Rede von
Dr.
R. Martin
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nein, es kann nachher gefragt werden. — Sie können also allenfalls sagen: Liebe Bauern, wählt uns, dann bekommt ihr vielleicht etwas, vorausgesetzt, daß wir dann noch Geld im Topf haben und Brüssel uns keine Schwierigkeiten macht.
Das ist das äußerste, Herr Struve, was Sie mit ehrlichem Gewissen versprechen können. Sie können natürlich den Zynismus so weit treiben, wie Sie es bei dem Getreidepreis getan haben. Aber es ist die Frage, ob man Ihnen das noch abnimmt.
Als der Katalog der von dem Herrn Bundeskanzler zugesagten Maßnahmen in der Öffentlichkeit bekannt wurde, schrieben einige Zeitungen, die Landwirtschaft habe ein gutes Geschäft gemacht. Ich möchte mir erlauben, diese Behauptung zu bezweifeln. Der Katalog besteht zu fast drei Vierteln aus Maßnahmen, die von der Koalition schon seit Monaten bindend in Aussicht gestellt worden sind. Damit haben Sie sogar mehrere Wahlkämpfe in den letzten Monaten bestritten, allerdings nicht mit dem gewünschten Erfolg.
Peinlich war es natürlich, daß sich die Bundesregierung zunächst quergelegt hatte, angeblich deshalb, weil kein Geld vorhanden war. Aber über Nacht war es auf einmal da, und weil die Koalition eine so durch und durch ehrlich Politik treibt, darf die Landwirtschaft sicher sein, daß es weiter zur Verfügung stehen wird — bis zum nächsten Umfallen.
Das beinahe zwei Jahre andauernde Gezerre um den Zuckerrübenpreis zeigt das doch mit aller Deutlichkeit, meine Kollegen von der Regierungskoalition. Es ist wirklich keine Feldherrentat, daß Sie sich jetzt bei den Zuckerrüben dazu aufgerafft haben, den „Rubikon" zu überschreiten.
„Es gibt zweierlei Arten von Regierungserklärungen", hat der stellvertretende Pressechef der Bundesregierung neulich erklärt, veränderliche und unveränderliche Regierungserklärungen.
Die Erklärungen zur Wiedervereinigung seien unveränderlich,
die zum Getreidepreis dagegen veränderlich.
Was die 1,1 Milliarden DM betrifft, die für 1966 in Aussicht gestellt sind, wird man wohl erst den Barometerstand des übernächsten Jahres abwarten müssen. Es ist bezeichnend für die Art und Weise, mit der hier Agrarpolitik betrieben wird, daß bisher noch nicht einmal klar ist, wozu eigentlich die 380 Millionen DM bestimmt sind, die im kommenden Jahr als sogenannte Investitionshilfe verteilt werden sollen.
Darüber gibt es allenfalls private Meinungen. Wenn es richtig ist, was man so in den Zeitungen liest, dann besteht die Absicht, mit der Gießkanne übers Land zu gehen und das Geld entsprechend den Leistungen zur Grundsteuer A und zum Lastenausgleich zu verteilen.
Gegen dieses Verfahren erheben wir schärfsten Einspruch:
— Sie haben sich auch dazu bekannt, Herr Kollege Struve — erstens einmal, weil das keine Investitionshilfe ist, sondern ein Wahlgeschenk wäre,
zweitens, weil eine solche Subvention nicht dauerhaft sein kann und früher oder später in den Sog der EWG-Vorschriften geraten wird, und drittens, weil Sie dem Bauern keinen Gefallen erweisen, sondern seine Position in unserer Gesellschaft und vor allem seine Position in der Dorfgemeinschaft unnötig schwächen, ja unmöglich machen.
Wenn Sie die Situation in den ländlichen Gemeinden verbessern wollen, dann müssen Sie endlich mit einer Finanzreform beginnen. Aber was Sie vorhaben, das läuft darauf hinaus, daß die Bevölkerung auf dem Lande mit den Fingern auf die Bauern zeigen und sagen wird: „Die lassen sich sogar die Steuern vom Staat schenken."
Ich verkenne nicht, daß es notwendig wäre, sich über eine Investitionshilfe zugunsten der Landwirtschaft ernstlich Gedanken zu machen.
7550 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1964
Dr. Schmidt
Das würde voraussetzen, daß man sich überlegt, wo investiert werden muß, welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, was die Landwirtschaft dafür aufzubringen hat und mit welchen Mitteln ihr der Staat helfen kann.
So etwas schüttelt man nicht aus dem Ärmel, sondern das Ganze bedarf einer gründlichen Vorbereitung, wie sie leider bisher von der Bundesregierung als Zeitverschwendung angesehen worden ist.
Wenn man nun einmal schon kein Programm in der Schublade hatte und deshalb zu einer Verlegenheitslösung Zuflucht nehmen mußte, dann frage ich mich, weshalb man nicht an die Strukturverbesserung gedacht hat, an die der Deutsche Bauernverband vor einigen Wochen wieder in eindringlicher Weise erinnert hat.
Eine Aufstockung der Strukturmittel ist um so dringender, als die Globalkürzung des Grünen Plans für das kommende Jahr um 250 Millionen DM im wesentlichen aus den Titeln zur Strukturverbesserung genommen werden soll. Aber darüber wird im Zusammenhang mit dem Haushalt und dem Grünen Plan zu sprechen sein. Auf jeden Fall ist es ein sehr anrüchiges, um nicht zu sagen unzulässiges Verfahren, wenn der Bundeskanzler in der Öffentlichkeit mit Millionen um sich wirft, von denen er .selber noch nicht weiß, wie sie verwendet werden sollen.
Offensichtlich hat er vergessen, daß es sich dabei um das Geld der Steuerzahler handelt. Die Steuerzahler sind sicherlich bereit, Maßnahmen zu finanzieren, die zu sinnvollen und vernünftigen Ergebnissen führen. Das Verfahren aber, das hier angewendet wird, bewirkt genau das Gegenteil.
— Herr Bauknecht, es richtet einen psychologischen Schaden an, der kaum wiedergutzumachen ist. Indem Sie dem Bauern auf diese Art und Weise Geld geben, nehmen Sie ihm gleichzeitig auch noch den letzten Rest an moralischem Kredit, den er in der Öffentlichkeit hat.
Diesen Kredit hat die Bundesregierung mit ihrer Agrarpolitik ohne Konzept und Überlegung nun wirklich genügend untergraben, und zwar nicht nur zu Hause, sondern auch auf dem internationalen Parkett. Was hat sie denn getan, um die gemeinsame Agrarpolitik von der Stelle zu bringen?
Wieso springt denn der Bundesminister Schwarz immer auf das Bremserhäuschen, anstatt sich daran zu beteiligen, wenn die Herren Pisani, Bisheuvel und Mansholt ans Weichenstellen gehen? Glaubt man denn wirklich, den Zug noch aufhalten zu können? Wann fängt die Bundesregierung an zu handeln, anstatt immer nur sich vom Partner das Handeln vorschreiben zu lassen?
Weshalb gibt sie also vor jeder Verhandlung ihre Marschroute preis? Und dann wundert sie sich, daß sie laufend Federn lassen muß! Glauben Sie denn noch an den Weihnachtsmann?
Glauben Sie denn noch an den Weizenpreis von 440 DM, an den Roggenpreis von 400 DM oder etwa noch an die 700 Millionen DM Ausgleichszahlungen aus der Gemeinschaftskasse?