Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint an der Zeit, daß ich Ihnen entsprechend der Empfehlung des Ersatzpastors Schmidt in Nachahmung zu Wehner Matthäus 3 Vers 2 verlese: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe."
Aber, meine verehrter Herr Kollege Schmidt, wir haben hier Agrarpolitik zu machen und uns nicht mit Eschatologie zu beschäftigen. Die dürfen Sie machen, wenn Sie an der Regierung sind; dann wird das Volk das Himmelreich erleben.
— Ich bedanke mich .— Als ich das Ergebnis von Karlsruhe las und die schönen Bilder sah, dachte ich immer wieder, mein Freund Schmidt wird einmal ein sehr tüchtiger SPD-Landwirtschaftsminister, mit dem ich gern zusammenarbeiten würde. Ich würde nicht so scharf die Klingen kreuzen, aber ich würde dann konstruktive Opposition machen. Und dann dachte ich mir: Warum ist er eigentlich nur Schattenberater geworden? Heute weiß ich es, Kollege
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Schmidt. Es ist Ihre Vielseitigkeit; von der Grabrede bis zur Lustbarkeit — das ist natürlich so vielseitig, daß es für ein Ministerium nicht ausreicht.
Nun, mein sehr verehrter Kollege Schmidt, von der heiteren zur ernsten Seite! Sie haben von der Bahre gesprochen. Ich möchte mich nicht auch als Ersatzpastor betätigen. Außerdem bin ich ja Katholik; ich müßte mich also zuvor scheiden lassen, es sei denn, das Konzil führt bald eine Änderung herbei. — Sie haben von der Bahre gesprochen, vor der wir stünden. Verehrter Herr Kollege Schmidt, die Forderungen, die Sie zum Getreidepreis hier in Bonn und in Straßburg seit Jahren mit Mansholt auf gleicher Ebene vertreten haben, hätten die Angleichung um fünf Jahre vorverlegt. Daß wir das auf das Jahr 1967 hinausgeschoben haben, darauf sind wir Freien Demokraten außerordentlich stolz, und ich glaube, mit uns ist die deutsche Landwirtschaft hierfür dankbar.
Nun, darüber werden wir noch zu reden haben.
Es ist heute auch über die deutsche Verhandlungsposition in Brüssel gesprochen worden. Ich möchte nicht auf Einzelheiten eingehen. Aber, verehrter Herr Kollege Schmidt: Der Bundesregierung haben Sie heute nicht den Rücken gestärkt; Herrn Mansholt haben Sie wieder viele Argumente geliefert.
— Last not least — auch das sei hier betont —: Es ist sicherlich sehr gut, Kritik zu üben, und das ist das hohe Recht der Opposition — manchmal beneiden wir Sie darum; wir sind da ganz ehrlich, Kollege Schmidt —; aber Opposition ohne Alternative ist auch keine gute parlamentarische Arbeit.
Nun zu dem Kapitel: Überstimmung der Bundesrepublik". Wir haben immerhin die Aussage des Herrn de Gaulle, der erklärt hat: „Ein Überstimmen im Jahre 1966 gibt es nicht". Wir vertrauen auf die partnerschaftliche Zusage.
Wir haben manche Kritik an dem bisherigen Weg zu üben, wie Sie wissen; wir scheuen auch nicht davor zurück. Ich betone aber: Hätte die Opposition viel früher mit uns Freien Demokraten — auch in der Zeit, wo wir gemeinsam in der Opposition waren — an der deutschen Agrarpolitik festgehalten, hätte sie mit uns den Weg 1956 im Landwirtschaftsgesetz mit beschritten — wir wären in vielen Dingen in eine bessere Verhandlungsposition gekommen. Sie haben immer mitgeholfen, in Brüssel die deutsche Position in der Getreidepreisfrage zu schwächen.
Im Protokoll der 224. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages ist der Bericht des Kollegen Lücker über die Landwirtschaft im Vertrag zur Gründung der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft festgehalten. Darin heißt es:
Das vorgesehene System von Mindestpreisen soll jedem Mitgliedstaat während der Übergangszeit, die bekanntlich auf zwölf bis fünfzehn Jahre berechnet ist, in nicht diskriminierender Weise die Möglichkeit geben, Schwierigkeiten zu überwinden, die durch den Abbau von Zöllen und Kontingenten entstehen können.
In dem Bericht wird ferner wiederholt festgestellt, daß jedem Partner der EWG gleiche Chancen eingeräumt werden sollen. — Diese rückschauende Feststellung mache ich deshalb, weil in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, daß die deutsche Landwirtschaft und die deutschen Agrarpolitiker die Realitäten des Gemeinsamen Marktes nicht rechtzeitig erkannt hätten. Tatsächlich muß dazu festgestellt werden, daß die Entwicklung in der Zwischenzeit weit über das in dem Vertrag vorgesehene Maß und Ziel hinausgegangen ist. Der Ausbau eines gemeinsamen Agrarmarktes hat dabei größere Fortschritte gemacht als die Harmonisierung im Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik.
Daher muß hier die Frage gestellt werden, ob es überhaupt möglich ist, den Agrarmarkt isoliert von den übrigen Bereichen der Volkswirtschaft zu harmonisieren, oder ob nicht eine Gesamtharmonisierung mit dem Ziel einer politischen Vereinigung herbeigeführt werden muß. Die kommenden Verhandlungen in Brüssel werden beweisen, inwieweit die deutschen Zuggeständnisse für die Harmonisierung des europäischen Agrarmarktes sich tatsächlich auch auf die politische Einigung Europas fördernd auswirken werden.
In diesem Zusammenhang sei noch einmal kurz auf die Problematik der Getreidepreisharmonisierung hingewiesen. Man konnte in letzter Zeit immer wieder das Argument hören, ,der deutsche Getreidepreis sei eben einfach überhöht. Das kann nur jemand behaupten, 'der die Entwicklung der letzten zehn Jahre nicht kennt. Der deutsche Getreidepreis ist seit dem Jahre 1951 nicht verändert worden. Der französische Weizenpreis lag dagegen im Durchschnitt der Wirtschaftsjahre von 1953 bis 1956 unter dem deutschen Weizenpreis. Bei Vertragsschluß im Jahre 1956 übertraf der ,französische Weizenpreis mit rund 450 DM pro Tonne den deutschen sogar um 46 DM je Tonne. Durch die Abwertung des Franc und durch die Aufwertung der D-Mark entstand das große .Preisgefälle zwischen dem deutschen und dem französischen Getreidepreis.
Dazu muß noch die tatsächliche Entwicklung des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden, der sich von 1958 bis 1963 um 132 % erhöhte. Am größten war der Exportzuwachs in Italien mit 195 % und in Frankreich mit 172 %, während in der Bundesrepublik nureine Exportzunahme um 127 % und in Belgien und Luxemburg eine solche um 114% festzustellen war und die Niederlande mit 98 % unter dem Durchschnitt der EWG lagen.
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Die französische Agrarausfuhr in die EWG-Länder hat sich von 1958 bis 1963 nahezu vervierfacht, und zwar von rund 500 Millionen DM im Jahre 1958 auf 1,9 Milliarden DM 1963. Der Wert der französischen Agrarausfuhr in die Bundesrepublik hat im gleichen Zeitraum von rund 290 Millionen DM 'auf über 1 Milliarde DM, also um mehr als ,das Dreifache, zugenommen. Der Export der französischen Industriegüter nahm von rund 4 Milliarden DM im Jahre 1958 auf mehr als 10 Milliarden DM im Jahre 1963, also um das Zweieinhalbfache, zu. Im gleichen Zeitraum hat der gewerbliche Export 'aus Frankreich in die Bundesrepublik von rund 1,8 Milliarden DM auf etwa 4,3 Milliarden DM, also um mehr als das Doppelte, zugenommen. Diese Zahlen zeigen eindeutig, wie sehr die wirtschaftliche Integration fortgeschritten ist und wie auch unsere Partner hier einen beachtlichen Vorteil in Anspruch nehmen konnten.
Wenn die Bundesregierung mit Zustimmung des Bauernverbandes nun bereit ist, den Getreidepreis vorzeitig zu harmonisieren, so kann man wohl mit Recht behaupten, daß damit deutscherseits ein Höchstmaß an europäischem Verständigungswillen bewiesen wird, der wohl auch durch eine ebenso große Bereitschaft zu einer echten Partnerschaft in der gesamten EWG honoriert werden muß.
Unser Kollege Dr. Starke hat eingehend zu der Grundsatzfrage des Beschlusses der Bundesregierung Stellung genommen und dabei auf unsere Bedenken hinsichtlich der künftigen Gestaltung der Einkommenslage der deutschen Landwirtschaft hingewiesen. Wir Freien Demokraten sind nach wie vor der Auffassung, daß auch in einem Industriestaat der Landwirtschaft die Möglichkeit gegeben werden sollte, auf der Basis kostendeckender Preise ein entsprechendes Einkommen zu erzielen. Dieser Weg erscheint uns volkswirtschaftlich nach wie vor richtiger, als über Einkommens- und Sozialsubventionen den Weg der Umverteilung über Steuermittel zu gehen.
Leider zwingen gerade die Zusagen der letzten Woche zu neuen Subventionen. Soweit solche Mittel als Anpassungshilfen mit vorübergehendem Charakter, insbesondere zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, gewährt werden, findet 'die Gewährung solcher Beihilfen unsere Zustimmung. Auf lange Sicht muß es auch das Ziel der EWG-Agrarpolitik sein, den Erzeugern einen gerechten Preis zuteil werden zu lassen; damit 'befindet man sich dann in Übereinstimmung mit den entsprechenden Bestimmungen des EWG-Vertrages. Dieser Weg ist für die Verbraucher und die Erzeuger der bessere und der zweckmäßigere.
In der Öffentlichkeit wurde gerade in den letzten Wochen wiederholt der Versuch gemacht, den Freien Demokraten vorzuwerfen, sie steuerten im Hinblick auf die deutsche Agrarpolitik einen protektionistischen Kurs auf eine angebliche Bauernfängerei. Herr Kollege Schmidt hat uns hier apostrophiert, deshalb sei es mir gestattet, hierzu ein paar Worte zu sagen. Herr Kollege Schmidt, wir Freien Demokraten sind in der glücklichen Lage, nicht ständig Programmänderungen vornehmen zu müssen.
Im Berliner Programm können Sie genau unsere Stellungnahme zur Agrarpolitik nachlesen. Ich möchte Ihnen das sehr empfehlen. Sie würden dann feststellen, daß wir uns bis heute bemüht haben, auf der Basis unseres Berliner Programms einen agrarpolitischen Kurs zur Erhaltung der Landwirtschaft zu steuern.
Wenn es um die Erhaltung einer leistungsfähigen deutschen Landwirtschaft geht, muß auch in einem Industriestaat eine ähnliche Rücksichtnahme im Rahmen der Gesamtwirtschaft geübt werden, wie sie z. B. beim Kohlenbergbau als selbstverständlich gilt. Bei der Eingliederung in den europäischen Markt, in dem die deutsche Landwirtschaft einer Konkurrenz der anderen Partnerstaaten ausgesetzt ist, die durch staatliche Hilfsmaßnahmen in der Produktion, auch im Absatz und in der Exportförderung stärkstens begünstigt sind, muß bedacht werden, daß die deutsche Landwirtschaft ohne ähnliche Staatshilfen in den Wettbewerb gehen muß. So waren wir immer wieder gezwungen — und sind das wohl auch heute noch —, darauf hinzuweisen, daß von einem echten europäischen Markt erst gesprochen werden kann, wenn die Kosten ebenso harmonisiert wie die Wettbewerbsverzerrungen beseitigt sind und wenn 'die Marktmonopole in gewissen Partnerländer echt europäisiert werden.
In der letzten Woche ist das Wort vom „europäischen Frühling" gefallen, den wir uns alle wünschen und brauchen. Wir können nur wünschen, daß diese Hoffnung sich erfüllt. Dabei kommt es auf echte politische Verständigung an und nicht nur auf eine Verständigung in Form von wirtschaftlicher Integration, in welcher ein Teil erhebliche Vorteile hat, während der andere ständig erhebliche Opfer bringen soll.
Wir möchten auch nicht hoffen, daß dieser „europäische Frühling" nur in Form eines Wintermärchens stattfindet. Als Landwirt möchte ich hinzufügen: dem Frühling geht voraus der Winter mit Frost. Wir möchten nicht hoffen, daß die Entwicklung im europäischen Markt nur dadurch gefördert wird, daß ähnlich den Frostschäden zunächst unsere deutsche Landwirtschaft erheblichen Benachteiligungen ausgesetzt ist. Dabei sind wir uns durchaus bewußt, daß die kommende Entwicklung manchen Umwandlungsprozeß für die deutsche Landwirtschaft nach sich ziehen muß, wie er sich ja bereits seit einem Jahrzehnt abzeichnet.
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und europäische Politik bedarf natürlich insgesamt einer Fortentwicklung. Nachdem wir nun wiederum seitens der Bundesregierung eine beachtliche Vorleistung erbracht haben, ist es nun an der Zeit, nochmals daran zu erinnern, daß bis heute keine Fortschritte hinsichtlich einer echten parlamentarischen Kontrolle in Brüssel erreicht worden sind. Hier appellieren wir ganz besonders an die Opposition, einmal mitzuhelfen, daß dort überhaupt erst demokratischer Geist einzieht. Können wir es uns wirklich leisten, in diesem Bundestag nur noch Voll-
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zugsorgan der Brüsseler Exekutive zu sein? Dürfen wir heute in unserem Land nur noch das tun, was in den Brüsseler Amtsstuben beschlossen worden ist? Es wäre ein schlechtes Zeichen für ein kommendes demokratisches Europa, wenn die Grundfunktion des demokratischen Staates, nämlich die Gewaltenteilung in Legislative und Exekutive, laufend beiseite geschoben wird und die nationalen Parlamente in ihrer Beschlußfähigkeit so weitgehend eingeschränkt werden, daß sie praktisch nur noch die Vollzugsorgane einer Exekutive in Brüssel sind.
Zusammenfassend darf ich noch einmal betonen: Wir sagen ja zu einer politischen Einigung in Europa. Sie muß aber aufbauen auf der Basis gleicher Chancen, gleicher Pflichten und Rechte.
Es muß ein gleiches Recht für alle herrschen, damit wir zu einer demokratischen Ordnung im gesamten Europa kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Freien Demokraten haben Ihnen einen Entschließungsantrag auf Umdruck 531 *) vorgelegt, der sich in zwei Teile gliedert. Im ersten Teil wollen wir die Bundesregierung noch einmal ersuchen, bei den Beratungen zur Harmonisierung der Agrarpolitik folgende Mindestforderungen zu berücksichtigen:
Bei der Festsetzung des europäischen Getreidepreises zum 1. Juli 1967 muß unbedingt durch eine Revisionsklausel die allgemeine Kaufkraftentwicklung berücksichtigt werden.
Ferner müssen die Erzeugerpreise zwischen Brot-und Futtergetreide unverändert in der Relation 100 : 91 : 85 verbleiben.
Um die Gefahr auszuschalten, daß es bei veränderten Verrechnungskursen zu erneuten Schwierigkeiten kommt, soll der Getreidepreis in Zukunft lediglich in Rechnungseinheiten ausgedrückt werden. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, daß die Voraussetzungen für einen dauernden Interventionszuschlag für Braugerste und Qualitätsweizen geschaffen werden. Gerade im Hinblick auf eine Erzeugungs-Schwerpunktbildung im kommenden europäischen Markt sollten der deutschen Landwirtschaft die Möglichkeiten, die sie durch eine erhebliche Vereinheitlichung in den Erzeugungsgebieten bei Braugerste und Qualitätsweizen erreicht hat, auch künftig erhalten werden.
Neben der Festsetzung der Preise für Getreide dürfte es dringend erforderlich sein, daß nun auch insgesamt die Preise für tierische Veredelungsprodukte harmonisiert werden, sei es für Rinder, sei es für Schweine und Geflügel, wobei auch hier berücksichtigt werden muß, daß die Kriterien, die maßgeblich die Kosten des Getreidepreises bestimmen, berücksichtigt werden müssen. Ähnliches gilt für die noch festzusetzenden Erzeugerpreise für Zuckerrüben und Ölsaaten.
Für die Bundesrepublik ist außerdem von besonderer Bedeutung die Gestaltung der landwirtschaftlichen Produktion in den marktfernen Gebieten, sei
*) Siehe Anlage 2
es in Schleswig-Holstein, sei es in den deutschen Mittelgebirgslagen, in den Zonenrandgebieten oder im bayerischen Bergbauerngebiet. Die Regionalisierung im bisherigen Umfang muß beibehalten werden. Dabei sind besonders die Probleme der einseitigen Frachtbelastungen und der Benachteiligungen durch Boden und Klima zu berücksichtigen. Im Zuge einer koordinierten Struktur- und Raumplanung muß ferner dafür Sorge getragen werden, daß auch in diesen Gebieten in Zukunft eine leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft erhalten bleibt, und zwar nicht nur wegen der Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion, sondern auch wegen der Erhaltung unserer alten Kulturlandschaft.
Im zweiten Teil unserer Entschließung befassen wir uns mit den Maßnahmen, die wir angesichts der von der Bundesregierung gefaßten Beschlüsse für dringend notwendig halten. Denn auch wir haben uns Gedanken gemacht, wie der Weg in Zukunft weitergehen soll. Vordringlich erscheint uns dabei die Ergänzung des Landwirtschaftsgesetzes in verpflichtender Form, wie es in einem Antrag meiner Fraktion klar zum Ausdruck kommt. Hierbei muß noch einmal auf das Problem der Preise und Subventionen hingewiesen werden. Wie ich bereits eingangs betont habe, halten wir eine Preis-Politik für die Einkommensgestaltung der Landwirtschaft für wesentlich sinnvoller als den Einkommensausgleich über Subventionen.
Zu den Sozialmaßnahmen ist folgendes zu sagen. Der französische Landwirtschaftsminister Pisani hat in einem Interview kürzlich der deutschen Bundesregierung geraten, ähnliche umfassende Sozialmaßnahmen einzuführen, wie sie Frankreich für die eigene Landwirtschaft durchführt. Dazu möchten wir Freien Demokraten ganz klar Stellung nehmen. Sozialmaßnahmen als Ersatz für Einkommen lehnen wir generell ab. Sozialmaßnahmen in der gewährten Form der Altershilfe, eines Zuschusses zur Berufsgenossenschaft, des Ausbaus der ländlichen Krankenversicherung, der Förderung des Betriebshelfer-und Dorfhelferinneneinsatzes werden auch von uns vollauf befürwortet. Sozialmaßnahmen sind Maßnahmen, die der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsfürsorge dienen sollen. Sie können aber niemals — und das sei noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt — Einkommensersatz sein.
Maßnahmen, die zur beschleunigten Anpassung an den EWG-Markt erforderlich sind, müssen nach unserer Auffassung in einem EWG-Anpassungsgesetz festgelegt werden. Dieses EWG-Anpassungsgesetz soll sich in drei Teile gliedern: 1. Investition, 2. Qualitätsverbesserung, Absatzförderung und Marktstruktur, 3. Verbesserung der Struktur.
Wir kommen dabei zurück auf unsere früheren Vorstellungen zur Entwicklung eines langfristigen Investitionsprogramms. Dieses Programm soll mit einer Laufzeit von zehn Jahren veranschlagt werden. Dabei müssen sich die Investitionen der Landwirtschaft in die Formen der Strukturinvestitionen, der Gebäudeinvestitionen, der technischen Investitionen und der Rationalisierungsinvestitionen gliedern. Die einzelnen Kreditarten müssen je nach Laufzeit und entsprechend der Belastbarkeit zinsgünstig gegeben
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werden. Dabei muß besonders berücksichtigt werden, daß durch die Strukturmaßnahmen erhebliche langfristige Belastungen auf vielen Betrieben ruhen. Inwieweit hier überhaupt Zinsen angebracht sind, muß noch eingehend untersucht werden. Im Zusammenhang mit diesem langfristigen Investitions- und Technisierungsprogramm muß die Bereinigung der hochverzinslichen Altschulden gesehen werden.
Ein Wort noch zu den Gebäude- und technischen Investitionen: Auch in Zukunft wird noch ein erheblicher Bedarf an Modernisierung bei Gebäuden und bei der Anschaffung von Maschinen sein. Angesichts der schwierigen Einkommenssituation in der Landwirtschaft muß die Zinshöhe so gestaltet werden, daß die Tilgung auch bewältigt werden kann. Strukturmaßnahmen müssen im Hinblick auf den allgemeinen Charakter weitgehend in Form von Zuschüssen und zinslosen Darlehen gegeben werden. Im Rahmen des Investitionsprogramms müssen vor allem auch Forschungsvorhaben für Technisierung, Modernisierung und Rationalisierung nachhaltig gefordert werden, denn nach wie vor ist in vielen Fragen noch keine Endphase abzusehen. Im Rahmen des Investitionsprogramms muß auch die Last der Altschulden bei jenen Betrieben, die frühzeitig investiert haben, berücksichtigt werden.
Die Förderung der Produktion bedarf einer sinnvollen Konstruktion von Erzeugung, Absatzförderung und 'Vermarktung. Entsprechend den bäuerlichen Gegebenheiten wird es notwendig sein, Erzeugungsschwerpunkte zu bilden. Das gilt sowohl für die Bodenproduktion — wie schon erwähnt, beispielsweise in Form von Qualitätsgerste und Qualitätsweizen — als auch für die. Veredelungsproduktion, also für Milch, Mast oder ähnliches mehr. Dazu ist wiederum sowohl die Förderung von Erzeugergemeinschaften als auch die Absatzförderung und Marktregulierung mit dem Ziel eines ständig gesicherten Absatzes und Marktes notwendig. Das erfordert einerseits die Regelung der Marktstruktur, wird aber nur dann wirksam sein können, wenn auf lange Sicht die 'Marktstruktur verbessert wird und wirksam gemacht werden kann durch einen entsprechenden Marktfonds. Daß dabei Rücksicht zu nehmen 'ist auf die bestehenden Wettbewerbsverhältnisse in der Vermarktung und daß durch staatliche Förderungsmaßnahmen nicht neue Wettbewerbsverzerrungen entstehen dürfen, versteht sich von selbst. Bei den 'Maßnahmen zur Stärkung des Absatzes spielen Werbung und Agrarexport eine bedeutende Rolle und verdienen daher unser ganzes Augenmerk.
Der dritte Teil unseres Anpassungsgesetzes soll eine langfristige 'Strukturplanung auf der Basis eines langfristigen Strukturprogramms ermöglichen. Auch hier haben wir, Herr Kollege Schmidt, solange ich FDP-Debatten zum Grünen Plan und Grünen Bericht kenne, immer wieder daran erinnert, daß wir ein langfristiges Strukturprogramm befürworten. Sie hätten es schon lange duchgesetzt, wenn Sie unseren Anträgen zugestimmt hätten. Offensichtlich haben Sie dieses Problem verschlafen.
Ich würde einmal die Protokolle der letzten Debatten zum Grünen Plan und Grünen Bericht nachlesen; Sie dürfen sogar die Protokolle der letzten drei Jahre nachlesen.
— Nein, wir hätten uns gefreut, wenn uns die Opposition unterstützt hätte, dann hätte wahrscheinlich die CDU auch noch mitgemacht, dann hätten wir schon längst erreicht, was wir wollten, aber offensichtlich haben Sie es nicht mitbekommen.
Die Strukturmaßnahmen müssen mit der Raumordnung eng gekoppelt werden. Hoffentlich müssen wir dabei mit der Raumordnung nicht dieselbe Erfahrung machen wie mit dem Bundesbaugesetz, das auf dem Lande oft geradezu ein Bauverhinderungsgesetz geworden ist. Zu der Entwicklung der Agrarstruktur ist grundsätzlich zu sagen: in den letzten 50 Jahren mußte die deutsche Landwirtschaft ohne Rücksicht auf Betriebsgröße, Boden und Klimaverhältnisse um jeden Preis produzieren. Dadurch wurde die Struktur erheblich konserviert. Der Strukturwandel ist nicht nur ein Problem des Betriebes und seiner Größe, sondern auch ein Problem der Menschen und Generationen in der Landwirtschaft. Der Strukturwandel kann daher, wenn es nicht zu gesellschaftspolitischen Schwierigkeiten kommen soll, nur kontinuierlich und langfristig betrieben werden. Das Ziel muß die Erhaltung eines leistungsfähigen bäuerlichen Betriebes sein. Das Kriterium kann dabei nicht allein die Fläche sein, sondern ebenso das Können und Wollen des Bauern und seiner Familie. Wir denken zunächst an jene Betriebe, die für die Zukunft erhalten bleiben wollen, weil die bäuerliche Familie ja sagt. Hier müssen durch die staatliche Hilfe die Voraussetzungen zu einer modernen Bewirtschaftung geschaffen werden. Zweitens denken wir an jene Personen, die, aus was für Gründen auch immer — nicht durch staatlichen Zwang — von sich aus aus dem landwirtschaftlichen Produktionsprozeß ausscheiden wollen. Hier bedarf es einer sinnvollen Koordinierung aller möglichen Maßnahmen: Weiterbildung, Umschulung und Fortbildung. Besonders wichtig erscheint aber hier die Raumordnung; jenen Menschen muß auch ihr Wohnsitz auf dem Lande erhalten bleiben können, und sie müssen ihr Zusatzeinkommen dann eben in einer industriellen oder gewerblichen Beschäftigung finden. Das dritte Problem ist die Mobilisierung von frei werdendem Boden.
Die Gefahren einer deutschen Getreidepreissenkung liegen darin, daß die industriellen Veredelungsproduzenten die bäuerlichen zum Erliegen bringen. Daher muß die bäuerliche Veredelungswirtschaft am Boden gebunden bleiben. In diesem Zusammenhang muß auf die Gefahren einer Überproduktion von Veredelungserzeugnissen hingewiesen werden. Getreideüberschüsse werden heute in der hungernden Welt überall gern abgenommen. Anders ist es dagegen mit der Veredelungsproduktion. Oder ist es etwa das Ziel, durch eine Überproduktion in der Veredelungswirtschaft die deutsche Landwirtschaft in Schwierigkeiten zu bringen? Ich frage deshalb, meine sehr verehrten Kollegen
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von der Opposition, weil unsere verehrte Frau Kollegin Strobel und manche ihrer Kollegen von der Opposition immer so sehr von der Notwendigkeit einer verstärkten Veredelungsproduktion in der Bundesrepublik reden. Die Überfüllung des Agrarmarktes mit Veredelungsprodukten könnte das gefährlichste Experiment für die deutsche Landwirtschaft werden.
Abschließend ein Wort zu den Anpassungshilfen. Ich möchte auf die Ausführungen des Kollegen Struve nicht näher eingehen. Wir werden im Ernährungsausschuß über die Einzelheiten zu sprechen haben. Wir möchten uns heute mit grundsätzlichen Bemerkungen zufrieden geben. Staatliche Anpassungshilfen müssen so gegeben werden, daß sie gerecht und wirksam verteilt werden, daß niemand bevorzugt und auch niemand benachteiligt wird. Keinesfalls wollen wir sie nach dem Motto, das jüngst in der Öffentlichkeit verkündet worden ist, nämlich die Reichen reicher zu machen und die Armen ärmer, verwendet sehen. Unbedingt muß die Leistung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen berücksichtigt werden.
Die Freien Demokraten haben sich wiederholt für die Erhaltung einer leistungsfähigen bäuerlichen Landwirtschaft ausgesprochen. Seit der Beratung des Landwirtschaftsgesetzes im Jahre 1956 haben wir leidenschaftlich darum gerungen, die deutsche Landwirtschaft in den Rahmen der industriellen Entwicklung gerecht einzugliedern. Was in den letzten Jahren für die deutsche Agrarpolitik national bedeutsam war, ist jetzt besonders für die europäische Agrarpolitik notwendig und zu bejahen. Es geht um die Schicksalsfrage im Rahmen einer gerechten Gesellschaftsordnung. Ein gesundes Europa ist ohne ein gesundes Bauerntum nicht denkbar.