffentlichkeit, mag sie sich für die CDU/CSU, für die SPD oder für die FDP entschieden haben, klarmachen, daß jetzt
    die Zeit des stürmischen Wachstums, die Zeit der großen Sprünge, die Zeit der großen Geschenke, die Zeit der stürmischen Steigerungen unserer Möglichkeiten vorbei sind, daß wir jetzt ein Normalmaß an Dasein erreicht haben — was den Ausgleich von Härten nicht ausschließt —,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    als Grundlage dafür, die Existenzfähigkeit, die politische Geltung und die Lebensrechte der zukünftigen Generation im geteilten Deutschland zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte jetzt nicht über Zuwachsraten der Löhne, Arbeitszeit usw. sprechen. Aber ich möchte hier doch eines zum Ausdruck bringen, gerade weil gestern vom Verhältnis zu den Gewerkschaften die Rede war, Herr Kollege Erler: Es ist nicht zu verantworten, wenn von verantwortlicher Gewerkschaftsseite die Automation als ein Schreckgespenst, als Quelle einer zukünftigen Arbeitslosigkeit an die Wand gemalt wird, wie es von Herrn Brenner geschehen ist.

    (Unruhe bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das ist gar nicht wahr!)

    — Ich habe die Sache gelesen und mußte sie so interpretieren.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Er ist kein Maschinenstürmer!)

    — Er ist kein Maschinenstürmer.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Er will nur, daß wir rechtzeitig an mögliche Konsequenzen denken! Bei der Dampfmaschine hat man nicht rechtzeitig an die Konsequenzen gedacht!)

    — Ich gehe gleich darauf ein.

    (Abg. Matthöfer: Sind Sie bereit, Herr Kollege Strauß, sich von Herrn Professor Burgbacher, der an der Automationstagung der IG Metall teilgenommen hat, über die tatsächliche Position der IG Metall aufklären zu lassen?)

    — Ich bin selbstverständlich immer bereit, mich aufklären zu lassen. Das dient der Behebung des Bildungsnotstands, dem jeder von uns ausgesetzt ist. Aber ich habe mich hier, Herr Kollege, nur auf das bezogen, was ich in der Presse, die Sie sonst auch immer zitieren, über den Kongreß der IG Metall in Bremen gelesen habe.
    Ich möchte dazu zwei Dinge sagen. Wir sind in der glücklichen Lage, in dem Zustand der Übervollbeschäftigung bei einem Defizit von beinahe 2 Millionen Arbeitskräften den Prozeß der Automation, der sicherlich im Einzelfall Härten schafft, besser durchzustehen als z. B. die Vereinigten Staaten von Amerika, die diesen Prozeß mit einer Dauerarbeitslosigkeit von etwa 4 Millionen Nichtbeschäftigten durchzustehen haben.
    Ich wage aber noch ein Zweites zu sagen. Ganz gleich, ob man konservativ oder progressiv denkt — darum geht es gar nicht —: uns ist der Zwang zur Automation — im übrigen ein ganz schlechtes



    Strauß
    Wort; es ist eine der mißglückten Sprachbildungen, die wir aus dem Bereich der englischen Sprache übernommen haben —

    (Zuruf von der SPD: Es wird sich einbürgern!)

    als ein unveränderliches Datum vorgegeben, ob wir das wünschen oder nicht wünschen. Sonst müßten wir Deutschland auf eine Südseeinsel mit primitiven Lebensverhältnissen verlegen. Aber wir in der EWG, im atlantischen Konkurrenzkampf mit den Vereinigten Staaten von Amerika, im wirtschaftlichtechnischen Konkurrenzkampf mit der kommunistischen Welt, wir mit der ständig wachsenden Bevölkerung, auf gleichbleibend kleinem Raum schnell wachsenden Bevölkerung, wir mit unserem Drang, mit unserem — ich darf sagen — berechtigten Standpunkt, uns in dieser internationalen Welt, bei unseren Bündnispartnern gegenüber dem Osten zu behaupten, die Bundesrepublik Deutschland zu einem politischen Gewicht zu machen, wir können gar nicht anders, als den Prozeß der technischen Rationalisierung so schnell wie möglich zu durchlaufen, um jeweils an der Spitze des technischen Fortschritts zu bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dazu gehört auch — ich habe es vorhin erwähnt —, daß wir es uns auf die Dauer nicht leisten können, für die Nutzung ausländischer Patente ein Mehrfaches an Lizenzgebühren zu zahlen, als wir für die Nutzung deutscher Patente im Ausland bekommen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Frankfurt].)

    — Genau das; darin sind wir uns völlig einig. Vor dem zweiten Weltkrieg war es umgekehrt. Heute ist es so, wie ich es geschildert habe. Da haben wir gar keine andere Wahl, als unter Verzicht auf bestimmte Gegenwartsforderungen zu diesem zukünftigen Bereich durchzustoßen. Das ist keineswegs ein ehrgeiziger, größenwahnsinniger Anspruch, das ist eine Selbstverständlichkeit für diejenigen, die nur ein paar Jahre überhaupt in die nächste Zukunft hineinplanen müssen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Wollen wir darüber reden, worauf wir verzichten wollen?)

    — Ja, darüber sollten wir reden.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Hier?)

    — Darüber sollten wir reden; wir können hier darüber reden.

    (Abg. Erler: Fernsehzeit!)

    — Ich will es nicht tun, Herr Kollege Erler, damit ich mir nicht Ichren Vorwurf „Fernsehzeit" gegebenenfalls zu Recht zuziehe. Aber wir sollten und könnten darüber reden. Wir können es anderswohin verlegen. Wir müssen aber bestimmte Wünsche, die von ein und derselben Seite mit der gleichen Nachdrücklichkeit an uns herangetragen werden, strekken, zurückweisen, in der Erfüllung vermindern, weil wir sonst einfach unsere Kräfte überfordern.
    Solange wir aber ,die gegenwärtige Übervollbeschäftigung haben, können wir uns doch ohne soziale Härten und ohne besondere Inanspruchnahme des Staatshaushalts oder des Sozialhaushalts den Prozeß der Automatisierung unserer Wirtschaft erlauben, und wir sollten davon Gebrauch machen. Ich mache Sie, Herr Kollege Erler oder wer vorhin die Zwischenfrage gestellt hat, wirklich nicht für die Äußerungen bei der IG Metall oder einzelner Redner verantwortlich. Aber glaubt man denn, daß etwa ein Ministerium für Automatisierung, wie es dort gefordert worden ist, ein Ministerium für Automation die Dinge besser lösen kann? Das ist doch ein Rückfall in planwirtschaftliches Denken, daß man eine Behörde braucht, um ein Problem lösen zu können. Das Problem, das gelöst werden soll, nämlich Arbeitslosigkeit im Zuge der Automation zu vermeiden, dieses Problem ist ja gelöst, und zwar durch unsere Wirtschaftspolitik. Deshalb sollten wir die Chance nutzen, auch den Vorteil eines Nachteils in Anspruch zu nehmen.
    Ich habe über den Arbeitsmarkt eine Bemerkung gemacht. Herr Bundesfinanzminister, ich hoffe, daß zwischen Ihnen und Ihrer Partei Übereinstimmung darüber besteht, daß ,die Frage verfassungsrechtlicher Bedenken im Falle der Begünstigung von Überstunden nicht allzu stark in den Vordergrund gestellt werden soll. Man gerät nämlich häufig in Gefahr, verfassungsrechtliche Bedenken zu erwähnen, wenn man andere Gegengründe hat. Es gab ja früher einmal eine solche Regelung, und wir sollten uns ernsthaft überlegen, ob diese Regelung dem heute ohne Zweifel vorhandenen Mißstand wenigstens in etwa steuern kann.
    Das Problem des Arbeitsmarktes ist der Schlüssel zu allen anderen Problemen, und es ist müßig, über Lohndruck zu reden. Solange ein solches Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besteht, wird man weder von staatlicher Seite noch auf seiten der Unternehmer dem Gesetz der Marktwirtschaft nachdrücklich widerstehen können.

    (behaupten, daß die Regierungserklärung sich gegen die Arbeitnehmer wende. Das stimmt einfach nicht. Ich bin ja oft mit dem „Bayern-Kurier" usw. in Anspruch genommen worden, aber ich scheue mich nicht, vor jedem Gremium zu jeder Zeit zu erklären, daß der deutsche Arbeiter keiner Politik so viel zu verdanken hat wie der unter dem Namen Ludwig Erhards laufenden Marktwirtschaftspolitik. Wenn Sie, Herr Kolege Möller, der Sie auch in einer schwierigen Situation sind, zusammenhalten müssen, was einerseits Ihre berufliche Ausbildung, Ihre berufliche Erfahrung und Ihre beruflichen Lehren sind und andererseits Ihre parteipolitische Aussage ist, dann kommen Sie auch dauernd in gewisse Schwierigkeiten, und wenn Sie sich mit Ihresgleichen unterhalten, hören Sie genau das, was Sie hier von dieser TriStrauß büne oder anderswo bekämpfen. Das wollte ich nur sehr vorsichtig und höflich angedeutet haben. Es gibt eine Reihe von Überlegungen, die wir gemeinsam anstellen müssen: Wissenschaft und Forschung, Bildung, Ausbildung, Investitionen. Ich möchte hier einmal eines sagen: Es ist einfach nicht wahr, daß in Deutschland die Sozialinvestitionen in sträflicher Weise vernachlässigt worden sind. Wenn man die Zahlen von 1950 bis 1963 nimmt, wird man feststellen, daß sich die Sozialinvestitionen von damals bis heute — absolut gesehen — verzwölffacht haben. Ich weiß, daß das Bezugsjahr 1950 seine besonderen Schwierigkeiten aufweist, aber immerhin: Wenn die Sozialinvestitionen sich — ich habe hier die Zahlen vom Jahre 1950 — von 1 377 900 000 DM — Bund, Länder und Gemeinden und sonstige Haushalte wie Lastenausgleich — bis zum Jahre 1963, wobei 1960 das Saargebiet dazugekommen ist, auf 14 253 600 000 DM erhöht haben, so bedeutet das, daß der Anteil der Sozialinvestitionen am Gesamthaushalt der öffentlichen Hand von 5% damals auf 12,4% im Jahre 1963 angestiegen ist und die Zahlen sich absolut verzwölffacht haben. Meine Damen und Herren, Sie kommen sicherlich genauso oft in das europäische und in das nichteuropäische Ausland wie wir. Niemand kann bezweifeln, daß sich die Infrastruktur unseres Landes mit der Infrastruktur aller anderen europäischen Länder mindestens vergleichen läßt und sogar, wenn ich an die Überalterung bestimmter Einrichtungen in Ländern der EWG, in Ländern der NATO-Partner in Europa denke — ohne sie jetzt namentlich aufzuzählen — weit vor ihnen den Vorsprung hat und sich in bestimmten Bereichen durchaus mit der Infrastruktur der Vereinigten Staaten von Amerika vergleichen läßt. Ich wollte damit nur der Legende entgegentreten, als ob bei uns die Sozialinvestitionen in einer schrecklichen Weise zugunsten der Rüstung oder zugunsten des zivilen Bevölkerungsschutzes oder zugunsten irgendwelcher Gruppeninteressen vernachlässigt würden. Ich möchte andererseits auch sagen — und darin Herrn Kollegen Erler und auch Herrn Kollegen Alex Möller weitgehend recht geben —, daß man die Investitionen der Gemeinden nicht schlechthin als Verschwendung der öffentlichen Hand brandmarken kann. Wenn wir in unsere Wahlkreise kommen, gerade als ehemalige Landräte — Sie waren es, Herr Kollege Erler, ich war es —, dann sagen die Landräte und Oberbürgermeister: Ja, alles recht und schön, es gibt Dinge, die wir zurückstellen können. Dazu gehören Hallenschwimmbäder und Sportanlagen und sonstige durchaus verständliche, vernünftige oder berechtigte Einrichtungen. Aber wir können nicht Krankenhäuser, Schulen, Kanalisation, Wasserversorgung und zum Teil auch Straßen zurückstellen. Das ist die Crux, in der wir uns befinden. Aber wer sagt, hier muß ein bestimmter Prozentsatz der Einkommensteuer den Gemeinden zugewiesen werden, der muß auch sagen, was dann beim Land oder beim Bund, wo der Betrag abgezweigt wird, eingespart werden soll. Wir haben ein Beispiel dafür; es ist nicht aus wahlpolitischen Überlegungen entstanden. Der Vorgänger des jetzigen bayerischen Finanzministers, Rudolf Eberhard, sicherlich ein anerkannter Mann der Finanzpolitik in der Bundesrepublik, hat einen Plan entworfen — den Eberhard-Plan —, der von den Gemeinden begeistert begrüßt worden ist. Danach wird der Ertrag der Kraftfahrzeugsteuer mittelbar oder unmittelbar den Gemeinden zugewendet. Das Ergebnis ist, daß die Gemeinden zwar mehr Mittel haben, um Wege und Straßen zu bauen, daß aber heute für den Staatsstraßenbau im Lande Bayern nicht mehr die Mittel zur Verfügung stehen, die erforderlich sind, weil auch der Kultushaushalt auf Grund der Überlegungen und Gegebenheiten, die wir heute schon erwähnt haben, einen übermäßig hohen Anteil am Gesamthaushalt und eine überproportionale Zuwachsrate für sich in Anspruch nimmt. Das führt aber dazu, daß wir uns heute nicht gegenseitig beschuldigen sollten: die haben es falsch gemacht, jene haben es falsch gemacht, die haben zuviel versprochen; es stimmt auf allen Seiten, intra muros, extra muros. Wir kommen um die eiserne Konsequenz nicht herum, daß Prioritäten gesetzt werden müssen. Dabei möchte ich eine Priorität so ausdrücken, Herr Kollege Schmid, daß der Schwerpunkt des Ausgabenzuwachses auf Zukunftsinvestitionen und nicht auf Förderung des Gegenwartskonsums gelegt werden muß. Es wäre töricht, zu sagen, wir sollten den Schwerpunkt der Ausgaben auf Wissenschaft und Forschung legen. Den Schwerpunkt der Ausgaben bilden einmal die Sozialleistungen und zum zweiten die äußere und innere Sicherheit, und zwar der absoluten Größenordnung und dem prozentualen Anteil nach. (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Genau das, was Alex Möller gesagt hat!)


    (Beifall bei der CDU/CSU.)


    (Heiterkeit in der Mitte.)





    (Beifall in der Mitte)


    (Beifall bei den Regierungsparteien.)


    (Beifall in der Mitte.)

    Darüber gibt es keinen Zweifel. Das sind Selbstverständlichkeiten, derentwegen wir uns gegenseitig bestimmt keine Vorwürfe machen. Wir sollten aber den Schwerpunkt des Ausgabenzuwachses, der jetzt nach dem Sparprogramm und, ich denke, noch weiteren Einsparungen, die notwendig sind, als freier Raum übrigbleibt, nicht zur Förderung des Gegenwartskonsums verwenden — so populär und attraktiv und wahlpolitisch das alles wäre —, sondern wir sollten ihn in die Zukunft hinein verlegen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe vor kurzem eine Rede von Professor Wiesner, dem Berater von Präsident Kennedy, gelesen, in der er gesagt hat, daß 12,3 Millarden Dollar für das nationale Wissenschafts- und Forschungsprogramm ausgegeben würden. Er sagte weiter, daß das mehr als das sei, was die Vereinigten Staaten seit der Revolution im 18. Jahrhundert bis zum Ende des zweiten Weltkrieges ausgegeben hätten. Das heißt, die Vereinigten Staaten gaben für diesen



    Strauß
    Schwerpunkt in einem Jahr mehr aus, als sie in 180 Jahren ihrer Geschichte ausgegeben haben. Ich habe mit Neid darin gelesen und mich dabei Ihrer Worte erinnert, Herr Kollege Schoettle, daß die 12,3 Milliarden Dollar ein Drittel des disponiblen Teils des amerikanischen Haushalts darstellen. Der amerikanische Haushalt mag bei 80 Milliarden Dollar liegen. Damit wären 36 Milliarden Dollar disponibel und 44 Milliarden Dollar gebunden. Wenn man die Frage stellt, was bei uns durch Gesetzentwürfe von Regierung, Koalition und Opposition gebunden ist, dann kommen wir in einen Bereich hinein, der etwa —genau kann ich es nicht sagen — bei 90 %, wenn nicht darüber liegt, und damit hört eine gestaltende Politik schlechthin auf.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Damit wird eine Regierung und ihr Kontrollorgan, das Parlament, zu nichts anderem als zu einer Buchhalterexekutivfunktion degradiert,

    (erneuter Beifall in der Mitte)

    und dem müssen wir gemeinsam entgegenwirken.
    Ich habe mich bewußt im größten Teil meiner Ausführungen den innenpolitischen Themen zugewandt, weil sie mit Recht im Vordergrund des Interesses stehen. Vom Kollegen Erler ist gestern eine Reihe durchaus zutreffender Bemerkungen zu bestimmten außenpolitischen Fragen gemacht worden. Zu einigen Bemerkungen von Ihnen, Herr Kollege Erler, möchte ich einige Anmerkungen machen.
    Sie sagten z. B., in der Frage der Reform der NATO, in der Frage des Einsatzes und der Entscheidungsbefugnis über den Einsatz von Kernwaffen gehe es Ihnen in erster Linie um ein negatives Selbstbestimmungsrecht, um ein Veto für die Waffen, die auf deutschem Boden stehen oder gegen deutschen Boden eingesetzt werden könnten. Ich gebe Ihnen völlig darin recht, Herr Kollege Erler, daß für uns hier die Verantwortung nicht an der Zonen-Demarkationslinie endet, sondern daß für ,uns in unserer militärischen Planung, soweit wir auf die Entschlüsse der Kernwaffenbesitzer Einfluß nehmen können, auch die Frage der Zielwahl jenseits der Zonengrenzen von entscheidender Bedeutung ist. Ich glaube, Sie werden mir nicht widersprechen, wenn ich noch weitergehe und sage, daß wir auch ein gewisses Maß an Mitverantwortung für die Erhaltung der europäischen Substanz haben und daß wir deshalb auch für die Länder wie Polen, Tschechoslowakei, Ungarn usw. — ich rede nicht vom „Ostland" — ein gewisses Maß an Mitverantwortung haben, weil die Frage des Einsatzes von Kernwaffen sehr wohl eine Frage sein kann, die endgültige Entscheidungen vorwegnimmt. Darin sind wir uns einig. Bloß, Herr Kollege Erler: wie glauben Sie, daß man durch Information, Konsultation und Beratung dieses negative Recht, dieses Vetorecht ausüben kann? Wir enden immer wieder an ein und derselben Grenze, nämlich daß derjenige, der über den Einsatz von Kernwaffen kraft eigener Souveränität und kraft eigenen Besitzes verfügen kann, in der Stunde der Not in der Wahl seiner Entscheidung frei ist, Das macht für uns doch die
    Tragik der Situation aus. Wir wissen, daß wir aus unseren besonderen Gegebenheiten heraus nationale Kernwaffen weder anstreben wollen noch anstreben dürfen.
    Diese Fragen — MLF, ANF usw. — werden von dem Herrn Bundeskanzler in den USA wahrscheinlich bis zum Überdruß behandelt werden müssen. Ich möchte sagen, daß wir jeder politischen Lösung, die uns ein vermehrtes Maß an Information, ein vermehrtes Maß an Konsultation und ein vermehrtes Maß an Mitberatung gibt, zustimmen sollten. Ich möchte zunächst für meine Person sagen, aber ich glaube, ich kann es auch für manchen anderen sagen: wir sollten bei physischen Lösungen größte Vorsicht walten lassen, und zwar deshalb, weil die Zustimmung zu einer physischen Lösung nicht verbunden sein darf mit der Zustimmung zu einer deutschen Unterschrift unter einen Non-Proliferation-Vertrag. Wir müssen jedes Maß an vermehrtem Einfluß in der Kernwaffenplanung der NATO ausnutzen, als loyale Partner in Anspruch nehmen und loyal mitwirken. Aber wir sollten sehr vorsichtig sein mit der Zustimmung, mit der Inaussichtstellung einer deutschen Unterschrift unter einen sogenannten Atomwaffensperrvertrag, einen NonProliferation-Vertrag. Hier sollten wir sehr, sehr zurückhaltend sein, die Dinge prüfen und uns nicht zu schnell etwa wieder unter Druck setzen lassen.
    Dabei mache ich auf etwas aufmerksam, was nach meiner Kenntnis der Debatte bis jetzt nicht gesagt worden ist. Jeder solche Vertrag wirft ein Problem auf, das wir kaum bewältigt haben, nämlich das Problem der Unterschrift der Verwaltung der SBZ, d. h. das Problem der Unterschrift der sogenannten DDR. Je mehr internationale Verträge dieser Art, so gut sie gemeint sind, die Unterschrift der Zonenregierung tragen, desto mehr wird der Weg zur praktischen und juristischen Anerkennung der Zweiteilung Deutschlands vorwärtsgegangen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist die Frage, die wir uns bei aller Zustimmung zu dem humanitären Anliegen, zu dem politischen Anliegen eines Non-Proliferation-Vertrages überlegen sollten.
    Als Parlamentarier hat man das Recht, frei zu reden, innerhalb gewisser Grenzen natürlich, vielleicht leichter zu reden, als es die unter gewissen Einflüssen und auch unter gewissen Verhaltensregeln stehenden Regierung tun kann. Darum sollten wir hier der Regierung ganz offen sagen: Keine Zustimmung geben, bevor die Dinge bis ins letzte geprüft sind!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Regierung sollte die Gewißheit haben, daß sie von diesem Parlament unterstützt und nicht allein gelassen wird. Die Regierung sollte wissen, daß sie nicht unter den Druck der öffentlichen Meinung in Deutschland oder unter den Druck einer leicht herzustellenden Weltmeinung gesetzt werden kann,

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Strauß
    Wir können nicht ein Erstgeburtsrecht der deutschen Souveränität verkaufen für ein Linsengericht einer temporären physischen Lösung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Aussage wäre unvollkommen, wenn ich nicht sagte: Wir sind bereit, das Erstgeburtsrecht der deutschen Souveränität jederzeit in eine europäische Gemeinschaft einzubringen und damit unseren Nachbarn im Osten und im Westen, im Norden und im Süden den von der kommunistischen Propaganda gebrauchten und mißbrauchten Alpdruck zu nehmen, daß eine große deutsche Nation mit 80 Millionen Einwohnern, wiedervereinigt, mit großem wirtschaftlichem Potential, eines Tages auch ein gleich starkes militärisches Potential repräsentieren und deshalb zu einer neuen Belastung der europäischen Geschichte führen würde. Das eine hält dem anderen die Waage.
    Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren — und ich darf das in aller Bescheidenheit, mit aller Zurückhaltung sagen —, wir können uns auch nicht ohne weiteres mit der britischen Haltung einverstanden erklären. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, las man vor den britischen Wahlen, das eine sozialistische Regierung in Großbritannien die britische Abschreckungswaffe abbauen, notfalls sogar ins Meer werfen werde, um einer Proliferation vorzubeugen. Ich glaube kaum, daß mein Gedächtnis mich hier trügt. Nach den Wahlen hört man von Ihrem Gesprächspartner, Herr Erler, einem sehr potenten, fähigen, intelligenten Mann, Herrn Dennis Healy, etwas ganz anderes. Er hat nämlich — wenn ich den „Münchner Merkur" vom letzten Samstag zitiere — den Vorschlag McNamaras, die vier britischen Polaris-U-Boote entweder an die Amerikaner oder an die NATO zu verkaufen, d. h. zu internationalisieren, als den dümmsten Vorschlag bezeichnet, der jemals gemacht werden könnte.
    Es heißt weiter, daß sicherlich in der NATO das Prinzip der Gleichberechtigung herrsche, daß es aber einen Unterschied gebe infolge der Lage, der Aufgabenstellung usw. und daß deshalb gewisse Bündnispartner gleichberechtigter sein müßten als andere. Hier komme ich mit meinen einfachen Vorstellungen nicht mehr zurecht. Ich glaube, daß wir, die wir alle diesem Problem — sei es so, sei es so — aber mit demselben Respekt gegenüberstehen, uns eines vornehmen sollten: mit den europäischen Bündnispartnern der NATO echte Gleichberechtigung zu erlangen. Die echte Gleichberechtigung kann nicht auf dem Wege über deutsche Kernwaffen erreicht werden, — um von vornherein diese mögliche Unterstellung zu vermeiden. Sie kann nur erreicht werden, wenn wir, das Ziel kennend, den Weg finden, nämlich eine europäische Lösung anstreben, eine europäische Lösung, daß die zweite Großmacht des Westens, wie Herr Kollege Barzel es gestern gesagt hat, nicht die dritte Kraft, die in der Lage ist, eine Verschiebung des politischen Kräfteverhältnisses in der Welt, auch in Europa und gegenüber dem Osten herbeizuführen, das gleiche Maß an Souveränität für sich langfristig beansprucht und eigene Verteidigungsfähigkeit erlangt wie die Vereinigten Staaten von Amerika.
    Herr Kollege Erler, Sie haben mich gestern angesprochen, mit Recht angesprochen, darf ich sagen, wegen meiner angeblichen Außerung über den Rückzug von 50 % der amerikanischen Truppen. Ich begrüße sogar die Gelegenheit, weil ich sie sonst an den Haaren herbeiziehen müßte. Wenn Sie die amerikanische Ausgabe der „New Vork Times" lesen und sie mit der europäischen Ausgabe vergleichen, dann werden Sie feststellen, daß die amerikanische Ausgabe etwas anderes enthält als die europäische Ausgabe. Wir haben an beide Redaktionen einen Leserbrief geschickt. Die amerikanische Redaktion hat erwidert: Wir haben keinen Grund, den Leserbrief abzudrucken, weil wir es ja richtig gebracht haben. Die europäische Redaktion hat bis zur Stunde keine Antwort gegeben. Deshalb darf ich das mit nur ganz wenigen Sätzen zurechtrücken.
    Ich bin kein Anhänger der Formel: „Ami go home", Abzug der amerikanischen Truppen. Ich bin aber sehr wohl der Meinung, daß man den Amerikanern auf die Dauer das Monopol der Totalverantwortung für die freie Welt bei mangelhafter Beteiligung der übrigen Partner nicht zumuten kann. Ich bin der Meinung, daß dieses Europa nach dem 2. Weltkrieg, nicht zuletzt dank amerikanischer Hilfe, die Kraft und die Fähigkeit hat, bei entsprechender Ausnutzung seiner Quellen zu einem echten Partner der Amerikaner zu werden und nicht nur Brückenkopf oder Atomprotektorat zu sein. Ich habe unter dieser Voraussetzung, Herr Kollege Erler, gesagt: Wenn ein vereinigtes Europa zustande kommt, wenn dieses Europa seine Streitkräfte integriert und damit seine heutige militärische Fähigkeit potenziert, wenn dieses Europa ein eigenes Kernwaffenpotential hat, dann kann man selbstverständlich daran denken, das gegenwärtige Ausmaß der amerikanischen Streitkräfte in Europa um ein erhebliches Maß bis zu 50 % zu verringern. Das ist auch meine Meinung. Diese Meinung mag falsch sein. Aber ich glaube, daß diese Meinung jedenfalls diskutabel ist, und sie hat nichts zu tun, sie hat auch nicht das leiseste zu tun mit irgendeiner — —


Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr, Mommer?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Mommer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Strauß, sind Sie sich bewußt, daß Sie in 10 Minuten zwei Stunden gesprochen haben werden und daß dann doch der Verdacht aufkommt, daß das etwas mit Sendezeiten zu tun haben könnte?