Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst muß ich sehr bedauern, daß diese so wichtige Aussprache am heutigen Tag in einer ungünstigen Stunde stattfindet und auch unter einem ungünstigen Vorzeichen. Es wäre um der Sache willen zu wünschen gewesen, daß wir einen besseren Zeitpunkt gefunden hätten. Ich bedaure es zum andern, daß zum ersten Male der Bericht des Wehrbeauftragten nicht von beiden Berichterstattern gemeinsam behandelt werden kann. Als Mitberichterstatter habe ich mich nicht in der Lage gesehen, mit dem Berichterstatter gemeinsam den Bericht auszuarbeiten. Das lag in erster Linie daran, daß die Mehrheit des Verteidigungsausschusses einen Beschluß gefaßt hat, der hier als Antrag vorliegt, der von meiner Fraktion nicht zur Gänze unterzeichnet werden kann.
Worum geht es eigentlich bei der heutigen Debatte? Um gar keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich vorweg eines erklären. Wir wissen, daß in der Bundeswehr die große Mehrheit der Vorgesetzten aller Dienstgrade in ausgezeichneter Weise ihre Pflicht tun, und daß auch die Mehrheit es verstanden hat, mit dem sehr schwierigen Problem der Inneren Führung in ein richtiges Verhältnis zu kommen. Weil wir dies 'wissen, erklären wir ausdrücklich und nachdrücklich — und man kann es nicht oft genug sagen —: die Bundeswehr genießt auch das Vertrauen der Oppositionsfraktion in diesem Hause.
Aber worum geht es bei dem Problem, bei der Arbeit des Wehrbeauftragten? Der Wehrbeauftragte des Bundestages ist nicht dazu eingesetzt worden, daß er sagt, was selbstverständlich ist. Er ist auch nicht dazu eingesetzt worden, daß er sagt, was den Verantwortlichen gut in den Ohren klingt. Wenn wir das hätten haben wollen, hätten wir uns die Schaffung der Institution des Wehrbeauftragten ersparen können.
Der Wehrbeauftragte soll das feststellen, was falsch gemacht wird, und soll es uns mitteilen, damit wir mithelfen können, dies abzustellen.
Darum finde ich, daß die Kritik, die am zurückgetretenen Wehrbeauftragten, Herrn Heye, geübt wurde, in mancher Hinsicht nicht nur ungerecht, sondern der Sache auch nicht dienlich war.
Nicht jedes kritisierende Wort darf gleich als ein Angriff gegen die Bundeswehr gewertet werden.
— Ich darf Ihnen gleich ein Beispiel nennen. Sehen Sie, da haben wir die „Wehrpolitische Information", ein Blättchen, das vermutlich nicht erscheinen könnte, wenn das Bundesministerium den Subventionshahn zudrehen würde. In diesem Blättchen wird behauptet: „Während die allgemeine Aufregung über die Heye-Attacke gegen die Bundeswehr allmählich ... abklingt ..." Dann kommt ein Werturteil über den Bundestag, der sich nicht hinreichend um die Verteidigungsprobleme kümmere. Wer jahrelang im Ausschuß für Verteidigung gesessen hat, weiß — und Sie alle wissen es mit —, wie viele Tage unseres parlamentarischen Lebens wir in ernster Sorge um die Bundeswehr in diesem Ausschuß verbracht haben.
Wenn man sich schon darüber beschwert, daß in anderen Organen manche Pauschalurteile über die Bundeswehr gefällt werden, dann sollte man sich auch solche Veröffentlichungen ansehen. Ich würde es wünschen, daß sich der Haushaltsausschuß bei der Anwendung des Rotstifts auch einmal mit diesen Publikationen beschäftigt.
Meine Damen und Herren, um den Wehrbeauftragten ist mehr geschrieben worden, als er selbst geschrieben hat. Daß um den Wehrbeauftragten geschrieben wurde und daß er selbst schrieb, ist begrüßenswert.
Es wurde schon gesagt, daß wir am 21. Februar dieses Jahres hier im Hause über den Wehrbeauftragten gesprochen haben, und wir hatten auch eine erste Aussprache über seinen Bericht. Machen Sie eine Rundfrage bei der Bundeswehr — ich habe es bei verschiedenen Anlässen getan— und fragen Sie, was von dieser Aussprache überhaupt bekannt geworden ist! Das ist ja der Öffentlichkeit nicht unter die Haut gegangen. Wenn jemand, der mit Recht glaubte, eine große Verantwortung zu tragen, in Erfüllung seiner Pflichten und in Verfolgung seiner Absichten vielleicht einmal „überdreht" hat, dann muß man prüfen, ob es in guter Absicht geschehen ist oder nicht.
Wenn wir die Aufgaben und die Stellung der Bundeswehr von heute richtig verstehen wollen, dann ist es vielleicht nützlich und sinnvoll, ein bißchen
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an die Quellen zu gehen. Wir haben uns im Verteidigungsausschuß vor zehn Jahren und noch früher sehr eingehend mit diesen Fragen beschäftigt. Damals hat Graf Baudissin - es war am 21. Januar 1954, also vor mehr als zehn Jahren — einen Vortrag gehalten, dessen Inhalt wir uns im Verteidigungsausschuß praktisch zu eigen gemacht haben, und folgendes gesagt:
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß nur der überzeugte Soldat heute brauchbar ist, nur derjenige Soldat, der die Verteidigungswerte anerkennt und der begriffen hat, daß er nicht für andere die Verteidigung übernehmen soll, sondern die seiner eigenen Existenz. Derjenige, der lediglich handwerklich ausgebildet ist, der sich nur widerstrebend unterordnet und nur passiv gehorcht, ist kriegsuntüchtig und eine Gefahr für die Truppe und darüber hinaus auch für die Gemeinschaft.
Ich wünschte, meine Damen und Herren, daß diese Worte in den Kasernen der Bundeswehr plakatiert würden; denn darin kommt das geistige Kernproblem der Bundeswehr von heute zum Ausdruck.
Nun ist es sicher nicht leicht, nach diesen Prinzipien zu leben. Es gibt die „Schule für Innere Führung", es gibt die Erlasse des Ministeriums. Ich bin sehr begierig darauf, vom Herrn Minister zu hören, wie viele Zeilen an Erlassen im Laufe dieser Jahre hinausgegangen sind. Die Frage ist aber: was wird daraus? Mein Vorredner, der Herr Berichterstatter, hat Schiller zitiert. Ich erinnere mich, daß ich in meiner „grünen Jugend" das Epigramm von Lessing gelesen habe:
Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? — Nein. Wir wollen weniger erhoben
Und fleißiger gelesen sein.
Das möchte ich diesen Erlassen wünschen, und ich möchte wünschen, daß ihnen nachgelebt wird. Dann könnten Unzuträglichkeiten, wie sie im Bericht des Wehrbeauftragten festgestellt wurden, nicht vorkommen; dann wären jene scheinbar „kleinen Dinge", die zu beanstanden sind, nicht zu verzeichnen.
Ich will das jetzt nicht alles noch einmal vortragen. Jeder von Ihnen kennt das, und in der Öffentlichkeit ist es hinreichend dargestellt worden. Wir müssen aber verstehen, daß auch das Leben in der Kaserne von kleinen Dingen abhängt. Es hängt davon ab, daß die Vorgesetzten den richtigen Ton finden. Daß das gerade heute notwendig ist, haben wir bereits am 21. Februar nachgewiesen. Der Bundesminister für Verteidigung hat sich viel Mühe gegeben und hat den Bericht des Wehrbeauftragten und dessen andere Veröffentlichungen in geradezu beckmesserischer Art untersuchen lassen. Er hat einen Generalsausschuß eingesetzt, der sich sehr viel Mühe gegeben hat und der uns sehr viele Stunden im Verteidigungsausschuß berichtet hat. Ich hätte es lieber gesehen, wenn wir an Stelle dieses Berichts endlich einmal einen Bericht des Ministeriums über die geistige und körperliche Verfassung der Jugend von heute bekommen hätten. Um die geht es doch. Weil
wir einen solchen Bericht nicht haben, entsteht ein falsches Bild. Bei der Grundausbildung in der Bundeswehr z. B. haben wir in der ersten Woche vier Stunden Sport, in der zweiten Woche fünf Stunden, in der dritten Woche wieder vier, in der vierten Woche fünf Stunden, und so geht das weiter während der ganzen Zeit der Grundausbildung. Wir alle wissen, daß die jungen Menschen von heute, die zur Bundeswehr kommen, nicht in der gleichen körperlichen Verfassung sind wie Rekruten in früheren Zeiten. Darum ist es notwendig und nützlich, diese Menschen erst körperlich fit zu machen, ehe man sie den Anstrengungen unterwirft, die mit der Ausbildung verbunden sind.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, heute sehr ausführlich zu sprechen. Es ist so leicht, jetzt nachträglich Erkenntnisse zu haben. Wir haben uns seinerzeit sehr mit der Frage, ob eine „zu" rasche Aufstellung der Bundeswehr erfolgt sei, beschäftigt. Der Vorgänger des heutigen Herrn Verteidigungsministers hat in einer Illustrierten das wiedergegeben, was wir damals — gegen den Widerspruch einer Seite des Hauses — im Ausschuß gesagt haben. Er hat bestätigt, daß die Bundeswehr zu rasch aufgestellt worden ist, und hat gesagt, das hätte nach dem Prinzip der Zellteilung geschehen sollen. Ich frage mich nur: Warum hat der Vorgänger des heutigen Verteidigungsministers zu der Zeit, da er selbst Minister war, nicht nach dieser seiner Erkenntnis gehandelt? Dann wäre uns vielleicht manches erspart geblieben.
Lassen Sie mich zum Wehrbeauftragten und zu seinem Bericht zurückkehren. In der Diskussion um den Wehrbeauftragten ist gesagt worden, der Wehrbeauftragte könne kein Nebenverteidigungsminister sein. Stimmt es, Herr Kollege Rommerskirchen? Ich bin Ihrer Meinung! Wie könnte er es auch? Er hat gar nicht den Stab dazu und hat gar nicht die Aufgabe, es zu sein. Aber ich möchte sagen, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages kann auch keine Nebenstelle des Verteidigungsministeriums sein.
Er ist ein Beauftragter des Bundestages, er ist ein Hilfsorgan des Bundestages. Er soll auch nicht ein Organ einer Koalitionsmehrheit sein.
Er ist auch kein Ableger des Petitionsausschusses. Der Wehrbeauftragte ist dazu da, hinauszugehen zur Bundeswehr, zu prüfen, wie die Lage ist, und dem Bundestag und seinen Organen zu berichten. Es gibt Dinge in der Bundeswehr, die ihr schaden; das muß immer bedacht werden.
Lassen Sie mich ein kurzes Wort zu der Behauptung sagen — in diesem Fall stimme ich mit Herrn Heye in keiner Weise überein —, daß die Bundeswehr ein Staat im Staate sei. Eine Gefahr, daß sie es wird, gibt es immer. Aber ich sehe sie heute nicht. Ich fürchte nur, daß, wenn es nicht anders wird, die Bundeswehr in eine Selbstisolierung hineingetrieben wird. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die wichtigsten Menschen in der Bundeswehr, nämlich die Ausbilder, geradezu wie in
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Gettos untergebracht werden. Bei den Kasernen, in der Nähe der Kasernen, oft abseits der Wohnsiedlungen der anderen Bürger, befinden sich die Wohnungen der Männer der Bundeswehr. Die anderen Bürger haben keinen Kontakt mit ihnen. Wir wünschen, daß sie unter uns wohnen, damit wir mit ihnen so leben, wie wir das mit dem Polizeibeamten oder dem Buchhalter oder mit irgendeinem anderen Menschen als Nachbarn tun, damit wir ihre Familien kennenlernen, damit wir sehen, wie ihre Kinder aufwachsen, damit wir zu jenem engen menschlichen Verhältnis zu den Angehörigen der Bundeswehr kommen, das eine gesellschaftliche Isolierung der Bundeswehr verhindert.
Wir wünschen, daß der Wehrbeauftragte, wenn er hinausgeht, nicht nur in die Kasernen schaut, sondern auch mit den Bürgermeistern in den Gemeinden redet, in denen die Bundeswehr untergebracht ist. Er wird dabei in einer halben Stunde mitunter viel mehr erfahren, als er in langen Besichtigungen feststellen kann.
Es gibt in der Bundeswehr Erscheinungen, für die man die Bundeswehr nicht verantwortlich machen kann. Ich habe im Ausschuß darauf hingewiesen, daß z. B. der Stab und das Fernmeldebataillon der 1. Luftlandedivision von Eßlingen nach Bruchsal verlegt wurden. Dort waren seit April des vergangenen Jahres zwar die Wohnungen, aber nicht die Kasernen fertig, und erst im Oktober dieses Jahres, eineinhalb Jahre später, konnte die Verlegung erfolgen. Dann habe ich gefragt: Ja, wie schaut's denn aus? Habt ihr denn endlich den Sportplatz, den ihr braucht, in Kasernennähe? Da wurde mir gesagt: Jawohl, den Sportplatz haben wir, aber was uns fehlt, das ist die Sporthalle. Das bedeutet also, daß während der Wintermonate kein Sport getrieben werden kann und während dieser Zeit gerade dieser Teil der körperlichen Ausbildung wegfällt, auf den wir doch heute besonderen Wert legen müssen.
Ich frage mich: wo bleibt denn da die Planung, wer ist schuld daran? Das kann doch nicht die Opposition sein! Die Verantwortung dafür muß bei der politischen Führung liegen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen. Wir wollen der Bundeswehr helfen. Wir wünschen ihr eine moderne Führung und nicht zuletzt eine moderne Menschenführung. Denn auf diese kommt es an. Die besten Waffen und Geräte helfen uns nichts, wenn wir nicht denn geeigneten Menschen haben, sie zu bedienen, und wenn nicht dieser Mensch das nicht als reiner Sklave, bloß aus Gehorsam tut, sondern in der Erkenntnis einer inneren Notwendigkeit dieser seiner Dienstleistung an der Gemeinschaft.
Wir verlangen ferner eine sorgfältigere Untersuchung der Rekruten bei der Musterung und verlangen eine sofortige ,sorgfältige Nachuntersuchung dieser Menschen bei der Einziehung. Dann kann man ihnen die körperlichen Strapazen, die mit dieser Umstellung verbunden sind, leichter zumuten als heute.
Wir verlangen eine vermehrte und verbesserte Ausbildung der Ausbilder, die oft zu Unrecht gescholten werden, weil sie einfach nicht die Zeit hatten, sich mit den Problemen der modernen Menschenführung vertraut zu machen. Man sage mir nicht, es gehe nicht, eine genügende Anzahl von Ausbildern auszubilden. Wir haben auch in unserer Volksschule und in den höheren Schulen heute nicht mehr den Pauker von einst; wir haben den modernen Lehrer, der in der Lage ist, mit den Kindern unserer Tageauszukommen. Warum soll es uns nicht gelingen, auch bei der Bundeswehr den Ausbilder zu schaffen, der mit den schwierigeren Menschen von heute zurechtkommt, sie ausbilden und sie zu den Trägern der Bundeswehr machen kann?
Wir wünschen auch, daß die Berichte des Wehrbeauftragten nicht Makulatur bleiben, sondern als Lehrstoff bei der Bundeswehr verwendet werden. Die bisherigen Berichte — und ich hoffe, das wird auch bei den künftigen der Fall sein — waren geradezu ausgezeichnetes Lehrmaterial, von dem man nur wünschen konnte, daß es hinreichend Beachtung gefunden hätte.
Ich darf zum Schluß, meine Damen und Herren, im Namen meiner Fraktion erklären, daß wir dem Punkt A) des Antrages des Ausschusses unsere Zustimmung geben werden, daß wir die Punkte B) und C) jedoch ablehnen.
Ich möchte abschließend noch ein persönliches Wort sagen. Mit dem Wehrbeauftragten und der Institution habe ich im Laufe meines parlamentarischen Lebens eine ganze Menge zu tun gehabt. Ich habe immer versucht, mir Vorstellungen darüber zu machen, was der Wehrbeauftragte zu tun hat, und habe mich immer gefragt: Nützt er oder schadet er mit seiner Arbeit der Bundeswehr, und erfüllt er die Intentionen des Parlaments? Von dieser Sicht her möchte ich persönlich erklären, daß Herr Heye der Bundeswehr nicht geschadet, sondern genützt hat.
Ich vermag mich von dieser Schau her an der Schelte, die man übt, nicht zu beteiligen, sondern erkläre: Er hat den Dank des Deutschen Bundestages verdient.