Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mit der Beantwortung der Großen Anfrage beginne, darf ich vielleicht einen Satz vorweg sagen. Ich darf, Herr Präsident, dem Hohen Hause dafür danken, daß es sehr rasch, noch vor der Weihnachtspause und damit in dem kürzestmöglichen Zeitraum, einen neuen Wehrbeauftragten bestellt hat. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, zum Ausdruck zu bringen, daß sich sowohl das Bundesministerium der Verteidigung als auch die Bundeswehr selbst bemühen werden, mit dem neuen Wehrbeauftragten zusammenzuarbeiten und ihm seinen Auftrag und seine Aufgabe zu erleichtern.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1964 7597
Bundesminister von Hassel
Ich möchte dem Hause dafür danken, daß es zu dieser raschen Entscheidung gekommen ist.
In Beantwortung der Großen Anfrage der Freien Demokratischen Partei darf ich zunächst einmal folgendes sagen.
In Punkt 1 wird gefragt:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um in der deutschen und ausländischen Öffentlichkeit den unberechtigten Vorwurf, in der Bundeswehr bestehe ein Trend zum Staat im Staate, nachdrücklich und überzeugend zu widerlegen?
Meine Damen und Herren! Die Erklärungen des Herrn Bundestagspräsidenten und des Herrn Bundeskanzlers in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. Juni 1964 sind der Truppe als „Aktuelle Information" im Wortlaut mitgeteilt worden. Jeder Angehöriger der Bundeswehr ist dadurch in die Lage versetzt worden, Behauptungen in der Öffentlichkeit zu begegnen, in der Bundeswehr sei der Trend zum Staat im Staate unverkennbar.
Die erwähnten Erklärungen werden auch in der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr bei jedem geeigneten Anlaß verwertet, insbesondere in den Wehrpolitischen Seminaren und Tagungen an der Schule der Bundeswehr für Innere Führung mit Vertretern der verschiedensten Berufsgruppen. Es ist ferner beabsichtigt, durch Neuauflage oder Neuherausgabe geeigneter Schriften die Eingliederung der Bundeswehr in den demokratischen Staat überzeugend darzulegen.
Der Erfolg dieser Bemühungen ist, wie in der Vergangenheit so in der Zukunft, jedoch auch davon abhängig, daß die Aufklärungsarbeit der Bundeswehr von den in Frage kommenden Institutionen im zivilen Bereich mitgetragen wird.
Das Echo im westlichen Ausland — in der Richtung geht die Frage — ist unterschiedlich. Wenn auch zum Teil der Vorwurf, die Bundeswehr drohe sich zu einem „Staat im Staate" zu entwickeln, nicht aufgenommen wurde, so ist leider in einigen Ländern eine negative Reaktion zu verzeichnen gewesen.
In den kommunistisch beherrschten Ländern, die schon immer versucht haben, die Bundeswehr als militaristisches und revanchistisches Element zu diffamieren, sind diese Tendenzen unter Zitierung von Sätzen des Wehrbeauftragten aus der „Quick" natürlich erheblich intensiviert und gegenüber dem neutralen Ausland verstärkt worden.
Die Bundesregierung verstärkt demgegenüber ihre Bemühungen, ausländischen Besuchern — Beamten, Journalisten, Politikern, Offizieren und anderen maßgeblichen Persönlichkeiten — Einblick in die Einrichtungen der Bundeswehr und ihren militärischen Beitrag zur NATO zu geben, um dadurch ein wirklichkeitsgetreues Bild von der Bundeswehr zu vermitteln. Die Militärattachés in den deutschen diplomatischen Vertretungen, die unmittelbar über die Vorgänge unterrichtet worden sind, erhalten vermehrt Filme, Broschüren und sonstiges Informationsmaterial für die Öffentlichkeitsarbeit.
Die zweite Frage lautet:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um die in der Truppe vorhandene Unruhe zu beseitigen, die durch eine verallgemeinernde Darstellung und Betrachtung vorhandener Mißstände entstanden ist?
Die Bundesregierung hat bereits am 25. Juni 1964 in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag unmißverständlich festgestellt, daß mit „Überspitzungen und Verallgemeinerungen" ... „der Bundeswehr kein guter Dienst erwiesen" worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat ferner erklärt, daß „Treue, Gehorsam und Pflichterfüllung ... Achtung, Schutz und Vertrauen verdienen" und „... das mit geringen Ausnahmen für die militärischen Führer aller Dienstgrade zutrifft". Der Herr Bundeskanzler bekräftigte, daß die Bundesregierung zu den Soldaten der Bundeswehr steht, so wie diese „treu und gewissenhaft diesem Staate und unserem Volk" dienen.
Die Bundesregierung hat die Erklärungen des Herrn Bundestagspräsidenten und der Vorsitzenden der Fraktionen, die in .der gleichen Sitzung abgegeben wurden, begrüßt und als besonders wertvolle Unterstüztung ihrer eigenen Bemühungen gewertet. Die Erklärungen des Herrn Bundestagspräsidenten und des Herrn Bundeskanzlers wurden den Kompanien und entsprechenden Einheiten am darauffolgenden Tage im Wortlaut zugeleitet.
Unter Ziffer 3 wird gefragt:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß festgestellte Mängel und Mißstände nicht auf den Geist der Offiziere und Unteroffiziere der Truppe im allgemeinen schließen lassen, sondern vielmehr das Ergebnis eines überstürzten Aufbaus der Bundeswehr unter unseren besonderen Voraussetzungen und damit einer nicht ausreichenden Ausbildung und Anleitung in der modernen Menschenführung sind?
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß auftretende Mängel nicht auf den Geist der Offiziere und Unteroffiziere schließen lassen. Ein Teil der Schwierigkeiten ist zweifellos auf den aus zwingender Gesamtlage heraus erforderlichen raschen Aufbau der Bundeswehr zurückzuführen. Sie mußten aus allen dem Hohen Haus bekannten Gründen in Kauf genommen werden.
Ich darf zu der mündlichen Begründung, die heute morgen der Vertreter der Freien Demokratischen Partei gegeben hat, ein paar Erläuterungen geben. Es wurde in der mündlichen Ergänzung gesagt, daß man einen Rückgang der Schlagkraft der Bundeswehr festzustellen habe und daß die letzte Verantwortung für die Lücken, die noch vorhanden sind und zu dem Rückgang geführt haben, der Politiker und nicht der junge Ausbilder trage. — Zunächst dieses: Die Schlagkraft unserer Bundeswehr hat sich trotz allem kontinuierlich erhöht. Unsere Einheiten werden wie alle Einheiten der NATO laufend von der NATO selber überprüft und bewertet. Die Ver-
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bände der Bundeswehr stehen dabei nach den Streitkräften der Vereinigten Staaten immer an zweiter Stelle.
Ich glaube, wir tun gut daran, das anzuerkennen und auch mit einem gewissen Stolz zu sagen, daß der erhobene Vorwurf nicht zutrifft.
— Dann fragen Sie vielleicht einmal bei einer anderen Gelegenheit und nicht den Bundesminister der Verteidigung, Herr Abgeordneter Wienand. Ich habe bei jeder Gelegenheit deutlich gemacht,
daß auch der Verteidigungsminister, obwohl er dafür keine Verantwortung hat, immer davon ausgehen muß, daß es nicht nur eine äußere Sicherheit, sondern auch eine innere Sicherheit gibt. Sie finden mich immer auf der Seite derer, die auch die innere Sicherheit wollen. Wenn Sie das bei uns kritisieren, dann frage ich Sie, wie lange Sie beispielsweise die Notstandsgesetzgebung verzögert haben.
— Sie haben nachher noch Gelegenheit, sich hier zu äußern.
Der Herr Abgeordnete Schultz sagte, daß letztlich
der Politiker die Verantwortung trage und nicht der junge Ausbilder. Ich stimme Ihnen, Herr Abgeordneter, uneingeschränkt zu. Die Verantwortung für die Lücken, die vorhanden sind, kann man nicht dem kleinen Mann draußen, dem Gefreiten, Unteroffizier, Feldwebel, auch nicht dem Offizier auferlegen; die Verantwortung dafür tragen wir Politiker. Bei jeder Gelegenheit — beispielsweise im Zusammenhang mit der Nagold-Affäre - habe nicht nur ich, sondern hat das Hohe Haus zum Ausdruck gebracht, daß man von uns aus die Verantwortung nicht auf den kleinen Mann abwälzen darf. Ich folge da völlig Ihrer Darstellung.
Das dritte Thema in Ihrer mündlichen Begründung zu der Frage 3, Herr Abgeordneter Schultz, war: das Vertrauen zum Soldaten, um das Sie und das Hohe Haus sich bemühen. Sie sagten, diesem Wort: Vertrauen zum Soldaten müßten auch Taten folgen. Sie verwiesen dazu auf ein Beispiel, das draußen in der Bundeswehr sehr gängig ist, nämlich die Besetzung des Postens des Abteilungsleiters für das Personalwesen. Ich darf zitieren, Herr Abgeordneter Schultz, was ich vor zwei Monaten auf der letzten Kommandeurstagung in München gesagt habe. Ich habe dort folgendes formuliert:
Eine andere Quelle des Unmutes ist die Tatsache, daß der Leiter der Personalabteilung im Ministerium ein Zivilist ist. Ich weiß, daß man diese Tatsache manchmal als einen Ausdruck des Mißtrauens in das Offizierskorps deutet. Lassen Sie mich dazu sagen: im Haushaltsplan ist seit eh und je die Stelle als eine Beamtenstelle ausgebracht. Ich bedauere dies und bemühe mich seit geraumer Zeit, aus ihr eine Wechselstelle zu machen. Meine Auffassung ist: es darf keine Ideologie sein, daß der Leiter der Personalabteilung nur ein Soldat sein darf oder nur ein Beamter sein muß. Der Minister muß den bestgeeigneten Mann berufen können, sei er Beamter, sei er Soldat.
Angesichts der Tatsache, daß der stellvertretende Leiter und vier Unterabteilungsleiter dieser Abteilung Soldaten sind, sollte die Diskussion aber darüber ein Ende haben.
Nun kommt ein besonders wichtiger Satz, Herr Abgeordneter Schultz, und Sie werden mir wahrscheinlich zugeben, daß er zutrifft:
Die Zahl der Beförderungsstellen würde unter
einem General als Leiter nicht größer werden.
Im übrigen werden sich Mängel und Mißstände bei dem Aufbau einer so großen Organisation, wie es die Bundeswehr mit zur Zeit etwa 430 000 Soldaten und 170 000 zivilen Kräften ist, nie völlig vermeiden lassen. Es wäre falsch, hieraus Schlüsse auf den Geist der Offiziere und Unteroffiziere zu ziehen. Die Bundesregierung weist deshalb jede 'kollektive Verurteilung entschieden zurück. Sie stützt diese Auffassung auch auf den Jahresbericht 1963 des Wehrbeauftragten, in dem es auf Seite 4 heißt, daß sich „für jedes Beispiel des Versagens eines Soldaten ... zahlreiche Beispiele vorbildlichen Verhaltens nennen lassen". Die Bunderegierung weiß, daß die große Mehrheit der Offiziere und Unteroffiziere trotz stärkster Anspannung und überdurchschnittlicher Belastung die ihnen auferlegten Pflichten vorbildlich erfüllt.
Was die Ausbildung und Anleitung in der modernen Menschenführung betrifft, so hat der Bundesminister der Verteidigung sofort nach Abschluß der wichtigsten durch unsere Bündnispolitik bedingten Aufstellungsvorhaben im Frühjahr 1963 eine Phase der Konsolidierung angeordnet. Sie wirkt sich in allen Bereichen aus, hat aber als 'besonderen Schwerpunkt zum Ziel, die Spannung zwischen dem Erforderlichen und dem Möglichen zu beseitigen und durch vertiefte Ausbildung und Anleitung der Offiziere und Unteroffiziere Sicherheit und Können in der modernen Menschenführung zu steigern. Der Katalog vielfältiger Maßnahmen müßte hier genannt werden. Er reicht von der Errichtung von Unteroffiziersschulen — bei Heer, Luftwaffe und Marine sind bereits je eine in Betrieb; weitere beim Heer werden errichtet — bis zur Verlängerung der Förderlehrgänge für Unteroffiziere und Feldwebel, von der schrittweisen Verlängerung der Offiziersausbildung durch einen „Aakademielehrgang" bis zur Beurlaubung zum Vollstudium ausgebildeter Offiziere auf Kosten des Staates.
Die Bundesregierung stellt in diesem Zusammenhang fest, daß die Vorschläge des Wehrbeauftragten zur Verbesserung der Ausbildung militärischer Vorgesetzter vom Herbst 1964 bereits seit langem im
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Zuge der Konsolidierung aus eigener Initiative realisiert worden sind oder realisiert werden.
Zur Frage Nr. 4: Die Bundesregierung ist nicht nur bereit, sondern insbesondere ständig und mit Erfolg bemüht, die Truppenführer, insbesondere die Einheitsführer von Verwaltungsaufgaben zugunsten ihrer Ausbildungs- und Erziehungsaufgaben zu entlasten. Es muß aber beachtet werden, daß die heutzutage in der Einheit anfallende Verwaltungsarbeit zum großen Teil bedingt ist durch unsere rechtsstaatliche Ordnung und durch die hochwertige, sehr kostspielige technische Ausstattung einer modernen Armee.
Durch die Tätigkeit einer besonderen Kommission unter Leitung eines Obersleutnants, die im Auftrage des Bundesministers der Verteidigung die Truppe laufend besucht, ist jedoch erreicht worden, daß die Zeit, die der Kompaniechef im Monatsdurchschnitt zur Erledigung des Schriftverkehrs benötigt, täglich etwa zwei bis drei Stunden nicht überschreiten muß. Auf Vorschlag dieser Kommission wurde dem Kompaniechef für sein Geschäftszimmer neben dem Kompaniefeldwebel wieder die Stelle eines Kompanieschreibers für die laufende Verwaltungsarbeit bewilligt.
Eine Reihe von Maßnahmen hat die Belastung des Einheitsführers mit Verwaltungsarbeit erheblich eingeschränkt. Ich nenne einige Beispiele: Wir haben eine radikale Einschränkung der sogenannten Dauerterminmeldungen auf logistischem Gebiet, eine Vereinfachung in der Bearbeitung von Schadensfällen, eine Vereinfachung und Koordinierung des Meldewesens auf allen Sachgebieten, eine Einschränkung der aktenkundig zu machenden Belehrungen, eine Vereinfachung der Führung der Personalunterlagen, dabei insbesondere den Wegfall des Wehrstammbuches für alle Soldaten, die Einführung der Personenkennziffer als alleinige Kennzeichnung der Soldaten, eine Delegierung der Beförderungsbefugnis für Mannschaften bis zum Hauptgefreiten auf den Kompaniechef, eine Delegierung der Unterschriftsbefugnis auf Funktionspersonal, insbesondere auf den Kompaniefeldwebel in allein 60 Fällen — weitere Delegierungen werden folgen, sobald der Bundesrechnungshof zugestimmt hat —, eine Herausgabe einer handlichen, übersichtlich geordneten Sammlung von Erlassen für den täglichen Gebrauch in der Kompanieschreibstube und die Zusammenfassung von Einzelerlassen zu zentralen Dienstvorschriften. Die Reihe der Beispiele ließe sich lange fortsetzen. Nur aus Zeitgründen verzichte ich hier darauf, all die anderen Maßnahmen darzulegen.
Oberhalb der Kompanie wird die Verwaltungsarbeit durch Beamte und Angestellte wahrgenommen, die durch ihre Sachkentnis auf dem von der Natur her außerordentlich schwierigen Gebiet der Bundeswehrverwaltung dem Soldaten die Verwaltungsarbeit abnehmen und deren Leistung auch von der Truppe selbst anerkannt wird.
In der Frage 5 heißt es:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um den Mangel an Offizieren und Unteroffizieren schnell und wirksam zu beheben?
In der münlichen Ergänzung ist in der Begründung zu den Fragen 5 und 6 gesagt worden, daß man bei dem Thema Offiziere und Unteroffiziere vor allen Dingen verlangen muß, daß man den mitdenkenden Offizier erzieht und nicht nur den, der einfach Befehle ausführt, und zwar einen mitdenkenden Offizier, der auch dann erwünscht ist, wenn er einmal eine andere Meinung vertritt als die Leitung des Hauses. Herr Abgeordneter Schultz, ich möchte Ihnen deutlich mein Prinzip auseinandersetzen. Bei mir im Ministerium hat jeder Offizier oder Beamte oder sonstige zivile Mitarbeiter nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, seinem Minister und den leitenden Herren des Hauses seine Auffassung unabhängig davon, ob sie mit der des Ministers oder der Leitung des Hauses konform geht, darzulegen. Solange eine Frage nicht entschieden ist, hat jeder Offizier und Mitarbeiter das Recht und die Pflicht — ich wiederhole es —, seine Auffassung dem Minister vorzutragen. Sie können mir nicht ein einziges Beispiel nennen, wo ein anderer Offizier, ein nachgeordneter Mann, nicht die Gelegenheit gehabt hat, seine Auffassung laut und deutlich und vernehmlich zu sagen.
Wenn die Entscheidung aber getroffen ist, dann erwarte ich, daß jeder Mitarbeiter im Ministerium und draußen diese Entscheidung seines Ministers loyal befolgt und vertritt und zu seinem eigenen Anliegen macht.
Ich brauche bis heute, Herr Abgordneter Schultz, nicht in einem einzigen Falle darüber Klage zu führen, daß das dann nicht auch geschehen ist.
Ich glaube, insofern ist die Mahnung an den Minister, daß er mitdenkende Offiziere haben müsse, unberechtigt. Ich verlange, daß sie mitdenken und nicht nur stramm stehen.
Nun zur Beantwortung dieser beiden Fragen folgendes: Der Mangel an Offizieren geht vor allem auf das Fehl an Angehörigen der „weißen Jahrgänge" zurück. Dieses Fehl kann auch angesichts der geburtenschwachen Jahrgänge in absehbarer Zeit nicht ausgeglichen werden.
Der Mangel an Unteroffizieren ist vornehmlich in der Arbeitsmarktsituation begründet. Der Aufbau der Bundeswehr hat begonnen, als die Vollbeschäftigung in der Wirtschaft erreicht war. Seitdem hat die Knappheit an Arbeitskräften von Jahr zu Jahr zugenommen. In der gleichen Zeit sind, nicht zuletzt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt, die Arbeitsbedingungen — Arbeitszeit, 5-Tage-Woche — laufend zugunsten der Arbeitnehmer verbessert worden. Die Aufgaben der Bundeswehr lassen es aber nicht zu, den Soldaten vergleichbare Vergünstigungen zu gewähren.
Seit Bestehen der Bundeswehr ist unablässig versucht worden, mehr Offiziere und Unteroffiziere zu gewinnen. In der vergangenen Zeit sind die sozialen, die rechtlichen und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Soldaten laufend verbessert worden. Ein grundlegender Wandel wurde dadurch nicht er-
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reicht. Dennoch werden auch künftig die Laufbahnaussichten, die Besoldung, die Fürsorge und die Versorgung der Soldaten verbessert werden. Man wird sich jedoch darüber im klaren sein müssen, daß es kein sofort wirksames Mittel gibt, um den Mangel an Offizieren und Unteroffizieren zu beheben. Es wird dazu vieler und langandauernder Anstrengungen bedürfen. Insbesondere kommt es darauf an, das Ansehen des Soldaten und damit die Anziehungskraft seines Berufes zu erhöhen. Gegenwärtig werden zahlreiche Maßnahmen, die diesem Ziele dienen, durchgeführt und vorbereitet.
Zur 6. Frage: Die Bundesregierung hat die Laufbahnrichtlinien für Offiziere und Unteroffiziere stetig verbessert. Die Soldatenlaufbahnverordnung ist seit 1958 mehrfach, zum Teil grundlegend geändert worden, eine Vierte Änderungsverordnung ist in der Vorbereitung. Insbesondere sind folgende Maßnahmen vorgesehen: Trennung der bisher gemeinsamen Laufbahngruppe der Unteroffiziere und Mannschaften, Verbesserungen für die Spitzendienstgrade der Unteroffiziere, also für die Stabs-und Oberstabsfeldwebel, Verbesserung der Möglichkeit zum Aufsteigen bis zum Hauptfeldwebel für Soldaten auf Zeit und Erleichterung des Aufsteigens von Unteroffizieren in die Laufbahn der Offiziere im Truppendienst.
Die Bundesregierung widmet der Fürsorge für den Soldaten und seine Familie ebenso wie der Fürsorge für jeden Bediensteten des öffentlichen Dienstes ihr besonderes Augenmerk. Darüber hinaus trägt sie den Besonderheiten des Soldatenberufes durch zusätzliche Fürsorgemaßnahmen Rechnung. Der Bogen der Fürsorgemaßnahmen — es können hier nur Beispiele genannt werden — spannt sich von Beihilfen für Familienheimfahrten für Ledige im Inland bis zur Familienzusammenführung für verheiratete Soldaten in den USA, die dort einen langen Lehrgang besuchen, von der Einrichtung von Werk-, Schul- und Fürsorgefahrten bis zum Bau von Soldaten-, Unteroffizier- und Offizierheimen. Hierher gehört auch das große und umfassende Gebiet der Vorbereitung auf den zweiten Beruf, die Studienförderung und vieles andere mehr bis hin zu der hier schon zitierten Militärurlauberfahrkarte und dem zinslosen Darlehen für Zeitsoldaten. Es würde zu weit führen, all die vielen Maßnahmen aufzuführen. Denken Sie an die Erhöhung der Übergangsgebührnisse und Übergangsbeihilfen, an die Zusage an ,alle Unteroffiziere, nach einer mindestens zwölfjährigen Dienstzeit in die Bundeswehrverwaltung übernommen zu werden, an Iden weitgehenden Wegfall der Gegenrechnung der Versorgungsbezüge bei Übertritt des Soldaten in den öffentlichen Dienst, an Schulbeihilfen und nicht zuletzt an die Beratung und Unterstützung der Soldaten und ihrer Familien inversorgungs- und fürsorgerechtlichen Fragen, schließlich an den Aufbau eines eigenen fürsorgerischen Beratungsdienstes.
Der Bundesminister der Verteidigung hat besondere Schwerpunkte gesetzt, in denen Wohnungsbau nach Umfang und Qualität, Betreuungseinrichtungen für Unteroffiziere und Offiziere und die Freizeitpflege, besonders durch Soldatenheime, angesprochen werden.
Die Fülle der Maßnahmen zeigt, daß die Bundesregierung auf idem Wege der Fürsorge für den Soldaten viel erreicht hat und daß sie unablässig bemüht ist, diese Maßnahmen zu .ergänzen und zu vertiefen.
Die Besoldung der Soldaten ist durch ein Gesetz an die der Beamten angeglichen. Solange dieser Grundsatz vom Gesetzgeber nicht verlassen wird, besteht nur die Möglichkeit, die Sonderverhältnisse soldatischen Dienstes durch Zulagen verschiedener Art auszugleichen. Diese werden für zahlreiche Funktionen und militärische Sonderverhältnisse bereits gewährt.
Ich erinnere an die Zulagen für Flieger und Fallschirmspringer, Maschinen-, U-Boot-Personal und Bordpersonal, Kampfschwimmer und Taucher, das Flugsicherungskontroll- und Radarleitpersonal oder die Heeresbergführer sowie an zahlreiche Verpflegungszuschüsse für besondere Dienste.
Geplant sind weitere Verbesserungen für den Soldaten, die vor allem den Unterführern zugute kommen sollen. Gedacht ist insbesondere an eine Zulage für Soldaten im Truppendienst — für Zeit- und Berufssoldaten — zum Ausgleich ihrer ständigen zeitlichen Mehrbelastung im Vergleich zu den Zivilbediensteten.
Die Bundesregierung ist auch in Zukunft bestrebt, allen Besonderheiten .des soldatischen Berufs auch auf dem Gebiete der Besoldung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten Rechnung zu tragen, wobei nicht verkannt werden darf, daß sich gerade Besoldungsfragen auf den gesamten öffentlichen Dienst auswirken und deshalb mit aller erforderlichen Behutsamkeit vorbereitet werden müssen.
Ich komme zur vorletzten Frage, wie sich die Bundesregierung in Zukunft verhalten will, um die Familien von Berufssoldaten, im besonderen die mit schulpflichtigen Kindern, durch zu häufige Versetzung der Ehegatten vor Schaden zu bewahren.
Antwort: Längerdienende Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten müssen in ihrer Laufbahn verschiedene Verwendungen erhalten. Dies führt zu Versetzungen. In der Zeit des Aufbaues der Bundeswehr wechselten die Verwendungen wegen der Neuaufstellungen oder der Umgliederung von Truppenteilen häufiger, als dies aus Laufbahngründen notwendig gewesen wäre. Wie sich am Beispiel der Portepee-Unteroffiziere zeigt, ist die Versetzungshäufigkeit inzwischen aber allgemein wesentlich zurückgegangen.
Während ein älterer Unteroffizier des Heeres 1959 schon nach 17 Monaten Verwendungsdauer versetzt worden ist, betrug die durchschnittliche Verwendungsdauer 1962 immerhin schon 45 Monate und läuft seit 1963 in Richtung auf über 60 Monate. Dagegen mußten die älteren Unteroffiziere der Luftwaffe noch 1962 nach 14 Monaten Verwendung versetzt werden; seit 1963 geht es auf 33 Monate. Die besondere Versetzungshäufigkeit im Jahre 1962 war auf die Umgliederung der Luftwaffe zurückzuführen.
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In der Marine betrug die Versetzungshäufigkeit der älteren Unteroffizier, bedingt durch den hohen Anteil des Spezialpersonals, im Jahre 1963 27 Monate.
In der Konsolidierungsphase, in die die Bundeswehr eingetreten ist, wird die Versetzungshäufigkeit allgemein weiter zurückgehen. Insbesondere sollen Wege gesucht werden, vor allem die verheirateten Soldaten an ihrem Standort auf möglichst lange Dauer — etwa 4 Jahre — zu belassen. Die Sorgen um die Wohnungen für die Familien und die Schulausbildung der Kinder werden dann auch geringer.
Die Schwierigkeiten in der Schulausbildung für die Kinder der Soldaten ergeben sich aus den nicht nur von Land zu Land, sondern zuweilen von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlichen Schulverhältnissen. Vor allen Dingen bei den weiterführenden Schulen entstehen wegen der Vielzahl der Schultypen besondere Probleme. Sie lassen sich oft nicht durch Beihilfen für die Unterbringung in Internaten oder durch die Schaffung von Fahrgelegenheiten zum Besuch weiter entfernt liegender Schulen lösen. Grund dafür ist einmal die Abneigung der Eltern gegen Internatserziehung oder die Überanstrengung der Kinder durch zu weite Schulfahrten. Eine wirkliche Abhilfe ist hier nur durch eine Vereinfachung und Vereinheitlichung des Schulwesens zu erreichen. Soweit darauf Einfluß genommen werden kann, geschieht das mit dem Ziele, durch Versetzung und Umzug bedingte schulische Nachteile für die Kinder der Soldaten nach Möglichkeit zu vermeiden.
Alle zuständigen Vorgesetzten sind angewiesen, die Laufbahn der ihnen unterstellten Soldaten mit Sorgfalt und auf möglichst lange Sicht zu planen und zu realisieren. Berechtigte Wünsche der Soldaten und ihrer Familie sind dabei nach Möglichkeit zu berücksichtigen. Bei der Klage über die zur Zeit häufige Versetzungsmöglichkeit muß darauf hingewiesen werden, daß 50 % der Versetzungen auf eigenen Antrag erfolgen. Da solche Wünsche also bei vielen Soldaten vorliegen, lassen sich Härten nicht gänzlich vermeiden. Sie müssen durch Fürsorgemaßnahmen möglichst schnell beseitigt oder gemildert werden. Hierzu gehört vor allem die schnelle Familienzusammenführung am neuen Standort des Soldaten.
Zur letzten Frage:
Was will die Bundesregierung tun, um den Offizieren und Unteroffizieren in den Bereichen, in denen sie stationiert sind, einen engeren und dauernden Kontakt mit den Angehörigen aller anderen Berufe zu ermöglichen?
Meine Damen und Herren, in jedem Standort der Bundeswehr besteht ein reger Kontakt zu den örtlich maßgebenden Persönlichkeiten. Dieses positive Verhältnis kommt in zahlreichen gegenseitigen Einladungen im kleineren Kreise und in der Teilnahme der Bevölkerung an den öffentlichen Veranstaltungen der Bundeswehr zum Ausdruck.
Als besonders geeignet zur Pflege guter Beziehungen hat sich die Durchführung der „Tage der
offenen Tür" gezeigt. Die Anforderungen erwiesen, daß Gäste der Bundeswehr an kleineren Übungen sehr gern teilzunehmen wünschen. Im vergangenen Jahr wurden 10 200 Veranstaltungen durchgeführt, an denen 6 Millionen Bundesbürger teilnahmen. Allein im ersten Quartal 1964 haben 2271 Veranstaltungen der Bundeswehr der verschiedensten Art mit zivilen Teilnehmern aus allen Berufsgruppen stattgefunden und zu sehr enger Begegnung geführt. In dieser Zahl, die ich eben nannte, ist nicht die Teilnahme von Soldaten aller Dienstgrade an Veranstaltungen enthalten, zu denen von ziviler Seite eingeladen Wurde.
Mit der Aufstellung der Bundeswehr und vor allen Dingen ihrer Territorialen Reserve wird sich der Kontakt zwischen Bundeswehr und Bevölkerung auch in den sogenannten truppenarmen Räumen verstärken. Die Einheiten der Territorialen Reserve sind auf Grund ihrer Zusammensetzung ausschließlich aus Reservisten als besonders geeignet anzusehen, Mittler zwischen Bundeswehr und Öffentlichkeit im örtlich begrenzten Bereich zu sein. Jede Förderung dieses militärischen Vorhabens auch von ziviler Seite führt also ebenso wie die Förderung allgemeiner Fürsorgemaßnahmen, vor allen Dingen des Wohnungsbaus, zur Vertiefung der bereits bestehenden Kontakte.
Soweit die Antwort auf die Große Anfrage der FDP. Ich glaube, ich darf davon ausgehen, daß die Diskussion hier im Hohen Hause am Freitagmittag nicht mehr sehr viel weitergeführt werden soll. Ich brauche deshalb auf die Ausführungen des Berichterstatters und des Mitberichterstatters für die Minderheit zum Bericht des Wehrbeauftragten nicht mehr einzugehen. Ich möchte aber in einem Punkte dem Berichterstatter der Minderheit widersprechen, der sagte, diese Sitzung habe unter einem ungünstigen Vorzeichen stattgefunden. Vielleicht, was die Uhrzeit angeht; aber ich meine, daß sie unter einem günstigen Zeitpunkt stattfand, nämlich nachdem ein neuer Wehrbeauftragter bestellt worden ist. Ich halte das für einen außerordentlich günstigen Zeitpunkt.
Der Vertreter der Minderheit hat zum Ausdruck gebracht, daß wir der großen Mehrheit aller Dienstgrade der Bundeswehr für die ausgezeichnete Art zu danken haben, wie sie ihren Dienst in der Bundeswehr geleistet haben. Er hat aber auch zum Ausdruck gebracht, man habe den Wehrbeauftragten nicht zu dem Zweck, Selbstverständlichkeiten vor dem Hohen Hause auszubreiten oder nur das zu sagen, was gut sei, sondern dazu, auf die Schäden, die Schwierigkeiten, die Lücken hinzuweisen. Ich folge in dieser Auffassung dem Minderheitsberichterstatter nicht. Ich meine, daß man, wenn man im Bundestag diskutiert, nicht nur über die geringen Schäden, Schwächen und Lücken sprechen, sondern auch die große, überwiegend positive Leistung zum Ausdruck bringen soll,
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daß man also das richtige Maß setzen muß.
— Herr Wienand, daß Sie etwas anderes sagen, bin ich gewohnt. Ich sehe mit großem Interesse Ihren Ausführungen hier entgegen. Bisher haben Sie nämlich mit ungewöhnlichem Geschick persönlich jede Diskussion im Bundestag vermieden und sind anschließend zwei Stunden später vor die Presse gegangen und haben dort Ihre Weisheit und Ihre Kritik über die Bundeswehr und das Ministerium zum Ausdruck gebracht.
— Das kann ich Ihnen, Herr Abgeordneter Wienand. An Hand eines langen Kriegstagebuchs kann ich Ihnen vortragen — —