Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 107. Sitzung des Deutschen Bundestages am 22. Januar 1964 habe ich hier den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache IV/1805 zur Änderung des Kriegsgräbergesetzes behandelt. Wir waren bei der Einbringung unseres Antrags der Auffassung, daß eine Neufassung des Kriegsgräbergesetzes von 1952 nicht erforderlich sei, sondern daß eine Novellierung genügen werde.
Wir haben mit unserem Antrag erreicht, daß die Bundesregierung, allerdings mehr als ein halbes Jahr später, erstens den Entwurf eines Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft auf Drucksache IV/2529 und zweitens den Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes — Art. 74 Nr. 10 — auf Drucksache IV/2531, beides vom 18. August 1964, einbrachte, die dann genauso wie der Antrag der Sozialdemokraten dem Innenausschuß zur weiteren Beratung überwiesen wurden.
Im Innenausschuß haben wir uns dann als Antragsteller des Antrages auf Drucksache IV/1805 damit einverstanden erklärt, daß unser Antrag gemeinsam mit den Vorlagen der Bundesregierung behandelt wurde.
Obwohl wir zunächst der Auffassung waren, daß eine Änderung des Grundgesetzes nicht notwendig sei, haben wir aber im Laufe der Verhandlungen doch vorgezogen, dieser Grundgesetzänderung zuzustimmen, da dadurch der bisher sehr enge Bereich des Art. 74 Nr. 10, der tatsächlich nur Kriegsgräber einschloß, durch die Neufassung, wie sie nunmehr zur Beschlußfassung vorliegt, eine einwandfreie gesetzlich fundierte Einbeziehung der bisher nicht gesicherten Gräber von Krieg und Gewaltherrschaft sicherstellt. Hier sind auch die Gräber von Personen, die infolge von Maßnahmen zur Verhinderung ihrer Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands oder dem Sowjetsektor Berlins zu Tode gekommen oder gestorben sind, sowie die Gräber von Vertriebenen, die Gräber von Deutschen, die verschleppt worden sind, die Gräber der in Internierungslagern Verstorbenen und der zur Leistung von Arbeiten in das deutsche Reichsgebiet verbrachten oder hier gegen ihren Willen festgehaltenen Ausländer eingeschlossen. Die Gräber der Opfer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen, der in Konzentrationslagern Verstorbenen und durch solche Maßnahmen zu Tode Gekommenen werden von dem Gesetz nunmehr eindeutig erfaßt.
Aus diesem Grunde stimmen wir der Grundgesetzänderung zu und bitten auch Sie, dem Antrag auf Drucksache IV/2531 zuzustimmen.
Herr Präsident, gestatten Sie mir, daß ich in diesem Zusammenhang noch einige Worte zum Kriegsgräbergesetz — Drucksache IV/2529 — sage.
Mit der Ablösung des bisherigen Kriegsgräbergesetzes von 1952 durch die jetzt vorliegende Neufassung ist eine neue Rechtssetzung erfolgt, die nunmehr den vorher genannten Kreis von Betroffenen eindeutig einbezieht und deren Gräber ein für allemal sicherstellt. Eine Aufhebung dieser Gräber durch Auslauf der normalen Ruhefristen kann nicht mehr erfolgen.
Die finanziellen Belastungen durch dieses Gesetz werden, wie bisher, den Ländern vom Bund erstattet. Die zeitweise bestehende Auffassung des Bundes, daß die entstehenden Lasten auf die Länder abgewälzt werden sollten, ist damit beseitigt.
Wir begrüßen das auch aus einem anderen Grunde ganz außerordentlich. Nunmehr steht einwandfrei fest, daß die Betreuung aller dieser Gräber der in dem Gesetz genannten Opfer, besonders auch der Opfer des Nationalsozialismus, und der Kriegsgräber, soweit sie nicht Soldatengräber sind, Aufgabe des Bundes ist.
Damit wird den Völkern und Staaten, besonders auch denen, in denen bisher eine Betreuung der Gräber unserer Soldaten und der dort beigesetzten Opfer der Gewaltherrschaft nicht vorgenommen wurde, eindeutig vor Augen geführt, daß auch sie eine moralische Verpflichtung haben, die Gräber zu unterhalten oder aber durch Zustimmung dem Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge die Genehmigung zu erteilen, daß er geeignete Gräberstätten entweder neu anlegen oder vorhandene in seine Obhut nehmen kann.
Wir haben mit diesem Gesetz die Ehrenschuld gegenüber den Toten des Krieges erfüllt. Wir sind aber nunmehr nicht nur gegenüber den Toten des Weltkrieges, sondern auch gegenüber den Opfern der Gewaltherrschaft unserer moralischen Verpflichtung nachgekommen. Wir haben den Wunsch, daß die Umwelt unserem Wege folgen möge. Wir sind bereit, alles zu unterstützen, was diesem Ziele dient. In dieser Erwartung bitte ich Sie, den beiden Gesetzesvorlagen zuzustimmen.